Norwegen streitet über Windparks contra Rentierzucht

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Greta Thunberg über Windpark in Norwegen: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus“

Erstellt: 22.03.2023

Von: Thomas Borchert

Die Samen protestieren gegen einen norwegischen Windpark – mit prominenter Unterstützung.

Was kompromissloser Protest ausrichten kann: Junge Angehörige der samischen Urbevölkerung in Norwegen haben die Regierung mit Blockadeaktionen gegen Osloer Ministerien beim Streit um Windparks auf Weideflächen für die Rentiere der Samen in die Knie gezwungen. Jedenfalls, was Worte angeht. Dabei hatte die Staatsmacht erst Beteiligte an den Besetzungsaktionen einfach reihenweise festnehmen lassen. Zusammen mit den Samen und Aktiven des Jugend-Umweltverbands ließ sich auch die aus Stockholm gekommene Greta Thunberg Anfang des Monats von zwei Polizistinnen aus der Lobby des Öl- und Energieministeriums wegtragen.

Ihren Protest ausgerechnet gegen Windkraft erklärte sie so: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus, indem man vorgibt, den Planeten zu retten, aber in Wirklichkeit die Menschenrechte indigener Völker von A bis Z verletzt.“ Das Echo auf die knallhart durchgezogene Blockadeaktion brachte Regierungschef Jonas Gahr Støre auf neue Gedanken. Er lud Sprecherinnen der Protestaktion zum Gespräch und beugte nicht nur beim Handschlag artig den Kopf. Norwegens Premier gab jetzt erstmals unumwunden zu, dass bei der Genehmigung für 151 Windräder der beiden Parks Storheia und Roan auf der Halbinsel Fosen an der Westküste die Rechte der Samen sträflich außer Acht gelassen worden seien. Kurz danach besuchte er auch noch ganz hoch im Norden in Karasjok eine Rentierzüchter-Familie und wiederholte vor dem „Samen-Parlament“ seine Entschuldigung: „Wir bedauern, dass hier Menschenrechte verletzt worden sind.“

Aktivist:innen der Samen: „Wir starten neue Aktionen“

So richtig neu ist diese Erkenntnis allerdings auch für den Sozialdemokraten nicht, denn schon 2021 hat Norwegens Oberster Gerichtshof den Bau der zwei Windparks für gesetzwidrig erklärt, weil sie einen großen Teil der Halbinsel unbrauchbar machen als Weideflächen für die Rentiere der Samen. Eine Verletzung des „UN-Zivilpaktes“ zum Schutz von Minderheiten sei das. Anderthalb Jahre vergingen ohne greifbare Reaktion des Staates. Die Turbinen des riesigen Windkraftparks drehten sich einfach munter weiter, und genau dieses kaltschnäuzige „Aussitzen“ hat die winterliche Blockadeaktion in Oslo rund um den 500. Tag nach dem Richterspruch ausgelöst.

„Land Back!“ lautete, auf Englisch, vielleicht als Kompromiss zwischen Samisch und Norwegisch, die Forderung der Protestierenden – einzulösen durch sofortige Abschaltung und dann den Abriss der 151 Windkrafträder. Genau diese Schritte aber will die Regierung auch nach ihrem Einlenken mit wohlklingenden Entschuldigungen nicht gehen. Zuletzt nahm Öl- und Energieminister Terje Aasland vor dem Parlament Stellung zu möglichen Szenarien „Wir haben keine rechtliche Grundlage für einen Rückbau der Anlagen in Fosen“, sagte er vor dem Parlament in Oslo. Und fügte an: „Aber ich schließe für die Zukunft keine Option aus,“ was auch einen Teilabriss bedeuten könne. Jetzt müsse man „neues Wissen sammeln“.

Das klang nach neuem Aussitzen und kam deshalb gar nicht gut bei den in Samen-Tracht zuhörenden Blockade-Sprecherinnen an. „Ganz klar, wir starten neue Aktionen, wenn jetzt einfach nur wieder viel Zeit vergehen soll“, sagte Ella Marie Hætta Isaksen.

Kritik der Samen: Norwegen akzeptiert uns nur, wenn es nichts kostet

Die norwegische Öffentlichkeit ist gespalten. Einerseits ist allseits klar, dass sich niemand unter denen mit Macht und Einfluss bei der Planung der Anlage um die Proteste der Betroffenen darum scherte, dass ihre Tiere schon durch die Bauphase Fosen meiden und folglich aus ihren Weideflächen verdrängt würden. Die Rentierzucht hat wirtschaftlich keine nennenswerte Bedeutung, ist aber Kern der samischen Kultur für derzeit gut 50 000 Menschen, ein Prozent der Gesamtbevölkerung Norwegens. Über Jahrhunderte hatte dieses traditionell als Nomaden lebende kleine Volk in Norwegen wie auch bei den Nachbarn in Finnland und Schweden sowie in Russland mit den Problemen des Kolonialismus zu kämpfen.

Das hat sich vor allem in Norwegen kräftig geändert, dessen Regierung als einzige in den vier Ländern mit Samen das ILO-Abkommen zum Schutz „indigener und in Stämmen lebender Völker in unabhängigen Ländern“ anerkennt. Aber nur an der Oberfläche, wenn es nichts kostet, sagen viele Samen.

Støre betonte auch bei seinem Büßer-Auftritt vor ihrem Parlament nicht nur einmal, worum es für ihn im Kern geht: „Norwegen braucht mehr Energie.“ Eine zentrale Ursache für die katastrophalen Umfragezahlen seiner Arbeiterpartei ist der zeitweise bedrohliche Strommangel des vergangenen Jahres mit astronomisch hohen Preisen als Folge. Bekommt Støre das nicht in den Griff, werden die Umfragezahlen mit Sicherheit noch tiefer rutschen als durch fehlenden Respekt vor den Rechten eines indigenen Volkes.

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