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Wie eine Pippi Langstrumpf aus Heidelberg nach Stockholm ausgewandert ist

Eine wilde Freundin für dunkle Tage
17.12.2025
Von: Thomas Borchert
Marie Walter liebt Pippi Langstrumpf – so sehr, dass sie mit 18 Jahren nach Schweden auswandert. Eine Begegnung zum 80. Geburtstag von Astrid Lindgrens Kinderheldin / Von Thomas Borchert
Die schmucken Kaufhaus-Schaufenster zu Pippis 80. Geburtstag sind Marie Walter wohl weniger wichtig. Umso überzeugter feiert die 24-Jährige aus Heidelberg im vorweihnachtlichen Stockholm die Kinderbuch-Heldin von Astrid Lindgren als Medizin für Einsame: „Mir hat Pippi Langstrumpf gegen die Einsamkeit geholfen. Außerdem weiß ich, dass ich extrem stur sein kann, und Pippi ist auch extrem stur, und trotzdem ist sie ja ein extrem netter Mensch.“
Klar, dass genau 80 Jahre nach Erscheinen des überall auf der Welt geliebten Kinderbuchs – Buchpremiere war am 26. November 1945 – die Lobeshymnen im Geburtsland kein Ende nehmen wollen. Auf Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf als Schutzpatronin berufen sich Schwedens starke Feministinnen genauso wie die immer stärkeren Rechtspopulisten. Die konservative Außenministerin Malmer Stenergaard ermahnte vor der UNO, auch gerade 80 geworden und immer schwächer, die politischen Spitzen der ganzen Welt, dem ausgeprägt antiautoritären Mädchen aus dem Norden nachzueifern: „Lassen Sie uns mit derselben Furchtlosigkeit und Entschlusskraft handeln wie Pippi.“
Das hat Marie Walter getan und legt Wert darauf, dass sie mit konservativen und rechtspopulistischen Pippi-Fans nichts am Hut hat. Mit 18 ist sie wegen ihrer lebenslangen Pippi-Begeisterung nach Schweden gezogen, ohne jemanden zu kennen, ohne Sprachkenntnis, dafür mit einem festen Willen. In Kindertagen hatte die deutsche TV-Serie mit Pippi tiefe Spuren hinterlassen: „Da hab ich gesagt, wenn ich groß bin, will ich in Pippis Land leben.“ Das sagen sicher viele Kinder und kommen dann irgendwann auf andere Gedanken. Marie blieb stur wie das Vorbild, was ihr zum Neuanfang vor allem eins einbrachte: das Gefühl von Einsamkeit.
Die Mutter ihrer Chefin nennt sie Pippi
Zur ersten Station wurde statt der Villa Kunterbunt mit den Spielgefährten Tommy und Annika ein, wie es nun mal ist in Schweden, düsterer Winter als Au-pair im tristen Stockholmer Vorort Nacka. In dieser Zeit, das wissen alle jemals von außen in Pippis Land Gelandeten, sind die Einheimischen noch verschlossener als sowieso schon: „Es war einfach extrem im Winter. Ich bin im Oktober hierhergekommen. Das ist ganz verkehrt, so sagt man.“ Marie erinnert sich an „ewig lange Spaziergänge allein durch Stockholm“: „Mein einziger Wunsch war eine Freundin, ein schwedischer Kontakt.“
Der kam zustande über den ersten Café-Job und die Managerin Lovisa dort mit dem perfekt passenden Nachnamen Lindgren. Was für ein Glück! Diese Lindgren aber erwies sich auch als typisch schwedisch reserviert: „Das erste halbe Jahr dachte ich, Lovisa findet mich nur nervig und mag mich nicht.“ Was tun? Marie sah sich wieder die Pippi-Serie an, jetzt schon in der Originalsprache, und stellte fest, dass die Hauptperson mit ihren neun Jahren ja auch mutterseelenallein gegen Einsamkeit zu kämpfen hat. Ihre Mutter ist tot, der Vater schippert auf fernen Meeren herum. Pippi hat ein Rezept, allein froh zu werden: Sie macht einfach, was sie will, und ist dabei offen und herzlich zu anderen. „Ich hab mir die ganze Zeit selbst zugeredet: Du bist Pippi und kannst machen, was du willst.“
Die Sturheit hatten wir schon. Sie half auch beim Schwedischlernen, weil Marie sich standhaft weigerte, einen einzigen Satz auf Englisch von sich zu geben. Sie half auch beim Durchhalten, bis die Café-Managerin aus heiterem Himmel zur Kellnerin aus Deutschland sagte: „Marie, ich mag dich so, willst du nicht bei mir einziehen?“ Dann tauchte als Co-Chefin im Café noch Lovisas Mutter mit dem Vornamen Annika auf und nannte Marie fortan Pippi. Weil sie doch genauso aussehe.
„Das war ein schöner Augenblick“, erinnert sich Marie und zerstreut vollkommen glaubhaft den Verdacht, dass sich hier jemand eine vorweihnachtlich kitschige Pippi-Geschichte ausgedacht hat: „Lovisa war dann nie zu Hause, ich war allein, und ich hab weiter ziemlich einsam gelebt mit dem Gefühl, dass die Schweden so viel cooler sind als ich.“ Sie habe sich dann einfach durchgebissen.
Die Liebe zu einem Schweden namens Kasper brachte dann, berichtet Marie auch wieder kitschfrei, jede Menge Pippi in ihr Leben. Es gab ein Date mit dem Besuch des Pippi-Musicals, Kasper schenkte ihr ein Pippi-Tattoo auf dem Arm zum Geburtstag. Beide wohnten zusammen, bis plötzlich Schluss war und Marie wieder „in einem trostlosen Studentenwohnheim“ fast von vorn anfangen musste. „Ich hab meinen Laptop aufgeklappt und mir Pippi-Filme angeschaut und gedacht: Ich schaff das, weil Pippi schafft es auch.“
Sie hat in Stockholm ihren Bachelor in Journalistik gemacht. Wenn Marie Walter jetzt für deutsche und schwedische Medien arbeitet, ist aus Schweden eher wenig Frohgemutes zu vermitteln. Künftig sollen auch 13-jährige Kinder ins Gefängnis gesteckt werden, weil Drogen-Banden sie immer häufiger für Mordaufträge einsetzen und die Politik mit Härte punkten will. Pippi selbst würde heute wohl für ihren Spott über die tollpatschigen Polizisten Kling und Klang im Knast landen. Seit dem Sommer ist die „Verunglimpfung“ der Polizei und anderer im Staatsdienst strafbar.
Das alles gehört auch zu Maries Satz: „Pippis Realität ist nicht die Realität Schwedens.“ Als Kompass hält die Kinderbuchheldin mit den Sommersprossen und dem roten Haar trotzdem: „Ihre größte Inspiration ist, dass man nicht cool sein muss. Man kann total nett sein und ganz viel Liebe an seine Mitmenschen geben und dabei trotzdem sein Ding machen.“ Pippi Langstrumpf und Astrid Lindgren sei Dank.

