„Positiver Antrieb und mehr Dynamik“: Im Großversuch testen 2000 Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen von 560 Euro.
und Regner Hansen

Die Befreiung von der minutiösen Überwachung durch die Arbeitsbehörde samt der Möglichkeit, Jobs ohne Abzug dieser Grundleistung anzunehmen, ist für ihn die wichtigste Umwälzung. Statt der „irritierenden, stressigen“ Pflicht zu dauernder Rechenschaft und dem Betteln um Genehmigungen, etwa sich weiterbilden zu dürfen, sieht er das Grundeinkommen als positiven Antrieb: „Es bringt mehr Dynamik als das alte System.“ Ihm hat das, über Umschulung und Praktikum, jetzt zu einem Job als IT-Techniker verholfen. Ohne Anrechnung auf das Grundeinkommen, ohne Berichtsbögen oder Genehmigungsstempel.
Außerdem hat Ruusunen das gewaltige Interesse am Grundeinkommen zu einem gefragten Interviewpartner für Medien von Montreal über Kopenhagen bis Frankfurt am Main gemacht. Alle wollen wissen, wie es kurz nach der Halbzeit bei diesem Versuch läuft, den Finnlands Mitte-rechts-Regierung mit einer ziemlich eng eingegrenzten Zielsetzung umsetzen lässt.
„Die Regierung will vor allem wissen, ob ein Grundeinkommen die Bereitschaft Arbeitsloser zur Annahme neuer Jobs erhöht“, sagt Marjukka Turunen von der Sozialversicherungsanstalt Kela. „Als Bonus“ könne man auch gesicherte Erkenntnisse darüber sammeln, was die umfassende Kontrolle Arbeitsloser unter dem Strich eigentlich kostet.
Das ist noch meilenweit entfernt von viel weitreichenderen Erwartungen an das Grundeinkommen für ausnahmslos alle Bürger. Immer mehr breitet sich die Idee aus, als humane und tragfähige Antwort auf den Wegfall unendlich vieler traditioneller Arbeitsfelder durch Computer mit erodierenden Sozial- und anachronistischen Besteuerungssystemen. Beim finnischen Großversuch war von vornherein klar, dass die Mitte-rechts-Regierung auf kleiner Flamme kochen wollte. Statt der von den Kela-Forschern gewünschten 10 000 Testpersonen mit und ohne Jobs genehmigte die Regierung nur 2000 Empfänger von Mindestsozialleistungen zwischen 25 und 58 Jahren. Die 560 Euro, steuerfrei, entsprechen der niedrigsten Sozialleistung und einem Fünftel eines finnischen Durchschnittseinkommens.
Die Kela-Forscher wollen sich über ihre Erkenntnisse erst nach Testende äußern. Ausgewertet werden soll dann das Verhalten der Beteiligten im Vergleich zu einer gleich großen Testgruppe „normaler“ Arbeitsloser. Wann immer Medien aus aller Welt Bezieher des finnischen Grundeinkommens befragt haben, zitieren sie positive Antworten wie die von Ruusunen. Der 39- jährige Selbstständige Juha Järvinen gab der „Financial Times“ zu Protokoll: „Die mentale Veränderung ist die größte. Jetzt hängt nur von mir ab, was ich ausrichte. Vorher war ich total abhängig vom Jobcenter.“
Die gleichaltrige Historikerin Sanna Leskinen sagte dem New Yorker Rundfunksender NPR: „Unter Stress leide ich schnell. Jetzt kann ich einen Teilzeitjob annehmen, ohne dass ich die Unterstützung verliere. Das wäre ohne Grundeinkommen ganz anders.“
Die Gewerkschaften sind skeptisch. Sture Fjäder von der Akademikergewerkschaft Akava sieht die Aufhebung der Grenze zwischen einkommensgebundenem Arbeitslosengeld und gleichen Sozialleistungen für alle als „ideologische Grundfrage“: „Wir gehen davon aus, dass Wohlfahrt auf Arbeit und Einkommen fußt. Alle, die gesund sind, sollen auch arbeiten und soziale Leistungen entsprechend Bedürfnissen gewährt werden. Das Grundeinkommen hebt dieses Prinzip auf.“
Weder der liberale Premier Juha Sipilä noch seine rechtspopulistischen und konservativen Koalitionspartner werden als glühende Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens in den Wahlkampf im Frühjahr 2019 ziehen. Sozialministerin Pirkko Mattila will zwar in wohlgesetzten Worten nicht ausschließen, dass „das Grundeinkommen eine Antwort auf die Herausforderungen für unser soziales Sicherungssystem sein kann“. Aber handfest spricht ihre Regierung eine ganz andere Sprache: Zum Jahreswechsel hat sie eine verschärfte Arbeitspflicht für Arbeitslose eingeführt.
Kela-Projektchefin Turunen hält eine „schmale Version“ des Grundeinkommens in ihrem Land für denkbar, etwa durch Harmonisierung von derzeit 40 unterschiedlichen Kategorien im Dschungel der Sozialleistungen: „Es wäre schon ein Riesenfortschritt, wenn die Empfänger immer klipp und klar wissen, was sie bekommen.“