Uncategorized
Norwegens Lachszucht bringt Milliardengewinn und Massenflucht der eingepferchten Fische

Aldi, Lidl und Edeka im Fokus: Massenausbruch rückt Norwegens Lachszucht in die Kritik
05.03.2025
Von: Thomas Borchert
Die Lachszucht in Norwegen ist ein lukratives Geschäft für Milliardäre, doch sie hat eine dunkle Seite. Tierleid, Umweltprobleme und Sabotage sind an der Tagesordnung. Ein kürzlicher Massenausbruch von Lachsen wirft ein Schlaglicht auf die Branche.
„Insel der Milliardäre“ heißt die Netflix-Dramaserie über Norwegens Lachszüchter:innen mit ihrem gnadenlosen Konkurrenzkampf um Traumprofite, Sabotage an den Meereskäfigen und ohnmächtig protestierenden Umwelt- sowie Tierschützer:innen. Seit Herbst ist sie zu streamen und wird jetzt von der Wirklichkeit als Dramaturg schon fast in den Schatten gestellt.
Norwegens Lachszucht boomt: Foodwatch kritisiert Praxis
Mitte des Monats meldete der weltgrößte Lachszucht-Konzern Mowi Rekordgewinne und Rekorddividenden aus dem vierten Quartal, die zum „All Time High“ an der Osloer Börse führten. Die Schlachtmenge stieg dank des unersättlichen Appetits auf Zuchtlachs 2024 auf 520 000 Tonnen und soll 2026 rund 600 000 Tonnen erreichen.
Ganz und gar in die falsche Richtung geht das für die deutsche Verbraucherorganisation Foodwatch. Sie verlangt von den großen Supermarktketten Edeka, Rewe, Lidl und Aldi einen kompletten Verkaufsstopp für Zuchtlachs aus dem Land der Fjorde: „In Norwegen starben im vergangenen Jahr (2023) 100 Millionen Zuchtlachse – ein neuer trauriger Höchststand, der die dramatische Lage in der Aquakultur verdeutlicht.“ Gemeint ist das vorzeitige Verenden von Fischen, die in Käfigen zusammengepfercht immer nur im Kreis schwimmen können. Das hat massenhaft Infektionskrankheiten, Verletzungen und vor allem den Befall durch Lachsläuse mit großflächigen Wunden zur Folge. So verendet etwa jeder sechste Lachs elend während der Mästungsphase.
27 000 Lachse brechen aus norwegischer Zuchtanlage aus
Das Unternehmen Mowi ist eine Geldmaschine für den schon als Schiffsreeder und Öl-Magnat zum reichsten Norweger aufgestiegenen John Frederiksen. Weil ihm die Steuern in der Heimat mit seinem von Forbes auf elf Milliarden Dollar geschätzten Vermögen zu hoch waren, ist er schon lange Ex-Norweger und hat sich einen „goldenen Pass“ auf Zypern zugelegt. Allein für das vierte Quartal kann Frederiksen eine Dividende von umgerechnet 87 Millionen Euro bei einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro als Eingang verbuchen.
Ungelegen kam bei der Bekanntgabe dieser Gewinnausschüttung der zeitgleiche Massenausbruch von 27 000 Lachsen aus der Mowi-Zuchtanlage Dyrøy im Bezirk Troms. Nicht durch Sabotage von neidzerfressener Konkurrenz wie bei Netflix, sondern weil sich ein stählerner Lachskäfig aus der Verankerung gerissen hatte und auf einer Seite gekippt war. Mowi-Pressechef Ola Helge Højland kommentierte beim Sender NRK: „Das ist äußerst bedauerlich und durfte nicht passieren.“
Ausbruch von Zuchtlachsen ist höchst problematisch für den natürlichen Fischbestand
Das sollte sicher zerknirscht klingen, war aber auch Routine. Jahr für Jahr prangern Kritiker:innen das Entweichen von genetisch veränderten, oft durch Krankheit für Wildlachs und auch Meerforellen hochgefährlichen Zuchtlachsen an. Laut Foodwatch entkommen pro Jahr 200 000 Tiere aus den Käfigen und vermengen sich mit dem im Bestand gefährdeten Wildlachs aus dem Atlantik.
In diesem Fall setzte Mowi einen sagenhaften Preis von 500 Kronen, umgerechnet 43 Euro für jeden wieder eingefangenen Zuchtlachs aus der Dyrøy-Anlage aus. Eile war geboten, ehe die Fische aus den inneren Gewässern rund um die Insel in den offenen Atlantik entweichen konnten. Auf die FR-Anfrage nach dem Erfolg der Aktion über fast drei Wochen antwortete Pressesprecher Højland postwendend: „Seit gestern Abend sind 765 Fische wieder eingefangen.“ Macht 26 235 Zuchtlachse nach wie vor in freier Wildbahn, die sich mit den kümmerlichen Resten des Wildlachsbestandes paaren und ihn weiter kaputt machen können.
Norwegens Lachszucht ist zweitgrößte Exportbranche
Die Kritik an der Lachszucht führt früher oder später zwangsläufig zum Vergleich mit Zuständen in der Schweinezucht. Aber es spielt sich alles unter Wasser ab und damit „diskreter“. Das hat in gut 50 Jahren seit dem Start enorm geholfen, dieses Geschäft zur zweitgrößten Exportbranche Norwegens aufzublähen. Und zwar so schnell und unreguliert, dass Netflix reichlich Stoff für Wildwest aus dem hohen Norden gefunden hat.

