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Skandinavische Linke und Grüne gewinnen EU-Wahl

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Schweden und Dänemark: Bollwerk gegen die Rechtspopulisten

10.06.2024

Von: Tho

Eine dänische Sozialistin, schwedische Grüne und finnische Linke setzen sich gegen die Rechtspopulisten durch.

Wer bei der Europawahl den Jubel von Georgia Meloni, Marine Le Pen und Alice Weidel und anderen von weit rechtsaußen nur schwer ertragen hat, konnte zumindest im Norden Trost bei einer dänischen Volkssozialistin namens Pia Olsen Dyhr, der schwedischen Grünen Amanda Lind und Li Andersson vom Linksverband in Finnland suchen.

Deren Parteien haben, aus unterschiedlichen Gründen, gleichermaßen verblüffende Wahlsiege gegen den auch im Norden erwarteten Vormarsch des Rechtspopulismus gelandet.

Den verkörpert in Kopenhagen Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen. Ihr Rezept, erfolgreichen Parteien am rechten Rand die Wählerschaft wieder abzujagen durch komplette Übernahme sowie gerne auch Steigerung brachialer Anti-Zuwanderungkonzepte, scheint nicht mehr zu funktionieren. Die Sozialdemokratie verlor mit kümmerlichen 15,6 Prozent ihre eigentlich bis jetzt unanfechtbare Rolle als dänische Nummer Eins an die Volkssozialisten, die zur stärksten Partei des Landes mit 17,4 aufstiegen.

Frederiksen, von der AfD als Leitbild für Europas Abschottung vor Migration genauso geschätzt wie in der österreichischen FPÖ und beim Rassemblement National in Paris, nannte das Wahlergebnis auf X/Twitter mit einem mundartlichen Ausdruck aus ihrer jütländischen Heimat „blöd“, eine freundliche Umschreibung des Scherbenhaufens, vor dem die 47- Jährige steht. Ihr seit längerem kolportierter Wunsch nach Abschied aus Dänemark mit einem EU-Top-Posten in Brüssel dürfte durch das Wahlfiasko nicht schwächer geworden sein.

Schockwellen anderer Art löste in Stockholm die erste Wahlprognose für Schweden aus: Bei der Grünen Umweltpartei konnten die Aktiven ihr sensationell hohes Ergebnis von 13,8 Prozent und die bei den rechten Schwedendemokraten (SD) ihr sensationell niedriges mit 13,2 kaum fassen. Die Umfragen lagen bei beiden genauso daneben wie bei der Linkspartei, die bei 11,0 Prozent landete und mit plus 4,2 Prozentpunkten den höchsten Zuwachs dieses Sonntags überhaupt einfuhr. Die SD mussten zum ersten Mal überhaupt nach ihrem Aufstieg zur stärksten Partei im Mitterechts-Regierungslager ein Minus gegenüber einer Vorwahl schlucken. Statt des sicher geglaubten zweiten Rangs hinter den in Schweden auch diesmal führenden Sozialdemokraten (24,8 Prozent) landeten die Rechten auf dem vierten Platz.

Einen noch tieferen Absturz brachte die Stimmenauszählung in Helsinki mit 7,6 Prozent für hier mitregierenden „Wahren Finnen“ vom rechten Rand. Sie holten bei den Reichstagswahlen vergangenes Jahr noch 20 Prozent und bei der Europawahl 2019 13,8. Umgekehrt konnte das Linksbündnis hinter der allseits als „phänomenaler Wahlkämpferin“ bestaunten Li Andersson mit 17,3 Prozent ihr Resultat von 2019 mehr als verdoppeln. Die Hauptperson bekundete, dass der Erfolg sie „geschockt“ habe. Sie nannte als Grund: „Wir haben gut gearbeitet und Vertrauen bekommen für unsere Themen Klima und Umwelt. Auch sind wir für Menschenrechte und den Rechtsstaat aufgestanden.“

In ersten Wahlanalysen hieß es aus allen drei Hauptstädten: Die Wählerschaft im Norden ist bis ganz links markant EU-freundlicher geworden. Und die von rechts mit der stärksten Abscheu vor der Union sind zuhause geblieben.

Island: Geschäftsfrau besiegt Linksgrüne

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Island wählt eine Managerin an die Staatsspitze

Stand: 03.06.2024, 07:07 Uhr

Von: Thomas Borchert

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Halla Tómasdóttir wird Islands neues Staatsoberhaupt.
Halla Tómasdóttir wird Islands neues Staatsoberhaupt. © AFP

Die Geschäftsfrau Halla Tómasdóttir wird Präsidentin. Die linksgrüne Ex-Premierministerin Jakobsdóttir stolpert über vergangene Zweckbündnisse mit Rechten.

Islands Bevölkerung hat sich am Wochenende für eine Geschäftsfrau als Staatsoberhaupt entschieden. Die 55-jährige Halla Tómasdóttir, angetreten mit zehn Jahren Erfahrung als Managerin für Pepsi und Mars in den USA, schlug die linksgrüne Ex-Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir (48) überraschend und klar mit 34,6 zu 25,0 Prozent, so das vorläufige Endergebnis.

Kurz nach dem fünften Vulkanausbruch in enger Folge und unmittelbar vor einem Juni-Schneesturm bescherten sich die gut 300.000 Stimmberechtigten der Atlantikinsel ein kleines politisches Erdbeben. Jakobsdóttir hatte kurz vorher in Umfragen vorn gelegen. Wohl vor allem dank souveräner TV-Auftritte am Ende schnitt Tómasdóttir deutlich besser ab als erwartet.

Tómasdóttir wird als „leidenschaftliche Anwältin für mutige Führungskraft“ präsentiert

Die Siegerin arbeitete zuletzt als Direktorin der Geschäftsleute-Organisation „The B Team“ und wird dort als „leidenschaftliche Anwältin für mutige Führungskraft“ präsentiert. Mit Fokus auf Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich. Sie hatte beim wirtschaftlichen Kollaps Islands 2008 durch größenwahnsinnige Banker ihre Investmentgesellschaft Audur Capital erfolgreich über die Runden gebracht. Im Wahlkampf gab sie das Ziel aus, „eine Bewegung von Führungskräften zu starten, damit Geschäfte besser als bisher betrieben werden, zum Wohl der Menschen und des Planeten“.

