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Dänische Wirtschaft wächst und wächst

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Die Wirtschaft wächst, Elektroautos rollen vom Band, Arbeitslosenquote sinkt: Was macht Dänemark anders?

20.11.2024

Von: Thomas Borchert

Zum Schwung bei diesem Teil des Privatkonsums trägt Finanzminister Nicolai Wammen auch bei, wenn er mal wieder ein überraschend stark gewachsenes Plus in der Staatskasse verkündet. Stets erfreut der Sozialdemokrat dabei das Publikum mit dem Kommentar, Dänemarks Wirtschaft sei „bärenstark“. Gerade erst hat der Rat der Wirtschaftsweisen seine Wachstumsprognose beim BIP für 2024 auf 2,3 und im nächsten Jahr sogar auf 2,8 Prozent bei niedriger Inflation von 1,5 Prozent angehoben. Die Arbeitslosenquote ist mit 2,9 Prozent recht weit unten angekommen, während die Beschäftigungsquote gerade bei Zugewanderten steigt und steigt.

Als zuverlässigstes Barometer für die Stimmungslage unter den sechs Millionen Menschen im kleinen Königreich zeigt auch der stramme Anstieg der Immobilienpreise jede Menge Optimismus an. In der ohnehin teuren Hauptstadt Kopenhagen kletterten sie bei spürbar gestiegenen Einkommen in den letzten zwölf Monaten um 4,9 Prozent. „Wir konstatieren, dass es nach wie vor Leute gibt, die diese hohen Preise für attraktive Quadratmeter zahlen wollen und können“, notiert das Wirtschaftsblatt „Børsen“. Das sind katastrophale Nachrichten für vor allem junge Familien und Singles ohne das nötige Kleingeld.

Novo Nordisk als Erfolgsfaktor? Dänemark fährt astronomische Gewinne ein

Als Erklärung des Kontrastprogramms zur Lage beim großen südlichen Nachbarn reicht schon fast der Name Novo Nordisk. Die astronomischen Einnahmen des Pharmakonzerns für die Schlankheitsmittel Ozempic und Wegovy tragen mit 15 Prozent zum Inlandsprodukt bei. Hinzu kommt die Wiedereröffnung des seit 2019 für Wartungsarbeiten stillgelegten Gasfeldes Thyra II, das für einen zusätzlichen Exportschub sorgt.

Dänemarks Regierung hat das Jubelszenario ein Luxusproblem verschafft. Wie soll sie der Wählerschaft klarmachen, dass trotz alledem eigentlich kein Geld für neue Wohltaten in der Kasse ist? Die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen versucht es offensiv in Sachen Militärausgaben. Verteidigungsminister Troels Lund von den Liberalen rechnete am Wochenende vor, dass neben der Rüstung auch die Sicherung von mehr als 7000 Kilometer Küste vor dem Anstieg des Meeresspiegels, gepaart mit dem des Grundwassers und immer häufigeren Sturmfluten „gigantische Summen“ kosten werde.

Aufmerksam registriert wird in Kopenhagen die Ernennung des Impfgegners Robert F. Kennedy jun. zum US-Gesundheitsminister. Er hat sich als entschiedener Gegner von Novo Nordisk und dessen unfassbaren Gewinnmargen profiliert: Statt „immer mehr Geld nach Dänemark zu schicken“ solle man lieber eigene Gemüsegärten gegen die Fettsucht-Epidemie einsetzen. „Die Hälfte der Ausgaben für Ozempic reicht, um allen in den USA drei Bio-Mahlzeiten am Tag plus den Übergewichtigen ein Abo im Fitnesscenter zu geben“, zitierte „Jyllands-Posten“ Kennedy.

Wirtschaft in Deutschland macht die Dänen besorgt

Genauso besorgt verfolgen Politik und Medien den wirtschaftlichen Abschwung in Deutschland als wichtigstem Handelspartner. TV-Nachrichten zeigen den Angstschweiß auf der Stirn von Betriebsräten und Chefs bei 400 heimischen VW-Zulieferern. Etwa 100.000 Arbeitsplätze hängen am Export über die Süd-Grenze. Wieder mal macht ein Dauerbrenner im dänischen Selbstverständnis die Runde: „Wenn Deutschland hustet, bekommen wir eine Erkältung.“ Erstes kleines Symptom für eine Ansteckung: Im Oktober sanken die Ausfuhren schon um 6,5 Prozent.

Die breite, wohlhabende und über den Wahlausgang entscheidende Mittelklasse im kleinen Königreich reagiert wie Dr. Faust bei Goethe: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Grandios falsch eingeschätzt hat das die Kopenhagener Regierung, als sie im vergangenen Jahr den „Großen Bettag“, einen 300 Jahre alten Feiertag strich und das dem Volk mit einer klammen Staatskasse vor allem durch Unterstützung für die Ukraine erklärte.

Kaum hatte Regierungschefin Frederiksen dies verkündet, gab ihr Finanzminister Wammen neue Rekordeinnahmen für seine Kasse bekannt. Der Ablauf leuchtete der Wählerschaft so wenig ein, dass die drei Parteien der Mitte-Rechts-Regierung in den Umfragen fast so tief gesunken sind wie das Ex-Ampeltrio in Berlin. Frederiksen will das bis zu den nächsten Wahlen für ihre Sozialdemokraten reparieren, indem sie Lockerungen beim Renteneintrittsalter verspricht, als neue Wohltat.

Dänemark verbietet wieder “fremde” Flaggen

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Es kann nur eine wehen – Dänemark und seine Flagge

02.11.2024

Von: Thomas Borchert

Ihr inniges Verhältnis zum Dannebrog, der eigenen rot-weißen Flagge, versüßt den Menschen in Dänemark als Christbaumschmuck und auf Geburtstagstorten enorm die Hygge, ihre allseits bewunderte Form von gemütlicher Lebensfreude. Nicht ganz so gemütlich klingt das neue Flaggengesetz, mit dem von Neujahr an laut Paragraf 2 im ganzen Königreich gelten wird: „Es ist verboten, die Flaggen anderer Länder zu hissen.“ Allein der Dannebrog darf dann oben am Mast flattern, nachdem das Höchste Gericht vor einem Jahr das uralte Verbot außer Kraft gesetzt hatte.

Wer von einer Zeitreise ins 19. Jahrhundert und noch viel weiter zurück träumt, wird das Protokoll der ersten Lesung im Kopenhagener Parlament voller Entzücken studieren. Søren Espersen von den oppositionellen Dänemarks-Demokraten begründete als Initiator das neue Verbot noch mal: „Wir wissen, dass der Herr uns den Dannebrog geschenkt hat, indem er ihn vom Himmel fallen ließ. Deshalb versteht es sich von selbst, dass er mit besonderem Respekt zu behandeln ist.“ Er hat eine breite Mehrheit hinter sich gebracht und artigen Dank aus den Reihen der sonst rivalisierenden Parteien geerntet.

