In Norwegen gewinnen Sozialdemokraten und Rechtspopulisten

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Norwegen: Sieg der Sozialdemokratie

Stand: 10.09.2025

Von: Thomas Borchert

Nach der Parlamentswahl feiert Norwegens Arbeiterpartei – aber auch die Rechten legen zu.

In der leidgeprüften Berliner SPD-Zentrale wird die Botschaft aus Oslo sicher aufgesogen wie süßer Honig: „Seht her! Für die Sozialdemokratie sind Wahlsiege möglich, auch in einer Zeit, in der die Rechte nach vorn marschiert.“ Jonas Gahr Støre, Norwegens bisheriger und nach einem atemberaubenden Comeback auch künftiger Regierungschef, schleuderte vor der Siegerrede erst mal seinen gewaltigen Strauß roter Rosen Richtung tobende Anhängerschaft im „Folkets Hus“. Als sei er die Hauptperson bei der tollsten Traumhochzeit aller Zeiten. Der 65-Jährige erinnerte daran, dass er mit seiner Arbeiterpartei (AP) noch Anfang des Jahres bei 14 Prozent gelegen habe. Sie war als hoffnungsloser Fall abgeschrieben. Der Spitzenmann überlebte bei konstant trostlosen Popularitätswerten nur mit Mühe einen internen Putsch.

Wie man sich irren kann. Nach 28,2 Prozent bei der Parlamentswahl ist die AP größte Partei. Støre verfügt jetzt im neuen „Storting“ (Parlament) mit vier Fraktionen aus dem Mitte-links-Lager über eine sichere, aber nicht prangende Mehrheit von 87 Mandaten. Die Rechte hat 82. Støre will aber an der Spitze einer Minderheitsregierung ohne Koalitionspartner weitermachen und Mehrheiten von Fall zu Fall zusammenbauen. Für die 4,1 Millionen Stimmberechtigten im Land gigantischen Reichtums dank Gas und Öl ist das nichts Besonderes.

Die Mehrheit von ihnen (78,9 Prozent Wahlbeteiligung) hat neben der AP in bemerkenswerter Weise auch kleinere linke Parteien gestärkt und so die Mitte-links-Mehrheit gesichert. So kamen neben den etablierten Linkssozialisten (SV) auch erstmals die Grünen (MDG) und die Roten (Rødt) über die Vier-Prozent-Hürde. Zusammen macht das 15,5 Prozent. Alle drei haben im Wahlkampf offensiv die Forderung an Støre nach härteren norwegischen Sanktionen wegen Israels Vorgehen in Gaza gestellt, das sie als Völkermord bezeichnen. Der alte und wohl auch neue Regierungschef zählt zu den wichtigsten Leistungen seiner Regierung, dass Norwegen als eins der ersten Länder in Europa Palästina staatlich anerkannt hat.

Die Rechten jubeln

Trotz aller – zu Gaza mitunter bizarr wirkenden – Jubelgesänge in der Wahlnacht über die Mehrheit im neuen Parlament: Auch an Norwegen ist der globale Vormarsch der Rechten natürlich nicht vorbeigegangen. Die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP) konnte ihre Stimmenzahl von 11,6 Prozent (2021) auf 23,9 Prozent mehr als verdoppeln. Sie ist die heimliche Siegerin dieser Wahl, nur dass sie das Ergebnis nicht in Regierungsmacht ummünzen kann. Die neue Königin des Bürgerblocks, Spitzenkandidatin Sylvi Listhaug, hat die konservative Ex-Ministerpräsidentin Erna Solberg entthront. Deren Partei Høyre fiel von 20,3 auf 14,6 Prozent – eine krachende Niederlage für das konsensorienterte Mitte-rechts gegen Listhaugs Rechtsaußen. „Man wird merken, dass wir jetzt die Opposition führen. Und 2029 werden wir es sein, die die Arbeiterpartei ablöst“, verkündet die 47-jährige Listhaug selbstbewusst.

Als Ministerin unter Solberg war Listhaug schon mal zum Rücktritt gezwungen. Sie hatte gegen die Sozialdemokratie gehetzt wegen deren angeblicher Sympathien für Terroristen. Inzwischen praktiziert sie eine eher milde Form von Rechtspopulismus. Auch vom sozialdemokratischen Lager wird sie als Teil des respektablen politischen Mainstreams gesehen. Begeistert verfolgten die Sozialdemokraten, wie sich Listhaug mit der Konservativen Solberg, beide traten vereint im Rechts-Bündnis an, wenige Tage vor der Wahl öffentlich einen Krieg lieferte. Beide formulierten ihren Anspruch auf das Spitzenamt in der Regierung.

Erfahrener Fährmann

Das gelang ihm jetzt auch wieder – als Finanzminister in unruhigen Zeiten. Die Preise stiegen sprunghaft, vor allem beim Strom, mit dem in dem kalten nordischen Land die meisten Menschen heizen. Das gepaart mit globalen Phänomenen wie Donald Trump und Kriegen wie in der Ukraine brachten den Sieg. Die Menschen vertrauen dem erfahrenen Fährmann Stoltenberg an der Seite seines politischen Dauergefährten Jonas Gahr Støre mehr als einer vielleicht doch nicht so zuverlässig milden Listhaug an der Regierungsspitze.

Bei Støres Siegesrede stand Stoltenberg, der Finanzminister bleiben will, unauffällig im Publikum und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Auch beim letzten Satz des Gefährten: „Es ist eine Sache, gewählt zu werden. Aber eine ganz andere, wiedergewählt zu werden“.

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