Die Wahl für das weitgehend repräsentative Präsidentenamt ist von Parteizugehörigkeiten abgekoppelt und wird als Entscheidung über „Persönlichkeiten“ verstanden. Dabei dürften Jakobsdóttir auch die Bündnisse den Sieg gekostet haben, die sie in den letzten Jahren eingegangen war.

Tómasdóttir wird Islands zweites weibliches Staatsoberhaupt

Sie hatte ihre Linksgrünen 2017 in eine Koalition mit den traditionell am schärfsten bekämpften Kontrahenten auf der Rechten geführt. Das brachte ihr persönlich stabil hohe Popularitätswerte auch in bürgerlichen Kreisen, ließ ihre Partei aber laut Umfragen in existenzbedrohende Niederungen sinken. Bei der Wahl am Wochenende verweigerte ihr nun ein Teil der traditionellen Gefolgschaft das Kreuz, weil Jakobsdóttir bei ihrem Paarlauf mit der Rechten „die Seele der Partei“ verkauft habe.

Tómasdóttir übernimmt ihr Amt vom Historiker Gudni Jóhannesson, der nicht zum dritten Mal antreten wollte. Sie wird Islands zweites weibliches Staatsoberhaupt nach der legendären Vigdís Finnbogadóttir, die 1996 nach 16 Jahren abtrat und weltweit als Pionierin für Frauen an der Spitze beachtet wurde.

Norwegen schützt Justiz in der Verfassung vor Putschisten

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„Bollwerk“ gegen Putschversuche: Norwegen sichert seine Justiz ab

23.05.2024

Von: Thomas Borchert

Was in Deutschland noch debattiert wird, wird anderswo Realität: Das Parlament in Oslo nimmt den Schutz der Gerichte in die Verfassung Norwegens auf – ohne Gegenstimmen.

Absicherung gegen Putschversuche: Das norwegische Parlament hat einstimmig Verfassungsänderungen zum Schutz der Justiz vor Antidemokraten beschlossen. Damit will man die Ausnutzung rechtsextremer Regierungsmacht entgegenwirken wie sie etwa in Polen und Ungarn zu beobachten waren.

In namentlicher Abstimmung riefen am Dienstag sämtliche Abgeordneten von ganz links über die sozialdemokratisch geführte Regierung bis zu den Rechtspopulisten ihr „Ja“ in den Osloer Parlamentssaal. Damit hat künftig Verfassungsrang, dass Richter:innen bis zum 70. Lebensjahr unabsetzbar sind, die Regierung die Zusammensetzung des Obersten Gerichts nicht durch zusätzliche Ernennungen verschieben kann und sich bei Ersatz-Ernennungen mit einem unabhängigen Fachgremium abstimmen muss.

Politiker wie Donald Trump „mit am gefährlichsten“

Als Initiator sagte der Abgeordnete Peter Frølich von den oppositionellen Konservativen der Zeitung „Dagbladet“: „Wenn die Gerichte zu politischen Werkzeugen gemacht werden, ist der Rechtsstaat in akuter Gefahr.“ Politiker wie Ex-US-Präsident Donald Trump, die Wahlergebnisse nicht anerkennen, nannte Frølich „mit am gefährlichsten für die Demokratie“. Er fuhr fort: „In letzter Konsequenz müssen die Gerichte als Bollwerk Putschversuchen standhalten können.“

Neben dem Regierungslager hinter Premier Jonas Gahr Støre und den hier „Høyre“ („Rechts“) genannten Konservativen stimmte auch die rechtspopulistische Fortschrittspartei für die Verfassungsänderungen. Sie gilt in diesem Spektrum als relativ gemäßigt. Ihr als „Steuerrebell“ gestarteter Gründer Carl I. Hagen (80) nannte die Verabschiedung der Verfassungsänderung denn auch „einen großen Tag für die Demokratie“. Die sozialdemokratische Sprecherin Nadia Tajik begründete die Zustimmung ihrer Partei als Sicherung für die Zukunft gegen „populistische und die Gesellschaft zerstörende Kräfte“: „Norwegen ist gegen solche Strömungen anderswo auf der Welt nicht immun.“

Antidemokratische Kräfte: Norwegen hat in Europa eine Sonderstellung

Zustimmend äußerte sich stellvertretend für das gesamte Rechtswesen Sven Marius Urke, Chef von Norwegens Gerichtsverwaltung,: „Das ist ein großer Tag für die Sicherung unabhängiger Gerichte in herausfordernden Zeiten, die auch auf unser Land zukommen können.“

Norwegens Verfassung aus dem Jahr 1814 kann nur geändert werden, wenn zwischen dem jeweiligen Vorschlag und der Verabschiedung mindestens eine Parlamentswahl stattgefunden hat. Frølich hatte seine Initiative 2021 kurz vor Neuwahlen mit einem Regierungswechsel eingebracht. Er übernahm dabei Empfehlungen einer „Gerichtskommission“, von der die Absicherung einer unabhängigen Justiz als viel zu schwach eingestuft wurde. In der jetzt verabschiedeten Fassung bekommen erstmals auch die zwei unteren Gerichtsinstanzen Verfassungsrang. Richter:innen dürfen nun weder abgesetzt noch gegen ihren Willen versetzt werden. Erstmals auch wird die Unabhängigkeit der Gerichtsverwaltung festgeschrieben.

Das politisch traditionell stabile und mit Reichtum gesegnete Norwegen gehört eindeutig nicht zu den von antidemokratischen Kräften akut bedrohten Staaten. Der allseits hochgeachtete Publizist Harald Stanghelle kommentiert in „Aftenposten“, es gebe solche Kräfte derzeit schlicht und ergreifend nicht. Er zitierte die Vorsitzende von Norwegens Richterverband, Kirsten Bleskestad, die erklärte, der Schutz der Justiz müsse „in ruhigen Zeiten gezimmert werden.

