Der dänische Wahlkampf sieht von außen “undänisch” aus

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Im 3. Kommentar zum Wahlkampf für “Jyllands-Posten” messe ich ihn an der in Dänemark üblichen und selbstverliebten Definition von “typisch dänisch”. Danach ist der Wahlkampf in seiner Aggressivität und Primitivität sehr “undänisch”.  Hier der dänische Text, und hier die deutsche Übersetzung:

Mein erstes Erlebnis als ausländischer Wahlbeobachter in Dänemark hatte seinen Charme. Anker Jørgensen (sehr beliebter sozialdemokratischer Veteran und Ex-Regierungschef) wollte 1984 mit einem Besuch in der Obdachlosenherberge Himmelekspressen in Kopenhagen zeigen, wie die bürgerlicher Regierung den Wohlfahrtsstaat demontiert hatte. Als er morgens um elf mit mir deutschem Journalisten und zwei oder drei dänischen Kollegen ankam, war das Haus leer. Der Heimleiter erklärte entschuldigend, dass gerade nicht so viele Obdachlose kommen würden und das schöne Wetter ja auch höchst verlockend zum Herumstreifen einlud. Es war nur ein bisschen peinlich. Auch Anker Jørgensen konnte darüber witzeln und wartete einfach mit uns, bis ein paar “sozial Schwache” herbeigeeilt waren und freundlich mit dem Kandidaten plauderten.

Die Geschichte hab ich nicht vergessen, weil ich ziemlich verblüfft war über diese friedfertige, pragmatische und auch entspannte sowie selbstironische Art, in der Dänen in verschiedenen Rollen ihre Probleme angingen. Die Liebe der Leute zu Anker Jørgensen umfasst ja nicht zuletzt seine Mängel und Fehler. Das passt zum glücklichsten Volk, denkt man ein bisschen neidisch.

Ein groteskes Rechenstück

Wer wird wohl Lars Løkke Rasmussen inklusive seiner Mängel und Fehler ins Herzen schließen? Jetzt im Wahlkampf lässt er die Ausländer in Dänemark für sein persönliches Chaos im Umgang mit Boxershorts-Rechnungen bezahlen (Der bürgerliche Spitzenkandidat gilt als extrem unglaubwürdig wegen etlicher Skandale mit zweifgelhaften Abrechnungen. Das versucht er jetzt mit einem extrem ausländerfeindlichen Wahlkampf auszugleichen.) Sein Tempo dabei ist im Endspurt des Wahlkampfes atemberaubend hoch und sein Niveau atemberaubend niedrig. Mich verblüfft das genauso wie das Erlebnis mit Anker Jørgensen.

Løkke rechnet vor, dass man durch das Wegsparen von Asylkosten 150 000 Krebsoperationen oder 14 000 Krankenschwestern bekommen könnte. Die Kranken können sich überdies auf noch mehr Gesundheit für die 15% freuen, die seine Partei Vesntre von der “übertriebenen Entwicklungshilfe” wegkürzen will.
Das groteske Rechenstück ist so “undänisch”, wie man es sich “undänischer” nicht vorstellen könnte. Oder hab ich missverstanden, was man darunter versteht? Ich dachte immer, “typisch dänisch” bedeute auch, dass man sein Mitbürger für genauso intelligent und positv eingestellt hält wie sich selbst

Løkke und Thorning wie Kinder

Wie kann es sein, dass die beiden Kandidaten für da höchste politische Amt im Land (Løkke und die sozialdemokratische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt) wie Kinder darüber streiten, wer von ihnen Dänemark am erfolgreichsten auf einer internationalen Rangliste ganz nach unten gebracht hat? Fünfter oder zehnter Platz bei Asylbewerbern pro Kopf, darum ging der Streit.

In meinen Ohren klang auch das in seiner Primitivität und Aggressivität  ganz und gar undänisch. Jeder konnte und sollte die logische Schlußfolgerung ziehen: Am besten wäre der letzte Platz.

Ansonsten jubelt ja auch Christiansborg (Parlaments- und Regierungssitz) über all die feinen Topplatzierungen für Dänemark,

Wer ist am glücklichsten, wer hat die beste Wohlfahrt, wer fährt am meisten Fahrrad, hat die meisten Kindergärten, die saubersten Strände, die umweltschonendste Energie, das meiste gegenseitige Vertrauen, die grenzenloseste Meinungsfreiheit und die beste Königin der Welt?

Sollte es da nicht auch möglich sein, die Nummer Eins bei der Integration von Zuwanderern zu werden? Als hingebungsvoller Dänemark-Fan meine ich das ohne jede Ironie.

Beim Wählertreff auf Lolland

Zugegeben, wir Ausländer sind vielleicht nicht die natürlichen Experten bei der Definition von “dänisch” und “undänisch”. Ich wage es trotzdem, weil ich auch jetzt wieder das typisch Dänische erlebt habe, das in meinem Geburtsland zurecht so populär ist. ndrømmet, vi udlændinge er måske ikke de mest oplagte til at definere, hvad der er ”udansk” eller ”dansk”. Jeg tør alligevel, fordi jeg også nu har oplevet det typisk danske, som med rette er så populært i mit fødeland.

In Maribo auf Lolland (verarmte Randregion) war ich dabei, als acht Folketingskandidanten sich ihren Wählern stellten. Nun waren nur zwei von letzteren der Einladung gefolgt. Das machte fast nichts. Die Kandidaten diskutierten seriös, engagiert und pragmatisch die Themen, die sie bei der Wahl am 18. Junu für die wichtigsten halten.

Kein Wort über Ausländer. (doch, da war was mit dem Verkauf von Ferienhäusern an meine Landsleute), kein gegenseitiger Hohn, kein verbales Herumtrampeln auf Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen. Obwohl es von denen auf Lolland richtig viele gibt.

Ehrliche und ernste Diskussion

Die Kandidaten diskutierten ehrlich und ernst den drohenden Kollaps der Region, wenn weiter nur Kopenhagen als Hauptstadt vom Wirtschaftswachstum profitier.. Sie sprachen über die furchterregend zunehmende Macht von Spitzenbeamten in Kopenhagen, akuten Ärztemangel und den unerschütterlichen Glauben der Landespolitiker an Excel-Tabellen sowie ihre fehlende Bereitschaft zur Diskussion von Grundhaltungen. An dem Nachmittag habe ich viel gelernt.

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