Die ganze Welt rüstet immer schneller auf

Sipri warnt vor weltweiter Militarisierung
23.04.2024
Von: Thomas Borchert
Das Stockholmer Friedensinstitut Sipri warnt vor einer Militarisierung der Politik auf allen Kontinenten.
Das Bild ist alarmierend: Weltweit nimmt die Militarisierung der Politik zu; das belegen die jüngsten Zahlen des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm. Für seine „Trends bei weltweiten Militärausgaben“ ermittelt Sipri, dass Ausgaben 2023 ausnahmslos auf allen Kontinenten gestiegen sind. Mit durchschnittlich 6,8 Prozent plus haben die Rüstungshaushalte einen nie zuvor von Sipri gemessenen Höchststand von 2,443 Billionen Dollar erreicht. Das entspricht 306 Dollar pro Mensch auf der Erde und 6,9 Prozent sämtlicher Staatsausgaben.
Wenig überraschend ragen mit hohen Steigerungsraten in den Sipri-Listen Staaten heraus, die an schon laufenden Kriegen beteiligt sind. So erhöhte Russland seine Militärausgaben 2023 um 24 Prozent auf 109 Milliarden Dollar und die Ukraine ihre um 51 Prozent auf 64,8 Milliarden Dollar. Werden Militärhilfen anderer Staaten über 35 Milliarden Dollar (davon 25,4 aus den USA) dazugerechnet, gibt die Ukraine fast genauso viel für militärische Zwecke aus wie der für den Krieg verantwortliche Kreml.
Für Israel verzeichnet Sipri unter Hinweis auf die „umfassende Offensive in Gaza als Antwort auf den Angriff der Hamas“ im letzten Oktober ein Plus bei den Militärausgaben um 24 Prozent auf 27,5 Milliarden. Israel zahlt seit dem Beginn des Krieges in Gaza monatlich 4,7 Milliarden Dollar gegenüber 1,8 Milliarden Dollar in den ersten neun Monaten für sein Militär. Im gesamten Nahen und Mittleren Osten sind die Rüstungsausgaben 2023 um neun Prozent und damit kräftiger als in den zehn voraufgegangenen Jahren gestiegen.
Nach wie vor unangefochten die Nummer eins auf der Welt sind die USA mit Gesamtausgaben von 916 Milliarden Dollar und damit 2,3 Prozent mehr als 2022. Laut Sipri ist das immer noch drei Mal so viel, wie Chinas Führung für die zweitstärkste Militärmacht der Welt mit 296 Milliarden Dollar vorhält. Aber der Abstand zwischen den beiden verringert sich: Seit drei Jahrzehnten treibt China seinen Militärhaushalt permanent nach oben, zuletzt zwischen 2014 und 2023 um 60 Prozent, in den beiden voraufgegangenen Dekaden jeweils um 150 Prozent.
Nato-Staaten: 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben
Die Nato-Staaten zusammen standen im vergangenen Jahr für 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Für Deutschland errechnete Sipri eine Steigerung 2023 um neun Prozent auf 66,8 Milliarden Dollar, was einem Anteil von 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach. Elf von 31 Nato-Staaten (in dieser Erhebung das letzte Mal ohne Schweden) erreichten das von der stärksten Militärallianz der Welt definierte Ziel, mindestens zwei Prozent des individuellen BIP für militärische Zwecke bereitzustellen. Polen steigerte seine Ausgaben um 75 Prozent und seit 2014 um 181 Prozent auf 31,6 Milliarden Dollar.
So wie dies als Antwort eines Nachbarn auf den russischen Krieg gegen die Ukraine verstanden wird, kennzeichnet Sipri die massive Aufrüstung der Staaten im Pazifikraum als Reaktion auf Chinas wachsenden Machtansprüchen. Japan legte 2023 um elf Prozent auf 50,2 Milliarden Dollar und Taiwan ebenfalls um elf Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar zu. Dieser gegenseitige Trend werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen, heißt es im Stockholmer Bericht.
Sipri-Projektleiter Nan Tian meint: „Der beispiellose Anstieg der Militärausgaben ist eine direkte Antwort auf die globale Entwertung von Frieden und Sicherheit.“ Er warnt vor den Folgen dieser Verschiebung der Wertvorstellungen: „Die Staaten riskieren damit eine Aktions- und Reaktionsspirale in einer zunehmend unsicheren geopolitischen Sicherheitslandschaft.“
Als „zunehmenden Trend“ für die Region Mittel- und Südamerika notiert das Stockholmer Institut massive Militärausgaben zur Lösung interner Konflikte. Die mexikanische Regierung gab 2023 11,8 Milliarden Dollar und damit 55 Prozent mehr für militärische Zwecke aus als 2014. Elf Prozent davon gingen an die ausschließlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität 2019 aufgebaute Nationalgarde. „Der Grund ist entweder die Unfähigkeit der Regierungen zur Lösung des Problems mit normalen Mitteln oder dass sie einfach schnelle gewaltsame Antworten bevorzugen,“ kommentiert Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva.
Der kritische „Weltrekord“ bei militärischen Ausgabensteigerungen im letzten Jahr geht nach Afrika: Sipri hat ein Plus von 105 Prozent auf 794 Millionen Dollar für die Demokratische Republik Kongo ermittelt, wo die Regierung Krieg gegen interne Gegner führt und die Spannungen mit dem Nachbarn Ruanda zunehmen. Der Südsudan folgt auf dem zweiten Platz mit 78 Prozent plus auf 1,1 Milliarden Dollar. Als Hintergrund benennt Sipri neben interner Gewalt auch Rückwirkungen des Bürgerkrieges im benachbarten Sudan. Dort sind 18 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht.