Month: March 2024

Optimismistisches aus Dänemark

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Demos für Demokratie, Fanproteste und die Inflationswende: Elf optimistische Botschaften zu Ostern

Stand: 29.03.2024, 16:24 Uhr

Von: Thomas Borchert, Gerd Braune, Stefan Brändle, Tatjana Coerschulte, Christine Dankbar, Pamela Dörhöfer, Michael Hesse, Stephan Kaufmann, Florian Leclerc, Jan Christian Müller

Samstag, 30. März 2024, Deutschland / Politik

Dänemark Muslima welcome

Kurz vor dem Osterfest hat sich Brian Mikkelsen, Chef des dänischen Gewerbeverbandes und politisch stramm rechts sozialisiert, mit einem überraschenden Lob zu Wort gemeldet: Der „Sturm“ von Zuwanderinnen aus „nicht-westlichen Ländern“ in Jobs aller Art sei eine herausragend positive Entwicklung für den heimischen Arbeitsmarkt.

Das schöne Prädikat „solstålehistorie“ – im weniger poetischen Deutschen „Sonnenscheingeschichte“ – vergibt Mikkelsen an die Frauen aus arabischen und nordafrikanischen (sprich: muslimischen) Ländern. Menschen aus dieser Region samt ihren Nachkommen werden in Dänemarks amtlichen Statistiken gesondert erfasst und tauchen darin in aller Regel als trostlose Beispiele für zwangsläufig scheiternde Integration qua Herkunft auf. Aber siehe da: Entzückt notiert Verbandschef Mikkelsen, dass sich die Beschäftigtenzahl bei einem Plus um 17 Prozent insgesamt im Königreich für die „nicht-westlichen“ Frauen seit 2015 um satte 105 Prozent mehr als verdoppelt hat. Besonders profitieren davon die händeringend nach Arbeitskraft suchenden Branchen Gesundheit und Pflegedienste.

Klar, hier wie auch bei Hotels und Restaurants steigen diese Zuwanderinnen überwiegend in niedriger qualifizierte Jobs ein. Ihre Beschäftigungsquote insgesamt ist auch weiterhin viel zu gering. Aber die junge Generation schmückt schon seit längerem die Statistik zu Bildung und Ausbildung mit immer mehr Rekorden. Der Anteil von Zuwanderinnen mit Abi samt Berufsausbildung ist 2022 von 50 auf 65 Prozent gestiegen. 2023 ermittelte das Analyse-Institut Kraka, dass Kinder aus „nicht-westlichen“ Familien an Gesamtschulen ihren notorisch schlechteren Zensurenschnitt gegenüber ethnisch dänischen Vergleichsgruppen in einen Vorsprung umgewandelt haben. Daran waren sogar die Jungs beteiligt. Thomas Borchert

Greta Thunberg weist deutsche Kritik an Gaza-Solidarität hart zurück

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Greta Thunberg verteidigt Gaza-Haltung gegen deutsche Kritik: „Israel begeht einen Völkermord“

Stand: 29.03.2024

Von: Thomas Borchert

Schwedens Klima-Aktivistin reagiert in einem TV-Interview auf Ricarda Lang und Carla Reemtsma; sie bleibt bei ihren radikalen Vorwürfen gegen Israel.

Stockholm – Greta Thunberg hat Kritik von Fridays for Future Deutschland und von Bündnis 90/Grüne wegen „Einseitigkeit“ ihrer Kommentare zum Krieg in Gaza rundheraus zurückgewiesen. „Es geht darum, dass Israel Hunger als Waffe anwendet und dass Israel einen Völkermord begeht,“ wiederholte sie in einem TV-Interview vor dem Osterwochenende. Und: „Wofür steht eine Bewegung für Klimagerechtigkeit, die sich nicht distanzieren kann, wenn ein Völkermord begangen wird und Zehntausende Menschen sterben?“

Thunberg reagierte auf Einspieler mit Distanzierungen der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und von der deutschen Klimaschutzaktivistin Carla Reemtsma für Fridays for Future Deutschland mit einem vielleicht milden, vielleicht sarkastischen oder einfach nur unsicheren Lächeln, aber zumeist mit unbewegter Miene. Reemtsma: „Greta Thunberg verletzt mit ihren Aussagen gerade ganz, ganz viele Menschen, weil jüdisches Leid nicht sichtbar gemacht wird in dem, was sie sagt.“ Von Lang kam der Vorwurf, Thunberg „missbrauche“ das „richtige Anliegen Klimaschutz für eine einseitige Position zum Israel-Palästina-Konflikt“.

