Der Fehmarnbelt-Tunnel verzögert sich

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Jahrhundert-Tunnel in Warteposition

Von: Thomas Borchert

12.11.2025

Baustelle Fehmarn-Belt-Tunnel
Die Anlage, in der die Tunnelelemente gebaut werden, ist ungefähr so groß wie 350 Fußballfelder. © Femern A/S Skyfish

Wegen technischer Probleme beim Absenken der Tunnelelemente drohen Zusatzkosten von knapp zwei Milliarden Euro. Eine Reportage von der Baustelle.

Wie einparken, wenn ein Gefährt von 217 Metern Länge, 42 Meter breit, 9 Meter hoch und 73 500 Tonnen schwer, bugsiert werden muss? Man fängt ganz normal mit der Platzsuche an. „Wir bauen gerade jetzt noch mehr Parkplätze,“ erklärt munter Markus Just fern seiner Augsburger Heimat vor „Hala B“, der gigantischen Tunnelelemente-Fabrik am Fehmarnbelt. „Dänemark ist schon ganz nett“, befindet der Bauingenieur über seine Wahlheimat; den Job beim Tunnelbau zwischen Rødbyhavn und Puttgarden in Schleswig-Holstein beschreibt er als Erfüllung eines Traums: „Mit meiner damaligen Hamburger Freundin war ich zu Besuch auf Fehmarn, und wir haben gesagt, wenn hier die Brücke gebaut wird, sind wir dabei.“

Tunnelelemente unter Wasser
Die Ungetüme sind schwimmfähig. © Femern A/S Skyfish

Es kommt im Leben immer etwas anders, als man denkt. Statt der zunächst ins Auge gefassten Brücke wird seit 2020 der mit 18 km längste Absenktunnel der Welt gebaut. Just hatte seinen Wohnsitz schon vorher aus anderen Gründen nach Kopenhagen verlegt. Mit seiner dänischen Ehefrau schickt er die Kinder auf die deutschsprachige Sankt Petri Schule, spricht aber nach eigener Einschätzung „zu viel“ dänisch mit den beiden.

Eindeutig dänisiert auch, nach außen entspannt und demonstrativ zuversichtlich im Angesicht gigantischer Anforderungen, führt er über diesen Arbeitsplatz voller Superlative: So groß wie 350 Fußballfelder, alles aus dem Meer gestampft, und mit einem Bedarf an Stahl, der für 50 Eiffeltürme reichen würde. Auch die 3,2 Millionen Kubikmeter Beton, so ist auf der Homepage des staatlichen Bauherrn Femern A/S zu lesen, werden „im Einklang mit der Natur“ verbaut. „Hala B“ hat einer der – überwiegend polnischen – 2000 Bauarbeiter in der Muttersprache gepinselt.

In den Hallen A, B und C werden die riesigen Tunnelemente wie am Fließband gefertigt, an beiden Enden hermetisch mit Stahltoren verschlossen und am Ende in ein Hafenbecken geschoben. Von dort geht es, das ist jedenfalls der Plan, für die schwimmfähigen Ungetüme hinter Schleppern hinaus zu ihrem vorgesehenen Liegeplatz. Dass sie mit einer Fehlertoleranz von unglaublichen 12 Millimetern in der dafür ausgebaggerten Rinne 30 Meter unter der Wasseroberfläche haargenau aneinanderpassen, wird von zwei hochspezialiserten Pontons namens Ivy 1 und Ivy 2 gesteuert.

Dieser Arbeitsgang sei, erklärt Just mit Ingenieurs-Begeisterung, genauso „irrsinnig komplex“ wie das Betonieren der Tunnelelemente, allein wegen der gigantischen Mengen: „Also möglichst kein Wind, Wind ist immer schlecht, Frost wäre natürlich ganz schlecht.“ Deswegen wird in drei gewaltigen Hallen frostfrei und windstill betoniert. Eigentlich sollte die Tunnelelemente-Fabrik nach dem Bauabschluss 2029 wieder komplett zurückgebaut werden. Inzwischen ist die Politik auf andere Ideen gekommen. Könnte man hier nicht, so schlagen jetzt 46 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Region Ost-Dänemark vor, später Kriegsschiffe bauen? Das sei erstens hervorragend für die regionale Wirtschaftsentwicklung und helfe außerdem dem extrem ehrgeizigen Aufrüstungsprogramm der Regierung in Kopenhagen.