Immer hart verfolgt oder überholt von der Wirklichkeit: Weil Mowi-Eigner Frederiksen ja kein Norweger mehr ist, steht jetzt der 32-jährige Gustav Magnar Witzøe an der Spitze der heimischen Milliardärs-Rangliste. Er wurde aus steuerlichen Gründen schon als Teenager zum Erben seines noch munteren Lachszüchter-Vaters mit gleichem Namen und nennt Aktien im Wert von etwa fünf Milliarden Euro sein Eigen. Nach den jungen Jahren als Model und mit 130 000 Follower:innen auf Instagram will auch Gustav Witzøe Junior irgendwann mal was in der Lachszucht machen: „Ich weiß aber noch nicht genau, was.“
Auch interessant

Bundestagswahl: Ich armer Auslandsdeutscher musste zur Stimmabgabe von Kopenhagen nach Bremen fahren

Thomas Borchert: Heimurlaub als letzte Rettung
22.02.2025
Der nette dänische Tischlermeister fand es „superstærk“, als er hörte, dass ich mich nur zur Stimmabgabe für die Bundestagswahl in die Bahn von Kopenhagen nach Bremen setzen wollte. „Das läuft ja grad in die falsche Richtung bei euch.“ Aber ob das denn nicht online zu regeln sei? Ich gab ihm seufzend recht mit der falschen Richtung, lobte mich selbst auch noch mal für die Bahnfahrt als „klare Kante gegen die AfD“ und schüttelte traurig den Kopf auf die Online-Frage: „Nein, in Deutschland findet noch alles auf Papier statt.“
Weil das so vorsintflutlich läuft, werden wohl die meisten von uns mehr als 210 000 ins Wählerverzeichnis eingetragenen Auslandsdeutschen von der Stimmabgabe ausgeschlossen bleiben. Die verkürzten Fristen haben es in allen möglichen Ländern der Welt zu einem Ding der Unmöglichkeit gemacht, dass die Stimmzettel rechtzeitig bei uns Wahlwilligen und dann ausgefüllt beim Wahlamt landen.
Bei mir fing es gut an: Kaum hatte der Herr Bundespräsident Steinmeier seinen letzten Satz bei der Ausschreibung des Wahltermin 23. Februar beendet, beantragte ich an meinem letzten deutschen Wohnort Bremen den Eintrag ins Wählerverzeichnis. Muss man selbst aktiv betreiben. Weil schon seit Jahrzehnten weg, war zu erklären, ob und wie ich denn noch mit den politischen Verhältnissen in Deutschland vertraut sei. Ich verwies auf meine tägliche Lektüre der Frankfurter Rundschau als deren Korrespondent und bekam drei Tage später eine freundliche Mail aus Bremen: Alles klar, am 5. Februar werde man meine Wahlunterlagen per Post nach Kopenhagen schicken.
Diese frohe Botschaft wurde nach ein paar Tagen zunehmend von Nervosität überlagert beim täglich mehrmaligen Öffnen des Blech-Briefkastens im Hausflur. Die der Nachbarn sind längst eingerostet, denn im voll durchdigitalisierten Königreich Dänemark öffnen die Leute nur noch ihre „Eboks“ auf dem Rechner oder Smartphone. Behörden weigern sich grundsätzlich, Schreiben auf Papier anzunehmen oder zu schicken. Was zur Folge hat, dass der traditionelle Postdienst so gut wie abgeschafft ist. Vielleicht einmal die Woche, vielleicht alle vierzehn Tage kommt mal ein Bote oder Botin, so genau kann ich es nicht sagen. Wenn was da ist, kommt es garantiert aus Deutschland.
Aber meine Wahlunterlagen waren auch nach zwei Wochen noch nicht da. Sie hatten ja mit den Kreuzen hinter Erst- und Zweitstimme den umgekehrten Weg noch vor sich. Ein hoffnungsloser Fall. Dass die deutsche Botschaft in Kopenhagen einen speziellen Kurierdienst anbot, half auch nicht mehr. Auf die alte Lenin-Frage „Was tun?“ las ich in der Kopenhagener Dachkammer die wieder freundliche Mailauskunft aus der 500 km entfernten Hansestadt, ich sei willkommen im Wahlamt An der Weide 50a, direkt neben dem Hauptbahnhof. Mit einer eidesstattlichen Erklärung über fehlende Wahlunterlagen könne ich dann sofort wählen.
Gesagt, getan: Und jetzt mal keine Witze über Bahnverspätungen wegen zugefrorener Weichen. Lustig finden das Ganze sowieso nicht all die Leidensgenoss:innen unter uns Auslandsdeutschen, die mit Wohnorten wie Bogotá, San Diego, Peking oder Johannesburg noch ganz andere logistische Probleme zu bewältigen hätten. Wie allerlei Leidensberichten zu entnehmen ist, werden schon Sammelklagen gegen diesen Ausschluss Wahlberechtigter von der Bundestagswahl vorbereitet. Ich hätte mich angeschlossen, bin aber doch erstmal heilfroh über meine superstærke Lösung noch vor Sonntag 18 Uhr.“
Thomas Borchert ist unser Korrespondent in Skandinavien und lebt in Dänemark.
Das steinreiche Norwegen kann durch mehr Rüstung noch reicher werden

