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Alternativer Nobelpreis an SOS Mediterranee

Frankfurter Rundschau – Deutschlandausgabe vom 29.09.2023
Für den Mut hinzusehen
Auszeichnungen für SOS Meditéranée, Umweltaktive aus Kambodscha und Kenia sowie eine Feministin aus Ghana /
Von Thomas Borchert
Als hätte die Jury für die AlternativenNobelpreise eine Liste zu besonders beängstigenden Megatrends zusammengestellt und wie man sich davon nicht lähmen lässt: Die Stockholmer Stiftung Right Livelihood Award zeichnet in diesem Jahr den erfolgreichen Einsatz von Menschen und Organisationen gegen die stetig brutalere Abwehr von Flüchtenden, für die Verteidigung von Frauenrechten und gegen die Zerstörung der Umwelt aus. Für ihre “lebensrettenden humanitären Search and Rescue-Einsätze im Mittelmeer” wird “SOS Méditerranée” ausgezeichnet. Die Organisation betreibt derzeit das Schiff “Ocean Viking” zur Rettung schiffbrüchiger Menschen im Mittelmeer, der, so Right Livelihood, “tödlichsten Migrationsroute der Welt”. Seit 2016 hat “SOS Méditerranée” hier nach eigenen Angaben 38 500 Menschen in Sicherheit gebracht. Die Organisation (mit Sitz in Berlin, Marseille, Mailand und Genf) versteht ihre Aktivitäten auch als Kritik an der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, weil diese ihrer nach internationalem Seerecht zwingenden Verpflichtung zur Rettung Schiffbrüchiger nicht nachkämen. Ole von Uexküll, Direktor der Livelihood-Stiftung, erinnerte bei der Bekanntgabe der Auszeichnungen daran, dass die EU 2012 den Friedennobelpreis erhalten habe. Er kritisierte: “Ihr Versagen im Mittelmeer ist empörend. Allein in diesem Jahr sind schon mehr als 1800 Todesfälle mit ertrunkenen Migranten gemeldet”. Die AlternativenNobelpreise (offizieller Name: Right Livelihood Award) werden seit 1980 vergeben und gehen auf eine Stiftung des deutschen Philatelisten Jakob von Uexküll, einem Onkel des heutigen Direktors, zurück. Er begründete seine Initiative damals auch mit Kritik an den in Oslo vergebenen Friedensnobelpreisen als zu stark an einer konservativ westlichen Perspektive orientiert. Zur internationalen Jury gehören aus Deutschland die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der Politikwissenschaftler Reinhard Loske. In diesem Jahr gehört auch die Organisation “Mother Nature” in Kambodscha zu den Preisträger:innen, weil ihre jungen Aktivist:innen sich von Unterdrückung und Verfolgung durch das autoritäre Regime in ihrem Land nicht einschüchtern lassen. Sie mobilisierten seit 2012 gegen die Zerstörung der Umwelt etwa durch von China finanzierte Riesen-Staudämme, die Jagd westlicher Minenkonzerne nach Bodenschätzen und den Diebstahl gigantischer Mengen Sand von der Küste Kambodschas für Bautätigkeit in Singapur, erklärte von Uexküll. “All das geschieht mit dem Segen eines undemokratischen und korrupten Regimes.” So solle der Preis für das “agile junge Team” von “Mother Nature” auch die Verknüpfung zwischen Kampf für die Erhaltung der Umwelt und für die Verteidigung der Demokratie zeigen. Aus Ghana erhält die Ärztin Eunice Brookman-Amissah einen Preis für ihren jahrzehntelangen Einsatz für sichere Schwangerschaftsabbrüche in Afrika. Die 1945 geborene Frauenrechtlerin hat nach den Stiftungsangaben in zahlreichen Ländern Afrikas “unermüdlich” Gespräche über reproduktive Gesundheit zwischen Politik, dem Gesundheitswesen, Jurist:innen und betroffenen Frauen in Gang gebracht. Damit habe sie entscheidend zu Reformen der Abtreibungsgesetze oder deren Einführung in zehn Staaten südlich der Sahara beigetragen. In keiner anderen Region der Welt werden so viele unsichere und damit gesundheits- und lebensgefährdend Abtreibungen vorgenommen, auch weil das Recht darauf eingeschränkt oder nicht existent ist. Von Uexküll meinte dazu: “Durch die erfolgreichen Aktivitäten von Brookman-Amissah hat sich die Zahl von Todesfällen bei Schwangerschaftsabbrüchen um 40 Prozent vermindert”. Das sei angesichts des anderswo entgegengesetzten Trends umso bemerkenswerter: “Global gibt es unselige Rückschritte bei sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechten.” Er verwies auf neue Abtreibungsgesetze in Polen und das Kippen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch durch das Oberste US-Gericht. Die Kenianerin Phyllis Omido, geboren 1978, erhält einen Alternativen Nobelpreis für den erfolgreichen Kampf für das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt in ihrer Heimat. Ausgangspunkt war die eigene Arbeit in einer Batterie-Schmelzanlage, die schwere Bleivergiftungen bei Menschen im anliegenden Dorf Owino-Uhuru auslösten. Betroffen war auch der Sohn von Omido. Ihr beharrlicher Einsatz zum Stopp der Giftquelle und zur Klärung der Verantwortlichkeit brachte sie zeitweise in Haft wegen angeblicher Anstiftung zu Gewalt und Terrorismus. Omido erreichte die Schließung der Anlage in ihrem Heimatort und weitete die juristischen sowie auch Medien-Aktivitäten landesweit aus. Wegen des gigantischen Bedarfs an billigen Batterien mit Blei- und Säure-Anteil ist deren Verwendung unter nicht oder schlecht regulierten Bedingungen ein großes Umweltproblem in Afrika. Zu Omidos Einsatz heißt es aus Stockholm: “Ihr furchtloser Einsatz für Gerechtigkeit hat zur Schließung von 17 toxischen Anlagen geführt, die Bewegung zur Verteidigung von Land und Umwelt in Ostafrika gestärkt und die Vereinten Nationen zu einer Resolution für das Recycling von blei- sowie säurehaltigen Batterien veranlasst”. Die Dotierung wird von der Stiftung Right Livelihood seit 2022 aus Gründen der Sicherheit für die Ausgezeichneten nicht veröffentlicht. Es gingen in diesem Jahr 170 Nominierungen aus 68 Ländern ein.