Greta Thunberg will für „für grundlegende Menschenrechte“ kämpfen

Dazu sagte die weltbekannte Schwedin: „Zunächst mal waren wir vom ersten Tag an klar darin, dass es natürlich um alle betroffenen Menschen der Zivilbevölkerung geht. Aber auch, dass wir uns gegen alle Formen von Diskriminierung inklusive Islamophobie und Antisemitismus stellen.“ Nur gehe es in diesem Fall nicht darum, sondern um Hunger als Waffe und einen Völkermord durch Israel. Auf die Frage, ob folglich der deutsche Teil der von Thunberg initiierten Fridays for Future und die Grünen als Berliner Regierungspartei „falsch liegen“, antwortete Thunberg: „Ich meine nicht, dass es der Bewegung für Klimagerechtigkeit schaden kann, für grundlegende Menschenrechte aufzustehen.“

Greta Thunberg wegen Blockade im Fokus

Auslöser und eigentliches Hauptthema des Interviews war Thunbergs Mitwirkung an einer gesetzeswidrigen Blockade des Haupteingangs vor dem Reichstag in Stockholm. Dies hatte in der schwedischen Öffentlichkeit wesentlich größere Aufmerksamkeit ausgelöst als ihre Gaza-Solidarität mit Posts und Demo-Auftritten. Auch in Schweden greifen Klimagruppen zunehmend zu militanteren Aktionsformen wie Straßenblockaden oder einer Blockade des alljährlichen Wasa-Skilanglaufs mit Zehntausenden auf der Loipe. Darüber wird heftig gestritten.

Hintergrund ist die Klimapolitik der derzeitigen rechten schwedischen Regierung, die nach den Wahlen 2022 mit den Versprechen billigeren Benzins, des Stopps von Windkraft-Projekten und des massiven Ausbaus der Atomkraft an die Macht gekommen war. Diese Woche erst erklärte der „Klimapolitische Rat“ als staatlich bestelltes Expertengremium in seinem Jahresgutachten, dass mit der jetzt geführten Klimapolitik in Schweden die CO2-Emissionen weiter steigen und Verantwortung „in die nächste Mandatsperiode verschoben wird“. Unter keinen Umständen seien so die nationalen wie die EU-Klimaziele zu erreichen.

Greta Thunberg klagt: „Keiner hört auf uns, egal was wir tun“

Thunberg verteidigte im Interview auf Sveriges Television militante Aktionsformen als legitim, wenn „die Politik ihre Macht zur Aufrechterhaltung dieses destruktiven Systems anwendet“, wie sie sagt. Die Klimabewegung habe seit vielen Jahren alle nur erdenklichen Aktionen unternommen. Aber: „Für uns junge Menschen ist ausgesprochen frustrierend, dass all dies geschieht und wir nichts machen können. Denn keiner hört auf uns, egal was wir tun.“

Daheim war Thunberg nach ihren zunächst einsamen freitäglichen Schulstreiks zu nationaler Popularität gelangt. Dass sie dann vom Papst über Angela Merkel bis Barack Obama für schöne Fotos und Klimaschutz-Appelle hofiert wurde, brachte ihr in Schweden Kultstatus ein auf einer Stufe mit Ingmar Bergman, Abba und dem Königspaar. Der bröckelt nun im Kielwasser des Klima-Rollbacks von rechts. (Thomas Borchert)

Wehrpflicht für Frauen in Dänemark

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Dänemark: Regierung kündigt Wehrpflicht für Frauen an