Norwegen sucht eine neue Ethik: Investitionen in Rüstung?
Stand: 17.02.2025
Von: Thomas Borchert
Mit dem überquellenden „Pensionsfonds“ des Königreichs soll jetzt Aufrüstung bezahlt werden – um gegen Russland bestehen zu können. Ein Umdenken.
Das steinreiche Norwegen hat seinen Reichtum durch den Krieg in der Ukraine als Europas Gaslieferant mit maximalen Mengen und hohen Preisen kräftig gemehrt: nach offiziellen Angaben um 108 Milliarden Euro als „außergewöhnliche Einnahmen“. Das ist ein bisschen mehr als die Ukraine-Hilfe aus den USA und Deutschland zusammen.
Zum Start der Münchener Sicherheitskonferenz kam aus Oslo genauso offiziell die Anregung, eine weitere Einnahmequelle angesichts der weltweit gestiegenen Krisen- und Kriegsstimmung anzuzapfen. Norwegens Nationalbank-Chefin Ida Wolden Bache schrieb in ihrem Jahresbericht: „Wir müssen offen dafür sein, dass sich ändern könnte, was als ethisch akzeptabel gilt, wenn die Welt wieder von militärischer Aufrüstung und wachsenden Spannungen zwischen den Ländern geprägt wird.“
Norwegens Kriegsgewinne explodieren: 108 Milliarden Euro Zusatzprofite durch Gas-Exporte
Im Klartext: Die gigantischen Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft sollen künftig breiter in Rüstungsunternehmen investiert werden können. Sie fließen bisher komplett in den „Pensionsfonds“, mit einem nur schwer fassbaren Kapital von 1700 Milliarden Euro, die im Ausland angelegt werden.
Dem größten staatlichen Investor der Welt verbieten „ethische Richtlinien“ aber Geldanlagen bei Rüstungsproduzenten, die etwa an der Herstellung von Atomwaffen beteiligt sind, darunter Airbus, Boeing, BAE Systems und Lockheed. Nach einer von Friedensgruppen international gelobten Verschärfung dieser Richtlinien 2021 musste sich der Fonds von diversen Beteiligungen trennen.
Ethik im Wandel: Nationalbankchefin regt Rüstungsinvestitionen für den Staatsfonds an
Damit soll Schluss sein, findet die Nationalbankchefin: „In der heutigen Welt müssen die nationale Sicherheit und die Abwehrbereitschaft im Vordergrund stehen.“ Am selben Abend meldete sich ihr Landsmann, der Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, vom Start der Münchner Sicherheitskonferenz. Eigentlich sollte er sie als deren neuer Vorsitzender eröffnen. Daraus wurde nichts, nachdem der 65-Jährige völlig überraschend das Finanzministerium in Oslo übernommen hat: „Ich bin hier vor allem wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit in der Welt,“ erklärte er im heimischen TV und warnte mehr vor Handelskriegen als vor den militärischen.
In seiner neuen Funktion dürfte Stoltenberg als bisher unermüdlicher Werber für massive Aufrüstung wohl die Anregung der Nationalbankchefin mit aller Kraft umsetzen. Internationale Kritik an Norwegens Rolle als „Kriegsgewinnler“ bei eher beherrschter Hilfe an die Ukraine weist er jetzt genauso überzeugt zurück, wie er als Nato-Generalsekretär für maximale Hilfe eingetreten ist.
Pensionsfonds-Chef Tangen: Tesla-Investor und Milliardär könnte neue Ethik durchsetzen
Die ethisch künftig wohl anders akzeptable Investment-Strategie der finanziellen Großmacht Norwegen soll Nicolai Tangen umsetzen. Der selbst steinreiche Chef des Pensionsfonds ist mit Elon Musk befreundet und dienstlich mit dem Fonds einer der zehn wichtigsten Anteilseigner bei Tesla. Von Musks Hitler-Gruß wollte er sich bisher nicht distanzieren und als Aktionär bei Tesla bleiben.
Elon Musk: Vom Milliardär aus Südafrika zum Schattenpräsidenten der USA
Die Hälfte der Fondsinvestitionen ist in den USA platziert. Tangen findet, dass Trumps Start „rein finanziell“ nur Gutes verheiße. Im TV lautete seine muntere Reaktion auf die Meldungen von den steigenden US-Aktienkursen: „Go, go, gorilla.”
Schulmassaker in Schweden: Wurden rassistische Motive vertuscht?

Massaker in Schweden birgt politischen Zündstoff
14.02.2025
Von: Thomas Borchert
Nach mutmaßlich rassistischen Morden in einem Schulzentrum in Schweden stehen Behörden in der Kritik.
Nach dem Massenmord an zehn Menschen in einem Berufsschulzentrum im schwedischen Örebro gesellt sich zu Entsetzen und Trauer immer mehr Ratlosigkeit über das seltsame Agieren von Polizei und Politik. Angeblich sollen die Ermittlungen einer ganzen Woche bisher keine Klarheit über die Motive des Attentäters Rickard Andersson gebracht haben. In einer ersten Reaktion hatte die Polizei neben der Opferzahl sofort mitgeteilt, „alles“ spreche für eine Tat ohne ideologische Motive. Jetzt hat das die nationale Polizeichefin Petra Lundh „mit Bedauern“ zurückgenommen: „Es war viel zu eingrenzend.“
Der 35- jährige Täter war mit drei halbautomatischen Jagdgewehren, versteckt in einem Gitarrenkasten, mittags in die Riksbergska-Schule gekommen. Während seines Amoklaufs soll er gerufen haben: „Ihr müsst weg aus Europa“. Nach seinem Verbrechen erschoss er sich selbst. Dass die Opfer, sieben Frauen und drei Männer im Alter zwischen 28 und 68 Jahren, fast alle aus Syrien, Bosnien, Eritrea und Iran stammten, erfuhr Schweden nicht von den eigenen Behörden. Vielmehr bestätigten die Botschaften von Syrien und Bosnien den Tod von Bürger:innen ihrer Länder, während die schwedische Polizei dazu schwieg, weil die Identifizierung der Toten nicht abgeschlossen sei. Nach acht Tagen erst kam die Bestätigung: Acht von zehn Opfern stammten aus dem Ausland.
Dabei hatte Regierungschef Ulf Kristersson schon Tage vorher mit seiner ungewöhnlichen TV-Rede „an die Nation“ auch dem Letzten klargemacht, worum es hier beim schlimmsten Massenmord in der Geschichte des Landes offenbar doch geht: Er verstehe absolut die massive Unruhe im zugewanderten Teil der Bevölkerung.
„Es gibt nur ein Schweden. Nicht wir und die anderen“, sagte der Premier und lobte ausdrücklich die zur Ausbildung in der Krankenpflege an die Berufsschule gekommenen Opfer. Sie hätten das Land besser machen wollen. Auch in Schweden ist der akut unterbesetzte Pflegesektor stark von migrantischer Arbeitskraft abhängig. Kristersson rief eine nationale Schweigeminute aus. In Respekt für die ehrlich wirkende TV-Rede des Premiers mischt sich bei vielen Stirnrunzeln. Der Hintergrund: Kristersson hat seine Minderheitsregierung von den Stimmen der rechtsextremen Schwedendemokraten (SD) im Reichstag abhängig gemacht.
Schwedische Regierung hetzt gegen Migrantinnen und Migranten
Nach der letzten Wahl ist 2022 im größten Land Skandinaviens die „Brandmauer“ von Kristerssons Konservativen gegen jede Zusammenarbeit mit den aus Neonazigruppen entstandenen SD komplett gefallen. „Er muss begreifen, dass seine jetzigen Worte vielen Schweden schrill in den Ohren klingen. Denn normalerweise klingen er und seine Partner ganz anders“, kommentiert „Aftonbladet“. Das Blatt verwies auf die SD-Parolen gegen die „Islamisierung“ und die dort gern verwendete Verschwörungstheorie vom „Bevölkerungsaustausch“.

