Month: September 2023

Alternativer Nobelpreis an SOS Mediterranee

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Frankfurter Rundschau – Deutschlandausgabe vom 29.09.2023

Für den Mut hinzusehen

Auszeichnungen für SOS Meditéranée, Umweltaktive aus Kambodscha und Kenia sowie eine Feministin aus Ghana /

Von Thomas Borchert

Als hätte die Jury für die AlternativenNobelpreise eine Liste zu besonders beängstigenden Megatrends zusammengestellt und wie man sich davon nicht lähmen lässt: Die Stockholmer Stiftung Right Livelihood Award zeichnet in diesem Jahr den erfolgreichen Einsatz von Menschen und Organisationen gegen die stetig brutalere Abwehr von Flüchtenden, für die Verteidigung von Frauenrechten und gegen die Zerstörung der Umwelt aus. Für ihre “lebensrettenden humanitären Search and Rescue-Einsätze im Mittelmeer” wird “SOS Méditerranée” ausgezeichnet. Die Organisation betreibt derzeit das Schiff “Ocean Viking” zur Rettung schiffbrüchiger Menschen im Mittelmeer, der, so Right Livelihood, “tödlichsten Migrationsroute der Welt”. Seit 2016 hat “SOS Méditerranée” hier nach eigenen Angaben 38 500 Menschen in Sicherheit gebracht. Die Organisation (mit Sitz in Berlin, Marseille, Mailand und Genf) versteht ihre Aktivitäten auch als Kritik an der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, weil diese ihrer nach internationalem Seerecht zwingenden Verpflichtung zur Rettung Schiffbrüchiger nicht nachkämen. Ole von Uexküll, Direktor der Livelihood-Stiftung, erinnerte bei der Bekanntgabe der Auszeichnungen daran, dass die EU 2012 den Friedennobelpreis erhalten habe. Er kritisierte: “Ihr Versagen im Mittelmeer ist empörend. Allein in diesem Jahr sind schon mehr als 1800 Todesfälle mit ertrunkenen Migranten gemeldet”. Die AlternativenNobelpreise (offizieller Name: Right Livelihood Award) werden seit 1980 vergeben und gehen auf eine Stiftung des deutschen Philatelisten Jakob von Uexküll, einem Onkel des heutigen Direktors, zurück. Er begründete seine Initiative damals auch mit Kritik an den in Oslo vergebenen Friedensnobelpreisen als zu stark an einer konservativ westlichen Perspektive orientiert. Zur internationalen Jury gehören aus Deutschland die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der Politikwissenschaftler Reinhard Loske. In diesem Jahr gehört auch die Organisation “Mother Nature” in Kambodscha zu den Preisträger:innen, weil ihre jungen Aktivist:innen sich von Unterdrückung und Verfolgung durch das autoritäre Regime in ihrem Land nicht einschüchtern lassen. Sie mobilisierten seit 2012 gegen die Zerstörung der Umwelt etwa durch von China finanzierte Riesen-Staudämme, die Jagd westlicher Minenkonzerne nach Bodenschätzen und den Diebstahl gigantischer Mengen Sand von der Küste Kambodschas für Bautätigkeit in Singapur, erklärte von Uexküll. “All das geschieht mit dem Segen eines