Month: December 2025

Wie eine Pippi Langstrumpf aus Heidelberg nach Stockholm ausgewandert ist

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Eine wilde Freundin für dunkle Tage

17.12.2025

Von: Thomas Borchert

Marie Walter liebt Pippi Langstrumpf – so sehr, dass sie mit 18 Jahren nach Schweden auswandert. Eine Begegnung zum 80. Geburtstag von Astrid Lindgrens Kinderheldin / Von Thomas Borchert

Die schmucken Kaufhaus-Schaufenster zu Pippis 80. Geburtstag sind Marie Walter wohl weniger wichtig. Umso überzeugter feiert die 24-Jährige aus Heidelberg im vorweihnachtlichen Stockholm die Kinderbuch-Heldin von Astrid Lindgren als Medizin für Einsame: „Mir hat Pippi Langstrumpf gegen die Einsamkeit geholfen. Außerdem weiß ich, dass ich extrem stur sein kann, und Pippi ist auch extrem stur, und trotzdem ist sie ja ein extrem netter Mensch.“

Klar, dass genau 80 Jahre nach Erscheinen des überall auf der Welt geliebten Kinderbuchs – Buchpremiere war am 26. November 1945 – die Lobeshymnen im Geburtsland kein Ende nehmen wollen. Auf Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf als Schutzpatronin berufen sich Schwedens starke Feministinnen genauso wie die immer stärkeren Rechtspopulisten. Die konservative Außenministerin Malmer Stenergaard ermahnte vor der UNO, auch gerade 80 geworden und immer schwächer, die politischen Spitzen der ganzen Welt, dem ausgeprägt antiautoritären Mädchen aus dem Norden nachzueifern: „Lassen Sie uns mit derselben Furchtlosigkeit und Entschlusskraft handeln wie Pippi.“

Das hat Marie Walter getan und legt Wert darauf, dass sie mit konservativen und rechtspopulistischen Pippi-Fans nichts am Hut hat. Mit 18 ist sie wegen ihrer lebenslangen Pippi-Begeisterung nach Schweden gezogen, ohne jemanden zu kennen, ohne Sprachkenntnis, dafür mit einem festen Willen. In Kindertagen hatte die deutsche TV-Serie mit Pippi tiefe Spuren hinterlassen: „Da hab ich gesagt, wenn ich groß bin, will ich in Pippis Land leben.“ Das sagen sicher viele Kinder und kommen dann irgendwann auf andere Gedanken. Marie blieb stur wie das Vorbild, was ihr zum Neuanfang vor allem eins einbrachte: das Gefühl von Einsamkeit.

Die Mutter ihrer Chefin nennt sie Pippi

Zur ersten Station wurde statt der Villa Kunterbunt mit den Spielgefährten Tommy und Annika ein, wie es nun mal ist in Schweden, düsterer Winter als Au-pair im tristen Stockholmer Vorort Nacka. In dieser Zeit, das wissen alle jemals von außen in Pippis Land Gelandeten, sind die Einheimischen noch verschlossener als sowieso schon: „Es war einfach extrem im Winter. Ich bin im Oktober hierhergekommen. Das ist ganz verkehrt, so sagt man.“ Marie erinnert sich an „ewig lange Spaziergänge allein durch Stockholm“: „Mein einziger Wunsch war eine Freundin, ein schwedischer Kontakt.“

Der kam zustande über den ersten Café-Job und die Managerin Lovisa dort mit dem perfekt passenden Nachnamen Lindgren. Was für ein Glück! Diese Lindgren aber erwies sich auch als typisch schwedisch reserviert: „Das erste halbe Jahr dachte ich, Lovisa findet mich nur nervig und mag mich nicht.“ Was tun? Marie sah sich wieder die Pippi-Serie an, jetzt schon in der Originalsprache, und stellte fest, dass die Hauptperson mit ihren neun Jahren ja auch mutterseelenallein gegen Einsamkeit zu kämpfen hat. Ihre Mutter ist tot, der Vater schippert auf fernen Meeren herum. Pippi hat ein Rezept, allein froh zu werden: Sie macht einfach, was sie will, und ist dabei offen und herzlich zu anderen. „Ich hab mir die ganze Zeit selbst zugeredet: Du bist Pippi und kannst machen, was du willst.“