Trübe Politik in Norwegen: Insiderhandel, erschlichene Gratis-Wohnung und gemeiner Diebstahl

Deutschlandausgabe vom 21.09.2023,
Korruption auf höchster Ebene
Ehemann von Norwegens Ex-Premier wird des Insiderhandels verdächtigt. Und nicht nur er
VON THOMAS BORCHERT
Norwegens langjährige Regierungschefin und populärste Politikerin ErnaSolberg bricht vor Kameras und Mikrofonen in Tränen aus, als sie “den Sindre” systematischer Lüge bezichtigt: “Vielleicht war ich naiv, als ich meinem Mann geglaubt habe”. Sindre Finnes wirft sich ein paar Stunden später in den Staub: “Es tut mir schrecklich leid, dass ich die Erna in diese Situation gebracht habe. Ich war unehrlich zu ihr.” Bei diesem Familiendrama geht es nicht etwa um außereheliche Affären. Vielmehr musste Finnes vor einigen Tagen zugeben, zwischen 2013 und 2021 – also während Solberg Ministerpräsidentin war – 3600 Aktiengeschäfte getätigt zu haben, von deren Umfang seine Ehefrau nichts gewusst haben will. In ihrer Dienstwohnung hätten ihr als Premier, so Solberg bei ihrem “Geständnis”, auch Büros und Besprechungsräume zur Verfügung gestanden: “Da kann man nicht ausschließen, dass er Insiderinfos bekommen hat.” Selbst habe sie derlei nie an ihren Mann weitergegeben. Hätte sie damals gewusst, dass er zum Beispiel mit Aktien des teilstaatlichen Konzerns Hydro handelte, dann hätte sie sich natürlich mit Blick auf das Unternehmen als Ministerpräsidentin für befangen erklärt, betonte Solberg. Der Volkswirt selbst weist den Vorwurf des Insiderhandels zurück. Finnes hofft auf Verständnis für seine Probleme im Schatten der gefragten und beliebten Partnerin: “Größtenteils war ich allein im Homeoffice, hatte viel Zeit, und die ging irgendwie immer mehr mit Aktienhandel rum.” In seinen Memoiren “An Ernas Seite” klingt das anders: “Zwei volle Einkommen sind immer das Beste”. Den Nettoertrag aus den Aktiengeschäften beziffern Medien auf 10 Millionen Kronen (870 000 Euro), was einen Börsenprofi im TV-Sender NRK ironisch näseln ließ: “Ok, er hat am Laptop sein ‘Hobby’ betrieben.” Was Finnes nicht vor einer möglichen Anklage wegen Insiderhandels nach zumindest vorerst noch vage angekündigten Ermittlungen der Wirtschafts-Kripo retten wird. Medien verweisen auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Deals und Regierungsentscheidungen zur Corona-Strategie und Umweltgenehmigungen für den Bergbaukonzern Nordic Mining. Auf der Kippe steht damit auch Solbergs Karriere. Für die Wahlen 2025 galt sie als klare Favoritin gegenüber dem unpopulären Regierungschef Jonas Gahr Støre von den Sozialdemokraten. Ihren öffentlichen Canossa-Gang mit Ehemann konnte sie hinauszögern. Er erfolgte erst nach den Kommunalwahlen, die am 11. September stattfanden. Ihre konservative Partei jagte mit 25,9 Prozent Støres Arbeiterpartei (21,6 Prozent) erstmals seit 99 Jahren die Spitzenposition ab. Bitter für die Sozialdemokraten, dass dazu im Wahlkampf wochenlang Berichte über mögliche Insidergeschäfte des Ehemanns der Außenministerin Anniken Huitfelt beitrugen. Der hatte mit Aktien des Rüstungskonzerns Kongsberg gehandelt, während seine Frau über einen Großauftrag für diesen mitberiet. Huitfelt räumte ein, befangen gewesen zu sein, bestritt aber die Informationsweitergabe am heimischen Küchentisch und kam damit durch. Schlechter erging es ihrem Kabinettskollegen der Zentrumspartei, Bildungsminister, Ola Borten Moe, der zeitgleich Kongsberg-Aktien erstanden hatte. Er trat im Sommer von seinem Amt zurück. Für Norweger:innen dürfte sich der Eindruck verstärken, dass die politischen Spitzenkräfte ihres wohlhabenden Landes hemmungslos Insiderwissen ausbeuten, um sich persönlich zu bereichern. Kurz nach den letzten Wahlen 2021 mussten die amtierende Parlamentspräsidentin sowie eine Ministerin und Vizechefin der Arbeiterpartei als auch der Chef der Christlichen Volkspartei abtreten, weil sie sich durch Scheinadressen fernab der Hauptstadt kosten- und steuerfreie Abgeordnetenwohnungen in Oslo erschlichen hatten. Die parlamentarische Linke lieferte im Sommer ein weiteres Beispiel fragwürdiger Politiker-Moral: Bjørnar Moxnes, Vorsitzender der “Roten”, wurde auf dem Osloer Flugplatz Gardermoen beim Diebstahl einer Sonnenbrille erwischt. Er redete sich mit “versehentlich in meine Tasche gerutscht” heraus, bis die Überwachungsvideos ein anderes Bild ergaben. Moxnes zahlte ein Bußgeld. Und trat zurück.
Wieder mal “Blut für Öl”? Schwedischer Konzern vor Gericht für Geschäfte im Sudan

Die schmutzige Spur des Krieges im Sudan
05.09.2023
Von: Thomas Borchert
Manager eines schwedischen Öl-Konzerns müssen sich für Verbrechen im Sudan verantworten, die ihre Profite ermöglichten.
Der hässliche Slogan „Blut für Öl“ bekommt in einem Verhandlungssaal des Stockholmer Amtsgerichts spektakulär neue Aktualität. Seit Dienstag müssen sich der schwedische Konzern Lundin Oil sowie seine beiden Ex-Topmanager Ian Lundin und Alex Schneiter für Beihilfe zu Kriegsverbrechen verantworten. Sie haben nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zwischen 1999 und 2003 das damalige Regime im Sudan zu Massenvertreibungen für die ungestörte Ausbeutung von Ölvorkommen im südlichen Landesteil aufgefordert und zugleich schwerste Menschenrechtsverletzungen um des Profits willen akzeptiert.