Dänemark führt die Wehrpflicht auch für Frauen ein und weitet die Dauer für alle von bisher vier auf elf Monate aus. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat diese Veränderungen zusammen mit weiteren massiven Aufrüstungsbeschlüssen ihrer Regierung verkündet. So sollen im vergangenen Jahr beschlossene Zusatzausgaben für das Militär noch mal um 40,5 Milliarden Kronen (5,4 Milliarden Euro) bis 2028 angehoben werden. Das skandinavische Land soll jetzt schon in diesem Jahr 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung erreichen. 2023 hatte die Regierung zwei Prozent bei Gesamtausgaben von 155 Milliarden angepeilt.

Die sozialdemokratische Regierungschefin sagte zur Begründung: „Jetzt geht es um Waffen und Aufrüstung. Nicht, um weit weg von uns selbst die Demokratie aufzubauen, sondern um unsere eigene Demokratie auf unserem eigenen Kontinent zu verteidigen.“ Eine Anspielung auf die Beteiligung ihres Landes am katastrophal verlorenen Krieg in Afghanistan. Frederiksen hat seit ihrem Antritt 2019 die vor allem von Ex-Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen als dänischem Regierungschef betriebene Politik fortgesetzt und ihr Land als militärisch besonders eifriges Nato-Mitglied sowie als US-Verbündeten profiliert.

Dazu gehörten in den letzten Monaten immer wieder auch Ankündigungen in düsterer Tonlage etwa zur Bewahrung des hohen Lebensstandards in Dänemark: Dass es nun „nicht mehr um Wohlfahrt, sondern um Sicherheit“ gehe, dass „Freiheit ihren Preis hat“ und dass „man Kriege nicht mit Worten gewinnt“. Zur jetzt verkündeten massiven Steigerung der Militärausgaben sagte Frederiksen: „Ich glaube, es wird weiter Bedarf an noch mehr Investitionen in Verteidigung und Sicherheit geben.“ Kompromisslos tritt sie auch für wesentlich mehr Militärhilfe an die Ukraine ein.

Stimmen aus der Opposition vermuten, dass die 46- Jährige sich für einen internationalen Top-Posten in Stellung bringen will. In Kopenhagen gilt als ausgemacht, dass Frederiksen gern die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg übernehmen würde. Seit klar war, dass sie vor allem gegen den niederländischen Noch-Premier Mark Rutte wohl keine Chancen hat, soll sie ihr Augenmerk auf die Neubesetzung der Brüsseler Ratspräsidentschaft nach der Europawahl im Juni gerichtet haben. Frederiksen widerspricht dem nur in moderater Form. Von der dänischen Öffentlichkeit werden die Aufrüstungspläne ganz überwiegend zustimmend aufgenommen.

Das gilt auch für die Einführung der Frauen-Wehrpflicht bei annähernder Verdreifachung der Dauer, von der offenbar niemand so richtig grundlegende Veränderungen erwartet. Bisher galt sie auch für die Männer Grunde nur auf dem Papier, weil die Armee in der Regel genügend Freiwillige unter den Wehrpflichtigen finden konnte. Dass deren Anteil nun von 4700 auf 5000 unter Dänemarks Soldaten (und den Berufssoldatinnen) ansteigen soll, klingt nicht unbedingt nach einer revolutionären Umwälzung. In ersten Reaktionen wird vor allem die Finanzierung durch Staatsverschuldung und die konkrete Umsetzung all der gewaltigen Beschaffungspläne für das Militär infrage gestellt. Es hat als „kaputtgesparte“ und durch Inkompetenz und Nepotismus an der Spitze schwer geplagte Einrichtung einen miserablen Ruf. Kommentar Seite 11

Dänemark: Wehrpflicht ohne Protest

15.03.2023

Von: Thomas Borchert

In Dänemark militarisieren sich Politik und Diskurs. Die neue Wehrpflicht für Frauen ist ein Baustein – und ein Zeichen für die Ambitionen der Premierministerin Frederiksen. Der Kommentar.