Die Sturheit hatten wir schon. Sie half auch beim Schwedischlernen, weil Marie sich standhaft weigerte, einen einzigen Satz auf Englisch von sich zu geben. Sie half auch beim Durchhalten, bis die Café-Managerin aus heiterem Himmel zur Kellnerin aus Deutschland sagte: „Marie, ich mag dich so, willst du nicht bei mir einziehen?“ Dann tauchte als Co-Chefin im Café noch Lovisas Mutter mit dem Vornamen Annika auf und nannte Marie fortan Pippi. Weil sie doch genauso aussehe.

„Das war ein schöner Augenblick“, erinnert sich Marie und zerstreut vollkommen glaubhaft den Verdacht, dass sich hier jemand eine vorweihnachtlich kitschige Pippi-Geschichte ausgedacht hat: „Lovisa war dann nie zu Hause, ich war allein, und ich hab weiter ziemlich einsam gelebt mit dem Gefühl, dass die Schweden so viel cooler sind als ich.“ Sie habe sich dann einfach durchgebissen.

Die Liebe zu einem Schweden namens Kasper brachte dann, berichtet Marie auch wieder kitschfrei, jede Menge Pippi in ihr Leben. Es gab ein Date mit dem Besuch des Pippi-Musicals, Kasper schenkte ihr ein Pippi-Tattoo auf dem Arm zum Geburtstag. Beide wohnten zusammen, bis plötzlich Schluss war und Marie wieder „in einem trostlosen Studentenwohnheim“ fast von vorn anfangen musste. „Ich hab meinen Laptop aufgeklappt und mir Pippi-Filme angeschaut und gedacht: Ich schaff das, weil Pippi schafft es auch.“

Sie hat in Stockholm ihren Bachelor in Journalistik gemacht. Wenn Marie Walter jetzt für deutsche und schwedische Medien arbeitet, ist aus Schweden eher wenig Frohgemutes zu vermitteln. Künftig sollen auch 13-jährige Kinder ins Gefängnis gesteckt werden, weil Drogen-Banden sie immer häufiger für Mordaufträge einsetzen und die Politik mit Härte punkten will. Pippi selbst würde heute wohl für ihren Spott über die tollpatschigen Polizisten Kling und Klang im Knast landen. Seit dem Sommer ist die „Verunglimpfung“ der Polizei und anderer im Staatsdienst strafbar.

Das alles gehört auch zu Maries Satz: „Pippis Realität ist nicht die Realität Schwedens.“ Als Kompass hält die Kinderbuchheldin mit den Sommersprossen und dem roten Haar trotzdem: „Ihre größte Inspiration ist, dass man nicht cool sein muss. Man kann total nett sein und ganz viel Liebe an seine Mitmenschen geben und dabei trotzdem sein Ding machen.“ Pippi Langstrumpf und Astrid Lindgren sei Dank.

Marie Walter in Stockholm
Von Pippi hat Marie Walter eines gelernt: „Man kann nett sein und trotzdem sein Ding machen.“ © privat

13- Jährige sollen in Schweden ins Gefängnis

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Schweden senkt Strafmündigkeit: „Kinder bekommen Mordaufträge“

15.12.2025

Von: Thomas Borchert

Kriminelle Banden rekrutieren Kinder im Internet für Auftragsmorde. Die Polizei warnt vor den Folgen der geplanten Gesetzesänderung.