Undercover-Journalist infiltriert Trollfabrik der Schwedendemokraten

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Tiktok-Hetze in Schweden: Rechte „Trollfabrik“ mit Staatshilfe

16.05.2024

Von: Thomas Borchert

Rechtsradikale Schwedendemokraten betreiben gefälschte TikTok-Konten für ihre Hetze – und werden mit staatlichen Geldern unterstützt.

Stockholm – Fake-Konten zur Gehirnwäsche im Netz werden wohl nicht nur in Russland und Fernost mit Steuergeldern finanziert. Der Stockholmer Privatsender TV4 hat unter dem Titel „Undercover in der Trollfabrik“ enthüllt, wie die rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD) zehn junge Angestellte massenhaft TikTok-Konten unter gefälschter Flagge mit Hetze und rassistischem „Humor“ füttern lassen. Das dürfe als „extrem sensibel“ um keinen Preis ans Licht kommen, hört man in der Doku Pressechef Joakim Wallerström ins versteckte Mikrofon sprechen.

TikTok als rechte Waffe: SD-Trolle mit Festanstellung treiben ihr Unwesen in Schweden

Die SD sind zweitgrößte Partei im größten Land Skandinaviens, für die Regierung als Mehrheitsbeschaffer ein unverzichtbarer Partner und dank 20 Prozent Stimmenanteil mit Steuerzuschüssen reich gesegnet. So konnten sie auch Daniel Andersson anheuern, der dann neun Monate als SD-Troll mit Festanstellung unerkannt für TV4 „gewallrafft“ hat, wie man so etwas in Schweden nach den Einsätzen Günter Wallraffs bei Bild und McDonald’s nennt. Anderssons Material belegt in Wort und Bild, wie Wallerström die zehn als „Netzkrieger“ tituliert und antreibt, über TikTok-Konten mit Fantasienamen politische Kontrahenten und muslimische Zuwanderung niederzumachen.

Dabei müsse man die richtige Mischung finden, erklärt er, wie ein Drogendealer, der ja auch auf dem Schulhof nicht gleich Heroin anbieten, sondern bei den Kids mit Zigaretten anfangen würde. Offenbar findet Wallerströms Trupp den richtigen Pusher-Ton beim Publikum. Laut TV4 wurden für 23 dort mit Sicherheit betriebenen Social-Media-Konten unter falscher Flagge, über drei Monate 27 Millionen Klicks bei 260 000 Followern für 1000 Posts gezählt.

KI generierte Fake Botschaften zum Verspotten der Gegner auf TikTok

Darin sind etwa Ex-Ministerpräsidentin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten mit KI-generierter Fake-Botschaft zu sehen oder ein Eiswagen rattert mit Muezzin-Gesang durch ein ur-schwedisches Dorf a la Bullerbü.

Auch die Partner im Regierungslager werden gern mal verhöhnt, so der konservative Premier Ulf Kristersson, weil er in jüngeren Jahren für eine liberale Einwanderungspolitik und für Abrüstung eingetreten ist. Genüsslich zitierten Stockholmer Medien aus der „Tidö-Vereinbarung“ zur Regierungskooperation, in der die SD 2022 einen bizarren Passus verlangt und bekommen hatten: „Die Partner tragen zum guten Klima der Zusammenarbeit bei, indem sie würdig auftreten und respektvoll über die gegenseitigen Führungskräfte sprechen.“

Keine Entschuldigung von Seiten der SD – Europawahl Chancen für die Rechten stehen gut

Kristersson nahm dies auch nach der Troll-Enthüllung wörtlich und reagierte wie immer vage bei diversen SD-Skandalen seit dem Start der Kooperation Ende 2022: Vage, weich und ohne Konsequenzen. „Die SD haben ernste Probleme mit ihrer Kommunikationsabteilung“, ließ er sich vernehmen und empfahl eine „Entschuldigung“ an all die vielen von der Troll-Fabrik Verunglimpften.

Sanders mobilisiert gegen “Raubtier-Preise” für dänische Schlankheitsspritze

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Frankfurter Rundschau 15.05.2024 
Sanders gegen die Spritze
Abnehm- und Diabetesmittel von Novo Nordisk boomen. Aus den USA gibt es nun Kritik an den hohen Preisen / Von Thomas Borchert
US-Senator Bernie Sanders macht mobil gegen „Raubtierpreise“ aus Dänemark beim weltweit boomenden Geschäft mit der Abnehmspritze Wegovy und dem identischen Diabetes-Präparat Ozempic. Beim Chef des Herstellerkonzerns Novo Nordisk, Lars Fruergaard Jørgensen, ist im Kopenhagener Vorort Ballerup ein Brief mit Sanders‘ Appell eingegangen, doch bitte nicht durch extrem hohe Preise große US-Krankenversicherungen in den Ruin zu treiben und 85 Millionen nicht oder unzureichend versicherte Menschen von der Nutzung beider Präparate auszuschließen.

„Helfen Sie dem amerikanischen Volk im Kampf gegen die Fettsucht- und Diabetes-Epidemie in unserem Land,“ heißt es fast flehentlich in einem Beitrag des Vorsitzenden im Senatsausschuss für Gesundheit für die größte dänische Zeitung „Politiken“. Hier nennt Sanders die Preisgestaltung von Novo Nordisk „empörend“, „skandalös“, „unerhört“ und „geldgierig“. Er rechnet vor, dass der Konzern für einen Monat Ozempic gegen Diabetes-2 in den USA knapp 900 Euro und für das identische Präparat Wegovy zum Abnehmen 1250 Euro verlange, in anderen „ebenfalls reichen Ländern“ dagegen nur einen Bruchteil. Bei Herstellungskosten von knapp fünf Euro.

Als Beispiel nennt Sanders auch Deutschland, wo ein Monat Ozempic für 65 Euro und Wegovy für 245 Euro (alle Zahlen umgerechnet) zu bekommen sei. Novo Nordisk, mit den gigantischen Einnahmen aus dem neuen „Wundermittel“ im Raketentempo zu Europas wertvollsten Börsenunternehmen aufgestiegen, reagierte sofort: Sanders vergleiche unzulässig Preissetzungen in völlig unterschiedlichen Gesundheitssystemen. Überdies sei der US-Preis für Ozempic seit 2018 ja schon um 40 Prozent gefallen.