Staatsanwalt Henrik Attorps hatte schon vor Prozesseröffnung erklärt, worum es in der 80 000 Seiten umfassenden Anklageschrift konkret geht: „Nach unserer Überzeugung haben die Ermittlungen ergeben, dass das Militär Menschen von Hubschraubern aus beschossen, gekidnappt und ganze Städte in Brand gesetzt hat, so dass es keine Existenzgrundlage mehr gab. Die Folge waren Tod, Verletzungen und Vertreibung für viele Zivilisten.“
Ian Lundins Familie gehört mit einem geschätzten Vermögen von 150 Milliarden Kronen (umgerechnet 12 Mrd. Euro) zu den zehn reichsten in Schweden. Der als Ex-Aufsichtsratschef angeklagte Milliardär nennt das ganze Verfahren „absurd“. Beim Gang in den Gerichtssaal, zusammen mit Ex-Vorstandschef Schneiter, sagte er: „Wir haben nie etwas mit den Konflikten im Sudan zu tun gehabt. Im Gegenteil – wir gehörten zu den guten Kräften dort. Unser Unternehmen hat immer höchste ethische Standards eingehalten.“ Bei einer früheren Gelegenheit hatte Lundin gesagt, man habe doch auch die Kindersoldaten im Südsudan nicht einfach im Stich lassen können.
Baum als Zeuge der Anklage
Unter den 57 geladenen Zeug:innen der Staatsanwaltschaft ist auch der FDP-Politiker Gerhart Baum, der auf Grundlage seiner persönlichen Eindrücke aus dem extrem brutal geführten Bürgerkrieg im Sudan eine andere Version der Ereignisse darstellen wird. Der heute 90-Jährige hatte 2001 als UN-Sonderberichterstatter geurteilt, die Ölgewinnung durch ausländische Konzerne habe „zu einer Verschärfung des Konfliktes“ geführt, der dadurch „zu einem Krieg um das Öl wurde“.
Vorgeschichte, Umfang, Kosten und voraussichtliche Dauer des auf zweieinhalb Jahre angesetzten Verfahrens für die erste Instanz sprengen alle Maßstäbe, jedenfalls für Schwedens Justiz. Mehr als zehn Jahre dauerten die Ermittlungen, einschließlich der als sicher geltenden Revision wird mit achteinhalb Jahren bis zum endgültigen Urteil gerechnet. Die von Lundin Oil (inzwischen umstrukturiert und umbenannt in Orrön Energy) geforderte Schadensersatzsumme von 2,4 Milliarden Kronen ist genauso beispiellos wie die 110 Millionen Kronen, die 32 Nebenkläger:innen aus dem Sudan für die Folgen von Vertreibung, Tod von Angehörigen und persönlichen Schäden verlangen. Sie werden vertreten vom sozialdemokratischen Ex-Justizminister Thomas Bodström.
Ein weiterer prominenter Politiker wird auf der anderen Seite auftreten. Der konservative Ex-Premier und -Außenminister Carl Bildt gehörte bis 2006 dem Lundin-Aufsichtsrat an und will von Verwicklungen in den Bürgerkrieg nie gehört haben.
Auch außerhalb Schwedens dürfte der Lundin-Prozess je nach Interessenlage höchst aufmerksam verfolgt werden, weil hier das „Universalitätsprinzip“ für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch gegen einen an der Börse notierten Großkonzern und dessen Spitzenleute angewandt wird. Das bedeutet, dass in Stockholm Vergehen dieses Kalibers verfolgt werden können, auch wenn die sie sich an jedem anderen Ort der Welt ereignet haben. Für die Staatsanwaltschaft sei es nicht notwendig gewesen, vor Ort im Sudan zu ermitteln, so der Ankläger. Das wäre auch unmöglich gewesen.
Meilenstein für Justiz
Attorp argumentiert, es reiche neben der Dokumentation der Aufforderung zu „Säuberungen“, dass die Lundin-Spitze von extremen Menschenrechtsverletzungen durch das sudanesische Regime (etwa auch mit dem Einsatz von Kindersoldaten) gewusst und diese mit dem Verbleib im Südsudan gebilligt habe.
Ausgelöst hatte die Ermittlungen der Staatsanwalt 2010 die niederländische Organisation „Pax for Peace“ mit detaillierten Berichten über das Lundin-Engagement im Südsudan und die Folgen für die Zivilbevölkerung. Zum Prozessauftakt kommentierte Pax: „Dies ist ein Meilenstein. Zum einen für die Zehntausenden Überlebenden des grauenhaften Krieges“, aber auch „für den globalen Trend, auch Unternehmen effektiv zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie zu massiver Ungerechtigkeit und zu Gewalt beitragen.“
Schlankheitsmittel bringt dänischer Staatskasse satte Überschüsse

Geldregen in Dänemark: Ein Schlankheitsmittel macht das Land reich
03.09.2023
Von: Thomas Borchert
Das Schlankheitsmittel Wegovy macht Dänemark noch reicher. Die Regierung spart trotz der hohen Steuereinnahmen.
Finanzminister Nicolai Wammen strahlt bei der Vorstellung des neuen Staatshaushalts: „Diesmal macht es echt mehr Spaß als in den letzten Jahren.“ Sein Kollege Jakob Ellemann-Jensen aus dem Wirtschaftsministerium schickt einen frommen Wunsch hinterher: „Gott verhüte, dass Novo Nordisk jemals ausflaggt oder dichtmacht!“
Bei ihrem Kopenhagener Auftritt zum Wochenende wirkten beide Politiker immer noch überrascht vom bizarren Hintergrund für Dänemarks aktuelle Wirtschaftsentwicklung mit Wachstum, schnell sinkender Inflation, Vollbeschäftigung und gewaltig einlaufenden Steuereinnahmen: Das Schlankheitsmittel Wegovy hat Novo Nordisk vor allem durch die Nachfrage Übergewichtiger in den USA so gigantische Profite beschert, dass die Regierung ihre Wachstumsprognosen kräftig nach oben korrigieren musste.
Anders ausgedrückt: Vor allem dank Wegovy wird das dänische BIP dieses Jahr laut Finanzministerium um 1.7 Prozent steigen. Rechnet man das Präparat weg wäre die dänische Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft.