Schwedische Gerichte sollen vom kommenden Sommer an schon 13-Jährige für Mord und andere schwere Verbrechen zu Gefängnisstrafen verurteilen. Hintergrund für die geplante Senkung der Strafmündigkeit von derzeit 15 auf 13 Jahre ist die in Europa beispiellose Rekrutierung von schwedischen Kindern, unter anderem für Auftragsmorde und Bandenkriege in der Organisierten Kriminalität. In diesem Jahr hat die Polizei nach Sprengstoffanschlägen bisher 54 Tatverdächtige festgenommen, die 13 oder 14 Jahre alt waren. In der Stadt Gävle laufen nach einer nächtlichen Schießerei Ermittlungen gegen einen 13-Jährigen wegen sechsfachen Mordversuchs.

Carin Götblad aus der operativen Polizeiführung erläutert Hintergründe dieser schockierenden Entwicklung.

In welchem Umfang sind schwedische Kinder und Jugendliche an Verbrechen der Organisierten Kriminalität beteiligt?

Wir hatten in diesem Jahr 35 Schießereien. Die Mehrheit der Beteiligten war unter 18 Jahre, ein Drittel unter 15. Generell geht die Zahl der Schießereien seit 2023 zurück. Aber die der Bombenanschläge steigt, und die Beteiligung sehr junger Täter daran kräftig. Wir haben viele 12- bis 14-Jährige. Man rekrutiert sie im Internet für „Crime as a service“. Die Auftraggeber sitzen meist im Ausland, mitunter in Schweden. Fast immer fangen wir die Täter, eben weil sie noch so jung sind. Sie gehören den Banden gar nicht an, sondern werden wie Verbrauchsgüter benutzt. Im Netz haben sie die Hand gehoben und erklärt: Ich will einen Mordauftrag haben.

Welche Erklärungen gibt es dafür?

Ich hab Puzzlesteine, aber keine klare Antwort, warum sie das tun. Das Phänomen, Kindern Mordaufträge gegen Geld anzubieten, haben wir in der modernen westlichen Welt so noch nicht erlebt. Dass die Alterspyramide so steil nach unten geht, wäre ohne die digitale Umwelt nicht möglich gewesen. Man rekrutiert im Netz. Heute kann das innerhalb von Stunden passieren. Wenn ich mordverdächtige Kinder frage, warum sie einen Menschen erschießen, sagen sie: Ich will das Geld.

Warum erlebt das jetzt ausgerechnet Schweden, das anderswo als funktionierender Wohlfahrtsstaat mit Pippi Langstrumpf und Greta Thunberg gilt?

In Schweden sind die Internet-Plattformen sehr schlecht reguliert, was auch für die EU gilt. Wir sind ein durchdigitalisiertes Land. Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen. Wir müssen jede einzelne Plattform, ob Telegram, Amazon oder alle möglichen anderen, einzeln kontakten, um so was zu löschen. Ein Teil tut das nicht oder antwortet nicht mal. In Schweden hatten wir ein „Volksheim“, mit gegenseitigem Vertrauen, Offenheit und Solidarität als Fundament. Leider muss ich sagen, dass die Organisierte Kriminalität das maximal ausnutzt. Sie kennt keine Loyalität zum „Volksheim“. Es ist kein Geheimnis, dass ein sehr hoher Anteil dieser Personen in Schweden geboren ist, aber Wurzeln im Ausland hat und aus „ausgegrenzten Wohnvierteln“ kommt.

Carin Götblad ist Chefin der Operativen Führung der schwedischen Polizei.
Carin Götblad plädiert für das Fach „Ethik und Moral“ an schwedischen Schulen. © Privat

Was kann die Polizei tun?

Ich habe mein ganzes Leben mit vorbeugendem Einsatz gearbeitet. Schwer daran ist, dass die Ergebnisse nicht sofort sichtbar werden. In der Politik will man kraftvolle Maßnahmen sehen. Forschung zeigt, dass wir Kriminalität, ob es nun Wirtschaftskriminalität oder Mord ist, langfristig nur mit Vorbeugung brechen. Aber auf kurze Sicht sind die repressiven Einsätze die effektiven. So haben wir seit dem 1. Dezember Erleichterungen beim Datenschutz, so dass Polizei, Sozialbehörden und Schulen Informationen austauschen können. Bisher kommt der Einsatz in Schweden viel zu spät. Ist man Teenager, ist es zu spät. Wir müssen schon im Kindergarten aktiv werden. Als frühere Kindergärtnerin weiß ich, dass wir dort sehen, wer aus einer Risikofamilie kommt.