13- Jährige sollen in Schweden ins Gefängnis

Schweden senkt Strafmündigkeit: „Kinder bekommen Mordaufträge“
15.12.2025
Von: Thomas Borchert
Kriminelle Banden rekrutieren Kinder im Internet für Auftragsmorde. Die Polizei warnt vor den Folgen der geplanten Gesetzesänderung.
Schwedische Gerichte sollen vom kommenden Sommer an schon 13-Jährige für Mord und andere schwere Verbrechen zu Gefängnisstrafen verurteilen. Hintergrund für die geplante Senkung der Strafmündigkeit von derzeit 15 auf 13 Jahre ist die in Europa beispiellose Rekrutierung von schwedischen Kindern, unter anderem für Auftragsmorde und Bandenkriege in der Organisierten Kriminalität. In diesem Jahr hat die Polizei nach Sprengstoffanschlägen bisher 54 Tatverdächtige festgenommen, die 13 oder 14 Jahre alt waren. In der Stadt Gävle laufen nach einer nächtlichen Schießerei Ermittlungen gegen einen 13-Jährigen wegen sechsfachen Mordversuchs.
Carin Götblad aus der operativen Polizeiführung erläutert Hintergründe dieser schockierenden Entwicklung.
In welchem Umfang sind schwedische Kinder und Jugendliche an Verbrechen der Organisierten Kriminalität beteiligt?
Wir hatten in diesem Jahr 35 Schießereien. Die Mehrheit der Beteiligten war unter 18 Jahre, ein Drittel unter 15. Generell geht die Zahl der Schießereien seit 2023 zurück. Aber die der Bombenanschläge steigt, und die Beteiligung sehr junger Täter daran kräftig. Wir haben viele 12- bis 14-Jährige. Man rekrutiert sie im Internet für „Crime as a service“. Die Auftraggeber sitzen meist im Ausland, mitunter in Schweden. Fast immer fangen wir die Täter, eben weil sie noch so jung sind. Sie gehören den Banden gar nicht an, sondern werden wie Verbrauchsgüter benutzt. Im Netz haben sie die Hand gehoben und erklärt: Ich will einen Mordauftrag haben.
Welche Erklärungen gibt es dafür?
Ich hab Puzzlesteine, aber keine klare Antwort, warum sie das tun. Das Phänomen, Kindern Mordaufträge gegen Geld anzubieten, haben wir in der modernen westlichen Welt so noch nicht erlebt. Dass die Alterspyramide so steil nach unten geht, wäre ohne die digitale Umwelt nicht möglich gewesen. Man rekrutiert im Netz. Heute kann das innerhalb von Stunden passieren. Wenn ich mordverdächtige Kinder frage, warum sie einen Menschen erschießen, sagen sie: Ich will das Geld.
Warum erlebt das jetzt ausgerechnet Schweden, das anderswo als funktionierender Wohlfahrtsstaat mit Pippi Langstrumpf und Greta Thunberg gilt?
In Schweden sind die Internet-Plattformen sehr schlecht reguliert, was auch für die EU gilt. Wir sind ein durchdigitalisiertes Land. Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen. Wir müssen jede einzelne Plattform, ob Telegram, Amazon oder alle möglichen anderen, einzeln kontakten, um so was zu löschen. Ein Teil tut das nicht oder antwortet nicht mal. In Schweden hatten wir ein „Volksheim“, mit gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und Solidarität als Fundament. Leider muss ich sagen, dass die Organisierte Kriminalität das maximal ausnutzt. Sie kennt keine Loyalität zum „Volksheim“. Es ist kein Geheimnis, dass ein sehr hoher Anteil dieser Personen in Schweden geboren ist, aber Wurzeln im Ausland hat und aus „ausgegrenzten Wohnvierteln“ kommt.

Was kann die Polizei tun?
Ich habe mein ganzes Leben mit vorbeugendem Einsatz gearbeitet. Schwer daran ist, dass die Ergebnisse nicht sofort sichtbar werden. In der Politik will man kraftvolle Maßnahmen sehen. Forschung zeigt, dass wir Kriminalität, ob es nun Wirtschaftskriminalität oder Mord ist, langfristig nur mit Vorbeugung brechen. Aber auf kurze Sicht sind die repressiven Einsätze die effektiven. So haben wir seit dem 1. Dezember Erleichterungen beim Datenschutz, so dass Polizei, Sozialbehörden und Schulen Informationen austauschen können. Bisher kommt der Einsatz in Schweden viel zu spät. Ist man Teenager, ist es zu spät. Wir müssen schon im Kindergarten aktiv werden. Als frühere Kindergärtnerin weiß ich, dass wir dort sehen, wer aus einer Risikofamilie kommt.
Warum spricht sich auch die Polizei, wie fast alle betroffenen Instanzen in Schweden, gegen die von der Regierung geplante Senkung der Strafmündigkeit auf 13 Jahre aus?
Zur politischen Fragestellung haben wir nicht Stellung bezogen. Auch nicht dazu, ob jugendliche Täter ins Gefängnis oder spezielle Einrichtungen kommen. Wir glauben allerdings, dass es fast unmöglich rechtssicher zu handhaben ist, wenn für bestimmte Vergehen 13 Jahre und für andere 14 oder 15 Jahre gelten sollen.
Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen.Carin Götblad im Interview.
Sie rufen zu einer „Volksbewegung gegen Kriminalität und für Inklusion“ auf. Wie soll das funktionieren?
Wir haben in Schweden eine Tradition für solche Bewegungen, die von unten kommen müssen. Keine Behörde, auch die Polizei nicht, kann so eine Kraft stoppen. Das gab es zum Beispiel zum Stimmrecht für Frauen und gegen den Alkoholismus. Da war mein Großvater vor fast hundert Jahren sehr aktiv. Wenn man Kinder, die im Prinzip absolut allem negativ gegenüberstehen, fragt, was könnte Bedeutung für dich haben, sagen sie: Wenn ich nur einen Erwachsenen gehabt hätte, der in Ruhe mit mir spricht, ohne dass er oder sie mich hinterher von Amts wegen anzeigen muss. Ich habe auch ein Schulfach „Ethik und Moral“ schon ab der Vorschulklasse vorgeschlagen. Kinder interessieren sich ausgeprägt für das Thema Gerechtigkeit. Man kann hier Empathie und Hilfsbereitschaft trainieren und Kinder durch Lob robuster machen. Man kann Jugendliche zwei Stunden die Woche in Freizeitjobs anstellen. Plötzlich haben sie so etwas Geld und können ein bisschen träumen. Wir dürfen die Kinder nicht den sozialen Medien und den Gangsterrappern überlassen. Und auch nicht den Eltern, die sich aus dem Staub machen, weil sie Zeit für sich selbst haben wollen.
Zur Person
Carin Götblad (69) ist Chefin der Operativen Führung der schwedischen Polizei. Götblad stammt aus der Region Stockholm, absolvierte eine Ausbildung als Kindergärtnerin und studierte danach Jura.
Götblad war von 2012 bis 2014 Regierungsbeauftragte für die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Von 2015 bis 2020 war sie Polizeichefin der schwedischen Polizeiregion Mitte. FR
Machado, Trump und der Friedensnobelpreis

