UN-Beauftragter erhebt schwerste Vorwürfe gegen Schweden: Assange gemeinsam mit CIA auf den Scheiterhaufen geworfen
Julian Assange
Schwedens Justiz im Dienst der CIA?
Stockholm schweigt über die Vorwürfe im Fall Assange. Verschwörungstheorien blühten im Land schon vorher.
Aus dem Mund eines angesehenen UN-Sonderberichterstatters für Folter ist der Vorwurf gegen den Rechtsstaat Schweden an Ungeheuerlichkeit kaum zu überbieten: Die erst nach neun Jahren eingestellten Ermittlungen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Stockholm seien von Beginn an „ein abgekartetes Spiel“ gewesen, so erklärt der Schweizer Jurist Nils Melzer im Interview mit dem Online-Magazin „Republik“.
Melzer, der nach eigener Aussage fließend Schwedisch spricht, hat kraft seines UN-Amtes die Akten zu den viermal eingestellten und bisher dreimal neu aufgenommenen Ermittlungen der Staatsanwalt genau studiert und kommt zu einem vernichtenden Urteil: Zusammen mit den Regierungen der USA, Großbritanniens sowie Ecuadors habe Schwedens Justiz dafür gesorgt, „mit ihrer geballten Macht aus einem Mann ein Monster zu machen, damit man ihn nachher auf dem Scheiterhaufen verbrennen kann, ohne dass jemand aufschreit.“
In Stockholm ist die Fundamentalattacke aus der Schweiz bemerkenswerterweise eine Woche lange vollkommen ohne Reaktion geblieben. Kein Politiker, der geantwortet hätte, keine Medien, die sie aufgegriffen hätten. Es herrscht Stille. Dabei war das Vorgehen der eigenen Strafverfolgungsbehörden in der Vergangenheit keineswegs kritiklos hingenommen worden. Die größte Boulevardzeitung „Aftonbladet“ hatte bei der vorläufig letzten Einstellung der Ermittlungen gegen Assange Mitte November als Fazit „der jetzt hoffnungslos verfahrenen Lage“ formuliert: „Es ist wahrlich kein schmeichelhaftes Bild, das die Staatsanwaltschaft der Welt hier von Schwedens Justiz liefert.
Wenn Melzers Vorwürfe stimmen, wäre das noch freundlich formuliert. Er zieht eine direkte Linie vom ersten Polizeikontakt zweier Schwedinnen nach dem Sex mit Assange im August 2010 bis zur jetzt möglichen Auslieferung aus Großbritannien an die USA, wo ihn 175 Jahre Haft erwarten.
Dazwischen liegen nach seiner Darstellung noch viele Ungeheuerlichkeiten. Die schwedischen Sicherheitsbehörden sollen bewusst die Aussagen der Frauen verdreht und Falschinformationen an Medien durchgestochen haben. Wiederholte Angebote Assanges für eine Aussage unter diplomatischem Schutz habe man ignoriert. Britische Strafverfolgungsbehörden hätten Druck ausgeübt, den Fall ja nicht einzustellen. Aus Melzers Sicht geht es darum, in einem „Schauprozess“ an Assange ein Exempel zu statuieren und Journalisten einzuschüchtern, nachdem der Australier mit Wikileaks die Kriegsverbrechen anderer einschließlich Folter aufgedeckt habe.
Blamage für Strafverfolger
Wenn die Augen der Welt in den vergangenen Jahren auf Schwedens Justiz gerichtet waren, was nicht oft geschah, hat sie sich mehrfach so krass blamiert, dass Konspirationstheorien zwangsläufig blühen mussten. Vor allem der bis heute nicht aufgeklärte Mord an Schwedens Regierungschef Olof Palme 1986 hat eine so unfassbare Kette an Fahndungsfehlern ausgelöst, dass viele bis heute felsenfest von einer dahinter steckenden Verschwörung unter Einschluss der Staatsmacht überzeugt sind.
Ähnlich schwer sind auch Melzers Anschuldigungen im Fall Assange. Er richtet sie nicht gegen einzelne Stellen, sondern an die Spitze des Staates: So sei der bekannte Anwalt von einer der beiden Klägerinnen, Claes Borgström, Kanzlei-Kollege von Schwedens Ex-Justizminister Thomas Bodström, unter dessen Ägide Schweden zwei Männer ohne jedes Verfahren verschleppt und an die CIA ausgeliefert habe, die diese dann folterte: „Damit werden die transatlantischen Hintergründe der Angelegenheit deutlicher.“
In Schweden selbst dagegen können sich selbst die Kritiker der Justiz eine Auftragsarbeit für die CIA mit Wissen der Staatsspitze nur schwer vorstellen. Beobachter weisen stattdessen auch auf die besondere Rolle der #MeToo-Bewegung in Schweden hin, die in den letzten zwei Jahren nirgendwo in Europa so durchschlagenden Erfolg hatte wie dort. Zu den Vorläufern gehört auch die Durchsetzung eines Sexualstrafrechts mit viel Gewicht für die Aussagen der in der Regel weiblichen Opfer. Die von Melzer attackierten Spitzen des Staates erklären sich ausnahmslos zu Feministinnen und Feministen.