Die Zeitung „Politiken“ erklärte ihrer mehrheitlich mit Wohneigentum gut situierten Leserschaft: „Der riesige Erfolg von Wegovy macht nicht nur Menschen schlanker, sondern sorgt auch für niedrigere Bankzinsen.“ Die Erklärung fällt ein bisschen kryptisch aus, aber das Fazit des Chefanalytikers Jens Nervig Pedersen von der Danske Bank glasklar: „Die Aktienmärkte sehen Novos Zukunft positiv. Wenn die Investoren noch mehr verdienen, kann die Nationalbank unsere Zinsen noch weiter senken.“
Auch der Geschäftserfolg anderer Vorzeige-Konzerne wie Lego und der Maersk-Reederei haben die dänischen Zahlen positiv beeinflusst. Aber die volkswirtschaftliche Bedeutung des Novo-Schlankheitsmittels ist so explosiv gestiegen, dass Wirtschaftsminister Ellemann- Jensen sich an das Beispiel Nokia erinnert fühlt und mahnt: Das jahrelang von diesem Handy-Erfolg zehrende Finnland sei in eine schwere Krise gestürzt, als das iPhone erfunden war. „Aber die meisten Novo-Fabriken liegen im Ausland, also würden Schließungen uns nicht so hart treffen,“ beruhigte der Minister das Wählervolk.
Vorerst hat Novo mit seinem eigentlich als Diabetes-Medizin entwickelten und verschreibungspflichtigen Schlankheitsmittel noch einen Vorsprung vor der Konkurrenz und kann den Preis deshalb weit oben halten. Der Konzern hat mit Produktionsengpässen wegen der überall explodierenden Nachfrage zu kämpfen. Für Deutschland gibt das Unternehmen die monatlichen Kosten pro Nutzer:in mit durchschnittlich 300 Euro an, die von Kassen bislang nicht getragen werden.
Das Mittel, das den Appetit kräftig zügelt, wirkt nur, wenn es eingenommen wird, so dass man sich, je nach Veranlagung, auf eine lebenslange Abhängigkeit einzustellen hat. Zu den davon wenig Begeisterten gehören auch Diabetes-Kranke, die das eigentlich für sie bestimmte Präparat durch die Konkurrenz der Übergewichtigen nicht mehr bekommen können.
Dänemarks großer Koalition hat der Novo-Boom ein Imageproblem beschert, um das sie die Berliner Ampel-Regierung heftig beneiden dürfte. Die drei Parteien (Sozialdemokratie, Rechtsliberale und Moderate aus der bürgerlichen Mitte) hatten ihr Zusammengehen nicht zuletzt mit der Notwendigkeit von dauerhafter Krisenbewältigung begründet. Regierungschefin Mette Frederiksen zählte immer wieder mit ernster Miene auf, dass infolge aller möglichen simultan ablaufender Krisen alle knapp sechs Millionen „danskere“ sich auf kärgere Zeiten einzurichten hätten. Jetzt aber sind die Staatskassen prall gefüllt, das Krisennarrativ passt nicht mehr.
Obwohl der Finanzminister glänzende Zahlen vorlegen konnte, ist der Haushalt für 2024 wenig offensiv ausgefallen. Überschuldete Kommunen müssen Schulen schließen und ihre Altenpflege scharf durchrationalisieren. Wer erwartet hatte, dass der Geldregen auf die Staatskasse für einen höheren Gang im Kampf um die Klimarettung genutzt wird, wurde enttäuscht. Unter ferner liefen tauchten in Wammens Liste mit Mehrausgaben für die „grüne Erneuerung“ kümmerliche eine Milliarde Kronen (130 Millionen Euro) zusätzlich auf. Novo Nordisk hat im letzten Jahr bei einem Umsatz von 177 Milliarden Kronen einen Gewinn von 55 Milliarden Kronen ausgewiesen.
Dänemark erlaubt jetzt “fremde” Nationalflaggen

Die dänische Hygge endet am Fahnenmast
01.09.2023
Von: Thomas Borchert
Ein höchstrichterliches Urteil über ein veraltetes Verbot stürzt Dänemark in Nöte.
Ein Gespenst geht um in Dänemark: „Werden wir jetzt mit deutschen Flaggen zugemüllt?“ Ein Zeitungskommentar aus dem grenznahen und hinreißend altertümlich bewahrten Christiansfeld reagiert mit einer Schreckensvision auf die Aufhebung des Flaggenverbotes für „fremde Nationen“ im Königreich der Hygge. Auch Pia Kjærsgaard von der rechten Dänischen Volkspartei sieht „unsere Nordseeküste bald zugepflastert mit deutschen Fahnen“ und setzt noch einen drauf: „Oder riskieren wir gar, dass über unseren Schrebergärten alle möglichen Nahost-Flaggen flattern?“ Ganz klar: Als Konkurrenz für den heimischen „Dannebrog“ wäre das Schwarz-Weiß-Grün (mit ein bisschen rot) muslimischer Staaten noch schlimmer als Schwarz-Rot-Gold vom übergroßen Nachbarn südlich von Padborg.
Das Oberste Gericht des Königreichs hat die seit 1915 geltende Verordnung mit dem Verbot „fremder“ Beflaggung ohne ausdrückliche polizeiliche Sondergenehmigung für ungültig erklärt. Damit bekam ein Bürger zum Auftakt der Sommerferien recht mit seiner Klage gegen den Staat: Der Mann hatte einfach mal so in seinem Garten die US-Flagge gehisst, vor allem, um seiner Begeisterung für Autos aus dem Land von „Stars&Stripes“ Ausdruck zu verleihen. Die Polizei zwang den Gesetzesbrecher zum sofortigen Einholen der US-Fahne und brummte ihm für den Flaggen-Frevel ein Bußgeld auf.