11.12.2025
Der Elefant im noblen Raum
Bei der Übergabe des Friedensnobelpreises fehlt die Geehrte, Maria Corina Machado. Auch ungenannt dominiert ein anderer die Zeremonie: US-Präsident Donald Trump /
Eine Einschätzung von Thomas Borchert
Ganz so bizarr wie beim „Friedenspreis“ des Weltfußballverbandes an Donald Trump ist die Verleihung des vom US-Präsidenten dreist, aber vorerst erfolglos beanspruchten Friedensnobelpreises nicht ausgefallen. Aber dass die Zeremonie für die Venezolanerin Maria Corina Machado einen durchaus denkwürdigen Verlauf nahm, kann sich der Mann im Weißen Haus schon mal ans Revers heften.
Die norwegische Jury hat die 58- jährige Machado als treibende und einigende Kraft der demokratischen Opposition gegen den brutalen Autokraten Maduro ausgezeichnet. Dass sie aber die von der Trump-Administration vollkommen rechtlos angeordnete Tötung von mutmaßlichen Drogen-Dealern auch aus ihrem Land auf hoher See begrüßt und keine Einwände gegen Trumps militärische Bedrohung Venezuelas hat, will für viele ganz und gar nicht zum berühmtesten aller Friedenspreise passen. Und schon gar nicht, dass sie ausdrücklich meinte, der US-Präsident habe den Preis aller Preise verdient.
Die norwegischen Friedensfreund:innen, die jedes Jahr vor Preisträgern wie Willy Brandt, Nelson Mandela und Barack Obama mit einem Fackelzug symbolisch den Hut ziehen, sagten deshalb ab: Mit Einsatz für Frieden habe das alles beim besten Willen nichts zu tun.
Ungewöhnlich war dann auch das Drama um Machados Erscheinen bei der Zeremonie. Sie muss seit der von der Opposition 2024 gewonnenen und vom Marudo-Regime zu eigenen Gunsten gefälschten Wahl im Untergrund leben und verpasste bei der Flugreise nach Skandinavien die Verleihung knapp um ein paar Stunden. Umso erstaunlicher, wie ihre in New York lebende Tochter Ana Corina Sosa Machado nach der Entgegennahme des Preises die halbstündige Dankesrede der Mutter vollständig auswendig, sowie rhetorisch geschliffen vortragen konnte. Überzeugend legte sie, also eigentlich die Preisträgerin, ihre demokratischen Prinzipien für eine Überwindung der Maduro-Diktatur offen. Der Name Trump kam genauso wenig vor wie der neue US-Herrschaftsanspruch für Südamerika. Immerhin gab es irgendwo einen kleinen Satz: Eine Invasion von Venezuela sei „nicht das richtige Mittel“.
Auch den geringsten direkten Bezug zu Trump oder gar eine Namensnennung verkniff sich der Nobelkomitee-Chef Jorgen Watne Frydnes in seiner Laudatio auf Machado. Als der 40-Jährige, ein allseits geschätzter Menschenrechtsaktivist an der Spitze von Norwegens PEN-Zentrum, in schockierenden Details Grausamkeiten unter Maduro schilderte, wurde es unter den Honoratioren im Rathaussaal, unter ihnen Argentiniens angereister Präsident Milei, still. Genauso leidenschaftlich, aber auf dünnem Eis verteidigte Frydnes dann Machado gegen Kritik wegen ihrer praktisch bedingungslosen Unterstützung für Trump: Auch Friedensnobelpreisträger wie Lech Walesa und Nelson Mandela hätten „nicht nur ein Dilemma bei ihren Dialog-Entscheidungen gut gekannt“. Die Kritik an Machados Entscheidungen nannte er wohlfeil, weil „leicht von der Seitenlinie“ vorgebracht und „auch in alten Gedankenmustern verharrend“.
Zu den neueren im fünfköpfigen Nobelkomitee gehört die Einsicht, dass Venezuela „nicht alleine steht“. „Die ganze Welt ist auf der verkehrten Spur“, verkündete Frydnes und fuhr fort: „Autoritäre Mächte sind auf dem Vormarsch und versuchen, die Demokratie zu zerstören.“ Auch hier fiel weder der Name Trump noch der seines Landes. Man darf gespannt sein auf die kunstvolle Laudatio in einem Jahr, wenn der Krieg in der Ukraine, unter welchen Bedingungen auch immer, beendet ist und Donald Trump erst richtig loslegt mit seinem Verlangen nach dem Friedensnobelpreis.
Kommentar: Sipri wird immer mehr zum Kriegsforschungsinstitut

Profite der Rüstungskonzerne: Das finstere Konzert
02.12.25
Von: Thomas Borchert
Das Friedensforschungsinstitut Sipri führt eine brutale Welt vor. Der Kommentar.
Das Friedensforschungsinstitut Sipri sollte sich vielleicht besser in Kriegsforschungsinstitut umbenennen. So wie die Vereinigten Staaten als die nach wie vor größte Militärmacht der Welt den Chef im Pentagon jetzt als Kriegsminister statt wie bisher als Verteidigungsminister titulieren. Der jüngste Sipri-Report über die Geschäfte der hundert größten Rüstungskonzerne der Welt – 40 davon sitzen in Nordamerika – nennt immer wieder die Kriege in der Ukraine und in Gaza als Triebkraft für seit Beginn der Untersuchungen noch nie erreichte Rekordumsätze.
Da liest man in der kühl nüchternen Sprache der Stockholmer Datensammler, Russlands Waffenschmieden hätten 2024 die Produktion von 152mm-Artillerie-Granaten auf 1,3 Millionen Stück vervierfacht. Israels Plus um 16 Prozent beim Rüstungsgeschäft sei „sowohl auf den eigenen Militäreinsatz in Gaza wie die starke weltweite Nachfrage nach hochentwickelten Militärdrohnen zurückzuführen“. Die russischen 152er wurden wahrscheinlich schon samt und sonders verschossen und man muss sich beim Lesen selbst dazudenken, dass Opfer dieses Granatenregens gerade stapelweise aus Güterwaggons und in Plastiksäcken in ihrer ukrainischen Heimat abgeliefert worden sind. Und das zerstörte Gaza bleibt für seine Bevölkerung auch nach dem Ende des Bombenregens die Hölle: Blindgänger, Sprengfallen, weitere sporadische Angriffe …
Dass die vier größten deutschen Rüstungskonzerne in diesem finsteren Konzert hinter Japan mit plus 36 Prozent die herausragend höchsten Zuwächse geschafft haben, gehört zu den Überraschungen auf der Sipri-Liste. „Geht doch“, könnte der schon bemitleidenswert gebeutelte Wachstumskanzler Merz das kommentieren. Ist dieses entschlossene Zupacken bei Rheinmetall und anderen ja zum einen auf die von fast allen gewollte massive Unterstützung der Ukraine zurückzuführen. Und außerdem eine offenbar gut funktionierende Umsetzung der scholzschen „Zeitenwende“ gegen das angriffslüsterne Russland, den absolut alles an Profitgier ausrichtenden Trump und ein nach Weltherrschaft strebendes China.
Sipri attestiert den USA ein Wachstum von „nur“ 3,2 Prozent wegen hausgemachter Probleme: chronische Verspätungen und Kostensteigerungen wie bei der Bundesbahn. Aber das wie auch Chinas zehn Prozent minus im Gefolge gigantischer Korruption wird nur ein kleines Zwischentief bei der Jagd der ganz Großen nach Rüstungsprofiten und Hegemonie auf dieser Welt bleiben. Die Zahlen aus Stockholm sind eine eindrucksvolle Aufforderung an alle, sich andere Mittel dagegen auszudenken als die eigene Jagd nach Rüstungsprofiten.
Sipri: Rüstungskonzerne boomen wie nie zuvor – vor allem die deutschen