Die kurvenreiche Vorgeschichte führt zurück zum 15. Juni 1219, als die rote Fahne mit dem weißen Kreuz einer Legende zufolge bei der Schlacht um Lyndanise, heute Estlands Hauptstadt Tallinn, mal eben so vom Himmel fiel. Seitdem ist sie da und wird auch mit mindestens 15 offiziellen Flaggentagen in Ehren gehalten. Ihre Monopolstellung an allen Fahnenstangen im Königreich ist deutschen Dänemark-Fans schmerzlich aufgegangen, wenn sie vor ihrem Ferienhäuschen einfach mal Schwarz-Rot-Gold hissten. Weil alle hier im Hygge-Land doch so viel Freude an Flaggen zu haben schienen. Groß war der Schock, wenn Nachbarn die Polizei herbeigerufen hatten, die das sofortige Einholen verlangte und mit Bußgeld drohte.

2018 brachte den Dänen Martin Hedegård seine Weigerung zum Einholen einer „fremden“ Flagge gleich durch drei Instanzen vor Gericht. Es ging ausgerechnet um die US-Flagge, die der Mann aus Kolding aus Begeisterung für Hillbilly-Musik im Garten hochgezogen hatte. Seine Nachbarin brachte das auf die Palme sowie zur Anzeige. Erst wurde Hedegård vom Amtsgericht freigesprochen, dann in der Berufung verurteilt und 2023 vom Höchsten Gericht wieder freigesprochen. Das Gericht kippte das 1915 per Königlichem Dekret vor Einführung der Demokratie verhängte Verbot ausländischer Flaggen gleich ganz: Ihm fehle die gesetzliche Grundlage.

Seitdem durften die Flaggen aller Länder nach Lust und Laune gehisst werden. Obwohl abgesehen von den schon vorher vielen ukrainischen Flaggen nirgends nennenswert „Fremdes“ zu erspähen war, trommelten die Verfechter des Dannebrog-Monopols, bis die sozialdemokratisch geführte Regierung nun eine modernere Version des alten Dekrets zusammengebastelt hat.

Sie ist bei Ausnahmeregelungen flexibler als das alte Dekret und beinhaltet vor allem eine Neuregelung, die den Rechtsaußen nicht gefällt: Neben den schon lange erlaubten Flaggen der nordischen Nachbarländer darf künftig auch die deutsche Flagge überall in Dänemark gehisst werden. Justizminister Peter Hummelgaard nennt Rücksicht auf die deutsche Minderheit in Südjütland und „die immer engeren und stärkeren Beziehungen quer über die Grenze nach Deutschland“ als Grund.

Hillbilly-Fan Hedegård allerdings macht sich künftig strafbar, wenn er seine Lust auf Stars&Stripes vor dem Küchenfenster nicht unterdrücken kann. Er hat unterdessen erklärt, dass ihm der ganze Rummel ohnehin so was von zum Hals raushängt. Einspringen will für ihn nun ausgerechnet Dänemarks langjährigster Minister aller Zeiten, Bertel Haarder, weithin geschätzter Fahnenträger des „kulturkonservativen“ Dänemark. Der 80-Jährige wundert sich, dass sein Land das Hissen von Flaggen nach eigenem Geschmack nicht als Teil der Meinungsfreiheit akzeptieren kann: „Warum darf ich nicht die US-Flagge hissen, wenn Donald Trump die Wahl am 5. November verliert?“

Nun tritt das Verbot erst zum Jahreswechsel in Kraft, und die Niederlage für Trump scheint nicht so sicher. Doch auch später, bei der Amtseinführung in Washington, würde Haarder im Fall des Falles „mit Freude das Bußgeld zahlen“. Überweisen müsste er dann 2500 Kronen, also rund 335 Euro. Und als Wiederholungstäter dann das Doppelte.

“Das Wasser kommt” – Dänemarks Küste ist bedroht

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Klimakrise in Dänemark: Das Land muss 7000 Kilometer Küste vor steigendem Meeresspiegel schützen

Stand: 20.10.2024

Von: Thomas Borchert

Wenn das Wasser weiter steigt, werden viele Orte nicht mehr bewohnbar sein. Dänemark kann dank moderner Deiche einen gewissen Anstieg des Wassers verkraften, aber diese müssen rasch gebaut werden.

Für Dänemarks Küste präsentiert Henrik Vejre eine simple und knallharte Klima-Rechnung, wie man sie eher von fernen Südseeinseln kennt: „Wenn neue Häuser 100 Jahre halten sollen, müssen wir 3,5 Meter Anstieg des Meeresspiegels einrechnen, plus 4 Meter hohe Wellen bei einer Sturmflut.“ Der Professor für Landschaftspflege fügt an, dass bei einem solchen Anstieg des Wassers die Hafenstädte in ihrem jetzigen Bestand gefährdet seien. Zum Beispiel der nördliche Teil von Aarhus, der zweitgrößten dänischen Stadt: „Der ist dann einfach weg.“ Für ihn steht fest: „Dass wir uns vor dem Wasser zurückziehen, wird ein Teil der Lösung sein.“

Zwei „Jahrhundert-Unwetter“ binnen weniger Wochen haben vor einem Jahr dänische Hafenstädte und Landstriche entlang der 7000 Kilometer langen Küste unter Wasser gesetzt. Seitdem steht die Bedrohung durch den Anstieg des Meeresspiegels zusammen mit den immer häufigeren Unwettern plötzlich weit oben auf der Tagesordnung. „Das Wasser kommt“ heißt die aktuelle Ausstellung im Kopenhagener Architektur-Center (DAC), zu der Vejre in einem Podcast als unerbittlicher Mahner beiträgt. In eher optimistischem Grundton präsentiert das DAC Beispiele, wie sich Skandinaviens südliches Land durchaus zupackend auf die Bedrohung einstellt.