Genauso haben immer wieder auch urlaubende Deutsche an Nord- oder Ostsee beim Hissen von Schwarz-Rot-Gold zu spüren bekommen, dass am Fahnenmast blitzschnell Schluss sein kann mit der Hygge. Obwohl doch gerade der schier grenzenlose Flaggen-Enthusiasmus im Reich von Königin Margrethe II. allseits als wunderbares i-Tüpfelchen auf der weltweit beneideten Hygge verstanden wird. Zu Weihnachten umkranzen Dannebrog-Wimpelketten die dänischen Weihnachtsbäume. Kein Kindergeburtstag ohne jede Menge Dannebrog-Fähnchen auf der Torte. Zu jedem royalen Geburtstag wird auch vor allen Gotteshäusern rot mit weißem Kreuz geflaggt. Seit ein paar Jahren aber doch nur, wenn ein Spross des Königshauses volljährig wird. Bei inzwischen acht Enkeln der Regentin wurde es doch zu unübersichtlich für die Untertanen, befand die Beflaggungs-Abteilung im Justizministerium. Klingt alles nach sympathisch harmloser Operettenidylle und wird so von „Visit Denmark“ bei der Werbung in Deutschland verkauft. Bis hin zu der Aufforderung: „Wenn Sie also in Dänemark sind, schnappen Sie sich eine Flagge und flaggen Sie, was das Zeug hält. Ihre dänischen Nachbarn werden sich freuen.“ Das bleibt auch nach der Aufhebung des Verbots „fremder Flaggen“ eine grob fahrlässige Ermutigung auf dünnem Eis. Ein im vorletzten Jahrhundert verwurzelter und dort immer noch steckengebliebener Rechtspopulismus hat Dänemark in den vergangenen 25 Jahren politisch dominiert und tiefe Spuren gezogen. Sie zeigen sich beim Thema Flaggen etwa daran, dass Spitzenpolitiker:innen sich bei Besuchen von EU-Kollegenschaft in Kopenhagen so gut wie nie vor der EU-Flagge fotografieren lassen. Sie ist auch sonst im dänischen Alltag praktisch unsichtbar.
Die Hygge
Kein Wunder also, dass vier Parteien auf der rechten Oppositionsseite des „Folketing“ jetzt mit der Initiative für ein neues Flaggengesetz das alte Verbot reinstallieren wollen. Die Zeitung „Politiken“ kommentierte: „Willkommen zum neuen Kulturkampf. Dem Kampf um Flaggen.“ Den Kammerton schlägt Søren Pape Poulsen, Ex-Justizminister und Chef der Konservativen an: „Wer in Dänemark flaggt, flaggt den Dannebrog. Daran müssen wir festhalten.“
Der sozialdemokratische Justizminister Peter Hummelgaard hält sich noch bedeckt, wie die große Koalition auf das Urteil von Ende Juni reagieren will, das lediglich eine vor 118 Jahren erlassene Verordnung für unwirksam erklärt hatte. Unter anderem, weil mit dem Verbot „fremder Flaggen“ Dänemarks Neutralität im Ersten Weltkrieg flaggentechnisch abgesichert werden sollte. Das ist angesichts der dänischen Nato-Mitgliedschaft nach höchstrichterlicher Auffassung nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit.
In der gerade zu Ende gegangenen Feriensaison hat sich die Befürchtung eindeutig nicht bestätigt, dass deutsche oder gar muslimisch angehauchte Flaggenbegeisterte das Dannebrog-Monopol ins Wanken bringen. Das ließe sich eher von der blaugelben Flagge der Ukraine behaupten, die viel zu sehen ist. Schon vor dem Richterspruch und ganz legal, denn zur dänischen Unterstützung seit der russischen Invasion gehörte schnell auch die generelle Genehmigung für das Hissen ukrainischer Flaggen.
Skandinavien streitet über Koranverbrennungen

Koranverbrennungen: Feuer und Flamme für fragwürdige Meinungsfreiheit
Von: Thomas Borchert 11.08.2023
Koranverbrennungen in Skandinavien sind Anlass für große Empörung und eine Debatte über mögliche Verbote
Die Serie von Koranverbrennungen, gefolgt von Protesten in der muslimischen Welt, haben Schweden und Dänemark verschärfte Grenzkontrollen, finstere Terrorwarnungen sowie einen mitunter bizarren Meinungsstreit beschert: Sind sie als „symbolische und gewaltfreie Handlung“ gedeckt durch die Meinungsfreiheit und als solche gegen „die Forderungen von „Hohepriestern und rücksichtslosen Autokraten nach Respekt für religiöse Gefühle“ ohne Wenn und Aber zu verteidigen?
Das fordert etwa die konservative Zeitung „Berlingske“ aus Kopenhagen. Und im schwedischen Stockholm schrieb der Vorsitzende der Justizausschusses im Reichstag, Richard Jomshof von den rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD), auf Twitter (neuerding „X“): „Sie sind nun mal erlaubt, und wenn sich jemand aufregt, dann verbrennt hunderte mehr.“
Dänemarks Regierungschefin, die Sozialdemokratin Mette Frederiksen, sieht es anders: „Für mich ist ein Buch vor allem die Meinungsäußerung derjenigen, die das Buch geschrieben haben.“ Vor allem das gelte es zu verteidigen, sagte die Sozialdemokratin und fuhr fort: „Ich sehe es nicht als Einschränkung der Meinungsfreiheit an, wenn das Verbrennen der Bücher anderer verboten wird.“ Ihr konservativer Stockholmer Kollege Ulf Kristersson ermahnt den Rechtsextremisten Jomshof, sich doch bitte im Ton zu zügeln.
Mainstream gegen Verbot
Eine zahme Reaktion auch angesichts Jomshofs ergänzender Tweets, der Prophet Mohammed sei ein „Massenmörder“ und der Islam „antidemokratisch, gewaltverherrlichend und frauenfeindlich“. Kristerssons Minderheitsregierung hängt vollständig von Jomshofs Partei (zuletzt 20 Prozent bei Wahlen) als Mehrheitsbeschafferin ab. Folglich muss er seine Strategie zur Beruhigung muslimisch dominierter Staaten, einschließlich der beim Justizministerium in Auftrag gegebene Regeln zur Verhinderung von Koranverbrennungen, möglichst dezent anlegen und verkaufen. Könnten die islamophoben und aus Nazi-Gruppen hervorgegangenen SD doch andernfalls allzu sehr verärgert werden.
Frederiksen hat es ein bisschen leichter. Ihre Mehrheitsregierung, eine für Dänemark ungewöhnlich große Koalition, wurde auch mit dem Ziel gebildet, die Kopenhagener Politik nach zwei Jahrzehnten selbstgewählter Abhängigkeit vom Rechtspopulismus Richtung Mitte zu bewegen. Was aber nichts daran ändert, dass sich der dänische Mainstream im Streit um ein Verbot von Koranverbrennungen heftig wehrt. Alle vier landesweiten Zeitungen, zwei bürgerliche und zwei eher links angesiedelte, sind dagegen. Genauso in Schweden die linksliberale „Dagens Nyheter“ mit der Begründung, eine solche Einschränkung könne „Start einer Rutschpartie“ mit immer neuen Verboten werden.