Boom in der Waffenindustrie: Eine goldene Ära der Rüstung
02.12.2025
Von: Thomas Borchert
Die Waffenindustrie erzielt Rekordumsätze – deutsche Konzerne profitieren besonders.
Die Rüstungskonzerne erleben goldene Zeiten, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri jetzt mit der Auflistung von Verkaufszahlen in nie erreichter Höhe offenlegt. Zum Anstieg um 5,9 Prozent allein 2024 auf 679 Milliarden Dollar (584 Milliarden Euro) Umsatz für die 100 größten Waffenschmieden der Welt trägt nach Japan mit plus 40 Prozent vor allem die deutsche Rüstungsindustrie herausragend bei: Nach dem Branchenführer Rheinmetall haben es drei weitere Unternehmen auf die Sipri-Liste der „Top 100“ geschafft. Ihre Waffenverkäufe sind um 36 Prozent nach oben geklettert. Die höchste Steigerungsrate erzielte dabei der Nürnberger Diehl-Konzern, der nach den Stockholmer Angaben vor allem durch Lieferungen von bodengestützten Luftverteidigungssystemen und Artilleriemunition an die Ukraine 2,1 Milliarden Dollar Umsatz machen.
Rheinmetall kletterte in der Top-100-Liste, ebenfalls vorrangig dank Lieferungen an die Ukraine, vom 26. auf den 20. Platz und Diehl vom 80. auf den 67. Platz. Hinzu kommen Thyssen Krupp (von 63 auf 61) und der weniger bekannte Münchner Hensoldt-Konzern (von 70 auf 62) mit militärischer Sensortechnik. Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva verwies gegenüber der FR zu den herausragend hohen Wachstumsraten deutscher Rüstungsunternehmen auf die noch etwas höheren in Japan. Beide Länder hätten ihre „historisch bedingten Selbstbeschränkungen“ nun zugunsten höherer militärischer Ausgaben sowie Produktion aufgegeben: „Weil die Staaten die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts als höher einschätzen.“
Den deutschen Steigerungsraten im letzten Jahr stehen ganze 3,8 Prozent plus für die US-Rüstungsindustrie gegenüber, die aber mit 336 Milliarden Dollar immer noch 49 Prozent des weltweiten Umsatzes einfährt. Die Vereinten Staaten beheimaten vier der fünf größten Rüstungskonzerne der Welt. Bemerkenswert an den aktuellen Sipri-Zahlen ist der erstmalige Auftritt von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, als Nr. 77 unter den hundert größten Waffenherstellern auf dem Planeten.
Generell notieren die Stockholmer Friedensforscher aber eine Menge Sand im Getriebe der US-Rüstungskonzerne. Das gilt auch für die weltweite Nr.1 Lockheed mit ihrem Kampfflugzeug F-35 als Dauer-Verkaufsschlager. Die gesamte Branche habe mit hausgemachten Problemen zu kämpfen. Im Sipri-Report heißt es dazu: „Während Verspätungen und Kostenüberschreitungen seit langem generell zu den Eigenheiten der militärischen Modernisierung zählten, waren sie in den USA besonders ausgeprägt.“ So auch bei dem F-35-Jet.
Das habe noch viel mehr staatliche Ressourcen aus anderen Bereichen abgesaugt und „die langfristige militärische Haushaltsplanung unterminiert.“ Für die kommenden Jahre erwartet das Stockholmer Institut eine zusätzliche Verschärfung dieser Probleme „durch Engpässe bei essenziell wichtigen Materialien zur Produktion hoch entwickelter militärischer Ausrüstung“. Gemeint sind seltene Erden und andere unverzichtbare Rohstoffe in vorwiegend chinesischer Hand.
Dabei wartet China als Rüstungsproduzent bei einem Minus von zehn Prozent für die 13 größten Unternehmen im Land mit der wohl größten Überraschung im Sipri-Report auf. Sie machten bei einem Weltmarktanteil von 13 Prozent (gegenüber 2,2 Prozent für Deutschland) noch 88,3 Milliarden Dollar Umsatz. Als wichtigsten Grund werden Korruptions-Skandale genannt. So verlor Norinco, der elftgrößte Waffenkonzern der Welt und führend in China, laut Sipri auf diesem Hintergrund 31 Prozent seines Umsatzes im letzten Jahr.
Russlands Industrie folgt mit einem Weltmarktanteil von 4,6 Prozent auf die USA, China und Großbritannien (7,7 Prozent) als viertgrößter Waffenproduzent. Der Aggressor im Krieg mit der Ukraine hat laut Sipri neben dem Ausfall von Exporteinnahmen auch mit lückenhafter Materialbeschaffung durch Sanktionen sowie Facharbeitermangel in der Rüstung zu kämpfen. Der Krieg in Gaza sowie auch der in der Ukraine hat Israels drei größten Rüstungskonzernen einen Umsatz von plus 16 Prozent auf 16,2 Milliarden Dollar gebracht.
Wahldesaster für Dänemarks rechte Sozialdemokraten

Kopenhagen wählt so links wie New York City
20.11.2025
von Thomas Borchert
Die Einheitsliste wird in Kopenhagen stärkste Kraft, während steigende Wohnkosten und Migrationspolitik den Wahlausgang prägen.
Bei Dänemarks Sozialdemokratie sind die Lichter als Leuchtturm für bedrohte Schwesterparteien in Europa erst mal ausgegangen. Bei den Kommunalwahlen verlor die Partei von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen spektakulär mit 23,2 Prozent (-5,2), ihrem schlechtesten kommunalen Resultat aller Zeiten. Als größte Katastrophe gelten die vor kurzem noch undenkbaren 12,7 Prozent in Kopenhagen, wo die Partei nach 122 ununterbrochenen Jahren mit sozialdemokratischen Oberbürgermeister:innen für ihren Rechts-Kurs, unter anderem in Sachen Zuwanderung, abgestraft wurde. Stattdessen stimmte die Wählerschaft genau wie jüngst in New York für eine klar linke Mehrheit.
Auch in der dänischen Metropole spielten die endlos ins Astronomische steigenden Kosten auf dem „freien Wohnungsmarkt“ eine entscheidende Rolle. Die Einheitsliste, vergleichbar mit der Linken in Deutschland, wurde mit 22,1 Prozent stärkste Partei in der Hauptstadt, gefolgt von der Sozialistischen Volkspartei mit 17,9 Prozent. Die steht der Mitte näher und übernimmt nach einer Einigung zwischen mehreren Parteien im Rathaus das OB-Amt mit ihrer Spitzenkandidatin Sisse Marie Welling (39). Auch auf dem eher konservativ gestrickten Land und in mittelgroßen Städten verlor die Sozialdemokratie fast flächendeckend. Sie musste 18 von 44 Bürgermeisterposten abgeben. Hier legte das Mitte-rechts-Lager zu.
Frederiksen, seit 2019 an der Regierungsspitze, meinte in der Wahlnacht, die Verluste ihrer Partei seien „größer ausgefallen als erwartet“ und das Regieren als „breite Volkspartei“ auch in Dänemark schwerer geworden. Im Festsaal des Kopenhagener Arbeitermuseums sagte sie über die eigene Rolle: „Ich habe immer die Verantwortung für das, was in der Sozialdemokratie passiert. Natürlich hab ich sie auch jetzt.“
In der Tat hatte die 49-Jährige doch ihre persönliche Freundin Pernille Rosenkrantz-Theil per „Chefsache“ zur Spitzenkandidatin in Kopenhagen ausgerufen und deren abenteuerlichen Kampf gegen die drohende Flucht der Wähler:innen mitgetragen. Rosenkrantz-Theil machte sich in der Fahrrad-Stadt zur Anwältin des „Rechts auf ein Auto“. Ihre Konkurrenz auf der Linken beschimpfte Rosenkrantz-Teil als „Parkplatz-Vernichter“. Aber es half genauso wenig wie die noch plumper populistische, nie zu realisierende Forderung nach kostenlosen Kindergärten für alle – wohl ein Akt aus reiner Verzweiflung.
Die Menschen in der Hauptstadt haben auch Frederiksens ausgeprägt harter und international stark beachteter Migrationspolitik eine klare Absage erteilt. Mit Plänen wie der Abschiebung aller Asylbewerber:innen nach Ruanda und einer brutalen anti-islamischen Rhetorik hatte die Sozialdemokratin landesweit Stimmen von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei wieder ins eigene Boot geholt. Letzteres schwingt sicher mit, wenn diese Politik von der gegen sinkende Umfragewerte kämpfenden Labour-Partei in Großbritannien ausdrücklich unter „Vorbild Dänemark“ kopiert und von Friedrich Merz sowie diversen SPD-Promis immer wieder gern angepriesen wird.
Auch unabhängig von den Kommunalwahlen zeigt das Geschäftsmodell jetzt zunehmend Risse. Die DF, von Frederiksen tatsächlich 2022 mit 2,6 Prozent in die Knie gezwungen, ist in Umfragen wieder auf 12 Prozent geklettert, während die Sozialdemokratie sich im Sinkflug auf 20 Prozent zubewegt. Dass mit Blick auf die „Folketings“-Wahl nächstes Jahr der neue, wegen ausgeprägter Härte berufene Ausländerminister Rasmus Stoklund das Verbot von muslimischen Gebetsrufen anpeilt, hat nicht geholfen. Weil solche Gebetsrufe auch ohne Verbot niemand bisher vernommen hat. Und weil die Rechtspopulisten vor allem wegen schnell steigender Lebenshaltungskosten in den Umfragen klettern. Des Weiteren haben sie Frederiksens Partei beim Rennen um die härteste „Ausländerpolitik“ gerade wieder mühelos überholt. Sie machen gerade „Remigration“ als Sammelbegriff für die Forderung nach massenhafter Vertreibung von Musliminnen und Muslimen salonfähig.
Der Fehmarnbelt-Tunnel verzögert sich