Mitten in Kopenhagen und natürlich gleich am Wasser bekommt Dänemarks Nationalbank bei der Generalrenovierung tief unter ihrem Fundament einen Satz von 187 neuen gewaltigen Ankern verpasst. Die sollen verhindern, dass Hochwasser mit sintflutartigem Regen die nicht mal 50 Jahre alte Architektur-Ikone unterspülen und durch Auftrieb buchstäblich wegschwimmen lassen. Das klingt nach Science Fiction, aber Projektchefin Susanne Thomsen spricht im Bau-Magazin „Arkbyg“ beruhigend von „also wirklich nur Worst Case“. Der schlimmste Fall allerdings ist dem Stein gewordenen Symbol für dänischen Wohlstand und Stabilität offenbar schon so sehr akut geworden, dass das große Projekt-Plakat vor der Baustelle verkündet: „Wir sichern gegen den Auftrieb.“

Kommunen fühlen sich alleingelassen

Im Stadtteil Vesterbro ist der alte Enghave-Park so raffiniert und elegant zugleich umgebaut worden, dass er bei Sturmfluten als riesiges Auffang- und Ablaufbecken für das Wasser dienen kann. In Svendborg auf Fünen sind Pläne für riesige Schleusen zur Abschottung von Hochwasser abgelöst durch ein flexibleres und billigeres Paket an Projekten unter dem Motto: „Mit dem Hochwasser zurechtkommen, wenn es nun mal da ist“.

Insgesamt aber fühlen sich die Gemeinden von der Regierung alleingelassen. Es gibt noch keinen national koordinierten Plan für die Küstensicherung. Umweltminister Magnus Heunicke räumt ein, dass die nach dem Sturmflut-Schock schnell bewilligten 1,1 Milliarden Kronen (147 Millionen Euro) für kommunale Projekte „nur ein erster Schritt“ sein könnten. Aber er drückt sich wie die Kopenhagener Mainstream-Politik generell sorgsam darum, der Wählerschaft reinen Wein über das ganze Ausmaß dieser gesellschaftlichen Aufgabe einzuschenken.

Die unangenehme Erklärung, dass selbst bei der zigfachen Summe jedes Jahr der Kampf gegen „Das Wasser kommt“ nicht zu gewinnen ist, überlässt man lieber „Klimaanpassungsexperten“ wie Karsten Arnbjerg-Nielsen: „Wir brauchen eine Klärung darüber, wo die Natur gewinnen soll und wo wir Menschen. Was wollen wir schützen, und wo ziehen wir uns zurück?“

Für Arnbjerg-Nielsens Kollegen Vejre ist klar, dass kritische Infrastruktur wie der Kopenhagener Flugplatz Kastrup durch massiv höhere Deiche abgesichert werden muss. Aber: „Wir können bestimmt nicht alle Sommerhaus-Siedlungen beschützen.“ Er macht sowohl Privathaushalten wie auch Kommunen bei ihrer Planung den Vorwurf, wider besseres Wissen über den Anstieg des Meeresspiegels immer weiter direkt am Meer und auch ins Meer hinein neu zu bauen

Der Naturschutzverband fordert Veränderung

„Darüber werden unsere Nachkommen ein hartes Urteil sprechen,“ sagt Vejre, denn die müssen die gigantischen Folgekosten tragen. Auch Dänemarks Naturschutzverband hält es für falsch, immer nur neue und immer höhere Deiche zu setzen. Dessen Vorsitzende Maria Reumert Gjerding wirbt für die Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzung in unmittelbarer Küstennähe: „Wir müssen uns so der Veränderung in der Natur anpassen.“

Vorerst werden diese Stimmen noch übertönt vom Streit, wie die explodierenden Folgekosten von Sturmfluten zwischen Privathaushalten, Betrieben, Versicherungen, Gemeinden und dem Staat aufgeteilt gehören. Bis über den Rückzug von Bauprojekten und Landwirtschaft direkt an der Küste ein gesellschaftlicher Konsens erreicht ist, werden noch etliche „Jahrhundert“-Unwetter über Dänemark hinwegziehen. Vejre ätzt leicht zynisch, das müsse man sich fast „alle drei Jahre“ wünschen, weil sonst einfach zu schnell vergessen werde.

Japan verlangt von Dänemark Auslieferung des militanten Walschützers Paul Watson

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Dänemark und der Fall Paul Watson

12.08.2024

Von: Thomas Borchert

Japan dringt auf die Auslieferung des in Grönland festgenommenen Walschützers.

Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom befreundeten Dänemark höchstpersönlich und „dringend“ die Freilassung eines Inhaftierten verlangt, hat der Kopenhagener Regierung das Ende ihrer Sommerferien diese Woche sicher nicht versüßt. Sie muss entscheiden, ob es trotzdem grünes Licht zur Auslieferung des Walschützers Paul Watson an die Walfang-Nation Japan gibt. Weil der amerikanisch-kanadische Schiffskapitän von dort zur internationalen Fahndung ausgeschrieben war, ist er Ende Juli bei einem Tank-Stopp mit seinem Schiff „John Paul DeJoria“ im grönländischen Nuuk hinter Gitter gekommen.

Der 73-Jährige lässt über seine Organisation „Sea Shepherd“ ausrichten, die Verfolgung durch Japans Justiz sei politisch motiviert gegen ihn als Symbol für den Walschutz. Ganz handfest war Watson bei seiner Festnahme unterwegs zur Verfolgung eines neu gebauten japanischen Walfangschiffs in arktischen Gewässern. Hier wollte er mit der 25-köpfigen Besatzung das tun, was ihm seit einem halben Jahrhundert in Walfang-Ländern wie Japan, Island und Norwegen den Ruf eines Ökoterroristen und Haftbefehle, bei anderen Heldenstatus eingebracht hat.

„Aggressive Nichtgewalt“ nennt er die Störung von Fangaktivitäten durch mitunter lebensgefährliches Kreuzen des Kurses von Walfangschiffen, deren Entern durch eigene Leute, das Blockieren von Laderampen und das Abfeuern von Buttersäure-Flaschen, gemeinhin Stinkbomben genannt. Im Hafen von Reykjavik ließ Watson 1988 zwei Walfangkutter versenken, bekannte sich zu der Tat und wollte einen medienwirksamen Prozess gegen sich erzwingen. Islands Behörden schoben ihn einfach ab.

Greenpeace hatte der gebürtige Kanadier 1971 mitgegründet, wurde aber wegen seiner radikalen Methoden 1977 ausgeschlossen. Er startete im selben Jahr seine eigene Organisation „Sea Shepherd“. Nach der Festnahme in Nuuk stellte sich auch Greenpeace hinter Watson. „Wir haben großen Respekt vor seiner lebenslangen und hingebungsvollen Aktivistenkarriere“ sagt der dänische Greenpeace-Sprecher Sune Scheller in der Zeitung „Politiken“.

Dahinter steht wohl auch die Frustration bei der weniger rabiaten Walschutz-Gemeinde darüber, dass aus Japan sowie Island und Norwegen immer wieder neue Vorstöße und Verstöße gegen das seit 1982 geltende Verbot des kommerziellen Walfangs kommen. So hat Watson neben der in dieser Form überraschenden Unterstützung durch Macron auch Solidaritätsadressen von „Titanic“-Regisseur James Cameron, der Rockband Pearl Jam, Sänger Bryan Adams und Leinwandlegende Brigitte Bardot bekommen. Einen Protest-Brief gegen die Festnahme an Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen haben 73 Politiker:innen aus zehn europäischen Ländern unterschrieben, unter ihnen der französische Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon.