Warum spricht sich auch die Polizei, wie fast alle betroffenen Instanzen in Schweden, gegen die von der Regierung geplante Senkung der Strafmündigkeit auf 13 Jahre aus?

Zur politischen Fragestellung haben wir nicht Stellung bezogen. Auch nicht dazu, ob jugendliche Täter ins Gefängnis oder spezielle Einrichtungen kommen. Wir glauben allerdings, dass es fast unmöglich rechtssicher zu handhaben ist, wenn für bestimmte Vergehen 13 Jahre und für andere 14 oder 15 Jahre gelten sollen.

Es gibt auf den Plattformen ganz offen Mord-Annoncen.Carin Götblad im Interview.

Sie rufen zu einer „Volksbewegung gegen Kriminalität und für Inklusion“ auf. Wie soll das funktionieren?

Wir haben in Schweden eine Tradition für solche Bewegungen, die von unten kommen müssen. Keine Behörde, auch die Polizei nicht, kann so eine Kraft stoppen. Das gab es zum Beispiel zum Stimmrecht für Frauen und gegen den Alkoholismus. Da war mein Großvater vor fast hundert Jahren sehr aktiv. Wenn man Kinder, die im Prinzip absolut allem negativ gegenüberstehen, fragt, was könnte Bedeutung für dich haben, sagen sie: Wenn ich nur einen Erwachsenen gehabt hätte, der in Ruhe mit mir spricht, ohne dass er oder sie mich hinterher von Amts wegen anzeigen muss. Ich habe auch ein Schulfach „Ethik und Moral“ schon ab der Vorschulklasse vorgeschlagen. Kinder interessieren sich ausgeprägt für das Thema Gerechtigkeit. Man kann hier Empathie und Hilfsbereitschaft trainieren und Kinder durch Lob robuster machen. Man kann Jugendliche zwei Stunden die Woche in Freizeitjobs anstellen. Plötzlich haben sie so etwas Geld und können ein bisschen träumen. Wir dürfen die Kinder nicht den sozialen Medien und den Gangsterrappern überlassen. Und auch nicht den Eltern, die sich aus dem Staub machen, weil sie Zeit für sich selbst haben wollen.

Zur Person

Carin Götblad (69) ist Chefin der Operativen Führung der schwedischen Polizei. Götblad stammt aus der Region Stockholm, absolvierte eine Ausbildung als Kindergärtnerin und studierte danach Jura.

Götblad war von 2012 bis 2014 Regierungsbeauftragte für die Bekämpfung häuslicher Gewalt. Von 2015 bis 2020 war sie Polizeichefin der schwedischen Polizeiregion Mitte. FR

Machado, Trump und der Friedensnobelpreis

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11.12.2025

Der Elefant im noblen Raum
Bei der Übergabe des Friedensnobelpreises fehlt die Geehrte, Maria Corina Machado. Auch ungenannt dominiert ein anderer die Zeremonie: US-Präsident Donald Trump / 
Eine Einschätzung von Thomas Borchert

Ganz so bizarr wie beim „Friedenspreis“ des Weltfußballverbandes an Donald Trump ist die Verleihung des vom US-Präsidenten dreist, aber vorerst erfolglos beanspruchten Friedensnobelpreises nicht ausgefallen. Aber dass die Zeremonie für die Venezolanerin Maria Corina Machado einen durchaus denkwürdigen Verlauf nahm, kann sich der Mann im Weißen Haus schon mal ans Revers heften.