Jahrhundert-Tunnel in Warteposition
Von: Thomas Borchert
12.11.2025

Wegen technischer Probleme beim Absenken der Tunnelelemente drohen Zusatzkosten von knapp zwei Milliarden Euro. Eine Reportage von der Baustelle.
Wie einparken, wenn ein Gefährt von 217 Metern Länge, 42 Meter breit, 9 Meter hoch und 73 500 Tonnen schwer, bugsiert werden muss? Man fängt ganz normal mit der Platzsuche an. „Wir bauen gerade jetzt noch mehr Parkplätze,“ erklärt munter Markus Just fern seiner Augsburger Heimat vor „Hala B“, der gigantischen Tunnelelemente-Fabrik am Fehmarnbelt. „Dänemark ist schon ganz nett“, befindet der Bauingenieur über seine Wahlheimat; den Job beim Tunnelbau zwischen Rødbyhavn und Puttgarden in Schleswig-Holstein beschreibt er als Erfüllung eines Traums: „Mit meiner damaligen Hamburger Freundin war ich zu Besuch auf Fehmarn, und wir haben gesagt, wenn hier die Brücke gebaut wird, sind wir dabei.“

Es kommt im Leben immer etwas anders, als man denkt. Statt der zunächst ins Auge gefassten Brücke wird seit 2020 der mit 18 km längste Absenktunnel der Welt gebaut. Just hatte seinen Wohnsitz schon vorher aus anderen Gründen nach Kopenhagen verlegt. Mit seiner dänischen Ehefrau schickt er die Kinder auf die deutschsprachige Sankt Petri Schule, spricht aber nach eigener Einschätzung „zu viel“ dänisch mit den beiden.
Eindeutig dänisiert auch, nach außen entspannt und demonstrativ zuversichtlich im Angesicht gigantischer Anforderungen, führt er über diesen Arbeitsplatz voller Superlative: So groß wie 350 Fußballfelder, alles aus dem Meer gestampft, und mit einem Bedarf an Stahl, der für 50 Eiffeltürme reichen würde. Auch die 3,2 Millionen Kubikmeter Beton, so ist auf der Homepage des staatlichen Bauherrn Femern A/S zu lesen, werden „im Einklang mit der Natur“ verbaut. „Hala B“ hat einer der – überwiegend polnischen – 2000 Bauarbeiter in der Muttersprache gepinselt.
In den Hallen A, B und C werden die riesigen Tunnelemente wie am Fließband gefertigt, an beiden Enden hermetisch mit Stahltoren verschlossen und am Ende in ein Hafenbecken geschoben. Von dort geht es, das ist jedenfalls der Plan, für die schwimmfähigen Ungetüme hinter Schleppern hinaus zu ihrem vorgesehenen Liegeplatz. Dass sie mit einer Fehlertoleranz von unglaublichen 12 Millimetern in der dafür ausgebaggerten Rinne 30 Meter unter der Wasseroberfläche haargenau aneinanderpassen, wird von zwei hochspezialiserten Pontons namens Ivy 1 und Ivy 2 gesteuert.

Dieser Arbeitsgang sei, erklärt Just mit Ingenieurs-Begeisterung, genauso „irrsinnig komplex“ wie das Betonieren der Tunnelelemente, allein wegen der gigantischen Mengen: „Also möglichst kein Wind, Wind ist immer schlecht, Frost wäre natürlich ganz schlecht.“ Deswegen wird in drei gewaltigen Hallen frostfrei und windstill betoniert. Eigentlich sollte die Tunnelelemente-Fabrik nach dem Bauabschluss 2029 wieder komplett zurückgebaut werden. Inzwischen ist die Politik auf andere Ideen gekommen. Könnte man hier nicht, so schlagen jetzt 46 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Region Ost-Dänemark vor, später Kriegsschiffe bauen? Das sei erstens hervorragend für die regionale Wirtschaftsentwicklung und helfe außerdem dem extrem ehrgeizigen Aufrüstungsprogramm der Regierung in Kopenhagen.

Diese Zukunftsmusik rückt allerdings in zunehmend weite Ferne. 15 Tunnelelemente sind in den vergangenen anderthalb Jahren schon fertig produziert worden, aber kein einziges konnte bisher, wie eigentlich seit Mitte 2024 geplant, in die Tunnelrinne abgesenkt werden. Die beiden Ivys sind mit zwölf Monaten Verspätung inzwischen vor Ort, aber ein halbes Jahr später immer noch nicht einsatzbereit. So müssen die Betonungetüme weiter auf Halde produziert werden. Keine große Sache, meint Just und zeigt auf den Arbeitshafen, wo gerade zusätzliche „Parkplätze“ klargemacht würden.
Andere tüfteln weniger entspannt an Parkgebühren. Im Oktober enthüllte das Online-Magazin „Femernbusiness“ nach Akteneinsicht eine Forderung des Baukonsortiums FLC über zusätzlich umgerechnet 1,95 Milliarden Euro an den staatlichen dänischen Bauherrn Femern A/S. Das seien Zusatzkosten durch die Verzögerungen, weil man frühestens im Mai 2026 mit dem Absenken der Tunnelelemente beginnen könne. Auch weil die Absenkrinne ein bisschen, um 30 cm, ausgebaggert worden sei. Behält FLC damit recht, liegt die dänische Seite zwei Jahre hinter dem Plan und muss tiefer in die Tasche greifen. Bei bisher veranschlagten Tunnel-Kosten von 7,4 Milliarden Euro wird das kein Klacks.
Die Aufregung darüber hält sich im Reich von König Frederik X. in ganz erstaunlichen Grenzen. Der Regent war ja schon zur „Einweihung“ des ersten Tunnelelements ins festlich mit rotweißen Dannebrog-Flaggen geschmückte Rødbyhavn gekommen. Seitdem ruht der Betonriese wie ein gestrandeter Wal an seinem Parkplatz. „Det ordner sig“, das klappt schon noch, wird wohl auch der König das im Dänenstil weggelächelt haben. Ist aber nur eine Vermutung. Dem angelernten Dänen Markus Just jedenfalls, eindeutig auch ein loyaler Arbeitnehmer beim Bauherrn Femern A/S, bereitet das keine schlaflosen Nächte: „Wenn es eng wird, sehen wir eben, wo wir sonst noch parken können.“