Wehrpflicht für Frauen gibt es in acht Staaten der Welt, darunter Nordkorea, Israel und Eritrea. Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen verweist bei ihrer Initiative dafür lieber auf Norwegen und Schweden, wo Frauen längst eingezogen werden können und niemand das grundsätzlich in Frage stellt.

Wer für die Wehrpflicht ist, kann gerade im feministisch meistens vorneweg eilenden Skandinavien nur schwer Argumente gegen Gleichstellung bei Einberufungen argumentieren. Hinzu kommt im Königreich Dänemark, dass die Wehrpflicht meistens ein Papiertiger auch für Männer gewesen ist, weil die Armee ihren Bedarf überwiegend aus Freiwilligen gedeckt hat. Auch deshalb fällt der Widerspruch gegen die Frauen-Wehrpflicht hier markant schwächer aus, als das etwa bei einem Anlauf aus Berlin zu erwarten wäre.

Frederiksens Initiative ist einer von vielen Bausteinen bei der Militarisierung von Politik und Diskurs. Dass die Sozialdemokratin ihre Rhetorik dafür wohl auch zur eigenen Profilierung für einen Top-Posten in Brüssel gezielt schärft, hinterlässt einen schalen Geschmack.

Sipri: Rüstung geht weltweit steil nach oben

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Rüstungskäufe legen weltweit zu: Wer am meisten profitiert

11.03.2024

Von: Thomas Borchert

Laut dem Stockholmer Sipri-Institut profitieren die USA am meisten im weltweiten Waffenhandel. Russlands Exporte sind auch wegen mangelnder Qualität rückläufig.

Stockholm – Neue Rüstungsrekorde mit immer steileren Kurven nach oben bringen die Erhebungen des Stockholmer Friedensforschungsinsituts Sipri. So haben die Staaten in Europa ihre Importe von 2019 bis 2023 gegenüber den voraufgegangenen fünf Jahren mit plus 94 Prozent fast verdoppelt. Den mit Abstand größten Anteil an den Importen hatte dabei die Ukraine. Bei der voraufgegangenen Erhebung hatte Sipri für Europa schon eine Steigerung um 20 Prozent ermittelt. Mit den neuen Zahlen lag der Kontinent immer noch weit unter den Rüstungseinfuhren in anderen Regionen der Welt wie Asien, Nahost und den Pazifik-Ländern.

Eindeutig am kräftigsten profitiert von diesem Megatrend die Rüstungsindustrie der USA. Sie konnte die Exporte seit 2019 um 17 Prozent steigern und hat ihren Weltmarktanteil als Waffenlieferant von 32 auf 42 Prozent gesteigert. Ebenfalls stark ins Auge fallen bei den Sipri-Zahlen die Exporterfolge der französischen Rüstungsindustrie mit einem Zuwachs um 47 Prozent. Damit hat Frankreich erstmals den seit Jahrzehnten von Russland gehaltenen zweiten Platz auf der Weltrangliste mit einem Weltmarktanteil von elf Prozent mit hauchdünnem Abstand übernommen. Der russische Anteil hat sich gegenüber 2014 bis 2018 bei 21 Prozent knapp halbiert.

Deutsche Rüstungsverkäufe leicht gesunken

Leicht gesunken ist der deutsche Weltmarktanteil von 6,3 auf 5,6 Prozent. Zum Rückgang der deutschen Rüstungsexporte 2019 bis 2023 um 14 Prozent sagte der zuständige Sipri-Experte Pieter Wezeman der Frankfurter Rundschau: „Man muss bedenken, dass der nach einem vorher kräftigen Wachstum entstanden ist.“ Nicht berücksichtigt seien in den Zahlen der Sipri-Forscherinnen und -Forscher auch die sehr erheblichen deutschen Munitions-Lieferungen in die Ukraine, da man nur größere Waffensysteme erhebe.