Kaum Nazi-Assoziationen
Dem begegnen die Verbots-Befürworter in den Regierungen beider Länder mit betont pragmatischen Argumenten: Kristersson verweist auf die sicherheitspolitische Lage („gefährlicher für uns als je zuvor seit 1945“) mit dem vom türkischen Präsidenten Erdogan lange blockierten Nato-Beitritt und der Bedrohung durch den Ostsee-Nachbarn Russland.
Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen begründet seine vorbehaltlose und scharfe Verurteilung heimischer Koranverbrennungen gegenüber der muslimischen Welt mit „pragmatischen Idealismus“: Es gehe jetzt vor allem darum, möglichst wenig internationale Spannungen in einer geopolitisch schweren Lage zu provozieren. Dass ihm auch dänische Exportinteressen Richtung Arabien am Herzen liegen, räumt er gerne ein.
Die Bücherverbrennungen der Nazis 1933 spielen in der skandinavischen Debatte eine verblüffend kleine Rolle. Göran Rosenberg, schwedischer Publizist und Sohn polnischer Holocaust-Überlebender, sagt dazu: „Man hat in Schweden nicht dieselben Assoziationen wie in Ländern mit konkreteren Kriegs- und Nazi-Erfahrungen. Ich für meinen Teil glaube, es steckt Geschichtslosigkeit dahinter.“
Wahlvorschau Finnland

Finnland wählt – und Sanna Marin muss bangen
Erstellt: 30.03.2023
Von: Thomas Borchert
Die 37-jährige Ministerpräsidentin von Finnland holt kurz vor der Wahl auf. Doch ihre Mitte-Links-Koalition steht am Sonntag vor einer Wahlschlappe. Konservative Kräfte sind auf dem Vormarsch.
Sanna Marin kann sich eigentlich nicht über mangelnde Hilfe für ihre Wiederwahl als Finnlands Regierungschefin beklagen. Eine Woche vor den Reichstagswahlen an diesem Sonntag hatte der „World Happiness Report“ den 5,5 Millionen Menschen hoch im Norden wieder attestiert, sie seien das „glücklichste Volk der Welt“. Und nach Ungarn war am Donnerstag auch die Zustimmung der Türkei als letztes der 30 Nato-Mitglieder zur Aufnahme Finnlands in die Militärallianz erwartet worden. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag noch kein Ergebnis vor. Nachbar Schweden muss derweil weiter warten. Anfang März hatte bereits der heimische Reichstag der 37 Jahre jungen Marin den von ihr betriebenen Nato-Beitritt mit dem Ergebnis 184 gegen sieben Stimmen abgesegnet – rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt.
In der Bevölkerung ist dieser Schritt zudem als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenfalls breit verankert. 1340 Kilometer eigene Landgrenze mit dem Aggressor Russland wiegen schwer.
Wahl in Finnland: Konservative Kräfte auf dem Vormarsch
Doch trotz auch persönlich hoher Zustimmungswerte muss Marin aber beim Wahlgang am Sonntag die Ablösung durch den konservativen Herausforderer Petteri Orpo (53) fürchten. Dessen Sammlungspartei liegt in den Umfragen konstant vorne, und auch die nationalistische Rechtsaußenpartei „Wahre Finnen“ (WF) mit der 45-jährigen Riikka Purra an der Spitze könnte sich noch vor Marins Sozialdemokraten schieben. Alle drei Parteien liegen mit je knapp 20 Prozent eng beieinander, wobei Marin im Endspurt zulegt.
Die TV-Debatten lassen beim besten Willen nicht den Eindruck aufkommen, dass die beiden Spitzenkandidatinnen und der Konservative sich an ein irgendwie überdurchschnittlich glückliches Wahlvolk wenden. Umgekehrt spielt der unmittelbar bevorstehende Beitritt zur Nato und die daraus folgende Konfrontation mit dem übermächtigen Nachbarn im Osten im Wahlkampf auch keine Rolle.
Finnland wählt: Der Konservative Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren
Stattdessen wird äußerst zivilisiert gestritten über Topthemen von doch weniger existenzieller Bedeutung: Sollen Klassenobergrenzen in Finnlands Grundschulen eingeführt werden? Wie kräftig und wo muss der Staat sparen, um das durch Corona und gestiegene Rüstungsausgaben vergrößerte Haushaltsdefizit einzudämmen? Wie ist dem drastisch steigenden Mangel an Arbeitskraft beizukommen?
Meinungsunterschiede sind im politischen Spektrum von den „Wahren Finnen“ ganz rechts bis zur derzeit mitregierenden Linkspartei oft nur schwer auszumachen. Dazu passt, dass praktisch alle Parteien traditionell zur Zusammenarbeit miteinander bereit sind. Entscheidend ist erst mal, wer bei der Stimmenauszählung die Nase vorn und damit Anspruch auf das Spitzenamt in der Regierung hat.
Der Konservative und glühende EU-Anhänger Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren. Mit kleineren Parteien im Bunde hätte dies eine Rechtsregierung zur Folge als Ablösung für Marins Mitte-Links-Koalition. Aber auch eine Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit Orpos Sammlungspartei gilt als nicht unwahrscheinlicher Wahlausgang.

Norwegen streitet über Windparks contra Rentierzucht

Greta Thunberg über Windpark in Norwegen: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus“
Erstellt: 22.03.2023
Von: Thomas Borchert
Die Samen protestieren gegen einen norwegischen Windpark – mit prominenter Unterstützung.
Was kompromissloser Protest ausrichten kann: Junge Angehörige der samischen Urbevölkerung in Norwegen haben die Regierung mit Blockadeaktionen gegen Osloer Ministerien beim Streit um Windparks auf Weideflächen für die Rentiere der Samen in die Knie gezwungen. Jedenfalls, was Worte angeht. Dabei hatte die Staatsmacht erst Beteiligte an den Besetzungsaktionen einfach reihenweise festnehmen lassen. Zusammen mit den Samen und Aktiven des Jugend-Umweltverbands ließ sich auch die aus Stockholm gekommene Greta Thunberg Anfang des Monats von zwei Polizistinnen aus der Lobby des Öl- und Energieministeriums wegtragen.