undemokratischen und korrupten Regimes.” So solle der Preis für das “agile junge Team” von “Mother Nature” auch die Verknüpfung zwischen Kampf für die Erhaltung der Umwelt und für die Verteidigung der Demokratie zeigen. Aus Ghana erhält die Ärztin Eunice Brookman-Amissah einen Preis für ihren jahrzehntelangen Einsatz für sichere Schwangerschaftsabbrüche in Afrika. Die 1945 geborene Frauenrechtlerin hat nach den Stiftungsangaben in zahlreichen Ländern Afrikas “unermüdlich” Gespräche über reproduktive Gesundheit zwischen Politik, dem Gesundheitswesen, Jurist:innen und betroffenen Frauen in Gang gebracht. Damit habe sie entscheidend zu Reformen der Abtreibungsgesetze oder deren Einführung in zehn Staaten südlich der Sahara beigetragen. In keiner anderen Region der Welt werden so viele unsichere und damit gesundheits- und lebensgefährdend Abtreibungen vorgenommen, auch weil das Recht darauf eingeschränkt oder nicht existent ist. Von Uexküll meinte dazu: “Durch die erfolgreichen Aktivitäten von Brookman-Amissah hat sich die Zahl von Todesfällen bei Schwangerschaftsabbrüchen um 40 Prozent vermindert”. Das sei angesichts des anderswo entgegengesetzten Trends umso bemerkenswerter: “Global gibt es unselige Rückschritte bei sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechten.” Er verwies auf neue Abtreibungsgesetze in Polen und das Kippen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch durch das Oberste US-Gericht. Die Kenianerin Phyllis Omido, geboren 1978, erhält einen Alternativen Nobelpreis für den erfolgreichen Kampf für das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt in ihrer Heimat. Ausgangspunkt war die eigene Arbeit in einer Batterie-Schmelzanlage, die schwere Bleivergiftungen bei Menschen im anliegenden Dorf Owino-Uhuru auslösten. Betroffen war auch der Sohn von Omido. Ihr beharrlicher Einsatz zum Stopp der Giftquelle und zur Klärung der Verantwortlichkeit brachte sie zeitweise in Haft wegen angeblicher Anstiftung zu Gewalt und Terrorismus. Omido erreichte die Schließung der Anlage in ihrem Heimatort und weitete die juristischen sowie auch Medien-Aktivitäten landesweit aus. Wegen des gigantischen Bedarfs an billigen Batterien mit Blei- und Säure-Anteil ist deren Verwendung unter nicht oder schlecht regulierten Bedingungen ein großes Umweltproblem in Afrika. Zu Omidos Einsatz heißt es aus Stockholm: “Ihr furchtloser Einsatz für Gerechtigkeit hat zur Schließung von 17 toxischen Anlagen geführt, die Bewegung zur Verteidigung von Land und Umwelt in Ostafrika gestärkt und die Vereinten Nationen zu einer Resolution für das Recycling von blei- sowie säurehaltigen Batterien veranlasst”. Die Dotierung wird von der Stiftung Right Livelihood seit 2022 aus Gründen der Sicherheit für die Ausgezeichneten nicht veröffentlicht. Es gingen in diesem Jahr 170 Nominierungen aus 68 Ländern ein.

