Meine Verbeugung vor den Zweisprachlern in Dänemark und überall

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Ein Hoch auf die Zweisprachler

Von Thomas Borchert

6. Sept. 2019 (Wochenend-Kolumne)JP-Illustration.jpgDie zwei Sprachgenies Vladimir Nabokov (Lolita), Viktor Funk (Frankfurter Rundschau) und ich, der ich absolut keins bin (so gesehen vom Karikaturisten von Jyllands-Posten, Rasmus Sand Høyer)

Als Neuer bei den Wochenendkolumnen stellt man sich am besten kurz vor, auch wenn es mit einem peinlichen Geständnis losgehen muss: Eigentlich ist mein Dänisch nach dreieinhalb Jahrzehnten in diesem Land (seit kurzem mehr als die Hälfte des Lebens) immer noch zu fehlerhaft, um hier als Kolumnist Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Die dänische Liebste und unsere drei längst erwachsenen dänisch-deutschen Kinder beteuern, dass sie die Fehler des Zugewanderten schon wegen ihres Unterhaltungswerts nicht missen möchten: Wenn ich durch die Wohnung rufe, wo denn die „hvide due“ (weiße Taube) zum Tischdecken geblieben ist. Der Unterschied zu „duge“ (Tischtuch) in dieser so verflucht gemurmelten Sprache ist vielleicht doch zu fein für den angelernten Dänen. Aber schön, dass alle was zum Lachen haben.

Damit Ähnliches nicht auch nach der Ablieferung zum Beispiels dieses Textes passiert, hab ich diskret ein Sicherheitsnetz gebastelt. Großer Dank an Helle, Anne und Ellen! Die drei Schutzengel fehlten schmerzlich bei einem „Experten“-Auftritt für TV2 News an einem deutschen Wahlabend: Selbstsicher wie mein Landsmann Papst Benedikt vor seiner Pensionierung und der dänische Kommentatoren-Papst Henrik Qvortrup nach seiner Wiederauferstehung aus dem kriminellen Sumpf schwadronierte ich; „Merkel hat ihre anhængere nicht mobilisieren können.“ Die Moderatorin Mette Vibe Utzon korrigierte vor laufender Kamera fürsorglich: „Thomas, einen anhænger koppelt man hinten an das Auto. Was du meinst, sind die tilhængere.“

 

Ah ja. Da half nicht, dass man in meiner Muttersprache Anhänger sowohl mobilisieren wie auch hinten an den Familien-Skoda hängen kann. Es hat schon seinen Grund, dass man mich so gut wie nie als TV-Experten für irgendwas erlebt.

 

Neidisch bestaune ich Sprachgenies wie Vladimir Nabokov und Sabine Kirchmeier. Letztere kam 1955 in Hannover auf die Welt. Nach dem Umzug der Familie nach Dänemark, als sie neun Jahre alt war, entwickelte sie eine außergewöhnlich starke Neugier auf Sprachen. Sie studierte die dänische, die deutsche sowie Literatur in Kopenhagen und betrieb anschließend weiter Sprachforschunge. Schließlich brachte sie es bis zur Direktorin der studierte deutsche sowie dänische Literatur in Kopenhagen. Sie bekam die Staatsbürgerschaft ihrer zweiten Heimat mit 25 und hat es dann zur Direktorin beim Dänischen Sprachinstitut (Dansk Sprognævn) gebracht. 13 Jahre hat Sabine Kirchmeier als oberste Hüterin der dänischen Sprache gearbeitet, der zweiten in ihrem Leben. Was für eine Leistung!

 

Sie hat im März aufgehört, weil Populisten auf Wählerfang in der Provinz Dansk Sprognævn von Kopenhagen in ein abgelegenes Städtchen auf Fünen verpflanzt haben. Welch ein Irrsinn. Mette Bock als Kulturministerin gab dafür keine fachliche Begründung und antwortete Ritzau auf die Frage danach nur mit: „Bogense ist eine schöne Stadt“. Das ist die Arroganz der Macht. Nicht nur in Bogense pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass Bock auch hier Erfüllungsgehilfin für die bizarre Kulturpolitik der populistischen Dansk Folkeparti.