Sich klar gegen derlei zu wenden, wäre für Kristersson gleichbedeutend mit dem Verlust der Regierungsmacht. Und habe er nicht selbst, hieß es in „Aftonbladet“ weiter, kurz vor dem Anschlag in Örebro verkündet, die Kriminalität in Schweden „sei stark mit der Zuwanderung verknüpft“? Tatsächlich gehört zu den herausragenden Aufgaben für die Stockholmer Regierung, der trotz unablässiger Gesetzesverschärfungen und Aufrüstung der Polizei grassierenden Bandenkriminalität mit immer neuen Schießereien und Bombenanschlägen Herr zu werden. Der hohe Anteil Jugendlicher mit Migrationsgeschichte ist nicht zu leugnen, und wie stark dafür mangelnder Integrationswille, Unfähigkeit von Behörden oder anderes verantwortlich gemacht werden muss, erscheint der Mehrheit der zehn Millionen Menschen in Schweden immer zweitrangiger.
Der Anschlag von Örebro gehört mit Sicherheit nicht zu dieser Kategorie, hat aber das Bild von dem gegenüber Gewalt ohnmächtigen Staat auf besonders brutale Weise verstärkt. Ganz unroyal hat dem Königin Silvia Ausdruck verliehen, als sie beim Besuch der Berufsschule in Örebro sagte: „Was ist nur aus dem feinen Schweden geworden? Ich bitte eindringlich alle um Mithilfe, es wieder aufzubauen. Um den Namen wieder stark zu machen. Was es heißt, schwedisch zu sein“.
Norwegen macht der Krieg in der Ukraine noch viel reicher

Ukraine-Krieg beschert Norwegen „außergewöhnliche Einnahmen“
17.01.2025
Von: Thomas Borchert
Norwegen kassiert durch die russische Invasion in die Ukraine mehr als 108 Milliarden Euro zusätzlich.
Norwegens Finanzministerium hat die astronomische Höhe seiner „außergewöhnlichen Einnahmen“ durch den Krieg in der Ukraine selbst ausgerechnet. Umgerechnet 108 Milliarden Euro habe allein der Anstieg der Gaspreise nach der russischen Invasion zusätzlich in die Staatskasse gespült, hieß es von Europas wichtigstem Energielieferanten nach einer parlamentarischen Anfrage. Dieser Gewinn übertrifft die bisherigen Ausgaben der USA mit 88,3 Milliarden plus Deutschland mit 15,7 Milliarden Euro für die von Russland überfallene Ukraine. Zusammengerechnet nach den vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ermittelten Zahlen 104 Milliarden Euro.
Das groteske Missverhältnis ist im politischen Oslo ein Randthema. „Stattdessen hat die norwegische Regierung beschlossen, ein Kriegsgewinnler zu sein und sich gierig an ihre Gewinne zu klammern“, klagten in einem Beitrag für ausländische Zeitungen der Volkswirtschaftler Knut Anton Mark und der Finanzwissenschaftler Håvard Halland, nach Berufsjahren auch bei der Weltbank und der OECD wohl frei vom Verdacht, als Moralapostel zu argumentieren.
Sie schreiben, dass die Kriegsgewinne in Wirklichkeit ja noch viel höher seien, denn das Finanzministerium habe den kriegsbedingten Preisanstieg bei Öl, der zweiten für Norwegens sagenhaften Reichtum sprudelnden Quelle, außer Acht gelassen. Bei den bisherigen Hilfsleistungen für die Ukraine, militärisch, finanziell und humanitär, belegt Norwegen laut dem Kieler „Ukraine Support Tracker“ mit 3,2 Milliarden Euro einen unauffälligen Platz im Mittelfeld. Aus Oslo hielt die Regierung dagegen, die Kieler Rechnung sei irreführend und man habe die Hilfe an Kiew von 2024 auf 2025 massiv erhöht.
Unbestritten bleibt, dass die Zusatzeinnahmen aus Gas und Öl wie zu normaleren Zeiten den staatlichen „Pensionsfonds“ in hohem Tempo füllen. Er ist mit schwer fassbaren 1700 Milliarden Euro der größte staatliche Sparstrumpf der Welt. Der sozialdemokratische Regierungschef Jonas Gahr Støre hat seit Beginn des Ukraine-Krieges immer wieder stolz verkündet, Norwegens Beitrag gegen die russische Invasion sei vor allem der Einsatz als „zuverlässiger“ Lieferant maximaler Gasmengen für Europa.
Sein Finanzminister Trygve Vedum vom liberalen Zentrum beruft sich als Hüter der Einnahmen daraus auf den „Generationenvertrag“, wonach der Fonds auch künftige Generationen sichern soll. Norwegen werde irgendwann mal nicht mehr über Gas und Öl als Einnahmequelle verfügen. Seine Ablehnung von Ausnahmen in der Zeitung „Aftenposten“ verdient ein ausführliches Zitat: „Die Idee einer gesonderten Auslandsfinanzierung kann vollkommen schiefgehen. Jetzt geht es um die Ukraine, aber nächstes Mal könnte man argumentieren, dass wir (Geld aus dem Fonds) für eine Hungerkatastrophe oder den Krieg in Gaza oder das Klima einsetzen.“
Für Schlagzeilen in Oslo zum Thema Ukraine-Hilfe sorgten dann diese Woche Nachbarn im Norden. „Wie um alles in der Welt können unsere norwegischen Brüder und Schwestern sich noch selbst in die Augen schauen?“, fragte die größte Kopenhagener Zeitung „Politiken“ im Leitartikel und verwies empört darauf, dass Dänemark gut 2 Prozent seines BNP gegenüber 0,7 Prozent aus dem unendlich reichen Norwegen abzweige. Vedum reagierte im heimischen Sender TV2 ungerührt: „Wir haben für höhere Exporte gesorgt, als Europa unser Gas brauchte. Statt Kritik verdienen wir Dank.“
Die Mittelinks-Minderheitsregierung unter Führung von Støres Arbeiterpartei ist in den Umfragen immer tiefer und fast schon aussichtslos hinter das Bündnis aus Konservativen und der populistischen Fortschrittspartei zurückgefallen. Vor diesem Hintergrund wohl ist auch die markante Verschärfung der Regeln für ukrainische Flüchtlinge zu verstehen. Mit 85 000 Aufgenommenen hatte Norwegen seit 2022 eine großzügige Linie gefahren, im Herbst aber mehrere westukrainische Bezirke als „sicher“ erklärt, Einzelfallprüfungen eingeführt und weitere Regeln kräftig verschärft. „Wir tun das, um die breite Unterstützung in der norwegischen Bevölkerung für den ukrainischen Flüchtlingsstrom aufrechtzuerhalten“, begründete Justizministerin Emilie Mehl den Schritt.
Islands Frauen haben die politische Spitze jetzt komplett erobert