Gegenüber „Politiken“ gestand der Gesundheitsökonom Kjeld Møller Pedersen Novo Nordisk zu, dass sich die US-Preise tatsächlich „kompliziert und äußerst speziell“ gestalteten. Indirekt gab er Sanders aber recht: „Es ist das, was wir Raubtier-Preissetzung (predatory pricing) nennen“, wenn Novo Nordisk sein Monopol nutze, so lange es Bestand habe, um den maximalen Profit einzufahren.

Die nicht nur in den USA grassierende Fettsucht-Epidemie und der Schlankheitswahn bescheren dem dänischen Pharmakonzern Rekordzahlen. Im ersten Quartal legte Novo Nordisk beim Umsatz um 24 Prozent zu und erzielte traumhafte 85 Prozent bei der Bruttomarge. Bei Wegovy würden jede Woche allein in den USA 25 000 neue Patientinnen und Patienten dazukommen, verkündete Finanzchef Karsten Munk Knudsen. Man könne vielleicht nicht alle Wünsche befriedigen, denn weltweit habe sich der Umsatz von Wegovy im ersten Quartal verdoppelt.

Wegovy wird in der Regel wöchentlich gespritzt. Es soll den Appetit dämpfen. Für eine dauerhafte Wirkung muss das Präparat laut ersten Studien lebenslang eingenommen werden.

Der Erfolg von Novo Nordisk versetzt Dänemark zusehends in einen Zustand, den die Bevölkerung von Finnland aus der Glanzzeit von Nokia in durchaus gemischter Erinnerung haben dürfte: Das Land boomte und blühte allein dank des Erfolges der Handy-Pioniere im Helsinki-Vorort Espoo. Bis ein neues Gerät namens iPhone dem schnell und radikal ein Ende setzte.

Dänemark erwartet 2024 ein BIP-Plus von 2,4 Prozent, das zur Hälfte dem Novo-Erfolg zugeschrieben wird. Dabei bringt die rasante Ausbreitung von Ozempic und Wegovy auch das heimische Gesundheitssystem ins Knirschen. Von 2021 bis 2023 stieg bei den Krankenhausträgern der Anteil von Ozempic von 7,4 auf 17,7 Prozent des Medikamentenbudgets.

Im Gegensatz zum Schlankheitsmittel Wegovy ist es zuschussberechtigt. Statt 450 Millionen Kronen mussten die von immer neuen Sparrunden gebeutelten Krankenhäuser jetzt 1,4 Milliarden Kronen (190 statt 60 Millionen Euro) für Ozempic überweisen. Oberarzt Reimar W. Thomsen vom Universitätshospital Aarhus berichtete in „Politiken“: „Hausärzte bestätigen, dass es Druck von Patienten Richtung Ozempic gab, bei dem der Wunsch nach Gewichtsverlust äußerst wichtig war.“ Als die Behörden mit der kompletten Streichung der Bezuschussung drohten, senkte Novo Nordisk den heimischen Preis. In Washington hat Bernie Sanders eine Untersuchung der US-Preissetzung im Gesundheitsausschuss angesetzt.

Anspannung vor Beginn des ESC in Malmö

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Stand: 06.05.2024, 16:02 Uhr

Von: Thomas Borchert

Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö.
Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö. © AFP

Vor dem ersten Halbfinale am Dienstag sind in der Stadt nicht nur ESC-Fans und bunte Fahnen zu sehen, sondern auch Polizei und vereinzelte Gegendemos. Und etliche Einheimische fahren übers lange Wochenende lieber weg.

Der Eurovision Song Contest hat eigentlich wie jedes Jahr losgelegt. Demonstrativ gut gelaunt, farbenfroh und wahlweise elegant, sexy oder albern kostümiert präsentieren sich vor dem Finale am Samstag die 37 Teilnehmer:innen beim immer neuen Interview-Schaulaufen in Malmö. Die ESC-Stimmung sei doch wieder mal unschlagbar, sprach die isländische Sängerin Hera Björk strahlend in ein Mikrofon. Deutschlands Vertreter Isaak (29), präsentiert sich in heimischen Medien als jederzeit zum Lachen aufgelegte Frohnatur, und das finnische Duo Windows95man schwärmt in der Lokalzeitung „Sydsvenskan“ über die ersten Probentage für die 68. Ausgabe des gigantischen Pop-Events: „Wir schmelzen hier alle zusammen wie bei einem Rollercoaster.“

Tali aus Luxemburg allerdings redete nach dem Kompliment des Interviewers für ihre Zöpfe auf die Frage nach dem bisher unangenehmsten ESC-Erlebnis nicht um den heißen Brei herum: „Als wir wegen der Koranverbrennnung den ganzen Tag im Hotel bleiben mussten.“ Dabei hatte die von Rechtsextremen letzte Woche angekündigte Aktion gar nicht stattgefunden.

Die Aufregung liefert einen Vorgeschmack auf das, was in Wirklichkeit alle in Malmö – von den Auftretenden in der „Malmö Arena“ im Vorort Hyllie über die Sicherheitskräfte bis zu den gut 300 000 Menschen in Schwedens drittgrößter Stadt – mehr bewegt als die Frage, ob ihr Land zum achten Mal den Wettbewerb gewinnt oder Isaak das in andere Richtung beeindruckende deutsche „Abo“ auf den letzten Platz erneuern wird: Die meisten hoffen einfach, dass alles glimpflich abläuft.

Warnung vor Terrorgefahr

Bis zum Finale sind mehrere Groß-Demos wegen der israelischen Teilnahme angemeldet. Sowohl am Donnerstag, auch in Schweden ein Feiertag, wenn die Israelin Eden Golan mit ihrem „Hurricane“ beim zweiten Semifinale antritt, und erst recht zum finalen ESC-Countdown am Samstag. Ausgerechnet das harmlose Spaß-Event hat in den vergangenen Wochen so viel explosive Hochspannung erzeugt, dass 55 Prozent der Bevölkerung in Malmö sich laut einer aktuellen Umfrage in ihrer Stadt „nicht sicher fühlen“. Sie wollen die Veranstaltungsorte meiden. Medien zitieren am laufenden Band Einheimische, die in dieser Woche gleich ganz aus Malmö verschwinden.

