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Island: Ende der Geduld mit Frauenfeinden

Die Regierung in Reykjavik stürzt über verkrustete Männerbünde in der Oberklasse und die Verharmlosung sexueller Gewalt. Bald müssen die Islander neu wählen.

Islands Premierminister Bjarni Benediktsson
Islands Premierminister Bjarni Benediktsson muss das Handtuch werfen. Foto: rtr

Dass die Isländer sich seit dem Wochenende auf vorzeitige Neuwahlen einstellen können, sieht der Frauenverband in Reykjavik als „Gezeitenwende“: „Unsere Regierung ist nicht wegen politischem Streit zwischen Berufspolitikern zusammengebrochen, sondern weil wir als Gesellschaft sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder nicht länger tolerieren.“ Weil „die Geduld mit einem System am Ende ist, das die Täter schützt und die Opfer im Stich lässt“, musste Ministerpräsident Bjarni Benediktsson das Handtuch werfen. Er hatte die amtliche „Ehrenerklärung“ seines Vaters für einen Freund nach dessen fünf Jahren Haft wegen jahrelanger, fast täglicher Vergewaltigung der minderjährigen Stieftochter zu vertuschen versucht. In Island können Straftäter nach der Verbüßung ihrer Strafe bestimmte bürgerliche Rechte wieder erlangen, wenn drei Menschen mit gutem Leumund sich für sie verbürgen.

Es sei ihm eine Freude, den Behörden den nunmehr vollkommenen fehlerfreien Lebenswandel des Betroffenen zu bestätigen, hatte Benediktssons Vater Benedikt Sveinsson, einer der reichsten Unternehmer Islands, in dem Attest zur „Wiederherstellung der Ehre“bestätigt. Die erwachsene Stieftochter dagegen berichtete von Nachstellungen ihres Peinigers auch nach der Haftentlassung.

All das erklärte der Ministerpräsident aus Islands seit einem dreiviertel Jahrhundert dominierenden Unabhängigkeitspartei vor den Sommerferien zur Verschlusssache. Genau wie in einem zweiten, ähnlich gelagerten Fall von jahrelanger Vergewaltigung Minderjähriger: Ein bekannter Anwalt, der sich den Namen „Robert Downey“ zulegte, hatte nach Vorlage von „Ehrenerklärungen“, unterzeichnet von „respektierten und und öffentlich bekannten Persönlichkeiten“, die gewünschte Absolution erhalten. Auch wegen dieser beiden Fälle wurde der „Slut-Walk“ durch das sommerliche Reykjavik am letzten Juli-Wochenende zu einer der größten Demos dieses Jahres.

Als Vater eines vergewaltigten Mädchens ging der Schauspieler Bergur Thor Ingólfsson mit seiner Verzweiflung an die Öffentlichkeit: Der Vorsitzende im Justizausschuss des „Althing“ und andere Politiker aus der Partei des Premiers hätten sich „noch nicht mal die von uns vorgelegten Dokumente angeschaut“. Ingólfsson empfand, dass es diesen Politikern nur um ihresgleichen gegangen sei: „In dieser Kulturnische älterer Männer zählen sexuelle Vergehen überhaupt nicht.“

Zur „Kulturnische“ gehört, dass die Beteiligten aus den wohlhabenden und einflussreichen Familien auf der Atlantikinsel kommen, die seit der Unabhängigkeit 1944 alles in der Hand haben, was Geld sowie Macht bringen kann, Fischereiquoten eingeschlossen. Benediktssons Unabhängigkeitspartei hatte die Weichen für die Bankenprivatisierung gestellt, die das ganze Land 2008 an den Rand des Staatsbankrotts getrieben hatte. Im letzten Jahr brachten die Panama-Papers Steuerflucht von Benediktssons Vorgänger an der Regierungsspitze ans Tageslicht. Auch er selbst tauchte mit Vater auch auf den Listen auf, konnte sich aber bei Neuwahlen über Wasser halten.

Bis jetzt der Versuch scheiterte, die Verantwortung für Sexualverbrechen durch männliche Kumpanei in der Oberklasse zu vertuschen. Als Vater eines Opfers meinte Ingólfsson, der Zusammenbruch der Regierung sei ein Sieg über das „Leichtnehmen von Sexualvergehen, das sich in dem Ausstellen dieser Ehrenerklärungen zeigt“. Die Piratenpartei, in Islands Parlament drittstärkste Kraft, will den wie aus Wikingerzeiten anmutenden Erklärungen mit einer neuen Verfassung den Garaus machen. Als breit diskutierte Konsequenz der Zivilgesellschaft aus dem Bankenkollaps 2008 beschlossen ist sie ja schon. Nur hatten die Unabhängigkeitspartei und ihre Freunde das Inkrafttreten auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben.

 

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