Einbürgerungspolitik
Dänischer Handschlag
Wer in dem Land eingebürgert werden will, muss das in einer Begrüßungszeremonie bekräftigen. Auf der Insel Samsø nimmt das absurde Züge an.
Dänemarks Ausländerpolitik stellt Bürgermeister Marcel Meijer auf Samsø vor eine kuriose Aufgabe: Er hat für frisch Eingebürgerte eine Begrüßungszeremonie abzuhalten, bei der ein Händedruck mit dem Bürgermeister Pflicht ist. Der Einzige, der dafür auf der Kattegat-Insel infrage kommt, ist er selbst.

Meijer, 1966 in den Niederlanden geboren, hatte nach 25 Jahren in Dänemark, davon die letzten sechs als hauptberuflicher Bürgermeister, 2017 den Antrag auf Einbürgerung gestellt. Wenn er sich als Neu-Däne nun bei der Zeremonie selbst die Hand reicht, muss er anschließend als Kommunalchef den Vollzug des Aktes an das Ausländer- und Integrationsministerium in Kopenhagen melden. Ohne schriftlich bestätigten Händedruck kann er trotz Erfüllung aller Bedingungen kein Däne werden und bleibt von der Parlamentswahl für das Folketing in Kopenhagen ausgeschlossen. Das kommunale Wahlrecht hat er ja als EU-Bürger schon immer gehabt.
Es werde sicher „hyggeligt“ – die hiesige Variante von Gemütlichkeit –, wenn er sich „bei Sprudel und Salzstangen“ selbst begrüße, scherzt der Sozialdemokrat. Der Zwang zum Händedruck wurde im vergangenen Jahr eingeführt, um Muslimen mit etwaigen Vorbehalten gegen diese Kultur auch so zu zeigen, wie es läuft im Königreich Dänemark.
Meijer drückt privat und von Amts wegen vorbehaltlos jede Menge Hände, ist in diesem Fall aber noch ratlos: „Ich habe als Bürger mit der Post die Aufforderung zur Teilnahme an der Zeremonie vom Ministerium bekommen. Aber als Bürgermeister noch keine Erläuterung, wie das gehen soll.“
Nach einem Vierteljahrhundert mit der dänischen Ehefrau Kirsten und den drei Kindern auf Samsø will Meijer den letzten Schritt zu allen Bürgerrechten vollziehen. Sage und schreibe zweieinhalb Jahre hat es für ihn vom Antrag bis zur Mitteilung gedauert, dass nun alles klar sei. Bis auf den Händedruck. Vorher musste er wie alle zur mündlichen wie schriftlichen Sprachprüfung antreten. Das sei ihm als gewähltem Bürgermeister mit endlos vielen eigenen Zeitungsbeiträgen und Vorträgen auf Dänisch im Gepäck „schon etwas seltsam vorgekommen“.
Dass Zugewanderte die Landessprache wohl beherrschen, wenn sie mehr als ein Jahrzehnt im Arbeits- sowie im öffentlichen Leben mitwirken können, ist dem strengen dänischen Einbürgerungsrecht sozusagen schnuppe. Seit zwei Jahrzehnten haben es die hier bis 2019 im Regierungslager höchst aktiven Rechtspopulisten auf möglichst niedrige Einbürgerungszahlen getrimmt.
Meijer bestand auch den obligatorischen Wissenstest zu Dänemark, wenngleich mit einem Schönheitsfleck: „Ich kannte den Autor des Romans ‚Lykke-Per‘ nicht.“ Auf Samsø, mit 3600 Bürgern wie alle kleineren Inseln von Entvölkerung bedroht, gehöre lückenhaftes Literaturwissen nicht unbedingt zu den entscheidenden Problemen: „Ein Drittel unserer Bürger zwischen 30 und 40 Jahren kommt aus Osteuropa und steht zu sehr außen vor beim sozialen Leben auf der Insel.“ Im Übrigen, und hier wird der überaus freundliche Bürgermeister am Telefon deutlich, wüssten die meisten „richtigen“ Dänen auch erst seit einer Neuverfilmung 2018, dass Henrik Pontoppidan, Nobelpreisträger 1917, besagtes Buch verfasst hat.
Meijers Parteikollege Mattias Tesfaye hat mit dem Regierungswechsel im Juni das Ausländerministerium übernommen. Der Sohn einer Dänin und eines Eritreers will die harte Einbürgerungslinie beibehalten, aber „offensichtlich verrückte Teile“ korrigieren. Bewerber müssen nun nicht mehr jede Butterfahrt nach Schweden oder Schleswig-Holstein der vergangenen zwölf Jahre als „Aufenthaltsunterbrechung“ detailliert auflisten. Den von etlichen Bürgermeistern als genauso verrückt kritisierten Zwangshändedruck will Tesfaye erst mal bei ein paar Zeremonien in Augenschein nehmen. Wenn er sich auf Samsø anmeldet, bleibt Marcel Meijer wenigstens nicht ganz allein.