13- Jährige sollen in Schweden ins Gefängnis

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Schweden senkt Strafmündigkeit: „Kinder bekommen Mordaufträge“

15.12.2025

Von: Thomas Borchert

Kriminelle Banden rekrutieren Kinder im Internet für Auftragsmorde. Die Polizei warnt vor den Folgen der geplanten Gesetzesänderung.

Schwedische Gerichte sollen vom kommenden Sommer an schon 13-Jährige für Mord und andere schwere Verbrechen zu Gefängnisstrafen verurteilen. Hintergrund für die geplante Senkung der Strafmündigkeit von derzeit 15 auf 13 Jahre ist die in Europa beispiellose Rekrutierung von schwedischen Kindern, unter anderem für Auftragsmorde und Bandenkriege in der Organisierten Kriminalität. In diesem Jahr hat die Polizei nach Sprengstoffanschlägen bisher 54 Tatverdächtige festgenommen, die 13 oder 14 Jahre alt waren. In der Stadt Gävle laufen nach einer nächtlichen Schießerei Ermittlungen gegen einen 13-Jährigen wegen sechsfachen Mordversuchs.

Carin Götblad aus der operativen Polizeiführung erläutert Hintergründe dieser schockierenden Entwicklung.

In welchem Umfang sind schwedische Kinder und Jugendliche an Verbrechen der Organisierten Kriminalität beteiligt?

Wir hatten in diesem Jahr 35 Schießereien. Die Mehrheit der Beteiligten war unter 18 Jahre, ein Drittel unter 15. Generell geht die Zahl der Schießereien seit 2023 zurück. Aber die der Bombenanschläge steigt, und die Beteiligung sehr junger Täter daran kräftig. Wir haben viele 12- bis 14-Jährige. Man rekrutiert sie im Internet für „Crime as a service“. Die Auftraggeber sitzen meist im Ausland, mitunter in Schweden. Fast immer fangen wir die Täter, eben weil sie noch so jung sind. Sie gehören den Banden gar nicht an, sondern werden wie Verbrauchsgüter benutzt. Im Netz haben sie die Hand gehoben und erklärt: Ich will einen Mordauftrag haben.

Welche Erklärungen gibt es dafür?

Ich hab Puzzlesteine, aber keine klare Antwort, warum sie das tun. Das Phänomen, Kindern Mordaufträge gegen Geld anzubieten, haben wir in der modernen westlichen Welt so noch nicht erlebt. Dass die Alterspyramide so steil nach unten geht, wäre ohne die digitale Umwelt nicht möglich gewesen. Man rekrutiert im Netz. Heute kann das innerhalb von Stunden passieren. Wenn ich mordverdächtige Kinder frage, warum sie einen Menschen erschießen, sagen sie: Ich will das Geld.

Warum erlebt das jetzt ausgerechnet Schweden, das anderswo als funktionierender Wohlfahrtsstaat mit Pippi Langstrumpf und Greta Thunberg gilt?

In Schweden sind die Internet-Plattformen sehr schlecht reguliert, was auch für die EU gilt. Wir sind ein durchdigitalisiertes Land. Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen. Wir müssen jede einzelne Plattform, ob Telegram, Amazon oder alle möglichen anderen, einzeln kontakten, um so was zu löschen. Ein Teil tut das nicht oder antwortet nicht mal. In Schweden hatten wir ein „Volksheim“, mit gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und Solidarität als Fundament. Leider muss ich sagen, dass die Organisierte Kriminalität das maximal ausnutzt. Sie kennt keine Loyalität zum „Volksheim“. Es ist kein Geheimnis, dass ein sehr hoher Anteil dieser Personen in Schweden geboren ist, aber Wurzeln im Ausland hat und aus „ausgegrenzten Wohnvierteln“ kommt.

Carin Götblad ist Chefin der Operativen Führung der schwedischen Polizei.
Carin Götblad plädiert für das Fach „Ethik und Moral“ an schwedischen Schulen. © Privat

Was kann die Polizei tun?

Ich habe mein ganzes Leben mit vorbeugendem Einsatz gearbeitet. Schwer daran ist, dass die Ergebnisse nicht sofort sichtbar werden. In der Politik will man kraftvolle Maßnahmen sehen. Forschung zeigt, dass wir Kriminalität, ob es nun Wirtschaftskriminalität oder Mord ist, langfristig nur mit Vorbeugung brechen. Aber auf kurze Sicht sind die repressiven Einsätze die effektiven. So haben wir seit dem 1. Dezember Erleichterungen beim Datenschutz, so dass Polizei, Sozialbehörden und Schulen Informationen austauschen können. Bisher kommt der Einsatz in Schweden viel zu spät. Ist man Teenager, ist es zu spät. Wir müssen schon im Kindergarten aktiv werden. Als frühere Kindergärtnerin weiß ich, dass wir dort sehen, wer aus einer Risikofamilie kommt.

Warum spricht sich auch die Polizei, wie fast alle betroffenen Instanzen in Schweden, gegen die von der Regierung geplante Senkung der Strafmündigkeit auf 13 Jahre aus?

Zur politischen Fragestellung haben wir nicht Stellung bezogen. Auch nicht dazu, ob jugendliche Täter ins Gefängnis oder spezielle Einrichtungen kommen. Wir glauben allerdings, dass es fast unmöglich rechtssicher zu handhaben ist, wenn für bestimmte Vergehen 13 Jahre und für andere 14 oder 15 Jahre gelten sollen.

Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen.Carin Götblad im Interview.

Sie rufen zu einer „Volksbewegung gegen Kriminalität und für Inklusion“ auf. Wie soll das funktionieren?

Wir haben in Schweden eine Tradition für solche Bewegungen, die von unten kommen müssen. Keine Behörde, auch die Polizei nicht, kann so eine Kraft stoppen. Das gab es zum Beispiel zum Stimmrecht für Frauen und gegen den Alkoholismus. Da war mein Großvater vor fast hundert Jahren sehr aktiv. Wenn man Kinder, die im Prinzip absolut allem negativ gegenüberstehen, fragt, was könnte Bedeutung für dich haben, sagen sie: Wenn ich nur einen Erwachsenen gehabt hätte, der in Ruhe mit mir spricht, ohne dass er oder sie mich hinterher von Amts wegen anzeigen muss. Ich habe auch ein Schulfach „Ethik und Moral“ schon ab der Vorschulklasse vorgeschlagen. Kinder interessieren sich ausgeprägt für das Thema Gerechtigkeit. Man kann hier Empathie und Hilfsbereitschaft trainieren und Kinder durch Lob robuster machen. Man kann Jugendliche zwei Stunden die Woche in Freizeitjobs anstellen. Plötzlich haben sie so etwas Geld und können ein bisschen träumen. Wir dürfen die Kinder nicht den sozialen Medien und den Gangsterrappern überlassen. Und auch nicht den Eltern, die sich aus dem Staub machen, weil sie Zeit für sich selbst haben wollen.

Zur Person

Carin Götblad (69) ist Chefin der Operativen Führung der schwedischen Polizei. Götblad stammt aus der Region Stockholm, absolvierte eine Ausbildung als Kindergärtnerin und studierte danach Jura.

Götblad war von 2012 bis 2014 Regierungsbeauftragte für die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Von 2015 bis 2020 war sie Polizeichefin der schwedischen Polizeiregion Mitte. FR

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