Island wagt mehr -dóttir
11.01.25
von Thomas Borchert
Frauen übernehmen immer mehr wichtige Posten in Politik, Wirtschaft und Forschung. Der Inselstaat Island rückt vom Patriarchat ab – aber auch nach rechts .
Alle Welt staunt über die rasante Eroberung der Staatsspitze durch Islands Frauen, aber die Hauptperson hält das für nicht der Rede wert. In ihrer Neujahrsansprache erwähnte die frisch ins Amt gekommene Regierungschefin Kristrún Frostadóttir mit keinem Wort, welchen Weltrekord ihre sozialdemokratische Allianz gerade mit zwei natürlich weiblich geführten Koalitionsparteien aufgestellt hatte. Sieben von elf Ministerposten und damit 63,6 Prozent sind von Frauen besetzt. Auch der Vorsitz im Parlament und kurz davor das Amt des Staatsoberhaupts sind von einem Isländer auf eine Isländerin übergegangen.
Die Gender-Perspektive tauchte in der TV-Rede überhaupt nicht auf. Stattdessen erklärte die 36-jährige Neue an der Spitze, wie ihre Regierung Inflation, hohe Zinsen, Wohnungsnot und die schlimmen Folgen der vielen Vulkanausbrüche in letzter Zeit angehen will. Sie kündigte eine Volksabstimmung über einen EU-Beitritt Islands an und erbat ziemlich populistisch „Sparideen“ für die Staatskasse aus der Bevölkerung.
Der Siegeszug der Frauen bot sich als Erfolgsgeschichte so unwiderstehlich an, dass heimische Medien den Spitznamen „Walküre-Regierung“ in ihre Schlagzeilen hievten und der TV-Sender RUV fragte: „Ist Island jetzt Frauenland?“ Auch außerhalb des Kabinetts gibt es Indizien – die Polizei sowie die Generalstaatsanwaltschaft, sechs von sieben isländischen Universitäten und die protestantische Staatskirche werden weiblich geführt.
Die Insel mit harten Klima mitten im Atlantik verfügt (als Nato-Mitglied) über kein eigenes Militär. Das immerhin erspart den männlichen Wikinger-Nachfahren die Demütigung, auf ihrem ureigensten Feld auch noch von den Frauen überholt zu werden. Ausgerechnet als Wächter über das Geld haben sie die Stellung gehalten. Die Nationalbank und zwei der drei größten Geldinstitute werden von Männern gelenkt, obwohl den Bankenkollaps 2008 männliche Zocker mit Kredit-Größenwahn dem Land eingebrockt hatten.
Unter den dafür 41 rechtskräftig Verurteilten sind neben 39 Männern mit der Endung „-son“ (Sohn) aber doch auch zwei Frauen mit „-dóttir“ (Tochter) im Nachnamen. Das erleichtert in Island die Gender-Zuordnung ohne Vornamen enorm und zeigt zugleich, dass noch Luft nach oben ist. Beim Sender RUV meinte auch die Gender-Forscherin Thorgerdur Einarsdóttir von der Uni Reykjavik: „Island ist weit davon entfernt, ein Land in der Hand der Frauen zu sein. Die Männer dominieren die Privatwirtschaft und das Kapital mit den Finanzeinrichtungen.“
Frauen sind hier schon lange unabhängiger
Dass es in der Politik und auch im öffentlichen Dienst so extrem anders läuft, ist nicht einfach vom meistens grauen Himmel gefallen. Eine gefühlte Ewigkeit schon sind die Frauen hier durch eigene Jobs unabhängiger als anderswo. Und selbstbewusster. Aus Protest gegen den Gender-Abstand bei Lohn und Gehalt organisierten Frauen 1975 den ersten landesweiten Streik. 2023 beteiligten sich mehr als 100 000 an einer Neuauflage, das war ein beträchtlicher Anteil der berufstätigen Frauen. Auch die damalige Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir von den Links-Grünen blieb der Arbeit fern und schloss sich der Protest-Kundgebung vor dem Parlament „Althing“ an.
Ausgerechnet diese Politikerin, allseits geschätzt für die Führung Islands durch die Corona-Zeit, gehört jetzt zu den abgestürzten Opfern des jüngsten weiblichen Sturmlaufs. Nach sieben Jahren als Chefin einer Koalition mit zwei Rechtsparteien galt sie als klare Favoritin auf das Amt der Staatspräsidentin und verlor gegen die politische Quereinsteigerin Halla Tómasdóttir. Das Volk zog das Modell „erfolgreiche Geschäftsfrau“ der „Integrationsfrau von links“ vor.
Noch viel klarer eine Richtungswahl nach rechts wurde der Urnengang für das Althing ein paar Monate später. Im November sackten Jakobsdóttirs Links-Grüne von 12,5 auf jämmerliche 2,3 Prozent und flogen genauso aus dem Parlament wie die Piratenpartei, auch von einer Frau geführt (mit drei Prozent). Die Linke als Flügel wurde ausradiert. Als Siegerin (mit Verdoppelung auf 20,8 Prozent) tat sich die traditionell rechts ausgerichtete Sozialdemokratie mit der wirtschaftsliberalen Reformpartei und der zugleich stramm nationalistischen wie linkspopulistischen Volkspartei zusammen. Deren Chefin Inga Sæland führt jetzt das Sozial- und Wohnungsressort, Thorgerdur Gunnarsdóttir von der Reformpartei ist Außenministerin.
Das Frauentrio mit Frostadóttir an der Spitze steht also für einen Rechtsruck. Leicht seufzend konstatiert das auch die Journalistin Steinnunn Stefansdóttir und fügt hinzu: „Man kommt nicht drumherum, dass die drei eine positive, frohe Stimmung verbreiten.“ Wie sie einander herzten und in schwesterlicher Eintracht von schönen Stunden auch mit gemeinsamem Gesang bei ihren Koalitionsverhandlungen berichteten, das verbreite einfach Optimismus. Ähnlich kommentierte das im TV die Gender-Professorin Einarsdóttir: „Mit dem neuen Führungsstil wird mehr Demut vor der Macht demonstriert, weg von der patriarchalen Kraftrhetorik, die Islands Politik lange dominiert hat.“
Trumps Griff nach Grönland schockt Dänemark
Bei Donald Trumps Griff nach Grönland erscheint schon der Ausgangspunkt irrational. Bereits jetzt bestimmen die USA in der Praxis, was dort zu tun ist.
Streit um Grönland: Viele sind verwirrt im Staate Dänemark
10.01.2025
Von: Thomas Borchert
Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen schwörte in ihrer Neujahrsansprache die Bevölkerung düster auf schwere Zeiten in einer „anderen Welt“ ein: „Die Bedrohungen kommen in vielerlei Formen. Aber egal, was uns erwartet, wir müssen den Willen haben, uns zu verteidigen. Den Willen zu siegen.“ Das Böse „gegen uns“ ortete sie ausdrücklich in „Moskau, Pjöngjang und Teheran – mit China in den Kulissen“. Was tun? Eins jedenfalls nicht: „Geben wir nach, verlieren wir.“
Die erste Erfüllung der düsteren Prophezeiung kam ein paar Tage später postwendend, aber überraschend aus Miami Beach. Dass der künftige US-Präsident Donald Trump die Forderung nach Abtretung Grönlands auch gleich mit einer Invasionsdrohung gegen den Nato-Verbündeten Dänemark verband, verschlug Frederiksen erst mal die Sprache.Sie brauchte lange für ihre erste Reaktion, die dann aber auch nicht einen Hauch von Vorwürfen Richtung Trump enthielt. Über die Zukunft Grönlands, das mit der alten Kolonialmacht Dänemark teilautonom verbunden und von Subventionen aus Kopenhagen stark abhängig ist, sollten „nur die Grönländer entscheiden“.
Über Trumps Drohung mit Wirtschaftssanktionen und sogar dem Militär sagte die Sozialdemokratin: „Ich kann mir in meinen wildesten Fantasien nicht vorstellen, dass es soweit kommt.“ Außenminister Lars Løkke Rasmussen äußerte auch noch „Verständnis für die Sorgen der USA um Grönland,“ weil doch Russland in der Arktis bedrohlich aktiv sei. Man müsse Trump auch nicht immer so genau beim Wort nehmen.
Das war eine wahrlich weichere Tonlage, als sie aus den gewichtigen EU-Hauptstädten Paris und Berlin zu hören war, wo recht klare Erinnerungen an die Unverletzlichkeit der Grenzen über den Atlantik geschickt wurden. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas wies Trumps Ansprüche entschieden zurück.
In Dänemark verblasste das neben Trumps wild inszenierter Begleitmusik zur Forderung nach Grönland: Er ließ seinen Sohn Donald Junior im eigenen Flugzeug „Trump Force One“ in Grönlands Hauptstadt Nuuk landen, bevor er nach vier Stunden wieder nach Hause flog. Danach verkündete Trump Junior in Fox News, die Grönländer:innen seien die rassistische Behandlung durch die Dänen leid und wollten lieber zu den USA gehören.
Neuwahlen stehen an
Vier Monate vor Neuwahlen auf der Insel verheißt das nichts Gutes. Auf jeden Fall ist klar, dass die ohnehin starken Stimmen für eine komplette Lösung von Dänemark jetzt massiv Aufwind bekommen.
Die Kopenhagener Politik sieht sich in einer schwer überschaubaren Krisensituation, wie zuletzt 2006, als sie wegen der Mohammed-Karikaturen in der islamischen Welt zum Feindbild wurde.
Bei Trumps Griff nach Grönland erscheint auch wieder unkalkulierbar, was als Nächstes passieren kann. Schon der Ausgangspunkt wirkt irrational, wie alle Grönland-Kenner:innen in Nuuk und Kopenhagen einhellig erklären: Auch jetzt bestimmen in der Praxis die USA auf Grönland militärisch souverän, was zu tun ist. Sie bekommen von Dänemark jeden Wunsch erfüllt.
So versteht sich fast von selbst, dass Frederiksens Regierung im Handumdrehen gewaltige militärische Zusatzanstrengungen für die Arktis rund um Grönland zusagt. Vielleicht kann ja damit der neue Mann im Weißen Haus zufriedengestellt werden. Ex-Außenminister Per Stig Møller ist aber skeptisch: „Vielleicht will Trump jetzt tatsächlich die Nato sprengen.“
Zudem drohte Trump noch mit Strafzöllen, sollte Dänemark Grönland nicht freiwillig abgeben. Dabei boomt das kleine skandinavische Königreich eigentlich, weil der Pharmakonzern Novo Nordisk mit seinen Abnehm-Präparaten Wegovy und Ozempic vor allem in den USA astronomische Profite einfährt. Trumps kommender Gesundheitsminister Robert Kennedy wettert schon lange über die extrem hohen Kosten dafür.
Trump verlangt Grönland von Dänen, und die Grönlander werfen Dänemark Völkermord auf ihrer Insel vor