Entspannt auch hatte die Kopenhagener Regierung 2008 beim Staatsvertrag mit den deutschen Partnern die kompletten Baukosten für das gigantische Bauvorhaben übernommen. Nur so konnte der zahlungskräftige David dem eher klammen Goliath jenseits der Ostsee das Ja-Wort abluchsen. War doch das deutsche Interesse an der Verkürzung der Reisezeit zwischen Kopenhagen und Hamburg eher gering und südlich der Hansestadt gleich null. Dafür umso größer in Dänemark, nachdem schon die genauso gewaltige innerdänische Brücken- und Tunnelverbindung über den Großen Belt und die über den Øresund nach Schweden als Jahrhundertprojekte längst allseits als Erfolgsgeschichten abgehakt sind. Niemand zweifelt deren Sinnhaftigkeit an.
Lübeck wird demnächst vom Fernverkehr abgekoppelt
Ganz anders klingt das ein halbes Jahrzehnt nach Baubeginn auf der deutschen Seite. Man ahnt es irgendwie schon in Puttgarden nach dem Verlassen der Autofähre, die wie eh und je mit 45 Minuten Fahrzeit und im Halbstundentakt Deutschland mit Dänemark verbindet. Die Bauarbeiten für Bahn und Autobahn haben die Ferieninsel Fehmarn hier bis auf Weiteres in eine chaotische Mondlandschaft mit seltsam in die Landschaft ragenden Brücken ohne Straßenanbindung verwandelt. Das wird sich bis ins nächste Jahrzehnt nach Süden fortpflanzen, wenn die Deutsche Bahn ab 2026 über die gesamte Trassenstrecke auf 88 Kilometern gleichzeitig bauen lassen will. Lübeck wird dafür ab Dezember vom Fernverkehr abgekoppelt und die regionale „Bäderbahn“ längs der Ostseeküste stillgelegt.
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Ersatz für die altersschwache Brücke muss her
Dabei hat die Bahn noch ein spezielles Hindernis zu überwinden. Für die einen Kilometer lange und altersschwache Brücke der Vogelfluglinie zwischen Fehmarn und dem Festland muss Ersatz her, was seit der Unterschrift unter den deutsch-dänischen Staatsvertrag vor 17 Jahren aktenkundig ist. Bis heute hat die Bahn keinen genehmigten Bauplan für den fälligen Tunnelbau unter dem Fehmarn Sund zustande gebracht. Frühestens 2032 sei das alles zu schaffen, teilte die Bahnaufsicht mit, was der Kieler Ex-Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) auch noch für „Träumerei“ hält. Er rechnet mit „mindestens 2035 bis 2036“ bis zur Fertigstellung.
„Deutschland blamiert sich“ titelte das „Hamburger Abendblatt“, und „Sjællands Nyheder“ hat den Eindruck: „Auf deutscher Seite wird nur gebaut, wenn gerade nichts anderes zu tun ist.“ Die ostholsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn klingt am Telefon genauso ungnädig: Die Bahn habe durch „von Anfang an schöngerechnete“ Zahlen auch die Verteuerung des Sund-Tunnelbaus von (2022) 714 Millionen auf jetzt 2,3 Milliarden Euro zu verantworten. Auch für die Bahntrasse müssten inzwischen 6,3 statt 3,9 Milliarden Euro veranschlagt werden.

Hagedorn kommt dann, geografisch ausgedrückt, 75 km weiter südlich erst richtig in Fahrt: „Das eigentliche Problem ist nicht der Sundtunnel, sondern Bad Schwartau.“ Mitten durch die kleine Stadt bei Lübeck will die Bahn die neue Hochgeschwindigkeitstrasse legen, über die täglich mehr als 100 Güterzüge donnern sollen, schon mal 800 Meter lang und auch nachts. Genehmigt ist das noch nicht. „Die Stadt hat sich bis an die Zähne gerüstet mit Gutachten,“ erklärt die SPD-Abgeordnete und erwartet nach dem „dilettantischen Vorgehen“ der Bahn: „Dann wird sie wohl auch den Klageweg konsequent gehen.“
Das dürfte durch alle Instanzen richtig viele Jahre dauern, ehe es überhaupt mit dem Trassenbau in Bad Schwartau losgehen kann. Bei der Lübecker Industrie- und Handelskammer spendet Can Özren Trost mit den dänischen Verspätungen: „Dadurch relativieren sich die deutschen ja.“ Auch hätten „all die Drohnen, mit russischen oder anderen suspekten Wasserfahrzeugen über und unter der Oberfläche“ das heimische Interesse an dem Riesenbau markant gesteigert: „Da ist natürlich so ein Tunnel eine gewichtige strategische Komponente.“ Auch eine überraschende Wende bei diesem Jahrhundertbau, dessen Beton mindestens 120 Jahre halten soll, die Wartezeit auf dem Parkplatz sicher eingerechnet.
Zahlen zum Bau
Seit 2020 wird auf dänischer und seit 2021 auf deutscher Seite am Bau des 18 km langen Absenktunnels unter dem Fehmarnbelt gearbeitet. Die 89 je 217 Meter langen Tunnelelemente bestehen aus voneinander getrennten Spuren für die Autobahn und zwei Gleisen sowie einem schmalen Notgang.
Die Reisezeit zwischen Kopenhagen und Hamburg soll der Tunnel für Hochgeschwindigkeitszüge von fünf auf zweieinhalb Stunden verkürzen. Autos sparen etwa eine Stunde.
Im Staatsvertrag von 2008 verpflichtet sich Dänemark zur alleinigen Ausführung und vollen Kostenübernahme des Tunnelbaus. Dänemarks Regierung will die Kredite für den Bau über ursprünglich anvisierte 7,4 Milliarden Euro durch Mautgebühren für die Tunnelnutzung wieder einfahren. Für Deutschland entstand aus dem Vertrag nur die Verpflichtung, das Hinterland bis Hamburg mit dem Ausbau der Autobahn und einer 88 Kilometer langen neuen Bahntrasse anzubinden.
Die geplante Fertigstellung 2029 haben beide Seiten Ende Oktober aufgegeben, aber noch kein neues Eröffnungsdatum benannt. Es dürfte für den Autoverkehr nicht vor 2032 und für die Bahn noch mehrere Jahre später angesetzt werden.
Durchdigitalisierte Dänen sollen jetzt Bargeld preppen