Trübe Politik in Norwegen: Insiderhandel, erschlichene Gratis-Wohnung und gemeiner Diebstahl

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Deutschlandausgabe vom 21.09.2023,

Korruption auf höchster Ebene

Ehemann von Norwegens Ex-Premier wird des Insiderhandels verdächtigt. Und nicht nur er

VON THOMAS BORCHERT

Norwegens langjährige Regierungschefin und populärste Politikerin ErnaSolberg bricht vor Kameras und Mikrofonen in Tränen aus, als sie “den Sindre” systematischer Lüge bezichtigt: “Vielleicht war ich naiv, als ich meinem Mann geglaubt habe”. Sindre Finnes wirft sich ein paar Stunden später in den Staub: “Es tut mir schrecklich leid, dass ich die Erna in diese Situation gebracht habe. Ich war unehrlich zu ihr.” Bei diesem Familiendrama geht es nicht etwa um außereheliche Affären. Vielmehr musste Finnes vor einigen Tagen zugeben, zwischen 2013 und 2021 – also während Solberg Ministerpräsidentin war – 3600 Aktiengeschäfte getätigt zu haben, von deren Umfang seine Ehefrau nichts gewusst haben will. In ihrer Dienstwohnung hätten ihr als Premier, so Solberg bei ihrem “Geständnis”, auch Büros und Besprechungsräume zur Verfügung gestanden: “Da kann man nicht ausschließen, dass er Insiderinfos bekommen hat.” Selbst habe sie derlei nie an ihren Mann weitergegeben. Hätte sie damals gewusst, dass er zum Beispiel mit Aktien des teilstaatlichen Konzerns Hydro handelte, dann hätte sie sich natürlich mit Blick auf das Unternehmen als Ministerpräsidentin für befangen erklärt, betonte Solberg. Der Volkswirt selbst weist den Vorwurf des Insiderhandels zurück. Finnes hofft auf Verständnis für seine Probleme im Schatten der gefragten und beliebten Partnerin: “Größtenteils war ich allein im Homeoffice, hatte viel Zeit, und die ging irgendwie immer mehr mit Aktienhandel rum.” In seinen Memoiren “An Ernas Seite” klingt das anders: “Zwei volle Einkommen sind immer das Beste”. Den Nettoertrag aus den Aktiengeschäften beziffern Medien auf 10 Millionen Kronen (870 000 Euro), was einen Börsenprofi im TV-Sender NRK ironisch näseln ließ: “Ok, er hat am Laptop sein ‘Hobby’ betrieben.” Was Finnes nicht vor einer möglichen Anklage wegen Insiderhandels nach zumindest vorerst noch vage angekündigten Ermittlungen der Wirtschafts-Kripo retten wird. Medien verweisen auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Deals und Regierungsentscheidungen zur Corona-Strategie und Umweltgenehmigungen für den Bergbaukonzern Nordic Mining. Auf der Kippe steht damit auch Solbergs Karriere. Für die Wahlen 2025 galt sie als klare Favoritin gegenüber dem unpopulären Regierungschef Jonas Gahr Støre von den Sozialdemokraten. Ihren öffentlichen Canossa-Gang mit Ehemann konnte sie hinauszögern. Er erfolgte erst nach den Kommunalwahlen, die am 11. September stattfanden. Ihre konservative Partei jagte mit 25,9 Prozent Støres Arbeiterpartei (21,6 Prozent) erstmals seit 99 Jahren die Spitzenposition ab. Bitter für die Sozialdemokraten, dass dazu im Wahlkampf wochenlang Berichte über mögliche Insidergeschäfte des Ehemanns der Außenministerin Anniken Huitfelt beitrugen. Der hatte mit Aktien des Rüstungskonzerns Kongsberg gehandelt, während seine Frau über einen Großauftrag für diesen mitberiet. Huitfelt räumte ein, befangen gewesen zu sein, bestritt aber die Informationsweitergabe am heimischen Küchentisch und kam damit durch. Schlechter erging es ihrem Kabinettskollegen der Zentrumspartei, Bildungsminister, Ola Borten Moe, der zeitgleich Kongsberg-Aktien erstanden hatte. Er trat im Sommer von seinem Amt zurück. Für Norweger:innen dürfte sich der Eindruck verstärken, dass die politischen Spitzenkräfte ihres wohlhabenden Landes hemmungslos Insiderwissen ausbeuten, um sich persönlich zu bereichern. Kurz nach den letzten Wahlen 2021 mussten die amtierende Parlamentspräsidentin sowie eine Ministerin und Vizechefin der Arbeiterpartei als auch der Chef der Christlichen Volkspartei abtreten, weil sie sich durch Scheinadressen fernab der Hauptstadt kosten- und steuerfreie Abgeordnetenwohnungen in Oslo erschlichen hatten. Die parlamentarische Linke lieferte im Sommer ein weiteres Beispiel fragwürdiger Politiker-Moral: Bjørnar Moxnes, Vorsitzender der “Roten”, wurde auf dem Osloer Flugplatz Gardermoen beim Diebstahl einer Sonnenbrille erwischt. Er redete sich mit “versehentlich in meine Tasche gerutscht” heraus, bis die Überwachungsvideos ein anderes Bild ergaben. Moxnes zahlte ein Bußgeld. Und trat zurück.

Wieder mal “Blut für Öl”? Schwedischer Konzern vor Gericht für Geschäfte im Sudan

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Die schmutzige Spur des Krieges im Sudan

05.09.2023

Von: Thomas Borchert

Manager eines schwedischen Öl-Konzerns müssen sich für Verbrechen im Sudan verantworten, die ihre Profite ermöglichten.