Trumps Avancen und Grönlands Hoffnung
02.01.2025
Von: Thomas Borchert
Die Arktisinsel will nicht von den USA gekauft werden – engerer Kontakt zu Washington ist aber durchaus erwünscht. Vom Beginn einer schwierigen Beziehung.
Die größte Insel der Welt erwartet nicht nur des Klimas wegen ein stürmisches Jahr. Donald Trump erhebt gegenüber dem Nato-Verbündeten Dänemark territorialen Anspruch auf Grönland, während zugleich die Volksvertretung dort Kopenhagen einen Genozid auf der Polarinsel vorwirft. „Wir gehören zusammen“, hat König Frederik in seiner ersten Neujahrsansprache dagegengehalten und genauso huldvoll royale Grüße an die 57 000 Grönländer:innen ins Mikrofon gesprochen wie seine in den Ruhestand gewechselte Mutter Margrethe an jedem Silvesterabend in den vorausgegangenen 52 Jahren.
Zu Weihnachten waren Grüße von ganz anderem Kaliber in der Hauptstadt Nuuk angekommen. Donald Trump hatte sich noch vor der Amtsübernahme im Weißen Haus direkt an die Einwohner:innen der Arktisinsel gewandt und ihnen ein „Merry Christmas“ mit der Ergänzung gewünscht, dass die Vereinigten Staaten ihr Land „aus nationalen Sicherheitsgründen“ benötigten. Das würden sie ja auch wollen, und: „Wir werden da sein“. Was er damit ganz handfest meinte, war kurz vorher auf seiner Social-Media-Plattform Truth zu lesen. Für die USA seien „Besitz und Kontrolle von Grönland eine absolute Notwendigkeit“.
Für die in einer „Reichsgemeinschaft“ mit der Ex-Kolonialmacht Dänemark verbundenen Inuit, Grönlands Urbevölkerung, dürfte das wie das berühmte Mafia-Angebot in „Der Pate“ geklungen haben, das man besser nicht ablehnt. Als Trump 2019 in seiner ersten Amtszeit wie nebenbei bemerkte, die USA könnten doch Grönland den Dänen abkaufen, einfach wie eine Immobilie, hatte noch die ganze Welt gelacht. Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen hatte den Vorschlag als „absurd“ abgetan. Trump war darüber so beleidigt, dass er einen geplanten Staatsbesuch in Kopenhagen absagte und Frederiksen „ungezogen“ („nasty“) nannte.
Fünf geopolitisch dramatische Jahre und eine Trump-Wiederwahl später lacht jetzt niemand mehr. Haben doch auch gewichtige Stimmen aus dem Trump-Lager schon dargelegt, dass die größte Insel der Welt wegen der Klimaveränderungen mit mehr und mehr fahrbaren Schiffsrouten im polaren Norden und wertvollen Rohstoffvorkommen für die USA im Wettlauf mit Russland und vor allem China als militärische Basis „unverzichtbar“ sei.
Frederiksen hüllt sich zum neuen „Angebot“ in Schweigen und erklärte, sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit dem künftigen US-Präsidenten. Klarer wurde in Nuuk Mute Egede, der Chef der Selbstverwaltungs-Regierung: „Grönland gehört uns. Wir stehen nicht zum Verkauf und werden das niemals sein.“ Gleichwohl sei man offen für alle Formen von Zusammenarbeit und Handel, insbesondere mit den Nachbarn. Womit durchaus die USA gemeint sind.
Zorn auf Dänemark
In Kopenhagen hatte Egede, dessen Regierung nach innen weitgehend autonom entscheidet, sicherheitspolitisch aber an Dänemark gebunden ist, bei einem vorweihnachtlichen Besuch das Verhältnis zur „sogenannten Reichsgemeinschaft“ in tiefstem Schwarz ausgepinselt: „Wir sind an einem Gefrierpunkt angelangt und mit unserer Geduld am Ende.“ Hintergrund ist der erst jetzt bekanntgewordene Umfang dänischer Zwangs-Programme zur Schwangerschaftsverhütung auf Grönland. Zwischen 1966 und 1970 wurden nachgewiesen 4500 jungen Grönländerinnen, darunter Zwölfjährigen, zwangsweise und oft ohne Konsultation der Eltern Spiralen eingesetzt. Das machte die Hälfte der damals gebärfähigen weiblichen Bevölkerung aus. „Wenn man die Reproduktion der grönländischen Bevölkerung stoppt, ist das Völkermord“, sagte Egede im Fernsehen. 143 betroffene Frauen haben im vergangenen Jahr den dänischen Staat auf Schadensersatz verklagt, der sich bisher nicht mal zu einer Entschuldigung durchringen konnte.
In die Reaktionen Kopenhagens, immerhin mehr als 200 Jahre lang Kolonialmacht, mischen sich nach wie vor Arroganz und Verachtung für Grönländer mit wohlfeilen Bekenntnissen zur „Reichsgemeinschaft“ auf Augenhöhe. „Afrika auf Eis“ ist so eine klassische Politikereinordnung der Ex-Kolonie, der man doch mit jährlichen Zuschüssen von vier Milliarden Kronen (550 Millionen Euro) den halben Haushalt finanziere und deshalb kein schlechtes Gewissen haben müsse.
Das Streben nach Unabhängigkeit von Kopenhagen dürfte jetzt durch Trumps erneute Initiative Auftrieb erhalten. Dabei hilft, dass hinter dessen brachialen Tweets durchdachte Pläne über Assoziierungsabkommen stehen.
Gesinnungsverhöre vor dänischem Parlamentausschuss

