Dänemark: Kapitulation vor rechtem Populismus
Von Thomas Borchert
Das politische Kopenhagen schaut nur kurz auf, wenn auch große US-Medien Dänemarks Flüchtlingspolitik in eine finstere Ahnenreihe stellen. „Die Idee, Schmuck von Flüchtlingen zu konfiszieren, hat einen besonders bitteren Klang in Europa, wo die Nazis große Mengen Gold und andere Werte von Juden und anderen konfiszierten,“ meinte die „Washington Post“ zur jüngsten der immer neuen dänischen Verschärfungen für Asylsuchende. Völlig grundlos, „dass ausländische Medien darüber herziehen“, kommentierte Ausländerministerin Inger Støjberg auf Facebook, schließlich hätten auch heimische Sozialhilfeempfänger größere Wertgegenstände abzuliefern: „In Dänemark muss man nämlich für sich selbst aufkommen, wenn man kann.“
Abschreckung potenzieller Flüchtlinge um jeden Preis ist ihr Programm. Das mit dem Filzen auf Schmuck und richtig teure Handys an der dänischen Grenze soll sich möglichst schnell und möglichst weit herumsprechen. Die fürchterliche geschichtliche Parallele tun die Ministerin und der sonstige politische Mainstream achselzuckend ab. Da ziehe halt einer mal wieder die „Nazi-Karte“, immer dasselbe Gutmenschen-Gesabbel. Schließlich würden ja nur Wertgegenstände über 400 Euro konfisziert, damit Asylanten so weit wie möglich selbst für ihre Kosten aufkommen könnten. Und Eheringe – ihre Konfiszierung wurde einige Zeit lang vermutet – seien sowieso ausgenommen.
Die TV-Kommentatoren debattieren nun eifrig, ob das eine pfiffige Argumentation mit Blick auf die nächste Meinungsumfrage ist. Und ob die Menschen in Nahost nicht schon genug abgeschreckt sind von Dänemark. Begriffe wie Moral, Ethik, geschichtliche Erfahrung, europäische Verantwortung oder gar Mitmenschlichkeit sind nach zwei Jahrzehnten ununterbrochener Wahlerfolge ausländerfeindlicher Rechtspopulisten aus dem Vokabular aller großen Parteien und auch aus den Medien in Dänemark komplett verschwunden.
Es zählen allein niedrige Flüchtlingszahlen, das „Wie?“ ist zweitrangig. Die rechtsliberale Minderheitsregierung mit Støjberg als beißwütiger Bannerträgerin einer maximal harten Flüchtlingspolitik lebt von den Stimmen und der Gnade der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DF). Die hält sich mit vorauseilendem Gehorsam über Wasser. Und die Sozialdemokraten würden gern auf dieselbe Weise wieder Ministerposten erobern.
Kritische Worte zum Filzen von Flüchtlingen hörte man von der größten Partei im Land nicht. Sie schluckt anstandslos auch solche „Abschreckungsmaßnahmen“ wie die rückwirkende Verschärfung im Staatsbürgerschaftsrecht für eigentlich schon anerkannte Bewerber. Den heiligen Grundsatz dieser Populisten-Politik formulierte mit Henrik Sass Larsen ausgerechnet der sozialdemokratische Fraktionschef in der linksliberalen Tageszeitung „Politiken“: „Wir werden alles tun, was wir können, um die Zahl nicht-westlicher Flüchtlinge und Zuwanderer zu begrenzen, die hier ins Land kommen.“ Sie würden einfach zu viel kosten.
Der parteilose und bisher unbekannte Normalbürger Jakob Nielsen sorgte mit einem Facebook-Eintrag dafür, dass es dann doch auch mal eine moralische Dimension in die Schlagzeilen schaffte: „Ich bin nicht Polizeibeamter geworden, um Flüchtlinge auszuplündern.“ Nielsen fragte: „Stellt die Regierung sich vor, dass ich an der Grenze stehe und Menschen Gold aus dem Mund oder der Unterhose ziehe, wenn sie das Letzte verstecken, was ihnen geblieben ist?“ Nielsen ist ein genauso gewichtiges Sprachrohr wie die Scharfmacherin Støjberg für eine in der Flüchtlingspolitik wie auch auf anderen Feldern gespaltene Bevölkerung. Die Hilfsbereitschaft unzähliger Initiativen für Flüchtlinge und das Ausbleiben von Brandstiftungen an Asylunterkünften sprechen eine gute, klare Sprache. Und dass die Polizeigewerkschaft die Konfiszierungen für nicht praktikabel hält, ist auch gut und klar.
Dass die Kopenhagener Politik sich aber fast einhellig für eine Migrations- und Flüchtlingspolitik mit den Mitteln der Abschreckung „nicht-westlicher Zuwanderer“ nach außen und deren Dehumanisierung nach innen entschieden hat, muss auch anderswo in Europa und nicht zuletzt in Deutschland interessieren. Denn als drittes Element kommt ja die geschmeidig gemanagte Abwälzung von Verantwortung auf andere zu. Im Sommer ließ Kopenhagen fast den kompletten Flüchtlingsstrom von der deutschen Grenze zur schwedischen durchwinken. Begleitet von Hohn, Spott und Verachtung für die „Selbstzerstörung“ des größeren Nachbarn durch eine humanistisch begründete Flüchtlingspolitik in Stockholm.
Ähnliche Kritik gegenüber dem viel mächtigeren Nachbarn Deutschland mit einer ebenfalls großzügigen Asylpolitik behielt Regierungschef Lars Løkke Rasmussen brav für sich, als er sich im Sommer bei Kanzlerin Merkel als Anhänger einer europäischen Flüchtlingspolitik erklärte. Um dann daheim bei einem Referendum wie ein Berserker die Erhaltung der „nationalen Souveränität“ in der Ausländerpolitik für sakrosankt zu erklären: „Bis die Sonne ausbrennt.“
Ein bisschen vor diesem sehr zukünftigen Datum, am kommenden 4. Januar, wird Rasmussens Regierung die Einführung von Passkontrollen an der deutschen Grenze und damit auch die Rücksendung von Flüchtlingen ohne gültige Papiere in die Bundesrepublik anordnen. Das sei aber nur eine Reaktion auf die Ankündigung derselben Maßnahme durch restlos überforderten Schweden Richtung Dänemark für denselben Tag, behauptet der Ministerpräsident. Auf Deutschland kommt dann der bekannte Effekt fallender Dominosteine auch aus dem Norden zu.
Es wird Proteste und einen vielleicht aus ganz praktischen Gründen raueren deutsch-dänischen Ton geben. Dabei sollte einbezogen werden, dass der wichtigste Beitrag des kleinen Dänemark zur europäischen Flüchtlingspolitik nicht das Errichten immer höherer Mauern für Zufluchtsuchende mit einem altertümlichen, unrealistischen und nationalistischen Inselbewusstsein ist. Das tun immer mehr andere in Europa auch. Aber Dänemark führt schon mal klarer als andere vor, wohin die Reise bei der Kapitulation der traditionellen „Mitte“ vor den Populisten für die politische Kultur in einem Land geht.