Wenn am Mittwoch im grönländischen Amtsgericht Sermersooq erstmals über den Auslieferungsantrag verhandelt wird, soll all dies keine und dafür der juristische Kern die Hauptrolle spielen. Watsons Anwalt Jonas Christoffersen nennt in heimischen Medien die Grundlage für den japanischen Antrag lächerlich, weil er sich ausschließlich auf eine 14 Jahre zurückliegende Aktion unter anderem mit Stinkbomben gegen Walfänger aus Japan beziehe. Für den Ex-Chef des Kopenhagener Instituts für Menschenrechte ist aber klar, dass es hier eben doch auch um Politik gehen wird. Das mache die Sache für ihn viel interessanter, meint er in „Berlingske“ kampfeslustig – und will im Fall von grünem Licht für die Auslieferung durch alle Instanzen gehen.

Zusätzlich kompliziert wird dieser Weg dadurch, dass die letzte Entscheidung im Kopenhagener Haus von Justizminister Peter Hummelgaard gefällt werden muss, aber nach den Regeln im teilautonomen Grönland. Ex-Justizminister Hans Engell, inzwischen TV-Kommentator, findet die Einmischung Macrons deplatziert, Dänemark sei ja wohl kein „rechtspolitischer Bananenstaat“. Für ihn ist klar: „Dänemark wird Watson ohne viel Federlesen ausliefern.“

Kopenhagen lockt Touristen mit pfiffigem Greenwashing

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Wer zu Fuß geht, geht leer aus

Stand: 05.08.2024

Von: Thomas Borchert

Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen lockt umweltbewusste Reisende mit freiem Eintritt und gratis Essen – dafür müssen sie nur etwas Müll sammeln und ihren Kaffeebecher mitbringen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Unsere Kolumne „Was soll das?“

Ist das vielleicht eine pfiffig ausgedachte Rettungsplanke für schöne Städte vor der Sturmflut namens Massentourismus? Aus Kopenhagen berichtet der junge Brite Jamie Hughes auf Instagram in Bild und Ton, wie umweltschonend, spaßbetont und auch noch günstig hier seine Stadtexpeditionen ausfallen: Nach der Graffiti-Ausstellung mit Banksy gibt es im Maca-Museum den Barista-Kaffee gratis, weil er seinen wiederverwendbaren Becher mitgebracht hat. So um die sechs Euro Belohnung, weil er den Einheimischen wenigstens ein wenig Papp- und Plastikmüll erspart. Anschließend geht es zum Windsurfen vor dem herrlichen Amager Strandpark mit Gratis-Lunch beim Betreiber als Lohn für 30 Minuten Einsammeln von Abfall am Strand.

Das Mietkajak für zwei Stunden am nächsten Tag gibt es kostenfrei gegen das Versprechen, unterwegs Müll aus dem Wasser zu fischen. Nach einem ebenfalls kostenlosen Bio-Lunch auf der Stadtfarm „Øens Have“ für eine Stunde Gartenarbeit zieht es Jamie zu „Copenhill“. Kopenhagens hypermoderne Müllverbrennungsanlage im Design von Stararchitekt Bjarke Engels lockt mit einer auch im Sommer befahrbaren Skipiste auf dem 80 Meter hohen Schrägdach. Hier kann der sportliche Touri zusätzlich zum Stundenpreis von 27 Euro noch mal 20 Minuten gratis runterbrettern. wenn er per Rad gekommen ist oder ein ÖPNV-Ticket vorzeigt.

Hughes’ Fazit: „Ich hatte eine tolle Zeit und kann nur jeden ermutigen, Copenpay zu checken.“ So nennt sich die Sammlung von 26 touristischen Hotspots mit ihrem Lock-Angebot an Städtereisende, für umweltschonendes Verhalten Eintritt, Mietgebühr oder Verzehrkosten zu sparen. Hughes verschweigt nicht, dass sein flotter Insta-Post von „Visit Copenhagen“ gesponsort ist und erklärt auch, allerdings erst im „Kleingedruckten“, dass es sich (vorerst) nur um eine auf vier Wochen begrenzte Kampagne handelt. Mitte August ist Copenpay dann erstmal vorbei.

Aber: Wer schafft es schon bis ins Kleingedruckte? Von der „New York Times“ über die „Hindustan Times“ und „China Daily“ bis zur „taz“ in Berlin berichteten Medien durchweg freundlich über die originelle Initiative. Auch die „Frankfurter Rundschau“ ist, wie man sieht, dabei, aber nicht nur in Dur, vor allem weil der Korrespondent nach vier Jahrzehnten in seiner (geliebten!) Wahlheimat Kopenhagen auch eine ausgeprägt subjektive Sicht hat.

Weshalb jetzt in der ersten Person erklärt werden soll, warum Copenpay in meinen Augen zwar eine intelligente und auch sympathische PR-Aktion, aber im Kern glasklar Greenwashing ist. Zu allererst: Das Animieren zum touristischen Radeln durch pekuniäre Lockmittel empfinde ich routinierter einheimischer Radler als grob fahrlässig. Klar ist Kopenhagen im Vergleich zu deutschen Städten ein Fahrradparadies. Gerade in der so attraktiven City rund um den Hafen oft ein überfülltes.

Die Ortsansässigen („schon mit Fahrradklingel auf die Welt gekommen“) radeln schnell, entschlossen, im Berufsverkehr leider auch zu aggressiv. Mit pfeilschnellen E-Bikes und/oder Lastenrädern auf überfüllten Hauptstrecken sind sie für Ungeübte aus anderen Ländern fast so beängstigend wie für Däninnen und Dänen (mich eingeschlossen) auf deutschen Autobahnen die Autos, die mit Tempo 200 auf der linken Spur vorbeifliegen. Und dass Copenpay denen, die zu Fuß kommen, keine Belohnung verspricht, finde ich eine schreiende Ungerechtigkeit. Sie verdienen doch die Goldmedaille für Nachhaltigkeit im Reiseverkehr.

Visit Copenhagens Direktor Mikkel Aarø Hansen verkündete beim Start von Copenpay auf der eigenen Homepage: „Es geht uns nicht um mehr Touristen. Wir wollen den Tourismus nicht als Umweltbelastung, sondern als treibende Kraft für positive Veränderungen.“ Im Wirtschaftsteil der Zeitung „Berlingske“ hörte sich das nach der letzten Feriensaison unter der Überschrift „Die Hotels müssen voller werden“ aber doch etwas anders an. Auch Aarø Hansen warb hier für touristisches Wachstum als segensreich für die Hauptstadt.