Einbürgerungen in Dänemark: Tränen nach dem Verhör
07.12.2024
Von: Thomas Borchert
Mittels „Gesinnungsgesprächen“ entscheidet im Nachbarland Dänemark ein Parlamentsausschuss über Einbürgerungen. Kritiker und Kritikerinnen rügen Willkür.
Dänische Politiker und Politikerinnen haben im Staatsbürgerschafts-Ausschuss des Parlaments eine Serie von „Gesinnungsgesprächen“ im Zuge der Einbürgerung gestartet. Die 17 Ausschussmitglieder luden diese Woche erstmals zwei von der Einbürgerungsbehörde schon als künftige Staatsbürger anerkannte Männer und eine Frau vor, um sie selbst über ihre „demokratische Gesinnung“ auszufragen.
Bei Zweifeln soll die Anerkennung wieder aufgehoben werden. Die drei hatten alle Bedingungen zur Einbürgerung erfüllt. Ohne irgendwelche Verfahrensregeln und teils auch ohne Beistand mussten sie die Fragen der Politiker:innen über ihr Verhältnis zur Homosexualität, zur Gleichstellung von Männern und Frauen sowie andere „dänische Grundwerte“ beantworten.
Über den genauen Inhalt der jeweils halbstündigen Befragungen gab es in Kopenhagen keine Angaben. Der Ausschussvorsitzende Mikkel Bjørn von der Rechtsaußen-Partei DF (Dansk Folkeparti) erklärte heimischen Medien, er sei „persönlich so stolz wie auf nichts anderes in diesem Jahr“. Die Gesinnungsgespräche waren auf seine Initiative hin zustande gekommen.
Alle drei Befragten kommen aus muslimischen Ländern. Entscheidend für die Mehrheit zur Vorladung im Ausschuss war die Unterstützung durch die sozialdemokratische Partei von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Deren Sprecher Anders Kronborg meinte zu den Gesinnungsgesprächen, sie seien in bester Atmosphäre verlaufen, „angenehm mit einer Tasse Kaffee und Keksen“. Medien berichteten aber, dass die vorgeladene Frau den Ausschusssaal weinend verließ.
Die Vize-Ausschussvorsitzende Helene Brydensholdt von der Partei Alternativet legte aus Protest gegen „diese Gesinnungskontrolle ohne die geringste Rechtssicherheit“ ihr Amt nieder. Peder Hvelplund von Enhedslisten sagte nach den drei Treffen: „Mir wurde physisch übel bei den Gesinnungsverhören. Ich habe in zwanzig Jahren Politik noch nie so etwas Demütigendes erlebt und mich am Ende bei den Vorgeladenen für diese Schandfleck der Demokratie entschuldigen müssen.“