Wezeman bezifferte den Anteil der Ukraine an sämtlichen europäischen Einfuhren solcher Systeme mit 23 Prozent. Er sagte weiter: „Das zeigt, wie wichtig das Land hier ist, aber auch, wie substanziell im restlichen Europa aufgerüstet worden ist.“ Vor allem in den letzten beiden Jahren hätten „praktisch alle europäischen Staaten viele zusätzliche Waffensysteme oft auch bei ausländischen Produzenten bestellt“.

Russlands Handelspartner für Rüstungsindustrie wenden sich ab – zu geringe Qualität?

Die russischen Ausfuhren gingen im letzten Fünfjahres-Zeitraum um 53 Prozent zurück. Zu den Gründen dafür meint Wezeman: „Vor allem Indien wendet sich anderen Versorgern zu. Seit Jahrzehnten war das Land der wichtigste Abnehmer russischer Rüstung und ist nach wie vor weltweit größter Rüstungsimporteur.“ Jetzt blicke man neben mehr Eigenproduktion nach Frankreich, Israel und den USA. Auf die Frage nach politischen, technischen oder wirtschaftlichen Gründen sagte Wezeman: „Es ist eine Kombination.“

Neben Enttäuschung über geringere technische Qualität russischer Produkte gehe es Indien „auch um die USA als Sicherheitspartner“ bei den eigenen Konflikten mit China. Insgesamt fiel die Zahl der Abnehmerländer für russische Rüstung von 31 im Jahr 2019 auf zuletzt zwölf. Vermutlich auch als Folge des eigenen Angriffskrieges gegen die Ukraine sank der Rüstungsexport allein von 2022 auf 2023 um die Hälfte.

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China bleibt als Rüstungsexporteur mit einem Weltmarktanteil von 5,8 Prozent und einem Rückgang in den letzten fünf Jahren um 5,3 Prozent nach wie vor auch weit hinter Russland zurück. Die zunehmenden Spannungen in Asien mit Blick auf China und Nordkorea haben in Japan zur Steigerung der Militäreinfuhren um 155 Prozent geführt. Im Pazifik-Raum (Ozeanien) hat Australien ebenfalls als Reaktion auf Pekings Politik 2023 allein sechs Atom-U-Boote in Großbritannien und den USA bestellt.

USA bleiben bei Rüstungsexperten weiterhin an der Spitze

Asien und Ozeanien zusammen sind die Region mit dem höchsten Anteil an Rüstungsimporten, 37 Prozent, gefolgt vom Nahen Osten mit 30 Prozent und Europa mit 21 Prozent. Umgekehrt standen die USA und Westeuropa 2019 bis 2023 für 72 Prozent aller Rüstungsexporte und konnten ihren Weltmarktanteil damit um zehn Prozentpunkte steigern.

Nichts mehr wie zuvor – ein außenpolitischer Rückblick

Eine zentrale Rolle spielte dabei die weltweite Nachfrage nach neuen Kampfflugzeugen. Die USA verkauften insgesamt 420, davon 249 der hypermodernen F-35, die ein Viertel der Rüstungsexporte ausmachten. Wie krass der Aufrüstungswille sich weltweit ausbreitet, zeigt eine Tabelle der Auftragsbücher im neuen Sipri-Bericht: Danach sind in den USA derzeit 1071 neue Kampfflugzeuge bestellt. Frankreich hat laut dem Stockholmer Institut mit 223 georderten Kampfflugzeugen vom Typ Rafale ebenfalls einen „relativ hohen Auftragsbestand“. Aus China seien 94 und aus Russland 78 Kampfjets geordert worden.

Dänemarks Regiering will assistierten Selbstmord legalisieen

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Heftige Diskussion über Sterbehilfe in Dänemark

  1. März 2024

Von Thomas Borchert

In Dänemark, wo bislang auch der in Deutschland erlaubte „assistierte Suizid“ verboten ist, nimmt eine Debatte über Sterbehilfe Fahrt auf – ausgelöst vom Fall eines prominenten Paares.