Warum, das kann ich beim Weg von der Wohnung zur schönen „Mittelalterstadt“ mit bloßem Auge erkennen: Dauernd radelt man an imposanten neuen Hotelanlagen vorbei, die gefüllt sein wollen, damit es sich rechnet. Allein seit 2019 ist die Kapazität in Kopenhagen um ein Drittel erweitert worden. Da reichen die zwölf Millionen Übernachtungen von 2023 längst nicht aus, um eine profitable Belegungsquote zu erreichen. Die Stadt hat drei Kreuzfahrt-Terminals bauen lassen, und vom Flughafen Kastrup heißt es trotz 2,7 Millionen Fluggästen im Mai als neuem Höchststand seit der Corona-Delle: Nicht schlecht, aber wir müssen die Zahlen von vor Corona übertreffen.

Jedes Kind begreift schnell, dass das beim Klimaabdruck aus einer überfüllten Metropole negative Effekte in ganz anderen Dimensionen auslöst als umgekehrt das Mitbringen vom eigenen Kaffeebecher und Einsammeln von ein bisschen Plastikmüll. Aber, so tröstet uns Einheimische der Psychologe Mikkel Fugl Eskjær in „Kristeligt Dagblad“, Copenpay nehme den Reisenden das „psychologische Unbehagen am Handeln gegen die eigenen Werte“. Na denn. Und: Glückwunsch an Visit Copenhagen zum grandiosen Erfolg mit der Sympathiewerbung.

Norwegens Vermögenssteuer erzürnt die Milliardäre

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Norwegens Superreiche flüchten vor der Vermögenssteuer – die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt

19.07.2024

Von: Thomas Borchert

Aus Angst vor der Abgabe in Höhe von 1,1 Prozent ziehen viele Wohlhabende in die Schweiz. Doch es gibt auch Versuche, die Flüchtlinge zur Rückkehr nach Norwegen zu bewegen.

Wen würde das nicht rühren: Roger Hofseth, steinreich geworden mit Lachszucht in Norwegens Fjorden, ist in die ferne Schweiz gereist, um ebenfalls reiche Landsleute nach ihrer Flucht vor der heimischen Vermögenssteuer zur Rückkehr zu überreden. „Wir haben schon zu viel Schaffenskraft, Ideenreichtum und Risikowillen verloren. Das tut Norwegen nicht gut“, zitierte ihn die Luzerner Zeitung als Sprecher einer „Aktion für norwegischen Besitz“. Zu lesen war hier im Frühjahr auch Hofseths Versprechen an die zum etwas speziellen Flüchtlingstreffen erschienen 20 Interessenten, alles zu tun, damit die nächste Regierung in Oslo nach der Wahl 2025 die Vermögenssteuer abschafft: „Weil sie für Unternehmen und Gesellschaft zerstörend ist.“

Norwegen hat seit einem Jahrhundert eine Vermögenssteuer

Norwegens Finanzamt hat diese Steuer seit Ende des 19. Jahrhunderts eingetrieben, ohne dass das Land der Fjorde untergegangen ist. Als aber die jetzige Regierung des Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre vor zwei Jahren den Satz von 0,85 auf 1,1 Prozent des jeweiligen Nettovermögens anhob, setzte eine massive Fluchtbewegung Richtung Schweiz ein. 2022 war sie mit 479 Umzugsmeldungen nach Köpfen gerechnet überschaubar, aber nach dem aus Norwegen mitgenommenen Kapitalvermögen gewaltig: In der Schweizer Liste der 19 reichsten Steuerzahler:innen des folgenden Jahres standen fünf norwegische Namen als „Newcomer“.

Der bis dahin reichste norwegische Steuerzahler Kjell Inge Røkke nahm das 2022 auf vier Milliarden Euro geschätzte Vermögen aus dem heimischen Asker nach Lugano mit. Der Verlust seines Steuerobolus hat die Gemeindekasse so hart getroffen, dass eine (bürgerliche) Mehrheit im Stadtrat Røkke durch kompletten oder Teilverzicht auf den eigenen Anteil an der Vermögenssteuer sozusagen auf Knien zur Rückkehr bewegen möchte. 70 Prozent dieser Steuer gehen an die Kommunen, 30 Prozent an die Staatskasse in Oslo.

In Norwegen gibt es keine Erbschaftssteuer mehr

Der Wunsch dürfte ungehört bleiben. Er könne von der Schweiz aus seinen „philanthropischen Aktivitäten“ besser nachgehen, begründete der Duz-Freund von Altkanzler Gerhard Schröder den Umzug und schenkte seiner ersten Ehefrau zum Abschied aus Norwegen sieben Wohnungen. Der Geburtsstadt Molde mit 23.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hatte er früher schon ein Fußballstadion mit 12.000 Plätzen spendiert. 2005 verbrachte er einen knappen Monat hinter Gittern wegen Beamtenbestechung.

Meine news

Noch schillernder, aber mit anderem Ausgang hat in Sachen Vermögenssteuer der 30-jährige Gustav Magnar Witzøe Schlagzeilen gemacht. Seine 130.000 Follower auf Instagram können ihn als wunderschönes Model bei der exklusiven New Yorker Met-Gala in einem in vier Monaten gefertigten Versace-Fantasiekostüm bewundern. Sein gigantisches Vermögen von 26,5 Milliarden norwegischen Kronen (3,6 Milliarden Euro) entstammt nicht der Arbeit als Model, sondern steuerlichen Überlegungen seines Lachs züchtenden Vaters Gustav Witzøe. Der hat ihn ganz einfach zu Lebzeiten schon beerbt, und das komplett steuerfrei, denn es gibt in Norwegen seit 2014 keine Erbschaftssteuer mehr. Der Sohn nahm das Erbe, machte als Model weiter und hatte Ende 2023 auch schon die Koffer für den Umzug gepackt, die Wohnung gekauft und den Flug nach Lugano gebucht.

Zum Weihnachtsfest überlegte er es sich anders, blieb vermögenssteuerpflichtig in Norwegen und startete auch noch seine philanthropische „W Initiative“. Der Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv erklärte der junge Witzøe seinen Sinneswandel im Pluralis Majestatis: „Wir fordern alle zum Geben auf, vor allem die, die viel haben.“ Der Vater sieht es ganz anders. Als einer von den gemeinhin „Lachsmilliardär“ genannten Profiteuren der seit Jahrzehnten unter höchst fragwürdigen Bedingungen boomenden Fischzucht donnert er öffentlich gegen das Steuersystem in seinem Land und droht mit Abwanderung.