Kritik an Vorladungen: „Total willkürlich“
Die Ausschussmehrheit zog die drei Vorladungen durch, obwohl das Justizministerium in einem internen Schreiben vor möglichen Rechtsbrüchen auch durch vollkommen fehlende Verfahrensregeln gewarnt hatte. Die Einbürgerungs-Juristin Eva Ersbøll nannte die Vorladungen „total willkürlich“. Sie verwies auf einen möglichen Bruch von Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sie sichert Staatsbürgerschaft als Teil des Rechts auf Privat- und Familienleben ab. Das wies das sozialdemokratische Ausschussmitglied Thomas Skriver Jensen im Sender „DR“ zurück: Seine Partei achte die Menschenrechte. „Aber wenn es um die dänische Staatsbürgerschaft und das Erbrecht auf unser Land geht, sticht das alles andere aus.“
Zu den Besonderheiten des harten dänischen Einbürgerungsrechts gehört die politische Entscheidung über jeden einzelnen Antrag. Nach der behördlichen Prüfung stimmt das Parlament zweimal im Jahr über eine Liste mit den anerkannten Bewerbungen ab. Vorausgegangen sind Einzelentscheidungen über Zweifelsfälle im Fachausschuss, der dabei an keine Regeln gebunden ist. Nach der gängigen Auffassung unter Politiker:innen gibt es auch nach Erfüllung aller objektiv festgelegten Regeln kein Anrecht auf die dänische Staatsbürgerschaft. Viele sehen sie als vom Staat verliehenes „Geschenk“.
Ein Antrag können Anwärter*innen erst ab dem 18. Lebensjahr stellen. Dabei müssen in Dänemark geborene und mit ausländischen Eltern aufgewachsene Bewerber*innen unter anderem 3,5 Jahre Vollbeschäftigung aus den letzten vier Jahren nachweisen. Das macht es den am erfolgreichsten durch Schule und Universität gegangenen jungen Menschen faktisch unmöglich, das Wahlrecht in ihrem angestammten Land vor dem 30. Lebensjahr zu erhalten.

Sozialdemokraten gewinnen Wahl in Island

In Island naht ein Machtwechsel
02.12.2024
Von: Thomas Borchert
Islands Sozialdemokraten gewinnen die Parlamentswahl. Die bisherigen Regierungsparteien stürzten massiv ab.
Auf jeden Fall in Island kann sich die Sozialdemokratie mal wieder über einen Wahlsieg freuen. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Wochenende holte die Sozialdemokratische Allianz hinter der 36- jährigen Spitzenkandidatin Kristrún Frostadóttir mit 20,8 Prozent mehr als doppelt so viele Stimmen wie 2021 mit kümmerlichen 9,9 Prozent. Sie schlug damit die konservative Unabhängigkeitspartei von Regierungschef Bjarni Benediktsson (54), die von 24,4 auf 19,4 Prozent zurückfiel.
Wie ein Machtwechsel in Reykjavik aussehen könnte, blieb nach Abschluss der Stimmenauszählung am Sonntag vollkommen offen. Ein sozialdemokratischer Parteisprecher forderte den Auftrag zur Regierungsbildung für Frostadóttir: „Die Wählerschaft will eindeutig Veränderung.“
Im neuen „Althing“, Islands Parlament mit 63 Mandaten, sind künftig sechs Parteien vertreten, die im Prinzip alle miteinander koalieren könnten. Mindestens drei müssen für eine neue Regierung zusammenfinden. Potenzielle Partner für die beiden größten Parteien sind erfolgreich auf Stimmenfang gewesen mit linkspopulistischen Forderungen, aber nationalistisch unterfüttert. Ein Zusammengehen von Sozialdemokratie mit der Unabhängigkeitspartei und einem weiteren Partner gilt als durchaus möglich.

Klar war erst mal vor allem, dass die Links-Grünen für sieben Jahre Koalition mit Benediktssons Konservativen und der ebenfalls rechten Fortschrittspartei die Maximalstrafe von ihrer Wählerschaft einstecken mussten. Sie flogen mit 2,4 Prozent gegenüber zuletzt 12,6 Prozent ganz aus dem „Althing“, Islands Parlament. Die Piratenpartei, vor allem nach dem isländischen Staatsbankrott 2008 durch größenwahnsinnige Kreditabenteuer heimischer Banken zeitweise stark, schaffte mit drei Prozent gegenüber vorher 8,6 Prozent ebenfalls nicht den Sprung ins „Althing“.
Die rechtsliberale Fortschrittspartei zahlte wie die Links-Grünen mit einem Minus von knapp zehn Prozentpunkten auf 7,8 Prozent einen hohen Preis für ihre Mitarbeit in der ungewöhnlichen Rechts-Links-Koalition. Sie wurde von 2017 bis in diesen Frühherbst von der Links-Grünen Katrín Jakobsdóttir als Premier geführt, die zurücktrat, weil sie für das Amt der Staatspräsidentin kandidieren wollte. Hintergrund waren ihre stabil hohen persönlichen Popularitätswerte, während es in den Umfragen für die Partei stetig bergab ging. Die Direktwahl verlor Jakobsdóttir dann überraschend gegen die parteilose Geschäftsfrau Halla Tómasdóttir.
Benediktsson übernahm das Spitzenamt in der Regierung, kündigte kurz danach die Koalition mit den Links-Grünen auf und löste vorzeitige Wahlen für die 270 000 Stimmberechtigten aus. Im Wahlkampf wurde vor allem über wirtschaftliche Probleme wie die hohen Zinsen, das Gesundheitssystem und den Wohnungsbau gestritten. Die Klimakrise und die Umwelt spielten kaum eine Rolle. Island gehört ohne eigenes Militär der Nato an und hat strategisch als Insel mitten im Atlantik im Zug der verschärften geopolitischen Konflikte enorm an Bedeutung für die Militärallianz gewonnen.
Bei heftigen Wetterproblemen mit zugeschneiten Straßen und Wintersturm sowie einem weiter Lava sprühenden Vulkan auf der Halbinsel Reykjanes gaben 80,2 Prozent ihre Stimmen ab.