Der hässliche Slogan „Blut für Öl“ bekommt in einem Verhandlungssaal des Stockholmer Amtsgerichts spektakulär neue Aktualität. Seit Dienstag müssen sich der schwedische Konzern Lundin Oil sowie seine beiden Ex-Topmanager Ian Lundin und Alex Schneiter für Beihilfe zu Kriegsverbrechen verantworten. Sie haben nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zwischen 1999 und 2003 das damalige Regime im Sudan zu Massenvertreibungen für die ungestörte Ausbeutung von Ölvorkommen im südlichen Landesteil aufgefordert und zugleich schwerste Menschenrechtsverletzungen um des Profits willen akzeptiert.

Staatsanwalt Henrik Attorps hatte schon vor Prozesseröffnung erklärt, worum es in der 80 000 Seiten umfassenden Anklageschrift konkret geht: „Nach unserer Überzeugung haben die Ermittlungen ergeben, dass das Militär Menschen von Hubschraubern aus beschossen, gekidnappt und ganze Städte in Brand gesetzt hat, so dass es keine Existenzgrundlage mehr gab. Die Folge waren Tod, Verletzungen und Vertreibung für viele Zivilisten.“

Ian Lundins Familie gehört mit einem geschätzten Vermögen von 150 Milliarden Kronen (umgerechnet 12 Mrd. Euro) zu den zehn reichsten in Schweden. Der als Ex-Aufsichtsratschef angeklagte Milliardär nennt das ganze Verfahren „absurd“. Beim Gang in den Gerichtssaal, zusammen mit Ex-Vorstandschef Schneiter, sagte er: „Wir haben nie etwas mit den Konflikten im Sudan zu tun gehabt. Im Gegenteil – wir gehörten zu den guten Kräften dort. Unser Unternehmen hat immer höchste ethische Standards eingehalten.“ Bei einer früheren Gelegenheit hatte Lundin gesagt, man habe doch auch die Kindersoldaten im Südsudan nicht einfach im Stich lassen können.

Baum als Zeuge der Anklage

Unter den 57 geladenen Zeug:innen der Staatsanwaltschaft ist auch der FDP-Politiker Gerhart Baum, der auf Grundlage seiner persönlichen Eindrücke aus dem extrem brutal geführten Bürgerkrieg im Sudan eine andere Version der Ereignisse darstellen wird. Der heute 90-Jährige hatte 2001 als UN-Sonderberichterstatter geurteilt, die Ölgewinnung durch ausländische Konzerne habe „zu einer Verschärfung des Konfliktes“ geführt, der dadurch „zu einem Krieg um das Öl wurde“.

Vorgeschichte, Umfang, Kosten und voraussichtliche Dauer des auf zweieinhalb Jahre angesetzten Verfahrens für die erste Instanz sprengen alle Maßstäbe, jedenfalls für Schwedens Justiz. Mehr als zehn Jahre dauerten die Ermittlungen, einschließlich der als sicher geltenden Revision wird mit achteinhalb Jahren bis zum endgültigen Urteil gerechnet. Die von Lundin Oil (inzwischen umstrukturiert und umbenannt in Orrön Energy) geforderte Schadensersatzsumme von 2,4 Milliarden Kronen ist genauso beispiellos wie die 110 Millionen Kronen, die 32 Nebenkläger:innen aus dem Sudan für die Folgen von Vertreibung, Tod von Angehörigen und persönlichen Schäden verlangen. Sie werden vertreten vom sozialdemokratischen Ex-Justizminister Thomas Bodström.

Ein weiterer prominenter Politiker wird auf der anderen Seite auftreten. Der konservative Ex-Premier und -Außenminister Carl Bildt gehörte bis 2006 dem Lundin-Aufsichtsrat an und will von Verwicklungen in den Bürgerkrieg nie gehört haben.

Auch außerhalb Schwedens dürfte der Lundin-Prozess je nach Interessenlage höchst aufmerksam verfolgt werden, weil hier das „Universalitätsprinzip“ für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch gegen einen an der Börse notierten Großkonzern und dessen Spitzenleute angewandt wird. Das bedeutet, dass in Stockholm Vergehen dieses Kalibers verfolgt werden können, auch wenn die sie sich an jedem anderen Ort der Welt ereignet haben. Für die Staatsanwaltschaft sei es nicht notwendig gewesen, vor Ort im Sudan zu ermitteln, so der Ankläger. Das wäre auch unmöglich gewesen.

