Asylpolitik Dänemark auf dem Weg zu „Ungarn light“
Von Thomas Borchert
Volksabstimmung ist, wenn keiner die komplizierte Frage kapiert und die Politiker wohl ganz was anderes meinen. So ähnlich muss es gut vier Millionen Dänen am heutigen Donnerstag beim siebten EU-Referendum seit 1972 gehen. Sie stimmen ab, ob ihr Land einen „Rechtsvorbehalt“ aufgibt, um weiter an der Europol-Zusammenarbeit und ausgewählten anderen Aktivitäten der Union teilnehmen zu können.
Dabei werben beide Seiten im juristischen Dschungel von „zwischenstaatlich“ kontra „überstaatlich“ und „Parallelabkommen“ kontra „Zuwahl von Rechtsakten“ am lautstärksten für den Erhalt einer Ausnahme: Unter gar keinen Umständen soll Dänemarks Parlament ohne eine neue Volksabstimmung die Teilnahme an einer gemeinsamen EU-Flüchtlings- und Asylpolitik beschließen dürfen.
Eine Laufzeit „bis die Sonne ausgebrannt ist“ hat Regierungschef Lars Løkke Rasmussen dieser Garantie verpasst. Der Bannerführer der Ja-Seite nutzte in Paris auch noch die Klimakonferenz zu Reklame für die betonharte Asylpolitik im eigenen Land: „Wir sparen damit Geld, das auch dem Klimaschutz zugutekommt.“ Justizminister Søren Pind erklärt daheim, wie man syrische Flüchtlinge und deren Gepäck auf Wertgegenstände und Bares durchsuchen will, damit sie möglichst selbst bezahlen: „Wir sprechen von einer Situation, wenn ein Mann mit einem Koffer voller Diamanten ankommt und Schutz in Dänemark sucht.“ Viktor Orbán in Budapest sollte seine Freude an den Kopenhagener Kollegen haben.
Die Nein-Seite hat die Nase laut Umfragen leicht vorn. Auf der Siegerstraße sind einmal mehr die Rechtspopulisten der Dänischen Volkspartei (DF), mit den Dauerbrennern „Die Ausländerpolitik muss immer noch härter werden“ und „Nein zu mehr EU“ zur größten bürgerlichen Partei aufgestiegen. Der Liberale Rasmussen hängt mit seiner schwachen Minderheitsregierung am DF-Tropf, steht aber beim Referendum mal auf der anderen Seite. Die linke Einheitsliste bleibt ihrer alten Anti-EU-Linie treu und streitet Seite an Seite mit ganz rechts für möglichst viel dänische Souveränität, per Definition gut, gegen den per Definition undemokratischen Moloch Brüssel. Auch David Cameron dürfte mit Wohlgefallen nach Kopenhagen blicken.
Als die Regierung das Referendum 2014 anberaumte, machten die Flüchtlinge noch nicht so gewaltige Schlagzeilen. Dänemark sollte sich wegen neuer EU-Regeln über die Europol-Kooperation von einigen 1992 ausgehandelten Vorbehalten verabschieden. Die Mehrheit für den begrenzten Schritt aus allerlei Sonderregelungen schien nach Umfragen klar, eher eine technische Frage. Nur eben, dass die Ja-Parteien das Thema Ausländerpolitik als vermutliches Trumpf-As für die Rechtspopulisten fürchteten wie der Teufel das Weihwasser.
So stellten sie der „nationalen Souveränität“ in dieser Frage lieber gleich einen fast ewigen Bestandsschutz aus. Als die Flüchtlingszahlen in Europa drastisch stiegen, äußerten sich überraschend immer mehr Dänen bei Umfragen positiv zu einer gemeinsamen EU-Asylpolitik mit Verteilung per Quoten. Aber für das Referendum war der Zug in die andere Richtung abgefahren.
Im Wahlkampf präsentiert auch die Ja-Seite die EU als notwendiges Übel, eine Art großer, schmuddeliger Selbstbedienungsladen, an dem man generell des Geldes wegen nicht vorbeikommt. Und konkret in diesem Fall wegen der internationalen Verbrechensbekämpfung. Andere europäische Nationalitäten kommen vorzugsweise als osteuropäische Einbrecher und Lohndrücker, schwedische Humanitäts-Spinner und viel zu reiche deutsche Ferienhaus-Aufkäufer vor. Vernunft und guter Wille sind am Grenzübergang Pattburg nach Schleswig-Holstein und der Øresundbrücke nach Schweden zu Ende.
Als am Ende doch größten Trumph knallt DF Zweifel an Rasmussens „ewiger“ Garantie gegen die Teilnahme an einer EU-Flüchtlingspolitik auf den Tisch. Der Europaabgeordnete Morten Messerschmidt: “Zu unverbindlich.” Er macht jetzt die Bundeskanzlerin und Schwedens Premier als Hauptgegner aus: „Wir werden niemals akzeptieren, dass die EU die Flüchtlingspolitik übernimmt. Egal, was eine Angela Merkel oder ein Stefan Löfven sagen.“ Wie konterte Rasmussen im Endspurt, wenn man richtig draufhaut: “Ein Nein könnte Dänemark zum Flüchtlingsmagneten machen.” (Letzter Abs. nicht mit Zeitungstext).