Etwas Cash für die Kuh
6.11.25
Von: Thomas Borchert
Im durchdigitalisierten Dänemark spielt plötzlich Bargeld wieder eine Rolle
Man soll immer genug Bargeld für den Kauf einer Kuh bei sich haben, sagt der Kopenhagener Kommentator Jarl Cordua mit Wohnsitz ohne Stall oder Weidefläche im 3. Stock. Die Richtschnur für das ganze Leben hat er von einem längst verblichenen dänischen Landwirtschaftsminister übernommen und trägt eisern 500 Kronen, umgerechnet knapp 70 Euro in bar durch sein eigentlich bargeldloses Mutterland.
Im durchdigitalisierten Dänemark zahlt praktisch niemand mehr cash, nicht mal mehr das Taschengeld für die Kinder. Alles geht per Mobile Pay oder Apple und Google Pay über das Smartphone. Wer an der Kasse noch eine Kreditkarte zückt, muss sich dabei schon ziemlich retro fühlen. Der Trend geht seit einem halben Jahr aber wieder in Richtung Bargeld. Als oberste Hüterin der dänischen Währung hat die Nationalbank jetzt Corduas Prinzip, leicht variiert, an die sechs Millionen Menschen im Königreich weitergereicht: Sie sollen nun bitte pro Person im Haushalt stets 210 Kronen, also 28 Euro, in Cash bereithalten; so viel, wie man für die Beschaffung von Lebensmitteln benötige. Das sei für den Notfall, falls digitale Stricke reißen und die Bezahlterminals nicht mehr auf ein Smartphone reagieren.
Solch ein Notfall kam über das ganze Land bereits an einem Juli-Samstag mit jeder Menge Sommerfestivals, noch mehr Reiseverkehr und überall geöffneten Supermärkten. Er zeigte, wie sehr das Land an einem digitalen Faden namens „Nets“ hängt. Bei diesem extrem profitablen Privatkonzern, De-facto-Monopolist für elektronischen Zahlungsverkehr, lief über fast drei Stunden gar nichts – und in der Folge auch nichts mehr beim Bierausschank der Festivals.

Retro statt Risiko
Ein harter Schlag gegen das dänische Lebensgefühl namens Hygge. An den Mautstellen der Brücke über den Großen Belt, Dänemarks wichtigstem Verkehrsknotenpunkt, blieben die Schranken komplett geschlossen, was unzufriedene Autofahrerinnen und Autofahrer in ihren endlosen Schlangen zu wilden Wikingern werden ließ. Sie gingen auf das Brückenpersonal los und rissen Schlagbäume ein.
Diese Havarie brachte Cordua zu der vorher vielleicht allseits als schrullig abgetanen Schlussfolgerung in der Zeitung Berlingske: „Wir sollten sämtliche Pläne zur Abschaffung des Bargelds beerdigen.“ Die Währungshüter der Nationalbank warteten wohl nicht ganz zufällig ein weiteres Ereignis ab, ehe sie in dasselbe Horn bliesen. Ihre Empfehlung kam, kurz nachdem Kopenhagens Flugplatz Kastrup Ende September wegen mehrfach gesichteter Drohnen komplett gesperrt wurde. Regierungschefin Mette Frederiksen wandte sich in ausgeprägt düsterer Tonlage an die Bevölkerung, so sei es nun leider im laufenden „hybriden Krieg“ aus Russland. Man müsse sich wirklich an allen Ecken und Enden wappnen.
In dieser Stimmungslage klang die amtliche Empfehlung für den Rückgriff auf Bargeld wie eine natürliche Ergänzung beim „Preppen“, also der Vorratshaltung für den Krisen- und Kriegsfall. Laut Umfragen sind schon zwei Drittel der Bevölkerung ohne Murren der Empfehlung ihrer Regierung gefolgt. Sie haben sich mit Mineralwasser, Toilettenpapier, Batterievorräten und auch mit Retro-Radios mit dem guten alten UKW-Empfang eingedeckt. Für den sollte im durchdigitalisierten Dänemark eigentlich längst der Stecker gezogen sein, aber die Regierung hat es sich anders überlegt.
Meint sie es ernst mit der Sicherung ihres Landes vor einer Lähmung des digitalen Fundaments, durch wen auch immer, hat sie noch enorm viel zu tun. Schon lange lassen Behörden ausschließlich digitalen Schriftverkehr zu. Zum Jahreswechsel ist auch der letzte Briefkasten in Dänemark abgeschraubt worden, Papierpost wird nicht mehr ausgetragen. Bankfilialen mit Bargeld sind für die Dänen nur noch eine ferne Erinnerung an andere Zeiten. Bei Besuchen in Deutschland bestaunen sie, dass dort tatsächlich noch überall Geldautomaten zu finden sind. Auch an den heimischen Tankstellen ist Barzahlung eigentlich nicht mehr vorgesehen. Die beeindruckend vielen E-Autos in Dänemark sind andererseits für hybride Angriffe auch nicht unbedingt eine gute Versicherung gegen böse Attacken auf die digitale Infrastruktur.
Ich bin ein Beispiel für die groteske Willkür bei Einbürgerungen in Dänemark