Die norwegische Jury hat die 58- jährige Machado als treibende und einigende Kraft der demokratischen Opposition gegen den brutalen Autokraten Maduro ausgezeichnet. Dass sie aber die von der Trump-Administration vollkommen rechtlos angeordnete Tötung von mutmaßlichen Drogen-Dealern auch aus ihrem Land auf hoher See begrüßt und keine Einwände gegen Trumps militärische Bedrohung Venezuelas hat, will für viele ganz und gar nicht zum berühmtesten aller Friedenspreise passen. Und schon gar nicht, dass sie ausdrücklich meinte, der US-Präsident habe den Preis aller Preise verdient.

Die norwegischen Friedensfreund:innen, die jedes Jahr vor Preisträgern wie Willy Brandt, Nelson Mandela und Barack Obama mit einem Fackelzug symbolisch den Hut ziehen, sagten deshalb ab: Mit Einsatz für Frieden habe das alles beim besten Willen nichts zu tun.

Ungewöhnlich war dann auch das Drama um Machados Erscheinen bei der Zeremonie. Sie muss seit der von der Opposition 2024 gewonnenen und vom Marudo-Regime zu eigenen Gunsten gefälschten Wahl im Untergrund leben und verpasste bei der Flugreise nach Skandinavien die Verleihung knapp um ein paar Stunden. Umso erstaunlicher, wie ihre in New York lebende Tochter Ana Corina Sosa Machado nach der Entgegennahme des Preises die halbstündige Dankesrede der Mutter vollständig auswendig, sowie rhetorisch geschliffen vortragen konnte. Überzeugend legte sie, also eigentlich die Preisträgerin, ihre demokratischen Prinzipien für eine Überwindung der Maduro-Diktatur offen. Der Name Trump kam genauso wenig vor wie der neue US-Herrschaftsanspruch für Südamerika. Immerhin gab es irgendwo einen kleinen Satz: Eine Invasion von Venezuela sei „nicht das richtige Mittel“.

Auch den geringsten direkten Bezug zu Trump oder gar eine Namensnennung verkniff sich der Nobelkomitee-Chef Jorgen Watne Frydnes in seiner Laudatio auf Machado. Als der 40-Jährige, ein allseits geschätzter Menschenrechtsaktivist an der Spitze von Norwegens PEN-Zentrum, in schockierenden Details Grausamkeiten unter Maduro schilderte, wurde es unter den Honoratioren im Rathaussaal, unter ihnen Argentiniens angereister Präsident Milei, still. Genauso leidenschaftlich, aber auf dünnem Eis verteidigte Frydnes dann Machado gegen Kritik wegen ihrer praktisch bedingungslosen Unterstützung für Trump: Auch Friedensnobelpreisträger wie Lech Walesa und Nelson Mandela hätten „nicht nur ein Dilemma bei ihren Dialog-Entscheidungen gut gekannt“. Die Kritik an Machados Entscheidungen nannte er wohlfeil, weil „leicht von der Seitenlinie“ vorgebracht und „auch in alten Gedankenmustern verharrend“.

Zu den neueren im fünfköpfigen Nobelkomitee gehört die Einsicht, dass Venezuela „nicht alleine steht“. „Die ganze Welt ist auf der verkehrten Spur“, verkündete Frydnes und fuhr fort: „Autoritäre Mächte sind auf dem Vormarsch und versuchen, die Demokratie zu zerstören.“ Auch hier fiel weder der Name Trump noch der seines Landes. Man darf gespannt sein auf die kunstvolle Laudatio in einem Jahr, wenn der Krieg in der Ukraine, unter welchen Bedingungen auch immer, beendet ist und Donald Trump erst richtig loslegt mit seinem Verlangen nach dem Friedensnobelpreis.

Kommentar: Sipri wird immer mehr zum Kriegsforschungsinstitut

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Profite der Rüstungskonzerne: Das finstere Konzert

02.12.25

Von: Thomas Borchert

Das Friedensforschungsinstitut Sipri führt eine brutale Welt vor. Der Kommentar.