Dazu zählen vor allem auch Menschen aus der ohnehin schon geschrumpften jüdischen Community. Die Metropole Südschwedens hat einen ausgesprochen hohen Bevölkerungsanteil mit palästinensischen Wurzeln und gilt auf diesem Hintergrund als stark von Antisemitismus geprägt. Israels Nationaler Sicherheitsrat hat seine verschärfte Reisewarnung auch damit begründet, dass in Malmö auf Massaker der Hamas mit mehr als 1200 ermordeten Israelis mit Freudenfesten auf der Straße reagiert worden sei.

Umgekehrt ist auf den ESC eine massive Welle von Forderungen zum Ausschluss Israels wegen der Kriegführung in Gaza mit bisher mehr als 30 000 Toten eingeprasselt. Dem hat die veranstaltende Europäische Rundfunkunion (EBU) widerstanden, aber Textveränderungen beim israelischen Beitrag durchgesetzt, damit der (ursprünglicher Titel „October Rain“) unter keinen Umständen irgendwelche Assoziationen zum Hamas-Angriff am 7. Oktober wecken könne. Weil alles am ESC „unpolitisch“ zu sein habe.

Das Mantra klingt bizarr als Kontrast zu den allseitigen Erwartungen an die Zeit zwischen dem ersten Halbfinale am heutigen Dienstagabend und der Nacht zu Sonntag, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Schwedens Polizei hat sich mit Verstärkung aus Dänemark und Norwegen extrem hoch gerüstet und ist auch mit Panzerwagen demonstrativ präsent in dieser Woche.

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Schwedens Premier Ulf Kristersson schließt sich indirekt den Warnungen wegen erhöhter Terrorgefahr an: „Man muss sich darüber klar sein, dass es Kräfte gibt, die das Ganze ausgesprochen unruhig bis chaotisch haben möchten.“ Deshalb sei es so wichtig, dass die Polizei „gut gerüstet ist“.

Hinter vorgehaltener Hand besteht Einigkeit, dass die dritte Vergabe des ESC an Malmö unter Sicherheitsaspekten eine höchst unglückliche Entscheidung war, aber eben vor dem 7. Oktober als solche nicht absehbar. Jetzt demonstrierte Bürgermeisterin Katrin Stenfeldt Jammeh beim offiziellen Startschuss tapfer Optimismus: „Malmö ist eine globale und junge Stadt, die ihre Vielfältigkeit feiert.“

Nebenan öffnete die kunterbunte Gedächtnis-Ausstellung zu Schwedens größten Eurovisions-Idolen aller Zeiten ihre Pforten. Auch von hier musste die Reporterin von „Sydsvenskan“ Ernüchterndes vermelden: „Auch Abba hat mich nicht in bessere ESC-Stimmung versetzt.“

Mehr arbeiten fürs Militär kommt schlecht an in Dänemark

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Dänemark: Regierung schafft Feiertag ab und erlebt ihr Waterloo

02.05.2024

Von: Thomas Borchert

Die Abschaffung des „Großen Bettags“ verursacht in Dänemark viel Wirbel. Die Regierung schmiert in den Umfragen ab.

Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zieht es mit aller Macht nach Brüssel. Auf dem Weg zum angestrebten, aber keineswegs sicheren EU-Topjob nach der Europawahl hat es die Sozialdemokratin auf jeden Fall schon bis Waterloo geschafft, ohne Kopenhagen zu verlassen.

Selten ist hier jemand als unantastbare Nummer Eins so steil abgestürzt wie die 46- Jährige mit dem Projekt, ihr Volk zu mehr Arbeitsfleiß zu erziehen. „Ich bin mir nicht sicher, dass alle um 16 Uhr vom Fließband nach Hause gehen sollten,“ belehrte sie die sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger im Königreich. Sie prophezeite düster, dass man auf Dauer nur bestehen könne, „wenn wir genauso einen hohen Gang einlegen wie die Russen“. Denn: „Die Russen gehen nicht nach Hause. Die machen weiter.“

Russen im hohen Gang sind eine seltsame Vergleichsgröße und um 16 Uhr vom Fließband heimgehende Arbeitskräfte im Hightech-Paradies Dänemark ein eher altertümlicher Maßstab. Schon 2023 beim Entscheid für die ersatzlose Streichung eines Feiertags, hagelte es Proteste. Die „Hygge“-Weltmeister in Dänemark lassen sich nicht gern von einer Berufspolitikerin ohne eigene Job-Erfahrung vorhalten, ihre Arbeitsmoral lasse zu wünschen übrig. Schon gar nicht, wenn die Begründung daherkommt, als seien die Adressaten Kinder in der Grundschule.

Das ganze Ausmaß des Desasters für Frederiksen und ihre zwei bürgerlich rechten Koalitionspartner ist aber erst jetzt klargeworden, als die Bevölkerung zum ersten Mal auf den „Großen Bettag“, stets ein Freitag zwischen Ostern und Pfingsten, verzichten musste. Aktuelle Umfragen sind für die Regierungschefin so katastrophal ausgefallen, dass die Medien in den Nekrolog-Ton wechselten. Frederiksens Sozialdemokratie hat mit 17 Prozent einen nie zuvor gemessenen Tiefststand erreicht, der den dringenden Umzugswunsch der Chefin Richtung Brüssel als „nach mir die Sintflut“ für alle einleuchtend erklärt.

Die Regierungschefin hatte die Feiertagsstreichung zunächst mit zu mageren Staatsfinanzen begründet: Die Alterspyramide, zu wenig Arbeitskräfte bei immer höherem Bedarf im Pflege- und Gesundheitssektor, das ist in Dänemark nicht anders als in Deutschland. „Jeder von uns“ müsse jetzt ein bisschen mehr leisten und das Steueraufkommen vermehren, damit der hohe dänische Wohlfahrtsstandard zu halten sei, so die Politikerin.