In Dänemark ist verboten, was man dort aktive Sterbehilfe nennt und hierzulande auch assistierten Suizid, der unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Dass sie für die Legalisierung in ihrem Land eintritt, hatte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen beim sommerlichen „Volkstreffen“ auf der Insel Bornholm verkündet und damit einen mittleren Orkan ausgelöst. Die 46-Jährige nahm auf der Rednertribüne vor der glitzernden Ostsee-Kulisse ein bisschen Anlauf: Sie wisse schon, dass das eine „ganz schwere Debatte“ sei. Um sich dann ohne Wenn und Aber für die Freigabe von Sterbehilfe auszusprechen. Umfragen bringen stets klare Mehrheiten dafür.

„Viel deutet darauf hin, dass es vielen von euch genauso geht,“ ruft sie denn auch ins Publikum, das mit atemloser Stille reagiert. Ihr Outing macht die Sterbehilfe im Land der „Hygge“ mit dem glücklichsten Volk der Welt zum Topthema. „Sie hat die Büchse der Pandora geöffnet“, kommentiert TV2. Frederiksen kündigt eine staatliche „Kommission für einen würdigeren Tod“ an. Sie erzählt von ihrer früh gestorbenen Mutter nach mehreren Jahren mit Krebs: „Wenn ich so viel Rückfälle über so viele Jahre gehabt hätte, hätte ich mir bestimmt einen anderen und friedvolleren Abschied gewünscht.“ Ob die Mutter sich auch aktive Sterbehilfe gewünscht hat, bleibt ungenannt.

Dass er auch Prostatakrebs hat, wird nur am Rande erwähnt

Im Herbst meldet sich als Kronzeuge in Echtzeit der Filmproduzent Ebbe Preisler, 81, mit seiner Ehefrau Mariann Preisler, 80, zu Wort. „Wir wollen sehr gerne sterben“ ist ihr Essay in Dänemarks größter Zeitung „Politiken“ überschrieben. Nur der Ehemann kann ihn verfasst haben, weil die Kunsthandwerkerin Mariann nach 26 Jahren mit Parkinson auch dement ist und kaum noch sprechen kann. Die Schmerzen seien nunmehr unerträglich, was alles zusammen Marianns Wunsch nach dem möglichst schnellen Ende des Lebens unabweisbar macht, liest man in dem langen Text. Ebbe Preisler begründet seinen Drang zum gemeinsamen Tod anders: „Mein Problem ist, dass es mir an Lebenslust fehlt.“ Ihn plage „Unbehagen darüber, was der Mensch dem Menschen antut, und dem Planeten sowieso“, er habe das „ehrlich gesagt satt“.

Dass er auch Prostatakrebs hat, wird nur am Rande erwähnt. Einfach gemeinsam Suizid zu begehen, sei leider nicht möglich, weil „die Kinder und Enkel das nicht akzeptieren würden“. Und: „Die Gesellschaft huldigt einem Dogma, wonach alle so lange wie möglich leben müssen, ob sie nun Lust dazu haben oder nicht.“

Im Herbst auch veröffentlicht der Ethikrat, ein Moral-Wegweiser für das Parlament und staatliche Stellen mit hoher Autorität, seine fast einstimmige Stellungnahme gegen jede Form aktiver Sterbehilfe. Er begründet das unter anderem damit, dass „selbst Menschen nach lang anhaltendem Todeswunsch Stunden mit Ambivalenz und Zweifel erleben“. Und: „Das Einzige, was das Leben von und die Achtung vor denen schützt, die in der Gesellschaft am verletzlichsten sind, ist ein ausnahmsloses Verbot (aktiver Sterbehilfe).“

Der Ehemann hat der Schlafenden eine tödliche Dosis Morphin injiziert

Als Stimme für die „Verletzlichsten“ sprechen sich sämtliche Organisationen von Menschen mit Handicaps gegen die Zulassung aus. „Es ist zweifellos billiger, uns einen würdigeren Tod anzubieten als ein würdigeres Leben,“ schreibt die körperlich schwerbehinderte Ditte Guldbrand Christensen von der Gruppe „Noch nicht tot“.