Ingenieur Markus Just
Ingenieur Markus Just. © Thomas Borchert

Diese Zukunftsmusik rückt allerdings in zunehmend weite Ferne. 15 Tunnelelemente sind in den vergangenen anderthalb Jahren schon fertig produziert worden, aber kein einziges konnte bisher, wie eigentlich seit Mitte 2024 geplant, in die Tunnelrinne abgesenkt werden. Die beiden Ivys sind mit zwölf Monaten Verspätung inzwischen vor Ort, aber ein halbes Jahr später immer noch nicht einsatzbereit. So müssen die Betonungetüme weiter auf Halde produziert werden. Keine große Sache, meint Just und zeigt auf den Arbeitshafen, wo gerade zusätzliche „Parkplätze“ klargemacht würden.

Andere tüfteln weniger entspannt an Parkgebühren. Im Oktober enthüllte das Online-Magazin „Femernbusiness“ nach Akteneinsicht eine Forderung des Baukonsortiums FLC über zusätzlich umgerechnet 1,95 Milliarden Euro an den staatlichen dänischen Bauherrn Femern A/S. Das seien Zusatzkosten durch die Verzögerungen, weil man frühestens im Mai 2026 mit dem Absenken der Tunnelelemente beginnen könne. Auch weil die Absenkrinne ein bisschen, um 30 cm, ausgebaggert worden sei. Behält FLC damit recht, liegt die dänische Seite zwei Jahre hinter dem Plan und muss tiefer in die Tasche greifen. Bei bisher veranschlagten Tunnel-Kosten von 7,4 Milliarden Euro wird das kein Klacks.

Die Aufregung darüber hält sich im Reich von König Frederik X. in ganz erstaunlichen Grenzen. Der Regent war ja schon zur „Einweihung“ des ersten Tunnelelements ins festlich mit rotweißen Dannebrog-Flaggen geschmückte Rødbyhavn gekommen. Seitdem ruht der Betonriese wie ein gestrandeter Wal an seinem Parkplatz. „Det ordner sig“, das klappt schon noch, wird wohl auch der König das im Dänenstil weggelächelt haben. Ist aber nur eine Vermutung. Dem angelernten Dänen Markus Just jedenfalls, eindeutig auch ein loyaler Arbeitnehmer beim Bauherrn Femern A/S, bereitet das keine schlaflosen Nächte: „Wenn es eng wird, sehen wir eben, wo wir sonst noch parken können.“

Entspannt auch hatte die Kopenhagener Regierung 2008 beim Staatsvertrag mit den deutschen Partnern die kompletten Baukosten für das gigantische Bauvorhaben übernommen. Nur so konnte der zahlungskräftige David dem eher klammen Goliath jenseits der Ostsee das Ja-Wort abluchsen. War doch das deutsche Interesse an der Verkürzung der Reisezeit zwischen Kopenhagen und Hamburg eher gering und südlich der Hansestadt gleich null. Dafür umso größer in Dänemark, nachdem schon die genauso gewaltige innerdänische Brücken- und Tunnelverbindung über den Großen Belt und die über den Øresund nach Schweden als Jahrhundertprojekte längst allseits als Erfolgsgeschichten abgehakt sind. Niemand zweifelt deren Sinnhaftigkeit an.

Lübeck wird demnächst vom Fernverkehr abgekoppelt

Ganz anders klingt das ein halbes Jahrzehnt nach Baubeginn auf der deutschen Seite. Man ahnt es irgendwie schon in Puttgarden nach dem Verlassen der Autofähre, die wie eh und je mit 45 Minuten Fahrzeit und im Halbstundentakt Deutschland mit Dänemark verbindet. Die Bauarbeiten für Bahn und Autobahn haben die Ferieninsel Fehmarn hier bis auf Weiteres in eine chaotische Mondlandschaft mit seltsam in die Landschaft ragenden Brücken ohne Straßenanbindung verwandelt. Das wird sich bis ins nächste Jahrzehnt nach Süden fortpflanzen, wenn die Deutsche Bahn ab 2026 über die gesamte Trassenstrecke auf 88 Kilometern gleichzeitig bauen lassen will. Lübeck wird dafür ab Dezember vom Fernverkehr abgekoppelt und die regionale „Bäderbahn“ längs der Ostseeküste stillgelegt.