Als die Steuereinnahmen dank eines Wirtschaftsbooms, anders als beim großen Nachbarn im Süden, ganz von selbst auf Rekordhöhen kletterten, wechselte die Begründung für die Feiertagsstreichung auf „die Russen“ mit ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Man müsse sich gegen Moskaus Expansionsdrang durch mehr Arbeiten für den Militärhaushalt wappnen. Drei Milliarden Kronen (400 Millionen Euro) sollen durch den gestrichenen Feiertag zusätzlich in die Staatskasse fließen. Als die Regierung aber auch frohgemut vorrechnete, sie sehe eigentlich keine Probleme bei der Finanzierung von zusätzlich 195 Milliarden Kronen für die Rüstung (bis 2032), fühlte sich die Wählerschaft noch mal für dumm verkauft.

Die handfesten Folgen haben am ersten arbeitspflichtigen „Bettag“ seit 350 Jahren vor allem all die getroffen, die etwa am Steuer von Bussen, in Supermärkten, Krankenstuben oder beim Putzen von Regierungs- sowie Medienbüros persönlich anwesend sein müssen. Wer Homeoffice machen kann, hat im gerade prächtig aufblühenden Sommerhaus-Garten den Feiertag womöglich privat über die Runden retten können.

Nachdem sich die bisher instinktsichere Populistin Frederiksen hier vor allem gegenüber der Stammwählerschaft total verrechnet hat, sieht die politische Konkurrenz ihre Stunde gekommen. Es läuft so bizarr mit knackigen Statements wie in der weltberühmten TV-Serie „Borgen“ über Kopenhagener Politik-Ränke: Eine Partei nach der anderen verkündet jetzt vor den Kameras, man werde nach dem Sieg in der nächsten Wahl „selbstverständlich den Dänen ihren Großen Bettag zurückgeben“. Ein dankbareres Wahlkampfthema gegen die Regierenden findet sich selten, und so prophezeit die Zeitung „Information“: „Der tote Bettag wird Mette Frederiksen weiter verfolgen wie ein Zombie.“

Die ganze Welt rüstet immer schneller auf

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Sipri warnt vor weltweiter Militarisierung

23.04.2024

Von: Thomas Borchert

Das Stockholmer Friedensinstitut Sipri warnt vor einer Militarisierung der Politik auf allen Kontinenten.

Das Bild ist alarmierend: Weltweit nimmt die Militarisierung der Politik zu; das belegen die jüngsten Zahlen des Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm. Für seine „Trends bei weltweiten Militärausgaben“ ermittelt Sipri, dass Ausgaben 2023 ausnahmslos auf allen Kontinenten gestiegen sind. Mit durchschnittlich 6,8 Prozent plus haben die Rüstungshaushalte einen nie zuvor von Sipri gemessenen Höchststand von 2,443 Billionen Dollar erreicht. Das entspricht 306 Dollar pro Mensch auf der Erde und 6,9 Prozent sämtlicher Staatsausgaben.

Wenig überraschend ragen mit hohen Steigerungsraten in den Sipri-Listen Staaten heraus, die an schon laufenden Kriegen beteiligt sind. So erhöhte Russland seine Militärausgaben 2023 um 24 Prozent auf 109 Milliarden Dollar und die Ukraine ihre um 51 Prozent auf 64,8 Milliarden Dollar. Werden Militärhilfen anderer Staaten über 35 Milliarden Dollar (davon 25,4 aus den USA) dazugerechnet, gibt die Ukraine fast genauso viel für militärische Zwecke aus wie der für den Krieg verantwortliche Kreml.

Für Israel verzeichnet Sipri unter Hinweis auf die „umfassende Offensive in Gaza als Antwort auf den Angriff der Hamas“ im letzten Oktober ein Plus bei den Militärausgaben um 24 Prozent auf 27,5 Milliarden. Israel zahlt seit dem Beginn des Krieges in Gaza monatlich 4,7 Milliarden Dollar gegenüber 1,8 Milliarden Dollar in den ersten neun Monaten für sein Militär. Im gesamten Nahen und Mittleren Osten sind die Rüstungsausgaben 2023 um neun Prozent und damit kräftiger als in den zehn voraufgegangenen Jahren gestiegen.

Nach wie vor unangefochten die Nummer eins auf der Welt sind die USA mit Gesamtausgaben von 916 Milliarden Dollar und damit 2,3 Prozent mehr als 2022. Laut Sipri ist das immer noch drei Mal so viel, wie Chinas Führung für die zweitstärkste Militärmacht der Welt mit 296 Milliarden Dollar vorhält. Aber der Abstand zwischen den beiden verringert sich: Seit drei Jahrzehnten treibt China seinen Militärhaushalt permanent nach oben, zuletzt zwischen 2014 und 2023 um 60 Prozent, in den beiden voraufgegangenen Dekaden jeweils um 150 Prozent.

Nato-Staaten: 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben

Die Nato-Staaten zusammen standen im vergangenen Jahr für 55 Prozent der weltweiten Militärausgaben. Für Deutschland errechnete Sipri eine Steigerung 2023 um neun Prozent auf 66,8 Milliarden Dollar, was einem Anteil von 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach. Elf von 31 Nato-Staaten (in dieser Erhebung das letzte Mal ohne Schweden) erreichten das von der stärksten Militärallianz der Welt definierte Ziel, mindestens zwei Prozent des individuellen BIP für militärische Zwecke bereitzustellen. Polen steigerte seine Ausgaben um 75 Prozent und seit 2014 um 181 Prozent auf 31,6 Milliarden Dollar.

So wie dies als Antwort eines Nachbarn auf den russischen Krieg gegen die Ukraine verstanden wird, kennzeichnet Sipri die massive Aufrüstung der Staaten im Pazifikraum als Reaktion auf Chinas wachsenden Machtansprüchen. Japan legte 2023 um elf Prozent auf 50,2 Milliarden Dollar und Taiwan ebenfalls um elf Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar zu. Dieser gegenseitige Trend werde sich in den kommenden Jahren fortsetzen, heißt es im Stockholmer Bericht.