Zu Weihnachten tot ist Mariann Preisler. Der Ehemann hat der Schlafenden am zweiten Feiertag um 22 Uhr in ihrem Kopenhagener „Pflegeheim Königin Anne-Marie“ eine tödliche Dosis Morphin injiziert. In der Nacht schluckt er in seiner Wohnung das gleiche Präparat und schickt 51 Mails an die Kinder, andere Angehörige und den Freundeskreis: Er habe seine Frau erlöst und beende nun sein Leben auf dieselbe Art.

Für das Gelingen von Letzterem hätte er besser keine Abschiedsbotschaften verschickt. Tochter Louise liest die Mail nachts um 2.30 Uhr und eilt sofort zur Mutter, die schon tot ist. Sie radelt weiter in die Wohnung des Vaters, wohin auch der Rettungsdienst kommt und dem Bewusstlosen ein Gegengift verabreicht.

Die Staatsanwaltschaft beantragt Untersuchungshaft gegen Ebbe Preisler wegen Verdachts auf Totschlag: „Man kann Mitgefühl haben mit dem Vorgehen des Verdächtigen, aber es ist nach dänischem Recht nun mal verboten.“ Es sei auch nicht von dem milderen Verdacht einer „Mitleidstötung“ auszugehen, weil Mariann Preisler gar nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen solchen Wunsch zum Ausdruck zu bringen.

Gegen Preisler, noch im Koma in einem Krankenhausbett, werden in Abwesenheit zwei Wochen Untersuchungshaft verhängt. Beide Kinder und der Bruder stellen sich ohne Zögern und voller Wärme öffentlich hinter seine Handlungsweise. Sohn Jonas sagt einer Reporterin: „Vor allem soll klarwerden, dass das hier kein Totschlag war. Das war eine Liebeserklärung.“

Zu Silvester ist Ebbe Preisler wieder so weit hergestellt, dass er beim zweiten Hafttermin den Hergang erklären kann: „Ich hab Mariann gefragt, ob es heute passieren soll, dass wir beide sterben. Sie nickte und sagte ja.“ Auch hier: Er habe sie „von ihren Leiden erlöst“. Aber Preisler muss für weitere elf Tage ins Vestre-Gefängnis, jeweils 23 der 24 Stunden in Isolationshaft.

Freigelassen wird er anderthalb Stunden vor der Beisetzung seiner Ehefrau. Die Berufungsinstanz sieht den Verdacht auf Totschlag nach wie vor als gegeben an, aber wegen der klaren Sachlage keinen Grund zu Haft. Zwei Kripo-Beamte fahren Preisler zur Trauerfeier in der Lindevang-Kirche, wo er und Mariann sich drei Jahre zuvor an ihrem 50. Hochzeitstag noch einmal das Ja-Wort gegeben hatten. Sie wollten ihre gegenseitige Liebe bekräftigen. Bei der Ankunft zur Beisetzung wird der überlebende Teil des Paares mit herzlichem Applaus empfangen.

„Es ist vollkommen fantastisch, wieder neu geboren zu sein“, sagt er jetzt

Nach dem Verlassen der Kirche steht er den Medien Rede und Antwort. Sein Wunsch zu sterben sei nunmehr Vergangenheit: „Es ist vollkommen fantastisch, wieder neu geboren zu sein.“ Fortan will er sich für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe genauso aktiv einsetzen wie für bessere Haftbedingungen im Vestre-Gefängnis. Die seien unzumutbar gewesen. Zwei Wochen später ist seine flammende Anklageschrift genau da zu lesen, wo Preisler ein paar Monate vorher den gemeinsamen Todeswunsch mit Mariann erklärt hatte.

Seine Grundhaltung ist jetzt radikal anders: „Ich will weiterleben und mit allen Kräften einen Sinn in diesem Dasein finden. Ich habe ja auch große Freude am Schreiben.“ Die ganzseitige Reportage von der Trauerfeier in „Politiken“ schließt mit dem Satz: „Danach hakte sich die Schwiegertochter bei Ebbe Preisler ein und führte ihn Richtung Leichenschmaus und Wärme.“ Das Dänische bietet für das wärmende Beisammensein nach einer Beisetzung mit „gravøl“ („Grabesbier“) einen milderen Ausdruck als die deutsche Entsprechung.