Meilenstein für Justiz

Attorp argumentiert, es reiche neben der Dokumentation der Aufforderung zu „Säuberungen“, dass die Lundin-Spitze von extremen Menschenrechtsverletzungen durch das sudanesische Regime (etwa auch mit dem Einsatz von Kindersoldaten) gewusst und diese mit dem Verbleib im Südsudan gebilligt habe.

Ausgelöst hatte die Ermittlungen der Staatsanwalt 2010 die niederländische Organisation „Pax for Peace“ mit detaillierten Berichten über das Lundin-Engagement im Südsudan und die Folgen für die Zivilbevölkerung. Zum Prozessauftakt kommentierte Pax: „Dies ist ein Meilenstein. Zum einen für die Zehntausenden Überlebenden des grauenhaften Krieges“, aber auch „für den globalen Trend, auch Unternehmen effektiv zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie zu massiver Ungerechtigkeit und zu Gewalt beitragen.“

Schlankheitsmittel bringt dänischer Staatskasse satte Überschüsse

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Geldregen in Dänemark: Ein Schlankheitsmittel macht das Land reich

03.09.2023

Von: Thomas Borchert

Das Schlankheitsmittel Wegovy macht Dänemark noch reicher. Die Regierung spart trotz der hohen Steuereinnahmen.

Finanzminister Nicolai Wammen strahlt bei der Vorstellung des neuen Staatshaushalts: „Diesmal macht es echt mehr Spaß als in den letzten Jahren.“ Sein Kollege Jakob Ellemann-Jensen aus dem Wirtschaftsministerium schickt einen frommen Wunsch hinterher: „Gott verhüte, dass Novo Nordisk jemals ausflaggt oder dichtmacht!“

Bei ihrem Kopenhagener Auftritt zum Wochenende wirkten beide Politiker immer noch überrascht vom bizarren Hintergrund für Dänemarks aktuelle Wirtschaftsentwicklung mit Wachstum, schnell sinkender Inflation, Vollbeschäftigung und gewaltig einlaufenden Steuereinnahmen: Das Schlankheitsmittel Wegovy hat Novo Nordisk vor allem durch die Nachfrage Übergewichtiger in den USA so gigantische Profite beschert, dass die Regierung ihre Wachstumsprognosen kräftig nach oben korrigieren musste.

Anders ausgedrückt: Vor allem dank Wegovy wird das dänische BIP dieses Jahr laut Finanzministerium um 1.7 Prozent steigen. Rechnet man das Präparat weg wäre die dänische Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft.

Die Zeitung „Politiken“ erklärte ihrer mehrheitlich mit Wohneigentum gut situierten Leserschaft: „Der riesige Erfolg von Wegovy macht nicht nur Menschen schlanker, sondern sorgt auch für niedrigere Bankzinsen.“ Die Erklärung fällt ein bisschen kryptisch aus, aber das Fazit des Chefanalytikers Jens Nervig Pedersen von der Danske Bank glasklar: „Die Aktienmärkte sehen Novos Zukunft positiv. Wenn die Investoren noch mehr verdienen, kann die Nationalbank unsere Zinsen noch weiter senken.“

Auch der Geschäftserfolg anderer Vorzeige-Konzerne wie Lego und der Maersk-Reederei haben die dänischen Zahlen positiv beeinflusst. Aber die volkswirtschaftliche Bedeutung des Novo-Schlankheitsmittels ist so explosiv gestiegen, dass Wirtschaftsminister Ellemann- Jensen sich an das Beispiel Nokia erinnert fühlt und mahnt: Das jahrelang von diesem Handy-Erfolg zehrende Finnland sei in eine schwere Krise gestürzt, als das iPhone erfunden war. „Aber die meisten Novo-Fabriken liegen im Ausland, also würden Schließungen uns nicht so hart treffen,“ beruhigte der Minister das Wählervolk.