Sipri-Projektleiter Nan Tian meint: „Der beispiellose Anstieg der Militärausgaben ist eine direkte Antwort auf die globale Entwertung von Frieden und Sicherheit.“ Er warnt vor den Folgen dieser Verschiebung der Wertvorstellungen: „Die Staaten riskieren damit eine Aktions- und Reaktionsspirale in einer zunehmend unsicheren geopolitischen Sicherheitslandschaft.“

Als „zunehmenden Trend“ für die Region Mittel- und Südamerika notiert das Stockholmer Institut massive Militärausgaben zur Lösung interner Konflikte. Die mexikanische Regierung gab 2023 11,8 Milliarden Dollar und damit 55 Prozent mehr für militärische Zwecke aus als 2014. Elf Prozent davon gingen an die ausschließlich zur Bekämpfung organisierter Kriminalität 2019 aufgebaute Nationalgarde. „Der Grund ist entweder die Unfähigkeit der Regierungen zur Lösung des Problems mit normalen Mitteln oder dass sie einfach schnelle gewaltsame Antworten bevorzugen,“ kommentiert Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva.

Der kritische „Weltrekord“ bei militärischen Ausgabensteigerungen im letzten Jahr geht nach Afrika: Sipri hat ein Plus von 105 Prozent auf 794 Millionen Dollar für die Demokratische Republik Kongo ermittelt, wo die Regierung Krieg gegen interne Gegner führt und die Spannungen mit dem Nachbarn Ruanda zunehmen. Der Südsudan folgt auf dem zweiten Platz mit 78 Prozent plus auf 1,1 Milliarden Dollar. Als Hintergrund benennt Sipri neben interner Gewalt auch Rückwirkungen des Bürgerkrieges im benachbarten Sudan. Dort sind 18 Millionen Menschen akut von Hunger bedroht.

Kopenhagener Wahrzeichen niedergebrannt

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Entsetzen in Kopenhagen nach Brand der Alten Börse

Stand: 16.04.2024, 16:52 Uhr

Von: Thomas Borchert

Ein Feuer zerstört die Alte Börse – das 399 Jahre alte Wahrzeichen der dänischen Hauptstadt Kopenhagen stürzt teilweise ein

Das historisch beneidenswert erhaltene Zentrum von Kopenhagen hat sein vielleicht schönstes und knapp 400 Jahre altes Wahrzeichen verloren. Kurz vor dem Jahrhundert-Geburtstag der 1625 fertiggestellten Alten Börse im Herzen von Dänemarks Hauptstadt brach das Feuer während Renovierungsarbeiten unter dem Dachstuhl aus. Als am Dienstagvormittag live im Fernsehen mit anzusehen war, wie Flammen die Turmspitze mit vier ineinander verschlungenen Drachen aus 72 Meter Höhe zum Einsturz brachten, haben viele Menschen gedacht (und sogleich massenhaft gepostet); „Das ist wie Notre Dame,“ oder „Unser Notre Dame.“

Sie hatten frisch vom Vortag die Berichte zum fünften Jahrestag der Brandkatastrophe im Dachstuhl der weltberühmten Pariser Kathedrale in Erinnerung. Genau wie dort kam auch in Kopenhagen kein Mensch zu Schaden, und dass Frankreich jetzt den erfolgreichen Abschluss des Wiederaufbaus feiern kann, dürfte ebenso Trost vermitteln.

Ansonsten aber herrschte blankes Entsetzen. Sofort nach dem ersten Brandalarm bei strahlendem Sonnenschein rannten Beschäftigte von Dänemarks in der Börse untergebrachten Gewerbeverband durch das Gebäude, um möglichst viele Gemälde und andere historische Kostbarkeiten zu retten. Das scheint in hohem Maß gelungen zu sein, da die Flammen zunächst nur direkt unter dem Dach wüteten. Allerdings lieferten ihnen nach Aussage der Feuerwehr unendlich viel Holz in der Konstruktion und viele Hohlräume beste Bedingungen, um sich nach unten durchzufressen. Auch das Kupferdach, das jede Abkühlung der Brandhitze nach oben verhinderte, und die Ummantelung des Gebäudes durch ein Baugerüst mit Plastikabdeckung erschwerten die Löscharbeiten enorm.

Ein Teil dänischer Geschichte

„400 Jahre Kulturerbe stehen in Flammen,“ kommentierte der dänische Kulturminister Jakob Schmidt Engel. Die Börse, ein elegant längliches Gebäude im niederländischen Renaissance-Stil mit seiner seit 1625 weithin sichtbaren Turmspitze, ist Kopenhagens vermutlich meistfotografiertes Wahrzeichen nach der Kleinen Meerjungfrau. Sie hat fast 300 Jahre mehr geschichtliches Patina als die kleine Figur aus Hans Christian Andersens Märchenwelt am Hafenkai Langelinie, ein bisschen außerhalb.

Die Börse, direkt neben dem Parlamentssitz Schloss Christiansborg („Borgen“), steht viel stärker auch als Symbol für einen Teil der dänischen Geschichte, auf den man im Königreich gemeinhin stolz ist. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen formulierte, beim Einsturz der Turmspitze habe es ein landesweites „Aufstöhnen“ gegeben: „Das tat der dänischen Volksseele weh, weil es um hunderte Jahre unserer Geschichte geht.“

König Christian IV. (1577-1648) hatte Großmachtambitionen nach außen und wollte dazu passend seine Hauptstadt gestalten. Während er als Kriegsherr unter anderem im Dreißigjährigen Krieg wenig erfolgreich war, gilt dieser König seinen Landsleuten bis heute als wagemutiger und vielleicht erfolgreichster Baumeister aller Zeiten in Kopenhagen. Die Börse ließ er buchstäblich auf Wasser bauen. Ihr Fundament ist, wie später auch diverse benachbarte Ministerien im Regierungsviertel Slotsholmen, dem Meer abgerungen. Den Namen verdankt sie nicht Aktiengeschäften, sondern der ursprünglich hier betriebenen Lagerung und dem Handel mit Korn.

Paradoxerweise gehört zu den Besonderheiten des Baus, dass er bis jetzt von Feuer verschont geblieben war. Andernorts gab es davon reichlich in Kopenhagens Mitte. Das Gebäude mit seiner roten Ziegelfassade hat nicht nur die umfassenden Stadtbrände 1728 und 1795 unbeschadet überstanden, sondern auch verheerende Feuer nebenan auf Schloss Christiansborg 1794 und 1884. Noch in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brannten gleich nebenan ein historisches, jetzt für das Parlament genutztes Lagergebäude und die Schlosskirche auf der anderen Seite von Christiansborg.