Ihren Protest ausgerechnet gegen Windkraft erklärte sie so: „Dies ist ein klarer Fall von grünem Kolonialismus, indem man vorgibt, den Planeten zu retten, aber in Wirklichkeit die Menschenrechte indigener Völker von A bis Z verletzt.“ Das Echo auf die knallhart durchgezogene Blockadeaktion brachte Regierungschef Jonas Gahr Støre auf neue Gedanken. Er lud Sprecherinnen der Protestaktion zum Gespräch und beugte nicht nur beim Handschlag artig den Kopf. Norwegens Premier gab jetzt erstmals unumwunden zu, dass bei der Genehmigung für 151 Windräder der beiden Parks Storheia und Roan auf der Halbinsel Fosen an der Westküste die Rechte der Samen sträflich außer Acht gelassen worden seien. Kurz danach besuchte er auch noch ganz hoch im Norden in Karasjok eine Rentierzüchter-Familie und wiederholte vor dem „Samen-Parlament“ seine Entschuldigung: „Wir bedauern, dass hier Menschenrechte verletzt worden sind.“
Aktivist:innen der Samen: „Wir starten neue Aktionen“
So richtig neu ist diese Erkenntnis allerdings auch für den Sozialdemokraten nicht, denn schon 2021 hat Norwegens Oberster Gerichtshof den Bau der zwei Windparks für gesetzwidrig erklärt, weil sie einen großen Teil der Halbinsel unbrauchbar machen als Weideflächen für die Rentiere der Samen. Eine Verletzung des „UN-Zivilpaktes“ zum Schutz von Minderheiten sei das. Anderthalb Jahre vergingen ohne greifbare Reaktion des Staates. Die Turbinen des riesigen Windkraftparks drehten sich einfach munter weiter, und genau dieses kaltschnäuzige „Aussitzen“ hat die winterliche Blockadeaktion in Oslo rund um den 500. Tag nach dem Richterspruch ausgelöst.
„Land Back!“ lautete, auf Englisch, vielleicht als Kompromiss zwischen Samisch und Norwegisch, die Forderung der Protestierenden – einzulösen durch sofortige Abschaltung und dann den Abriss der 151 Windkrafträder. Genau diese Schritte aber will die Regierung auch nach ihrem Einlenken mit wohlklingenden Entschuldigungen nicht gehen. Zuletzt nahm Öl- und Energieminister Terje Aasland vor dem Parlament Stellung zu möglichen Szenarien „Wir haben keine rechtliche Grundlage für einen Rückbau der Anlagen in Fosen“, sagte er vor dem Parlament in Oslo. Und fügte an: „Aber ich schließe für die Zukunft keine Option aus,“ was auch einen Teilabriss bedeuten könne. Jetzt müsse man „neues Wissen sammeln“.
Das klang nach neuem Aussitzen und kam deshalb gar nicht gut bei den in Samen-Tracht zuhörenden Blockade-Sprecherinnen an. „Ganz klar, wir starten neue Aktionen, wenn jetzt einfach nur wieder viel Zeit vergehen soll“, sagte Ella Marie Hætta Isaksen.
Kritik der Samen: Norwegen akzeptiert uns nur, wenn es nichts kostet
Die norwegische Öffentlichkeit ist gespalten. Einerseits ist allseits klar, dass sich niemand unter denen mit Macht und Einfluss bei der Planung der Anlage um die Proteste der Betroffenen darum scherte, dass ihre Tiere schon durch die Bauphase Fosen meiden und folglich aus ihren Weideflächen verdrängt würden. Die Rentierzucht hat wirtschaftlich keine nennenswerte Bedeutung, ist aber Kern der samischen Kultur für derzeit gut 50 000 Menschen, ein Prozent der Gesamtbevölkerung Norwegens. Über Jahrhunderte hatte dieses traditionell als Nomaden lebende kleine Volk in Norwegen wie auch bei den Nachbarn in Finnland und Schweden sowie in Russland mit den Problemen des Kolonialismus zu kämpfen.
Das hat sich vor allem in Norwegen kräftig geändert, dessen Regierung als einzige in den vier Ländern mit Samen das ILO-Abkommen zum Schutz „indigener und in Stämmen lebender Völker in unabhängigen Ländern“ anerkennt. Aber nur an der Oberfläche, wenn es nichts kostet, sagen viele Samen.
Støre betonte auch bei seinem Büßer-Auftritt vor ihrem Parlament nicht nur einmal, worum es für ihn im Kern geht: „Norwegen braucht mehr Energie.“ Eine zentrale Ursache für die katastrophalen Umfragezahlen seiner Arbeiterpartei ist der zeitweise bedrohliche Strommangel des vergangenen Jahres mit astronomisch hohen Preisen als Folge. Bekommt Støre das nicht in den Griff, werden die Umfragezahlen mit Sicherheit noch tiefer rutschen als durch fehlenden Respekt vor den Rechten eines indigenen Volkes.
Erdogan segnet Finnlands Nato-Beitritt ab

Kniefall vor Erdogan
17.03.2023
Von: Thomas Borchert

Auf das Schweden-Bashing ohne Rücksicht auf Interessen der Nato will der türkische Präsident Erdogan im Wahlkampf nicht verzichten. Dass Finnland den Paarlauf mit seinem Nachbarn diskret aufgegeben hat, ist verständlich.
Recep Tayyip Erdogan hat Finnlands Präsident Sauli Niinistö nach fast einem Jahr Blockadepolitik den türkischen Segen für den Nato-Beitritt erteilt. Den schwedischen Premier Ulf Kristersson schickte der Autokrat vor ein paar Monaten in derselben Causa aus Ankara wie einen dummen Schuljungen mit leeren Händen heim: Stockholm müsse erst all die kurdischen Terroristen ausliefern, die sich angeblich so ungehemmt in Kristerssons Land austoben könnten.
Obwohl Schweden längst all seine Bedingungen erfüllt hat, genau wie Finnland. Auf das Schweden-Bashing ohne Rücksicht auf die Interessen der Nato will Erdogan im Präsidentschaftswahlkampf nicht verzichten.