 

Nabokov, mein zweiter zweisprachlicher Held, hat erst in seiner russischen Muttersprache und nach der Flucht durch etliche Länder ab dem 41. Lebensjahr auf Englisch geschrieben, unter anderem „Lolita“. Was für eine Leistung. Mein Favorit ist „Pnin“, sein Roman über einen ewig scheiternden russischen Emigranten in den USA. Nabokov beschreibt liebevoll, erbarmungslos und komisch die Unfähigkeit dieses Literaturlehrers, die Sprache der neuen Heimat ordentlich zu lernen. Das macht Pnin in den Augen Eingesessener zu einer Witzfigur, perfekt geeignet für Parodien auf sein Englisch mit den vielen Stellungsfehlern und der verkorksten Aussprache.

 

Alle angelernten Zweisprachler kennen dieses Spiel in der einen oder anderen Form. Nabokov treibt es ergreifend auf die Spitze, wenn er Pnin in einem Moment größter Verzweiflung und Einsamkeit mit der Faust auf den Tisch hauen lässt: „Ei haf naffing“ – „Naffing, naffing.“ Er hat nichts, absolut nichts und kann noch nicht mal das ausdrücken, ohne sich mit der russischen Aussprache lächerlich zu machen.

 

Wenn ich hin und wieder als Freiwilliger in der Folkebibliotek von Nykøbing auf Falster (wo meine auch sprachlich bessere dänische Hälfte am Krankenhaus arbeitet) mit Menschen aus fernen Ländern wie Syrien, Eritrea und Somalia die hiesige Sprache trainiere, fällt die Bewunderung mitunter genauso groß und ungläubig aus wie für Kirchmeier und Nabokov. Verbunden mitunter auch mit Augen verdrehender Verzweiflung (ich versichere: nur innerlich). Es erscheint mir sprachpädagogischem Dilettanten ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Schülern ohne das geringste schulische Rüstzeug den Unterschied zwischen Präsens und Imperfekt zu erklären.

 

Da gibt es einen freundlichen Mann aus einem fernen Land, dem ich deshalb nach diversen Übungsstunden diskret aus dem Weg gegangen bin. Er lernt es nie und kommt, dachte ich, nur als Flucht vor der Einsamkeit an endlos langen Tagen ohne sinnvolle Beschäftigung Woche für Woche ins Lektiecafé. Verblüfft habe ich vor kurzem bei unserem Palaver über den Familiennachzug seiner Frau und der Kinder festgestellt, dass er inzwischen ein jedenfalls nicht mehr hoffnungsloses Dänisch spricht.

 

Seine Kinder fangen bei Null an, wenn sie jetzt nach ein paar Monaten in Dänemark mit dem Ende der Sommerferien Kindergärten und Schulen besuchen. Uff, eine Herkules-Aufgabe für alle, auch die Profis. In Deutschland hat jetzt kurz vor Wahlen ein Spitzenpolitiker aus Kanzlerin Merkels Partei namens Carsten Linnemann Schulverbote verlangt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“

 

Aus Frankfurt twitterte Viktor Funk, Sohn aus Russland stammender Eltern: „Ich war elf, als ich nach Deutschland kam. Ich konnte ‚guten Tag’ und vielleicht noch ‚Brot’ sagen. Ich bin froh über meine Lehrer, die die Meinung von Herrn Linnemann nicht geteilt haben.“ Heute arbeitet dieser Journalisten-Kollege Funk bei der „Frankfurter Rundschau“ und redigiert die Texte, die ich der Zeitung als Skandinavien-Korrespondent mit dem Neuesten aus Dänemark und dem restlichen Norden schicke. Ein Buch über die Jahre als Migranten-Kid in seiner Zweitsprache hat er natürlich auch schon geschrieben, ganz ohne Schutzengel. Neid!

 

 

 

 

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