Das Friedensforschungsinstitut Sipri sollte sich vielleicht besser in Kriegsforschungsinstitut umbenennen. So wie die Vereinigten Staaten als die nach wie vor größte Militärmacht der Welt den Chef im Pentagon jetzt als Kriegsminister statt wie bisher als Verteidigungsminister titulieren. Der jüngste Sipri-Report über die Geschäfte der hundert größten Rüstungskonzerne der Welt – 40 davon sitzen in Nordamerika – nennt immer wieder die Kriege in der Ukraine und in Gaza als Triebkraft für seit Beginn der Untersuchungen noch nie erreichte Rekordumsätze.

Da liest man in der kühl nüchternen Sprache der Stockholmer Datensammler, Russlands Waffenschmieden hätten 2024 die Produktion von 152mm-Artillerie-Granaten auf 1,3 Millionen Stück vervierfacht. Israels Plus um 16 Prozent beim Rüstungsgeschäft sei „sowohl auf den eigenen Militäreinsatz in Gaza wie die starke weltweite Nachfrage nach hochentwickelten Militärdrohnen zurückzuführen“. Die russischen 152er wurden wahrscheinlich schon samt und sonders verschossen und man muss sich beim Lesen selbst dazudenken, dass Opfer dieses Granatenregens gerade stapelweise aus Güterwaggons und in Plastiksäcken in ihrer ukrainischen Heimat abgeliefert worden sind. Und das zerstörte Gaza bleibt für seine Bevölkerung auch nach dem Ende des Bombenregens die Hölle: Blindgänger, Sprengfallen, weitere sporadische Angriffe …

Dass die vier größten deutschen Rüstungskonzerne in diesem finsteren Konzert hinter Japan mit plus 36 Prozent die herausragend höchsten Zuwächse geschafft haben, gehört zu den Überraschungen auf der Sipri-Liste. „Geht doch“, könnte der schon bemitleidenswert gebeutelte Wachstumskanzler Merz das kommentieren. Ist dieses entschlossene Zupacken bei Rheinmetall und anderen ja zum einen auf die von fast allen gewollte massive Unterstützung der Ukraine zurückzuführen. Und außerdem eine offenbar gut funktionierende Umsetzung der scholzschen „Zeitenwende“ gegen das angriffslüsterne Russland, den absolut alles an Profitgier ausrichtenden Trump und ein nach Weltherrschaft strebendes China.

Sipri attestiert den USA ein Wachstum von „nur“ 3,2 Prozent wegen hausgemachter Probleme: chronische Verspätungen und Kostensteigerungen wie bei der Bundesbahn. Aber das wie auch Chinas zehn Prozent minus im Gefolge gigantischer Korruption wird nur ein kleines Zwischentief bei der Jagd der ganz Großen nach Rüstungsprofiten und Hegemonie auf dieser Welt bleiben. Die Zahlen aus Stockholm sind eine eindrucksvolle Aufforderung an alle, sich andere Mittel dagegen auszudenken als die eigene Jagd nach Rüstungsprofiten.

Sipri: Rüstungskonzerne boomen wie nie zuvor – vor allem die deutschen

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Boom in der Waffenindustrie: Eine goldene Ära der Rüstung

02.12.2025

Von: Thomas Borchert

Die Waffenindustrie erzielt Rekordumsätze – deutsche Konzerne profitieren besonders.

Die Rüstungskonzerne erleben goldene Zeiten, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri jetzt mit der Auflistung von Verkaufszahlen in nie erreichter Höhe offenlegt. Zum Anstieg um 5,9 Prozent allein 2024 auf 679 Milliarden Dollar (584 Milliarden Euro) Umsatz für die 100 größten Waffenschmieden der Welt trägt nach Japan mit plus 40 Prozent vor allem die deutsche Rüstungsindustrie herausragend bei: Nach dem Branchenführer Rheinmetall haben es drei weitere Unternehmen auf die Sipri-Liste der „Top 100“ geschafft. Ihre Waffenverkäufe sind um 36 Prozent nach oben geklettert. Die höchste Steigerungsrate erzielte dabei der Nürnberger Diehl-Konzern, der nach den Stockholmer Angaben vor allem durch Lieferungen von bodengestützten Luftverteidigungssystemen und Artilleriemunition an die Ukraine 2,1 Milliarden Dollar Umsatz machen.