Dass Finnland mit 1340 Kilometern Landgrenze zu Russland den lange als vollkommen unverzichtbar gepriesenen Paarlauf mit seinem Nachbarn diskret aufgegeben hat, ist verständlich. Wie Washington, Brüssel und auch Stockholm vor den immer neuen Forderungen und Tricksereien Erdogans weiter in die Knie gehen, ist ein Armutszeugnis für die Nato.
JP-klumme: justitsmord og klassejustits i Danmark?

Der er forskel på folk – og på justitsmord
Ahmed Samsam, Lars Findsen, Claus Hjort Frederiksen – og den knap så heldige Lucky Francis – er alle prominente navne i abekastning i det danske retsvæsen. Men ikke alle har lige meget rygstød.
Thomas Borchert tysk korrespondent
Da der for nylig skulle udvælges en relevant og helst også spændende historie fra Danmark til læserne af Frankfurter Rundschau, viste sig et forbløffende problem. Jeg kunne vælge mellem fire aktuelle historier – stikord: justitsmord. Pokkers også, tænkte jeg, det er vel alt for meget i en retsstat. Det blev til en artikel om danske Ahmed Samsam, der i Spanien fik en dom på otte års fængsel som IS-terrorist, alt imens de hjemlige efterretningstjenester PET og FE hemmeligholdt, at han som deres agent havde været aktiv i Syrien.
Mindst lige så spektakulær er den igen og igen stadfæstede dom, i byret, landsret og højesteret, over et somalisk forældrepar, der skal have ladet deres to døtre omskære. De har fået hver halvandet års fængsel, selvom de og døtrene nægter, og fire ud af fem ekspertundersøgelser påviser, at pigerne ”uden tvivl“ ikke er blevet omskåret. At Den Særlige Klageret nu for anden gang afviste at genoptage sagen, gjorde mig lige så målløs som formentlig enhver, der har lyttet til DR’s podcast ”Det levende bevis“ om sagen.
Det fortjener respekt, at netop Venstre-manden Hjort har nægtet at være med til alle mulige tys-tys-manøvrer, hvorved hans egen sag kunne have fået en blød landing.
Nigerianeren Lucky Francis, benamputeret efter en skudveksling med danske soldater fra Søværnet på jagt efter pirater ved Vestafrikas kyst, har fået en dom i Københavns byret for ”fareforvoldelse“. Dog uden straf, da det stod dommerne klart, at Francis var havnet på anklagebænken i Danmark ene og alene pga. af sin alvorlige skade. Efter ugers grublerier på regeringskontorerne i København havde Søværnet endda foræret de af hans kammerater, der ikke var druknet eller skudt, en båd hjem til Nigeria og friheden.En mere åbenlyst ulige behandling fra statslige instanser kan man vanskeligt forestille sig.
Redaktionen i Frankfurt rettede i artiklen om Samsam mit ord ”Justizmord“ til ”Justizirrtum“ (justitsfejltagelse). Ordnung muss sein, tænkte jeg surmulende, men den redigerende kollega havde på sin vis ret. For på tysk kan der kun være tale om justitsmord, når den anklagede efter en uretmæssig dom henrettes, mens man i Danmark omgås begrebet lidt friere: Det er justitsmord, når en uskyldig er dømt.
Ordet justitsmord svirrer muntert i luften, både på Christiansborg og i medierne, i dagligdags politiske kampråb. Barbara Bertelsen beskyldes af nogle for som departementschef i Statsministeriet at have sat gang i et justitsmord i en personlig vendetta mod Lars Findsen. Hvilket, efter manges mening, kan føre til endnu et justitsmord – med Claus Hjort Frederiksen som offer.
I hans tilfælde har både diverse partier og justitsministeren – som øverste anklager i kongeriget – vredet sig som ål i en ruse: Kunne der mon findes en blød landing for den 75-årige eksminister, uden at man samtidig gjorde sig selv til grin ved at have bragt bombastiske anklager mod Findsen? Vinden for eller imod en anklage vendte lystigt, alt efter hvem der regerede sammen med eller imod hvem. »Det er en hysterisk overreaktion at retsforfølge ham« og »en skandaløs politisk beslutning«, ifølge Alex Vanopslagh (LA). Hvilken sælsom sammenblanding af politik og jura.
Et tilsvarende sammenrod prægerdommene mod Ahmed Samsam (søn af syriske flygtninge), det somaliske forældrepar og nigerianeren Lucky Francis. Alle kommer de fra den modsatte ende af samfundet i forhold til Hjort og Findsen & co., og de har ikke en Christiansborg-lobby til bløde landinger.
Ingen ville have løftet så meget som et øjenbryn efter den formentligt forkerte dom over somalierne, hvis ikke deres egen datter Amira havde kæmpet så standhaftigt og til alt held var stødt på en så intelligent og vedholdende journalist som DR’s Frederik Hugo Ledegaard.
Det fortjener respekt, at netop Venstre-manden Hjort har nægtet at være med til alle mulige tys-tys-manøvrer, hvorved hans egen sag kunne have fået en blød landing. Samtidig afkræver han PET og FE forklaringer og afklaring frem for tjenesternes »abekastningsspil« på bekostning af Samsam. Af Folketinget kræver han desuden en kommissionsundersøgelse: »Vi kan ikke have mistanke om justitsmord hængende i luften. Vi er trods alt en retsstat.«
Uheldigt for Lucky Francis, at han indtil nu ikke har fået en prominent talsmand og en retfærdig behandling.
Mens jeg skrev klummen, tænkte jeg på publicisten Kurt Tucholsky, for 100 år siden en nådesløs kritiker af tysk justits i Weimarrepublikken og en mester udi ætsende sarkasme rettet mod magthaverne: »Jeg har intet imod klassejustits; jeg kan bare ikke lide den klasse, der laver den. Og som ovenikøbet lader som om, det skulle være retfærdighed.«
Thomas Borchert, (f. 1952) tysk-dansk korrespondent, bosat i København og Berlin, er en del af Jyllands-Postens weekendpanel, hvor syv personer hver uge på skift skriver en kronik. Han skriver for Frankfurter Rundschau og har skrevet en bog med titlen ”Gebrauchsanweisung für Dänemark”. Som udenrigskorrespondent skriver han om Danmark og de andre nordiske lande.