Als fast sicher darf angenommen werden, dass Kopenhagen – wie Paris bei Notre Dame – mit dem Wiederaufbau der Alten Börse rechnen kann. Oberbürgermeisterin Sophie Hæstorp Andersen wie auch Kulturminister Engel versprachen sofort, „alles in ihrer Macht Stehende“ dafür zu tun. Außenminister Lars Løkke Rasmussen fand schon die Frage danach „überraschend“. Er sei zwar nicht zuständig, aber: „Natürlich werden die Menschen in Kopenhagen die ikonische Turmspitze wiedersehen.“

Tesla wird seit einem halben Jahr in Schweden bestreikt

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Arbeitskampf bei Tesla: Wie schwedische Mechaniker Musk in die Knie zwingen wollen

12.04.2024

Von: Thomas Borchert

Gewerkschaften in Schweden kämpfen für einen Tarifvertrag beim E-Autobauer Tesla. Dessen Chef Elon Musk ist davon nicht begeistert.

Dass vierzig Automechaniker und -mechanikerinnen in schwedischen Tesla-Werkstätten den reichsten Mann der Welt in die Knie zwingen können, klingt unwahrscheinlich. Auf jeden Fall aber hat ihr knapp halbjähriger Streik zur Erzwingung eines Tarifvertrags Elon Musk zu einem öffentlichen Wutausbruch getrieben. „Das ist verrückt“, schrieb der Chef von weltweit 130 000 Tesla-Beschäftigten auf dem Twitter-Nachfolger X, als mehrere Gewerkschaften in Schweden Sympathieaktionen gestartet hatten. Zum Beispiel indem sie die Entladung von Teslas in heimischen Häfen blockierten. „Ich glaube, der Sturm hat uns passiert,“ beruhigte er sich dann selbst diese Woche in einem Podcast und meinte, Tesla in Schweden sei in „einigermaßen guter Verfassung“.

Elon Musk verabscheut Gewerkschaften und Tarifverträge

Nach wie vor stehen Streikwachen vor elf Tesla-Servicecentern. Marie Nilsson, Vorsitzende der Gewerkschaft IF Metall, hat diesen kleinen, aber inzwischen längsten Arbeitskampf in ihrem Land seit 80 Jahren gerade erst wieder zu einem „historischen Kräftemessen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern“ hochgeredet: „Jetzt ist wichtiger denn je, dass wir zusammenhalten und dass wir durchhalten.“

Dass Musk Gewerkschaften verabscheut und Tarifverträge verweigert, wissen auch die mehr als 10 000 Tesla-Beschäftigten im brandenburgischen Grünheide. Nach der Betriebsratswahl im März freute sich Werksleiter André Thierig auf: „Unsere Belegschaft hat sich mehrheitlich gegen einen gewerkschaftlichen Betriebsrat ausgesprochen.“ Die IG Metall, die jetzt 16 von 39 Betriebsratsmitgliedern stellt, hatte im Wahlprogramm die Forderung nach einem Tarifvertrag erst schüchtern als letzten Punkt aufgeführt, wie ein Fernziel für bessere Zeiten mit mehr Organisierten.

In Schweden sind knapp 70 Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert, Tarifverträge decken sogar 90 Prozent aller Jobs ab. Auch hier aber beschreiten immer mehr junge Unternehmen mit Weltnamen wie Uber und Amazon an der Spitze denselben tariflosen Weg wie Tesla. Mit weniger Lohn, härteren Arbeitsbedingungen und geringerer Arbeitsplatzsicherheit, versteht sich.

Streikende werden von Tesla schikaniert

Vor diesem Hintergrund ist der am 27. Oktober gestartete Streik für ein paar wenige Tesla-Beschäftigte zum Grundsatzstreit für die Verteidigung des „Schwedischen Modells“ angewachsen. Musk hat ihn als „verrückt“ und „Sturm“ wahrgenommen wegen der erfindungsreichen Sympathieaktionen nicht direkt berührter Gewerkschaften. Neben der Blockade durch Hafenarbeiter:innen (auch in den skandinavischen Nachbarländern) stoppte die Postgewerkschaft alle an Tesla adressierten Lieferungen. Aus Servicecentern wird kein Müll mehr abgeholt, und gewerkschaftlich organisierte Elektriker:innen wollten keine Tesla-Ladestationen mehr warten oder neu installieren.

Zusätzlich in Rage versetzt hat die Arbeitnehmerseite, dass Tesla für die am Streik beteiligten Mechaniker:innen Ersatzarbeitskräfte in die Werkstätten schleusen ließ. Das habe es seit einem Grundsatzübereinkommen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern 1938 in Schweden nicht einmal gegeben. Allerdings gehört zur vorläufigen Bilanz auch, dass die Streikwachen an den Werkstoren nie auch nur einen Streikbrecher oder eine Streikbrecherin an der Arbeit hindern konnten. Tesla hat seine Verkaufszahlen in den letzten Monaten stabil gehalten und den Transport von Neuwagen erfolgreich vom Seeweg auf Lkw umgestellt. Von Beginn an beteiligen sich von 120 betroffenen Tesla-Mechanikern und -Mechanikerinnen auch nur 40 am Streik.

So war vielleicht als erste Weichenstellung für eine weiche und zugleich gesichtswahrende Landung Mitte der Woche im Gewerkschaftsblatt „Arbetet“ von mehreren „Geheimtreffen“ zwischen IF Metall und Tesla zu lesen. Eigentlich handelte es sich dabei um gesetzlich zwingend vorgeschriebene Mitbestimmungssitzungen im Betrieb, ohne Bezug zum Tarifstreit. Aber Metallgewerkschafter Karl-Henrik Rosberg aus Göteborg ließ sich mit dem Eindruck zitieren, das „Verhandlungsklima“ sei prima gewesen. Und: „Wir wollten Tesla zeigen, dass wir gute Beziehungen wünschen und dass wir nicht gefährlich sind.“