Rheinmetall kletterte in der Top-100-Liste, ebenfalls vorrangig dank Lieferungen an die Ukraine, vom 26. auf den 20. Platz und Diehl vom 80. auf den 67. Platz. Hinzu kommen Thyssen Krupp (von 63 auf 61) und der weniger bekannte Münchner Hensoldt-Konzern (von 70 auf 62) mit militärischer Sensortechnik. Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva verwies gegenüber der FR zu den herausragend hohen Wachstumsraten deutscher Rüstungsunternehmen auf die noch etwas höheren in Japan. Beide Länder hätten ihre „historisch bedingten Selbstbeschränkungen“ nun zugunsten höherer militärischer Ausgaben sowie Produktion aufgegeben: „Weil die Staaten die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts als höher einschätzen.“

Den deutschen Steigerungsraten im letzten Jahr stehen ganze 3,8 Prozent plus für die US-Rüstungsindustrie gegenüber, die aber mit 336 Milliarden Dollar immer noch 49 Prozent des weltweiten Umsatzes einfährt. Die Vereinten Staaten beheimaten vier der fünf größten Rüstungskonzerne der Welt. Bemerkenswert an den aktuellen Sipri-Zahlen ist der erstmalige Auftritt von Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, als Nr. 77 unter den hundert größten Waffenherstellern auf dem Planeten.

Generell notieren die Stockholmer Friedensforscher aber eine Menge Sand im Getriebe der US-Rüstungskonzerne. Das gilt auch für die weltweite Nr.1 Lockheed mit ihrem Kampfflugzeug F-35 als Dauer-Verkaufsschlager. Die gesamte Branche habe mit hausgemachten Problemen zu kämpfen. Im Sipri-Report heißt es dazu: „Während Verspätungen und Kostenüberschreitungen seit langem generell zu den Eigenheiten der militärischen Modernisierung zählten, waren sie in den USA besonders ausgeprägt.“ So auch bei dem F-35-Jet.

Das habe noch viel mehr staatliche Ressourcen aus anderen Bereichen abgesaugt und „die langfristige militärische Haushaltsplanung unterminiert.“ Für die kommenden Jahre erwartet das Stockholmer Institut eine zusätzliche Verschärfung dieser Probleme „durch Engpässe bei essenziell wichtigen Materialien zur Produktion hoch entwickelter militärischer Ausrüstung“. Gemeint sind seltene Erden und andere unverzichtbare Rohstoffe in vorwiegend chinesischer Hand.

Dabei wartet China als Rüstungsproduzent bei einem Minus von zehn Prozent für die 13 größten Unternehmen im Land mit der wohl größten Überraschung im Sipri-Report auf. Sie machten bei einem Weltmarktanteil von 13 Prozent (gegenüber 2,2 Prozent für Deutschland) noch 88,3 Milliarden Dollar Umsatz. Als wichtigsten Grund werden Korruptions-Skandale genannt. So verlor Norinco, der elftgrößte Waffenkonzern der Welt und führend in China, laut Sipri auf diesem Hintergrund 31 Prozent seines Umsatzes im letzten Jahr.

Russlands Industrie folgt mit einem Weltmarktanteil von 4,6 Prozent auf die USA, China und Großbritannien (7,7 Prozent) als viertgrößter Waffenproduzent. Der Aggressor im Krieg mit der Ukraine hat laut Sipri neben dem Ausfall von Exporteinnahmen auch mit lückenhafter Materialbeschaffung durch Sanktionen sowie Facharbeitermangel in der Rüstung zu kämpfen. Der Krieg in Gaza sowie auch der in der Ukraine hat Israels drei größten Rüstungskonzernen einen Umsatz von plus 16 Prozent auf 16,2 Milliarden Dollar gebracht.