Auf Preisler kann ein Urteil wegen Totschlags mit bis zu fünf Jahren Haft zukommen

Beim nun bevorstehenden Gerichtsverfahren kommt auf Preisler entweder ein Urteil wegen Totschlags mit bis zu fünf Jahren Haft oder nach dem Paragraf über „Mitleidstötungen“ eine milde Strafe zu. Für die Initiative von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe hat der Fall enorm zusätzliche Zustimmung gebracht. In sozialen und traditionellen Medien hagelt es Fallschilderungen von qualvoll durchlittenen letzten Lebensphasen von Menschen mit Todeswunsch, den die Ärzteschaft nicht erfüllen darf. Die Mehrheit im Parlament ist der Ministerpräsidentin sicher.

Frederiksen kommentiert im Interview: „Ich kann überhaupt kein ethisches Problem darin sehen, dass ein Mensch unter bestimmten Umständen sagt, ich hab jetzt einfach keine Lust mehr, hier zu sein.“ Dänemarks Ärzteverband sieht schon ein Problem: „Aktive Sterbehilfe ist eine Rutschbahn. Was erst gerichtet ist auf mündig sterbende Patienten mit physischen Schmerzen, weitet sich dann aus auf Personen mit ernsten Behinderungen, auf Kinder und Menschen mit psychischen Schmerzen.“

Auch Ebbe Preisler sieht das inzwischen nicht mehr ganz so eindeutig. In seinem vorerst aktuellsten Zeitungsbeitrag schreibt er: „Bei Teilen der sogenannten aktiven Sterbehilfe habe ich genauso starke Bedenken wie andere auch. Aber ich versuche, mir dazu Gedanken zu machen, und die will ich im Lauf der Zeit mit der Öffentlichkeit teilen.“

Was erlaubt ist

In Deutschland sind passive und indirekte Sterbehilfe sowie assistierter Suizid erlaubt. Den Weg frei gemacht hat das Bundesverfassungsgericht 2020 mit seinem Urteil, wonach jeder Mensch selbstbestimmt über den eigenen Tod entscheiden kann. Als legal stuft das Gericht auch die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid ein. Verboten ist weiter die „Tötung auf Verlangen“ durch eine andere Person. Es gibt auch keinen Rechtsanspruch auf Medizin zur Selbsttötung.

Im Klartext bedeutet dies, dass Ärzte und Ärztinnen Menschen mit Sterbewunsch unter bestimmten Voraussetzungen ein tödlich wirkendes Präparat in die Hand geben oder eine Infusion legen können. Die Medikamente einnehmen oder die Infusion öffnen dürfen nur die Betroffenen selbst.

Seit dem Karlsruher Urteil können sich Volljährige mit ihrem Sterbewunsch an drei private Organisationen wenden, die Sterbebegleitung gegen Bezahlung anbieten. Sie lassen zunächst klären, ob der Todeswunsch in mündiger Weise, aus freiem Willen getroffen und klar begründet sowie nachhaltig ist. Am Ende stellen sie einen persönlich anwesenden Arzt oder eine Ärztin mit der für die Selbsttötung benötigten Medizin.

In Dänemark ist dieser assistierte Suizid, dort als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet, verboten. Erlaubt ist lediglich, was auch in Deutschland als passive oder indirekte Sterbehilfe eingestuft wird und in Krankenhäusern und Hospizen als Palliativmedizin zum Alltag gehört: Die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen und/oder Erhöhung einer Medikamentendosis, die den Sterbeprozess beschleunigen kann.

In den Niederlanden , Belgien und Luxemburg können auch Kinder – mit Zustimmung der Eltern – sowie psychisch Kranke Sterbehilfe in Anspruch nehmen. tob