Month: July 2024

Norwegens Vermögenssteuer erzürnt die Milliardäre

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Norwegens Superreiche flüchten vor der Vermögenssteuer – die es schon seit dem 19. Jahrhundert gibt

19.07.2024

Von: Thomas Borchert

Aus Angst vor der Abgabe in Höhe von 1,1 Prozent ziehen viele Wohlhabende in die Schweiz. Doch es gibt auch Versuche, die Flüchtlinge zur Rückkehr nach Norwegen zu bewegen.

Wen würde das nicht rühren: Roger Hofseth, steinreich geworden mit Lachszucht in Norwegens Fjorden, ist in die ferne Schweiz gereist, um ebenfalls reiche Landsleute nach ihrer Flucht vor der heimischen Vermögenssteuer zur Rückkehr zu überreden. „Wir haben schon zu viel Schaffenskraft, Ideenreichtum und Risikowillen verloren. Das tut Norwegen nicht gut“, zitierte ihn die Luzerner Zeitung als Sprecher einer „Aktion für norwegischen Besitz“. Zu lesen war hier im Frühjahr auch Hofseths Versprechen an die zum etwas speziellen Flüchtlingstreffen erschienen 20 Interessenten, alles zu tun, damit die nächste Regierung in Oslo nach der Wahl 2025 die Vermögenssteuer abschafft: „Weil sie für Unternehmen und Gesellschaft zerstörend ist.“

Norwegen hat seit einem Jahrhundert eine Vermögenssteuer

Norwegens Finanzamt hat diese Steuer seit Ende des 19. Jahrhunderts eingetrieben, ohne dass das Land der Fjorde untergegangen ist. Als aber die jetzige Regierung des Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre vor zwei Jahren den Satz von 0,85 auf 1,1 Prozent des jeweiligen Nettovermögens anhob, setzte eine massive Fluchtbewegung Richtung Schweiz ein. 2022 war sie mit 479 Umzugsmeldungen nach Köpfen gerechnet überschaubar, aber nach dem aus Norwegen mitgenommenen Kapitalvermögen gewaltig: In der Schweizer Liste der 19 reichsten Steuerzahler:innen des folgenden Jahres standen fünf norwegische Namen als „Newcomer“.

Der bis dahin reichste norwegische Steuerzahler Kjell Inge Røkke nahm das 2022 auf vier Milliarden Euro geschätzte Vermögen aus dem heimischen Asker nach Lugano mit. Der Verlust seines Steuerobolus hat die Gemeindekasse so hart getroffen, dass eine (bürgerliche) Mehrheit im Stadtrat Røkke durch kompletten oder Teilverzicht auf den eigenen Anteil an der Vermögenssteuer sozusagen auf Knien zur Rückkehr bewegen möchte. 70 Prozent dieser Steuer gehen an die Kommunen, 30 Prozent an die Staatskasse in Oslo.

In Norwegen gibt es keine Erbschaftssteuer mehr

Der Wunsch dürfte ungehört bleiben. Er könne von der Schweiz aus seinen „philanthropischen Aktivitäten“ besser nachgehen, begründete der Duz-Freund von Altkanzler Gerhard Schröder den Umzug und schenkte seiner ersten Ehefrau zum Abschied aus Norwegen sieben Wohnungen. Der Geburtsstadt Molde mit 23.000 Einwohnerinnen und Einwohnern hatte er früher schon ein Fußballstadion mit 12.000 Plätzen spendiert. 2005 verbrachte er einen knappen Monat hinter Gittern wegen Beamtenbestechung.

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Noch schillernder, aber mit anderem Ausgang hat in Sachen Vermögenssteuer der 30-jährige Gustav Magnar Witzøe Schlagzeilen gemacht. Seine 130.000 Follower auf Instagram können ihn als wunderschönes Model bei der exklusiven New Yorker Met-Gala in einem in vier Monaten gefertigten Versace-Fantasiekostüm bewundern. Sein gigantisches Vermögen von 26,5 Milliarden norwegischen Kronen (3,6 Milliarden Euro) entstammt nicht der Arbeit als Model, sondern steuerlichen Überlegungen seines Lachs züchtenden Vaters Gustav Witzøe. Der hat ihn ganz einfach zu Lebzeiten schon beerbt, und das komplett steuerfrei, denn es gibt in Norwegen seit 2014 keine Erbschaftssteuer mehr. Der Sohn nahm das Erbe, machte als Model weiter und hatte Ende 2023 auch schon die Koffer für den Umzug gepackt, die Wohnung gekauft und den Flug nach Lugano gebucht.

Zum Weihnachtsfest überlegte er es sich anders, blieb vermögenssteuerpflichtig in Norwegen und startete auch noch seine philanthropische „W Initiative“. Der Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv erklärte der junge Witzøe seinen Sinneswandel im Pluralis Majestatis: „Wir fordern alle zum Geben auf, vor allem die, die viel haben.“ Der Vater sieht es ganz anders. Als einer von den gemeinhin „Lachsmilliardär“ genannten Profiteuren der seit Jahrzehnten unter höchst fragwürdigen Bedingungen boomenden Fischzucht donnert er öffentlich gegen das Steuersystem in seinem Land und droht mit Abwanderung.