Norwegen nimmt Milliarden aus der Vermögenssteuer ein

2023 hat die Vermögenssteuer 30,4 Milliarden Kronen (2,6 Milliarden Euro) eingebracht. Das sei die Hälfte der norwegischen Hilfsleistungen für die Ukraine und mehr als alle Kindergeldzahlungen vom Staat, illustriert die Analytikerin Hannah Gitmark im Online-Magazin Altinget ihre Überzeugung, dass die Steuer Sinn macht. Als nennenswerte Belastung treffe sie trotz der nominell niedrigen Bemessungsgrenze (fällig ab Nettovermögen von 1,7 Millionen Kronen/230.000 Euro) im Kern tatsächlich nur die ganz Reichen. Empirische Untersuchungen hätten keine Hinweise, erbracht, dass diese Steuer Investitionen verhindert oder Arbeitsplätze gekostet habe

Finnland hebelt das Asylrecht aus

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Frankfurter Rundschau - Deutschlandausgabe vom 13.07.2024, Seite 7 / Politik
„Grünes Licht für Gewalt und Pushbacks“
Finnland will von Russland geschickte Flüchtlinge ohne Prüfung abweisen – die Kritik ist groß
VON THOMAS BORCHERT

Mit großer Mehrheit hat Finnlands Parlament das Asylrecht außer Kraft gesetzt, wenn Antragsstellende über die Grenze mit Russland kommen. Sie können bis auf Weiteres ohne Einzelfallprüfung sofort zurückgeschickt werden. Der konservative Premier Petteri Orpo und seine rechtspopulistischen Partner von den „Wahren Finnen“ begründen den Bruch mit der global geltenden Flüchtlingskonvention sowie EU-Recht damit, dass die Moskauer Führung Asylsuchende zur Destabilisierung Finnlands an die Grenze schleuse. Dies sei „hybride Kriegführung“ wegen des Nato-Beitritts, auf die man antworten müsse, hieß es immer wieder von offizieller Seite in Helsinki.

Seit vergangenem Herbst sind nach offiziellen Angaben etwa 1300 Asylsuchende aus afrikanischen und arabischen Ländern über die 1340 Kilometer lange russische Grenze nach Finnland eingereist. Als erste Reaktion hat Orpos Regierung die Grenze Abschnitt für Abschnitt komplett geschlossen.

In der Debatte über die Aussetzung des Asylrechts räumte die Regierungsseite ein, dass sie sich über die Verletzung bindend vereinbarter Menschenrechte im Klaren sei. Zur Kritik, auch auf dem Hintergrund der alles in allem recht niedrigen Zahlen von Osten eingereister Asylsuchender, meinte Staatspräsident Alexander Stubb im TV-Sender YLE: „Wir müssen mit der Zeit gehen. Wenn Russland Migranten instrumentalisiert und sie als Waffe einsetzt, brauchen wir ein Werkzeug, um sie zu stoppen“. Das Gesetz sei nötig, denn der Kreml könne „innerhalb weniger Tage Tausende Migranten mobilisieren“.

Ähnliche Regeln zum Aushebeln des Asylrechts sind bereits in den ebenfalls an Russland grenzenden baltischen Ländern und in Polen in Kraft. Wie schon dabei kritisierte das UN-Flüchtlingswerk UNHCR auch das finnische Abweisungsgesetz als rechtswidrig. „Für Finnland ist dies eine totale Abwendung von der bisherigen Rolle als Verteidigerin der Menschenrechte“, sagte die nordeuropäische UNHCR-Sprecherin Annika Sandlund der Zeitung „Hufvudstadsbladet“. Amnesty International verurteilt die Neuregelung als „grünes Licht für Gewalt und Pushbacks an der Grenze“.

Weil mit dem „Abweisungsgesetz“ (in der Debatte oft als „Pushback-Gesetz“ bezeichnet) eine Verfassungsbestimmung geändert wird, und das auch noch im Eilverfahren, benötigte die Mitte-Rechts-Regierung eine Fünf-Sechstel-Mehrheit im Reichstag. Sie schaffte sie mit 167 gegen 31 Stimmen für die Eilbehandlung etwas klarer als erwartet. Der Linksverband und die Grünen stimmten geschlossen dagegen. Hinzu kamen sechs Gegenstimmen aus der sozialdemokratischen Opposition und eine aus der mitregierenden liberalen SFP. Der sozialdemokratische Vize-Parteichef Matias Mäkynen begründete sein Nein damit, dass „die gesamte EU-Zusammenarbeit zusammenbrechen wird, wenn sich jedes einzelne Mitgliedsland die Regeln nach eigenem Gutdünken zurechtbiegt“.

Li Andersson vom Linksverband nannte die Abstimmung „entscheidend dafür, ob wir ein Rechtsstaat sind oder nicht“. Andersson hatte als Spitzenkandidatin bei den Europawahlen im Juni eine fast sensationelle Verdoppelung der Stimmenzahl für ihre Partei mit 17,3 Prozent erzielt. Die seit einem Jahr mit den Konservativen und zwei kleineren Bürgerparteien regierenden Rechtsaußen der „Wahren Finnen“ wurden dagegen auf 7,6 Prozent halbiert. Das allerdings änderte nichts daran, dass laut Umfragen eine klare Mehrheit der finnischen Bevölkerung die jetzt beschlossene Direkt-Abweisung von Asylsuchenden aus Russland befürwortet.

Auch bei der juristischen und politischen Kritik wurde fast einhellig eingeräumt, dass die Regierung zu Recht von einer Moskauer Destabilisierungsstrategie ausgehe. Es gebe aber andere Möglichkeiten, darauf zu reagieren, etwa indem man Betroffene während der Prüfung ihrer Anträge nahe der Grenze kontrolliert unterbringe.

Dänische Landwirtschaft muss CO2-Steuer zahlen

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Weltpremiere in Dänemark

25.06.2024

Von: Thomas Borchert

Die dänische Regierung führt eine CO2-Steuer für die Landwirtschaft ein / Höhe bleibt aber sehr gering.

Aus Kopenhagen kommt eine Neuigkeit, für die Klimaschutzgruppen von Neuseeland bis Deutschland bisher vergeblich gekämpft haben: Als erster Staat der Welt führt Dänemark eine CO2-Steuer für Klimabelastung durch die Landwirtschaft ein.

In dem kleinen und extrem intensiv bewirtschafteten Land produziert die hochmoderne Agrarindustrie ein Drittel aller CO2-Emissionen und steht damit ganz oben auf der nationalen Schadstoff-Rangliste. So werden dänische Milchprodukte als Exportschlager von der Umwelt auch damit bezahlt, dass 550 000 Kühe jedes Jahr 3,2 Millionen Tonnen für das Klima extrem schädlicher Methangase in die Luft entlassen.