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Ersatz für die altersschwache Brücke muss her

Dabei hat die Bahn noch ein spezielles Hindernis zu überwinden. Für die einen Kilometer lange und altersschwache Brücke der Vogelfluglinie zwischen Fehmarn und dem Festland muss Ersatz her, was seit der Unterschrift unter den deutsch-dänischen Staatsvertrag vor 17 Jahren aktenkundig ist. Bis heute hat die Bahn keinen genehmigten Bauplan für den fälligen Tunnelbau unter dem Fehmarn Sund zustande gebracht. Frühestens 2032 sei das alles zu schaffen, teilte die Bahnaufsicht mit, was der Kieler Ex-Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) auch noch für „Träumerei“ hält. Er rechnet mit „mindestens 2035 bis 2036“ bis zur Fertigstellung.

„Deutschland blamiert sich“ titelte das „Hamburger Abendblatt“, und „Sjællands Nyheder“ hat den Eindruck: „Auf deutscher Seite wird nur gebaut, wenn gerade nichts anderes zu tun ist.“ Die ostholsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn klingt am Telefon genauso ungnädig: Die Bahn habe durch „von Anfang an schöngerechnete“ Zahlen auch die Verteuerung des Sund-Tunnelbaus von (2022) 714 Millionen auf jetzt 2,3 Milliarden Euro zu verantworten. Auch für die Bahntrasse müssten inzwischen 6,3 statt 3,9 Milliarden Euro veranschlagt werden.

Visualisering af portalen og rampen til tunnelen.Visualisation of the portal and ramp to the tunnel.Visualisierung von Tunnelportal und Rampe.
So könnte es hier einmal aussehen, wenn alles nach Plan läuft. © Femern A/S Skyfish

Hagedorn kommt dann, geografisch ausgedrückt, 75 km weiter südlich erst richtig in Fahrt: „Das eigentliche Problem ist nicht der Sundtunnel, sondern Bad Schwartau.“ Mitten durch die kleine Stadt bei Lübeck will die Bahn die neue Hochgeschwindigkeitstrasse legen, über die täglich mehr als 100 Güterzüge donnern sollen, schon mal 800 Meter lang und auch nachts. Genehmigt ist das noch nicht. „Die Stadt hat sich bis an die Zähne gerüstet mit Gutachten,“ erklärt die SPD-Abgeordnete und erwartet nach dem „dilettantischen Vorgehen“ der Bahn: „Dann wird sie wohl auch den Klageweg konsequent gehen.“

Das dürfte durch alle Instanzen richtig viele Jahre dauern, ehe es überhaupt mit dem Trassenbau in Bad Schwartau losgehen kann. Bei der Lübecker Industrie- und Handelskammer spendet Can Özren Trost mit den dänischen Verspätungen: „Dadurch relativieren sich die deutschen ja.“ Auch hätten „all die Drohnen, mit russischen oder anderen suspekten Wasserfahrzeugen über und unter der Oberfläche“ das heimische Interesse an dem Riesenbau markant gesteigert: „Da ist natürlich so ein Tunnel eine gewichtige strategische Komponente.“ Auch eine überraschende Wende bei diesem Jahrhundertbau, dessen Beton mindestens 120 Jahre halten soll, die Wartezeit auf dem Parkplatz sicher eingerechnet.

Zahlen zum Bau

Seit 2020 wird auf dänischer und seit 2021 auf deutscher Seite am Bau des 18 km langen Absenktunnels unter dem Fehmarnbelt gearbeitet. Die 89 je 217 Meter langen Tunnelelemente bestehen aus voneinander getrennten Spuren für die Autobahn und zwei Gleisen sowie einem schmalen Notgang.

Die Reisezeit zwischen Kopenhagen und Hamburg soll der Tunnel für Hochgeschwindigkeitszüge von fünf auf zweieinhalb Stunden verkürzen. Autos sparen etwa eine Stunde.

Im Staatsvertrag von 2008 verpflichtet sich Dänemark zur alleinigen Ausführung und vollen Kostenübernahme des Tunnelbaus. Dänemarks Regierung will die Kredite für den Bau über ursprünglich anvisierte 7,4 Milliarden Euro durch Mautgebühren für die Tunnelnutzung wieder einfahren. Für Deutschland entstand aus dem Vertrag nur die Verpflichtung, das Hinterland bis Hamburg mit dem Ausbau der Autobahn und einer 88 Kilometer langen neuen Bahntrasse anzubinden.

Die geplante Fertigstellung 2029 haben beide Seiten Ende Oktober aufgegeben, aber noch kein neues Eröffnungsdatum benannt. Es dürfte für den Autoverkehr nicht vor 2032 und für die Bahn noch mehrere Jahre später angesetzt werden.

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