(AI-Übersetzung meines Leserbriefs)
Leserbrief
Aarhus-Professor besucht seine Eltern in Bremen zu oft: Wir sind Opfer willkürlicher Ungleichbehandlung
„Mein ungläubiges Staunen über den Wahnsinn der Regeln zu sogenannten ‚Aufenthaltsunterbrechungen‘ war eines der Dinge, die mich dazu brachten, die Initiative zur Gründung des Vereins zu ergreifen“, schreibt Thomas Borchert.
26.10.25
Thomas Borchert, Kopenhagen S, dänischer Staatsbürger seit 2021 und Journalist
Nach 13 Jahren in Aarhus hat der in Deutschland geborene Professor Eric Hillebrand erfahren, dass er vorerst kein Däne werden kann. In der Zeitschrift Forskerforum vom 26. September las ich die Begründung des dänischen Ministeriums für Einwanderung und Integration für die Ablehnung seines Antrags auf dänische Staatsbürgerschaft. Das löste bei mir eine seltsame Mischung aus Lachen, Déjà-vu und Empörung aus.
Der Professor habe Dänemark zu oft den Rücken gekehrt. In seinem Antrag hatte er – wie gefordert – alle seine Auslandsreisen (wissenschaftliche Kongresse, Besuche bei den Eltern in Bremen und Urlaube) der letzten zwölf Jahre aufgelistet und kam dabei auf 743 Tage. Das bedeutet, dass er über der festgelegten Obergrenze liegt, die insgesamt ein Jahr an „Aufenthaltsunterbrechungen“ innerhalb der letzten neun Jahre beträgt.
In einem modernen Dänemark in einer globalisierten Welt ist diese Regel ein Witz – das versteht sich von selbst. Es sei denn, man möchte ausdrücklich verhindern, dass hochqualifizierte Fachkräfte sich dauerhaft in unserem Königreich niederlassen und hier Kinder großziehen. In Forskerforum erklärt Hillebrand selbst: „In der Stellenbeschreibung steht, dass erwartet wird, dass man an internationalem Austausch teilnimmt. Ich habe Kollegen, die regelmäßig halbjährige Forschungsaufenthalte absolvieren. Das gehört einfach dazu.“
Mein Déjà-vu als auch in Deutschland gebürtig ging zurück auf meinen eigenen Antrag auf dänische Staatsbürgerschaft, bei dem auch ich alle Auslandsaufenthalte der letzten zwölf Jahre auflisten musste – eine absurde Herkulesarbeit. Ich kam auf 138 Einträge, darunter viele berufsbedingte Reisen in die nordischen Länder als Auslandskorrespondent, Besuche bei meiner Mutter in ihrem Pflegeheim in Hannover und Familienurlaube. Genau wie mein Landsmann in Aarhus erfüllte ich alle anderen Voraussetzungen.
Nun kommen zwei deutliche Unterschiede: Mit meinen 954 Tagen „Aufenthaltsunterbrechungen“ lag ich weit über Hillebrands 743 Tagen. Dennoch erhielt ich 2021 ohne weiteres das grüne „Staatsbürgerschaftszertifikat“. Ich war ebenso überrascht, wie Eric Hillebrand es über seine Ablehnung war.
Dass eine derart völlig willkürliche Ungleichbehandlung bei der Staatsbürgerschaft kein Einzelfall ist, kann ich als Mitbegründer des Vereins Fair Statsborgerskab (Faire Staatsbürgerschaft) bezeugen. Mein Unglaube über den Wahnsinn der Regeln zu „Aufenthaltsunterbrechungen“ war einer der Auslöser, die mich zu der Vereinsinitiative bewegt haben.
In den Jahren danach habe ich im Kontakt mit vielen gestrandeten Antragstellern verstanden, dass die Ungleichbehandlung, die wir zwei Deutschen erlebt haben, nur die Spitze eines riesigen Eisbergs ist. Die grotesken Regeln treffen besonders und noch härter junge Menschen, die in Dänemark geboren und aufgewachsen sind, aber ausländische Eltern haben.
Seit 2021 gilt etwa: Wer nach dem 18. Geburtstag die dänische Staatsbürgerschaft beantragt, muss dreieinhalb Jahre Vollzeitbeschäftigung innerhalb der letzten vier Jahre nachweisen können. Diese Hürde gilt auch für Studierende der Universität Aarhus – also für Nachkommen von Einwanderern, die dänische Ausbildungen mit großem Fleiß und Erfolg absolviert haben.
Das Hindernis trifft zum Beispiel Medizinstudierende oder Studierende im Fachgebiet des Professors Hillebrand, der „Zeitreihenökonometrie“, deren Eltern aus Vietnam, Syrien, dem Libanon oder anderen Ländern stammen. Diese jungen Menschen, die sich für ein Studium anstelle von ungelernter Arbeit entschieden haben, können das Beschäftigungserfordernis unmöglich erfüllen, bevor sie 30 Jahre alt sind.
Die Regeln belohnen hingegen andere junge Menschen, die die Schule mit 16 verlassen, um in ungelernter Vollzeitbeschäftigung (über 30 Stunden pro Woche) zu arbeiten. Sie können die Anforderung nämlich erfüllen. Ist das klug in einer Wissensgesellschaft, die verzweifelt nach gut ausgebildeten Fachkräften ruft?
Zwar kann der Einbürgerungsausschuss des dänischen Parlaments von der Beschäftigungsanforderung Ausnahmen machen, doch auch hier erhalten viele Antragsteller eine Ablehnung. Außerdem überbieten sich derzeit die meisten Parteien in die entgegengesetzte Richtung: Wer kann im kommenden Wahlkampf die verrücktesten neuen Hürden vorschlagen? Nur die Fantasie setzt Grenzen
Jeg er et eksempel på grotesk vilkårlighed ved tildeling af dansk statsborgerskab

Læserbrev
Aarhus-professor besøger forældre i Bremen for ofte: Vi er ramt af vilkårlig forskelsbehandling
“Min vantro over galskaben i reglerne om “opholdsafbrydelser” var en af de ting, der satte mig i gang med initiativet til foreningen”, skriver Thomas Borchert.
26.10.25
Thomas Borchert, København S, dansk statsborger siden 2021 og journalist
Efter 13 år i Aarhus har den tyskfødte professor Eric Hillebrand fået at vide, at han ikke kan blive dansker foreløbig. I “Forskerforum” 26. september læste jeg Udlændinge- og Integrationsministeriets begrundelse for at afvise hans ansøgning om dansk statsborgerskab. Det affødte en mærkelig blanding af latter, deja-vu og oprørthed.
Professoren havde for ofte vendt Danmark ryggen. Han havde i ansøgningen, som krævet, opregnet alle sine udlandsrejser (videnskabskongresser, besøg hos forældrene i Bremen og ferie) gennem de sidste 12 år og var kommet op på 743 dage. Det betyder, at han ligger over den øvre grænse, der er fastsat til sammenlagt ét års “opholdsafbrydelser” gennem de seneste ni år.
I et moderne Danmark i en globaliseret verden er den regel til grin. Det siger sig selv. Medmindre man udtrykkeligt ønsker at forhindre højt kvalificerede medarbejdere i at slå sig permanent ned i vores kongerige og sætte børn i verden her. I “Forskerforum” forklarer Hillebrand selv: “Der står i jobbeskrivelsen, at det forventes, at man deltager i international udveksling. Jeg har kolleger, der jævnligt tager halve års forskningsophold. Så det hører med”.
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Mit deja-vu som tyskfødt gik til min egen ansøgning om dansk statsborgerskab, hvor jeg også skulle redegøre for alle udlandsophold gennem 12 år. Et bizart herkulesarbejde. Jeg kom op på 138 poster med mange arbejdsrelaterede rejser til de nordiske lande som udenrigskorrespondent, besøg hos min mor på hendes plejehjem i Hannover og familieferier. Præcis som min landsmand i Aarhus opfyldte jeg samtlige andre krav.
Nu kommer der to markante forskelle: Med mine 954 dages ”opholdsafbrydelser” havnede jeg langt over Hillebrands 743. Alligevel fik jeg i 2021 uden videre det grønne “statsborgerretsbevis” udleveret. Jeg var lige så overrasket, som Eric Hillebrand blev over sin afvisning.
At sådan en fuldstændig vilkårlig forskelsbehandling i forhold til statsborgerskab ikke er en enlig svale, kan jeg bevidne som medstifter af foreningen Fair Statsborgerskab. Min vantro over galskaben i reglerne om “opholdsafbrydelser” var en af de ting, der satte mig i gang med initiativet til foreningen.
I årene, der fulgte, har jeg i min kontakt med mange strandede ansøgere forstået, at den forskelsbehandling, som vi to fra Tyskland har oplevet, kun er toppen af et kæmpe isbjerg. De groteske regler rammer ikke mindst og meget hårdere unge mennesker, der er født og opvokset i Danmark med udenlandske forældre.
Fra og med 2021 siger de gældende regler, at de ved ansøgning om statsborgerskab efter det fyldte 18. år skal kunne dokumentere tre et halvt års fuldtidsbeskæftigelse i de forudgående fire år. Også for studerende ved Aarhus Universitet gælder denne forhindring for efterkommere af indvandrere, der har gennemført danske uddannelser med stor flid og succes.
Forhindringen rammer for eksempel den medicinstuderende eller studerende inden for Eric Hillebrands fagområde “tidsserieøkonometri”, hvis forældre var kommet til Danmark fra Vietnam, Syrien, Libanon eller andre steder. Disse unge mennesker, der har valgt at tage en uddannelse frem for ufaglært arbejde, kan umuligt opfylde kravet om tre et halvt års fuldtidsbeskæftigelse inden deres 30-års fødselsdag.
Reglerne belønner andre unge, der vælger at forlade skolen som 16-årige for at arbejde i ufaglærte jobs i mere end 30 timer om ugen. De kan nemlig godt leve op til beskæftigelseskravet. Er det smart i et videnssamfund, der skriger på veluddannet arbejdskraft?
Godt nok kan Folketingets indfødsretsudvalg dispensere fra beskæftigelseskravet, men mange ansøgere få også her afslag. De fleste partier opfører desuden aktuelt et kapløb i modsat retning: Hvem kan i den kommende valgkamp præsentere de vildeste idéer til nye forhindringer? Kun fantasien sætter grænser.