Norwegen nimmt Milliarden aus der Vermögenssteuer ein

2023 hat die Vermögenssteuer 30,4 Milliarden Kronen (2,6 Milliarden Euro) eingebracht. Das sei die Hälfte der norwegischen Hilfsleistungen für die Ukraine und mehr als alle Kindergeldzahlungen vom Staat, illustriert die Analytikerin Hannah Gitmark im Online-Magazin Altinget ihre Überzeugung, dass die Steuer Sinn macht. Als nennenswerte Belastung treffe sie trotz der nominell niedrigen Bemessungsgrenze (fällig ab Nettovermögen von 1,7 Millionen Kronen/230.000 Euro) im Kern tatsächlich nur die ganz Reichen. Empirische Untersuchungen hätten keine Hinweise, erbracht, dass diese Steuer Investitionen verhindert oder Arbeitsplätze gekostet habe

Finnland hebelt das Asylrecht aus

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Frankfurter Rundschau - Deutschlandausgabe vom 13.07.2024, Seite 7 / Politik
„Grünes Licht für Gewalt und Pushbacks“
Finnland will von Russland geschickte Flüchtlinge ohne Prüfung abweisen – die Kritik ist groß
VON THOMAS BORCHERT

Mit großer Mehrheit hat Finnlands Parlament das Asylrecht außer Kraft gesetzt, wenn Antragsstellende über die Grenze mit Russland kommen. Sie können bis auf Weiteres ohne Einzelfallprüfung sofort zurückgeschickt werden. Der konservative Premier Petteri Orpo und seine rechtspopulistischen Partner von den „Wahren Finnen“ begründen den Bruch mit der global geltenden Flüchtlingskonvention sowie EU-Recht damit, dass die Moskauer Führung Asylsuchende zur Destabilisierung Finnlands an die Grenze schleuse. Dies sei „hybride Kriegführung“ wegen des Nato-Beitritts, auf die man antworten müsse, hieß es immer wieder von offizieller Seite in Helsinki.

Seit vergangenem Herbst sind nach offiziellen Angaben etwa 1300 Asylsuchende aus afrikanischen und arabischen Ländern über die 1340 Kilometer lange russische Grenze nach Finnland eingereist. Als erste Reaktion hat Orpos Regierung die Grenze Abschnitt für Abschnitt komplett geschlossen.

In der Debatte über die Aussetzung des Asylrechts räumte die Regierungsseite ein, dass sie sich über die Verletzung bindend vereinbarter Menschenrechte im Klaren sei. Zur Kritik, auch auf dem Hintergrund der alles in allem recht niedrigen Zahlen von Osten eingereister Asylsuchender, meinte Staatspräsident Alexander Stubb im TV-Sender YLE: „Wir müssen mit der Zeit gehen. Wenn Russland Migranten instrumentalisiert und sie als Waffe einsetzt, brauchen wir ein Werkzeug, um sie zu stoppen“. Das Gesetz sei nötig, denn der Kreml könne „innerhalb weniger Tage Tausende Migranten mobilisieren“.

Ähnliche Regeln zum Aushebeln des Asylrechts sind bereits in den ebenfalls an Russland grenzenden baltischen Ländern und in Polen in Kraft. Wie schon dabei kritisierte das UN-Flüchtlingswerk UNHCR auch das finnische Abweisungsgesetz als rechtswidrig. „Für Finnland ist dies eine totale Abwendung von der bisherigen Rolle als Verteidigerin der Menschenrechte“, sagte die nordeuropäische UNHCR-Sprecherin Annika Sandlund der Zeitung „Hufvudstadsbladet“. Amnesty International verurteilt die Neuregelung als „grünes Licht für Gewalt und Pushbacks an der Grenze“.

Weil mit dem „Abweisungsgesetz“ (in der Debatte oft als „Pushback-Gesetz“ bezeichnet) eine Verfassungsbestimmung geändert wird, und das auch noch im Eilverfahren, benötigte die Mitte-Rechts-Regierung eine Fünf-Sechstel-Mehrheit im Reichstag. Sie schaffte sie mit 167 gegen 31 Stimmen für die Eilbehandlung etwas klarer als erwartet. Der Linksverband und die Grünen stimmten geschlossen dagegen. Hinzu kamen sechs Gegenstimmen aus der sozialdemokratischen Opposition und eine aus der mitregierenden liberalen SFP. Der sozialdemokratische Vize-Parteichef Matias Mäkynen begründete sein Nein damit, dass „die gesamte EU-Zusammenarbeit zusammenbrechen wird, wenn sich jedes einzelne Mitgliedsland die Regeln nach eigenem Gutdünken zurechtbiegt“.

Li Andersson vom Linksverband nannte die Abstimmung „entscheidend dafür, ob wir ein Rechtsstaat sind oder nicht“. Andersson hatte als Spitzenkandidatin bei den Europawahlen im Juni eine fast sensationelle Verdoppelung der Stimmenzahl für ihre Partei mit 17,3 Prozent erzielt. Die seit einem Jahr mit den Konservativen und zwei kleineren Bürgerparteien regierenden Rechtsaußen der „Wahren Finnen“ wurden dagegen auf 7,6 Prozent halbiert. Das allerdings änderte nichts daran, dass laut Umfragen eine klare Mehrheit der finnischen Bevölkerung die jetzt beschlossene Direkt-Abweisung von Asylsuchenden aus Russland befürwortet.

Auch bei der juristischen und politischen Kritik wurde fast einhellig eingeräumt, dass die Regierung zu Recht von einer Moskauer Destabilisierungsstrategie ausgehe. Es gebe aber andere Möglichkeiten, darauf zu reagieren, etwa indem man Betroffene während der Prüfung ihrer Anträge nahe der Grenze kontrolliert unterbringe.