Vorerst hat Novo mit seinem eigentlich als Diabetes-Medizin entwickelten und verschreibungspflichtigen Schlankheitsmittel noch einen Vorsprung vor der Konkurrenz und kann den Preis deshalb weit oben halten. Der Konzern hat mit Produktionsengpässen wegen der überall explodierenden Nachfrage zu kämpfen. Für Deutschland gibt das Unternehmen die monatlichen Kosten pro Nutzer:in mit durchschnittlich 300 Euro an, die von Kassen bislang nicht getragen werden.

Das Mittel, das den Appetit kräftig zügelt, wirkt nur, wenn es eingenommen wird, so dass man sich, je nach Veranlagung, auf eine lebenslange Abhängigkeit einzustellen hat. Zu den davon wenig Begeisterten gehören auch Diabetes-Kranke, die das eigentlich für sie bestimmte Präparat durch die Konkurrenz der Übergewichtigen nicht mehr bekommen können.

Dänemarks großer Koalition hat der Novo-Boom ein Imageproblem beschert, um das sie die Berliner Ampel-Regierung heftig beneiden dürfte. Die drei Parteien (Sozialdemokratie, Rechtsliberale und Moderate aus der bürgerlichen Mitte) hatten ihr Zusammengehen nicht zuletzt mit der Notwendigkeit von dauerhafter Krisenbewältigung begründet. Regierungschefin Mette Frederiksen zählte immer wieder mit ernster Miene auf, dass infolge aller möglichen simultan ablaufender Krisen alle knapp sechs Millionen „danskere“ sich auf kärgere Zeiten einzurichten hätten. Jetzt aber sind die Staatskassen prall gefüllt, das Krisennarrativ passt nicht mehr.

Obwohl der Finanzminister glänzende Zahlen vorlegen konnte, ist der Haushalt für 2024 wenig offensiv ausgefallen. Überschuldete Kommunen müssen Schulen schließen und ihre Altenpflege scharf durchrationalisieren. Wer erwartet hatte, dass der Geldregen auf die Staatskasse für einen höheren Gang im Kampf um die Klimarettung genutzt wird, wurde enttäuscht. Unter ferner liefen tauchten in Wammens Liste mit Mehrausgaben für die „grüne Erneuerung“ kümmerliche eine Milliarde Kronen (130 Millionen Euro) zusätzlich auf. Novo Nordisk hat im letzten Jahr bei einem Umsatz von 177 Milliarden Kronen einen Gewinn von 55 Milliarden Kronen ausgewiesen.

Dänemark erlaubt jetzt “fremde” Nationalflaggen

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Die dänische Hygge endet am Fahnenmast

01.09.2023

Von: Thomas Borchert

Ein höchstrichterliches Urteil über ein veraltetes Verbot stürzt Dänemark in Nöte.

Ein Gespenst geht um in Dänemark: „Werden wir jetzt mit deutschen Flaggen zugemüllt?“ Ein Zeitungskommentar aus dem grenznahen und hinreißend altertümlich bewahrten Christiansfeld reagiert mit einer Schreckensvision auf die Aufhebung des Flaggenverbotes für „fremde Nationen“ im Königreich der Hygge. Auch Pia Kjærsgaard von der rechten Dänischen Volkspartei sieht „unsere Nordseeküste bald zugepflastert mit deutschen Fahnen“ und setzt noch einen drauf: „Oder riskieren wir gar, dass über unseren Schrebergärten alle möglichen Nahost-Flaggen flattern?“ Ganz klar: Als Konkurrenz für den heimischen „Dannebrog“ wäre das Schwarz-Weiß-Grün (mit ein bisschen rot) muslimischer Staaten noch schlimmer als Schwarz-Rot-Gold vom übergroßen Nachbarn südlich von Padborg.

Das Oberste Gericht des Königreichs hat die seit 1915 geltende Verordnung mit dem Verbot „fremder“ Beflaggung ohne ausdrückliche polizeiliche Sondergenehmigung für ungültig erklärt. Damit bekam ein Bürger zum Auftakt der Sommerferien recht mit seiner Klage gegen den Staat: Der Mann hatte einfach mal so in seinem Garten die US-Flagge gehisst, vor allem, um seiner Begeisterung für Autos aus dem Land von „Stars&Stripes“ Ausdruck zu verleihen. Die Polizei zwang den Gesetzesbrecher zum sofortigen Einholen der US-Fahne und brummte ihm für den Flaggen-Frevel ein Bußgeld auf.