Nach der von der Regierung verkündeten Einigung müssen die Bauernbetriebe ab 2030 zunächst netto 120 Kronen und ab 2035 300 Kronen (16/40 Euro) je Tonne C02 als Klimaabgabe zahlen. Diese Beträge liegen vor allem dank hoher steuerlicher Abzugsmöglichkeiten weit unter dem, was von der Klimabewegung mit einhelliger Experten-Unterstützung gefordert wurde. Sie hatte dabei als Ziel immer im Auge, dass die Bepreisung von C02-Emissionen die Umstellung von tierischer auf pflanzliche Produktion stimulieren oder letztlich auch erzwingen muss.

Maria Reumert Gjerding, Präsidentin von Dänemarks Naturschutzverband, feierte das Übereinkommen trotz der niedrigen Abgabe als „extrem ehrgeizig und bahnbrechend“, weil es zusätzlich zum Klimaschutz vor CO2 umfassende Maßnahmen für eine insgesamt nachhaltigere und für weniger Landwirtschaft vorsehe. So stellt der Staat 40 Milliarden Kronen (5,4 Milliarden Euro) für den staatlichen Kauf landwirtschaftlicher Nutzflächen bereit, die in weiten Teilen zu Wald- und anderen Naturflächen umgewandelt werden sollen. Gjerding nannte dies „eine vollkommen neue Richtung für Natur, Klima und Landwirtschaft“.

Bäuerinnen und Bauer gelassen

Während betroffene Landwirt:innen sich in ersten TV-Interviews beruhigt über die geringe Höhe ihrer kommenden CO2-Abgabe äußerten, sieht Außenminister und Ex-Regierungschef Lars Løkke Rasmussen dramatische Veränderungen kommen. Man werde „Dänemark in zehn Jahren nicht wiedererkennen“, weil die Natur jetzt wieder massiv zu ihrem Recht kommen könne.

Für die Gewässer rund um Dänemarks 7000 km lange Küsten erwartet auch der Meeresbiologe Stieg Markager durch die Reduzierung landwirtschaftlicher Nutzflächen bessere Zeiten. Er hatte in den 20 letzten Jahren die politische Tatenlosigkeit gegen das Gewässersterben durch Nährstoffe aus landwirtschaftlicher Gülle-Einleitung angeprangert. Zur neuen Einigung rund um die CO2-Abgabe sagte er im Sender DR: „Das ist ein richtig großer Tag für unsere Meeres-Umwelt“.

„Viel zu schwach“

Ob die überwiegende Begeisterung in ersten Kommentaren auch beim Studium des Kleingedruckten hält, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Kritisch vor allem über die niedrige Höhe der C02-Abgabe äußerten sich mehrere Oppositionsparteien: So werde man das dänische Klimaziel von 70 Prozent weniger CO2 bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 auf keinen Fall erreichen. Greenpeace findet die angepeilte Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen „viel zu schwach“. Die Dreier-Koalition unter Führung der Sozialdemokratin Mette Frederiksen hat sich für ihr Maßnahme-Paket die Unterstützung sowohl des seit Jahren gegen die CO2-Abgabe mauernden Bauernverbands, anderer Wirtschaftsverbände wie auch des Naturschutzverbands gesichert.

Die Einigung, verkündet fast wie bei einem runden Tisch, könnte vor allem der traditionell ländlich ausgerichteten rechtsliberalen Partei mit dem irreführenden Namen „Venstre“ („Links“) helfen. Sie ist durch Abspaltungen und ihr Zusammengehen in einer generell unbeliebten Großen Koalition mit den Sozialdemokraten demoskopisch seit längerem im freien Fall und sah sich durch eine hohe CO2-Abgabe vor dem endgültigen Absturz

Oslo streitet über scharfe Worte vom Außenminister gegenüber Israel

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Norwegens Regierung wird jetzt auch zuhause Antisemitismus vorgeworfen

23.06.2024

Von: Thomas Borchert

Norwegens Regierung ist gegenüber der Politik Israels besonders kritisch. Nun gibt es auch im eigenen Land Kritik, Äußerungen könnten Antisemitismus anheizen.

Die gegenüber Israel ausgesprochen kritische Regierung von Norwegen muss sich erstmals gegen Vorwürfe heimischer Stimmen wegen Antisemitismus wehren. Der Leiter des Osloer Zentrums für Holocaust-Studien, Jan Heiret, wirft Außenminister Espen Barth Eide vor, seine Kommentierung der israelischen Kriegführung in Gaza könne „den Antisemitismus anheizen“. Er warnte: „Wenn er Begriffe wie Kindestötung verwendet, kann das mit klassischem Antisemitismus verknüpft werden.“

Der sozialdemokratische Minister hatte im Radiosender NRK seine Begegnungen mit EU-Spitzen vergangene Woche in Brüssel kommentiert. Die Treffen hätten ihm gezeigt „dass es eine schnelle Bewegung weg davon gibt, dass es hilft ‚Antisemit‘ zu sagen, wenn wir sagen, du musst aufhören, Kinder umzubringen“. Ervin Kohn, ehemaliger Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Oslo und Vizechef des Antirassistischen Zentrums, nannte die Äußerung „unheimlich“.

Eide konterte, seine Kritik habe nicht das Geringste mit „alten und verrückten Zwangsvorstellungen zu tun, dass Juden Kinder töten oder opfern“. Es sei ihm ausschließlich um israelische Angriffe im Gaza mit zivilen Opfern, darunter Kindern, gegangen. Und weiter: „Die allermeisten sehen ein, dass es kein Ausdruck von Antisemitismus ist, wenn man Abstand davon nimmt, dass Kinder in Rafah zu verkohlten Leichen verbrennen.“

Norwegen hat palästinensischen Staat anerkannt

Norwegen hat Ende Mai zusammen mit den EU-Ländern Spanien und Irland die staatliche Anerkennung Palästinas verkündet und wird seitdem von Israels Premier Benjamin Netanjahu als „feindlich“ eingestuft. Die sozialdemokratisch geführte Regierung in Oslo hat ihre Kritik an der israelischen Kriegführung in Gaza stets wesentlich schärfer formuliert als etwa die Nachbarn Dänemark und Schweden.