Genauso haben immer wieder auch urlaubende Deutsche an Nord- oder Ostsee beim Hissen von Schwarz-Rot-Gold zu spüren bekommen, dass am Fahnenmast blitzschnell Schluss sein kann mit der Hygge. Obwohl doch gerade der schier grenzenlose Flaggen-Enthusiasmus im Reich von Königin Margrethe II. allseits als wunderbares i-Tüpfelchen auf der weltweit beneideten Hygge verstanden wird. Zu Weihnachten umkranzen Dannebrog-Wimpelketten die dänischen Weihnachtsbäume. Kein Kindergeburtstag ohne jede Menge Dannebrog-Fähnchen auf der Torte. Zu jedem royalen Geburtstag wird auch vor allen Gotteshäusern rot mit weißem Kreuz geflaggt. Seit ein paar Jahren aber doch nur, wenn ein Spross des Königshauses volljährig wird. Bei inzwischen acht Enkeln der Regentin wurde es doch zu unübersichtlich für die Untertanen, befand die Beflaggungs-Abteilung im Justizministerium. Klingt alles nach sympathisch harmloser Operettenidylle und wird so von „Visit Denmark“ bei der Werbung in Deutschland verkauft. Bis hin zu der Aufforderung: „Wenn Sie also in Dänemark sind, schnappen Sie sich eine Flagge und flaggen Sie, was das Zeug hält. Ihre dänischen Nachbarn werden sich freuen.“ Das bleibt auch nach der Aufhebung des Verbots „fremder Flaggen“ eine grob fahrlässige Ermutigung auf dünnem Eis. Ein im vorletzten Jahrhundert verwurzelter und dort immer noch steckengebliebener Rechtspopulismus hat Dänemark in den vergangenen 25 Jahren politisch dominiert und tiefe Spuren gezogen. Sie zeigen sich beim Thema Flaggen etwa daran, dass Spitzenpolitiker:innen sich bei Besuchen von EU-Kollegenschaft in Kopenhagen so gut wie nie vor der EU-Flagge fotografieren lassen. Sie ist auch sonst im dänischen Alltag praktisch unsichtbar.

Die Hygge

Kein Wunder also, dass vier Parteien auf der rechten Oppositionsseite des „Folketing“ jetzt mit der Initiative für ein neues Flaggengesetz das alte Verbot reinstallieren wollen. Die Zeitung „Politiken“ kommentierte: „Willkommen zum neuen Kulturkampf. Dem Kampf um Flaggen.“ Den Kammerton schlägt Søren Pape Poulsen, Ex-Justizminister und Chef der Konservativen an: „Wer in Dänemark flaggt, flaggt den Dannebrog. Daran müssen wir festhalten.“

Der sozialdemokratische Justizminister Peter Hummelgaard hält sich noch bedeckt, wie die große Koalition auf das Urteil von Ende Juni reagieren will, das lediglich eine vor 118 Jahren erlassene Verordnung für unwirksam erklärt hatte. Unter anderem, weil mit dem Verbot „fremder Flaggen“ Dänemarks Neutralität im Ersten Weltkrieg flaggentechnisch abgesichert werden sollte. Das ist angesichts der dänischen Nato-Mitgliedschaft nach höchstrichterlicher Auffassung nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit.

In der gerade zu Ende gegangenen Feriensaison hat sich die Befürchtung eindeutig nicht bestätigt, dass deutsche oder gar muslimisch angehauchte Flaggenbegeisterte das Dannebrog-Monopol ins Wanken bringen. Das ließe sich eher von der blaugelben Flagge der Ukraine behaupten, die viel zu sehen ist. Schon vor dem Richterspruch und ganz legal, denn zur dänischen Unterstützung seit der russischen Invasion gehörte schnell auch die generelle Genehmigung für das Hissen ukrainischer Flaggen.