Anlässlich eines skandinavisches Ministertreffens in Stockholm vergangene Woche meinte Eide dazu in der Zeitung „Dagens Nyheter“: „Wenn wir meinen, dass die Bombardierung eines Wohnhauses in Kherson durch Russland verkehrt ist, dann muss das auch gelten, wenn Israel dasselbe in Gaza-Stadt macht.“ Er sehe kritisch, dass die Regierungen in Schweden und dem restlichen Europa dazu nicht bereit gewesen seien: „Wenn wir das nicht sagen, tragen wir zur Erzeugung eines Eindrucks im globalen Süden bei, dass die Normen eine Art Menü wie im Restaurant sind, wo man sich das Passende von Tag zu Tag aussuchen kann.“ Dabei gehe es nicht nur um Gaza: „Die gesamte Setzung von Normen steht auf dem Spiel.“

Wenn Israel sich nicht um Regeln schere, würden „Leute im Sudan und in Myanmar kommen und sagen: Es gibt keine Regeln.“ Dies sei moralisch sowie praktisch problematisch und werde „eines Tages uns im Westen treffen“. Deshalb sei Norwegens Regierung von Beginn an „aufgestanden“.

Der Publizist Harald Stanghelle, auch Ex-Chefredakteur von „Aftenposten“, findet Antisemitismus-Vorwürfe wegen die Kritik an Israels Kriegführung „vollkommen daneben“. Allerdings habe er sich über die „emotionale Ausdrucksweise“ des Außenministers gewundert, der damit im Übrigen wenig Verständnis für die Sorgen und Nöte der kleinen Jüdischen Gemeinde in Norwegen zeige.

Oslo stand für Prozess zu Zwei-Staaten-Lösung

Das „Zentrum für Holocaust-Studien“, aus dem jetzt die Vorwürfe gegen Eide Richtung Antisemitismus kommen, hat seinen Sitz in der Osloer „Villa Grande“, in der der Nazi-Kollaborateur Vidkun Quisling während der Besetzung durch NS-Deutschland 1940-1945 residierte. Er wurde nach Kriegsende zum Tode verurteilt und hingerichtet, auch wegen Beteiligung an der Deportation von knapp 800 jüdischen Norweger:innen, die fast ausnahmslos im Holocaust ermordet wurden.

Die betont israel-kritische Politik der Regierung geht laut Stanghelle auch auf die 1993 mit norwegischer Beteiligung ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina zurück: „Da kam das Oslo-Abkommen mit ganz viel Begeisterung und Optimismus.“ Darauf sei man stolz gewesen in Norwegen und habe dessen Kollaps neben einer Terrorwelle vor allem dem Widerstand Netanjahus zugeschrieben: „Das ist einer der tieferen Gründe für die deutlich schärfere Israel-Kritik aus Norwegen.“

Schweden und Iran tauschen Gefangene aus

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„Sind durch die Hölle auf Erden gegangen“: Schweden tauscht Gefangene mit dem Iran

17. Juni 2024

Von: Thomas Borchert

Der Iran und Schweden entlassen gegenseitig Häftlinge – in Stockholm gibt es prompt Kritik. Das Mullah-Regime in Teheran nimmt einen verurteilten Massenmörder als „Helden“ in Empfang.

Schweden und der Iran haben am Wochenende einen lange, zäh und streng geheim ausgehandelten Gefangenentausch vollzogen. Dabei konnte das Mullah-Regime den in Schweden wegen Beteiligung an Massenhinrichtungen 1988 im eigenen Land zu lebenslanger Haft verurteilten Hamid Noury als „Freiheitshelden“ mit Blumenkranz und ausgerolltem roten Teppich auf dem Teheraner Flugplatz begrüßen.

Im Gegenzug nahm der schwedische Premier Ulf Kristersson auf dem Stockholmer Flugplatz Arlanda seinen in Teheran von der Todesstrafe bedrohten Mitbürger Johan Floderus und den zu fünf Jahren Haft verurteilten Saeed Azizi in Empfang.

In Schweden hat seit der Festnahme des EU-Beamten Floderus wegen „Spionage für Israel“ im April 2022 und von Saeed Azizi wegen „Konspiration“ im vergangenen November niemand daran gezweifelt, dass sie als menschliche Tauschobjekte für Noury in Teheran einsitzen mussten.

Der regimetreue Iraner war im November 2019 von Landsleuten im Exil nach Stockholm gelockt worden, damit er hier als Büttel für das Khomeini-Regime 1988 für seine Beteiligung an Gefängnis-Massakern im Jahr 1988 mit 30 000 Toten zur Verantwortung gezogen werden konnte.

Schweden wendet das Prinzip „universeller Jurisdiktion“ an, wonach besonders schwere Verbrechen geahndet werden können, auch wenn sie anderswo auf der Welt von jemandem mit nicht-schwedischer Staatsangehörigkeit begangen worden sind.

Zuletzt hatte das Oberste Gericht in Stockholm im Dezember Nourys Verurteilung zu lebenslanger Haft bestätigt.

Kristersson sagte bei der Begrüßung seiner zwei Landsleute: „Sie sind durch die Hölle auf Erden gegangen und nun in der Lage, wieder mit ihren Liebsten zusammen zu sein.“ Und er betonte: „Der Iran hat sie zum Faustpfand in einem zynischen Verhandlungsspiel gemacht.“ Für ihn sei immer klar gewesen, dass dies „schwere Entscheidungen notwendig machen würde.“

Postwendend meldete sich die Ehefrau des bei dem Deal nicht freigelassenen und im Iran zum Tode verurteilten Schweden Ahmadreza Djalali zu Wort: „Die Politiker müssen für diese Form von Diskriminierung zur Verantwortung gezogen werden. Sie haben unsere Familie zerstört“, klagte sie an.

Ebenfalls in der Zeitung „Dagens Nyheter“ schloss sich Amnesty International der Kritik an, weil Djalali unberücksichtigt geblieben ist. Der Katastrophen-Mediziner vom Stockholmer Karolinska Institutet sitzt seit acht Jahren in seinem Geburtsland im Gefängnis, wurde 2017 zum Tode verurteilt und soll schwer krank sein.

In Teheran postete der staatliche Generalsekretär für Menschenrechte, Kazem Gharib Abadi auf X/Twitter, man könne „dem lieben iranischen Volk die erfreuliche Mitteilung machen, dass der in Schweden illegal internierte Hamid Noury freikommt und heimkehrt“.

Aus dem Außenpolitischen Institut in Stockholm kommentierte der Nahost-Experte Rouzbeh Parsi in „Svenska Dagbladet“: „Es war symbolisch wichtig, dass Noury verurteilt worden ist, und es ist eine Niederlage, dass er nun seine Strafe nicht absitzen muss.“ Schwedens Regierung habe kaum eine Alternative zum Gefangenentausch gehabt.

Scharfe Kritik an der Freilassung Nourys als überführtem Massenmörder äußerte dagegen die iranische Exil-Community in Schweden: Der Gefangenentausch werde das Mullah-Regime nur zum noch mehr Kidnapping ermuntern und sei ein Verrat an Nourys Opfern, hieß es in zahlreichen Posts auf X/Twitter. mit afp