Month: September 2025
Mette Frederiksen: Knallhart und gern superpopulistisch

Mette Frederiksen will Dänemark nach Drohnen-Chaos aufrüsten
29.09.2025
Thomas Borchert
Mit maximaler Aufrüstung und Kriegsrhetorik gibt sich Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nach einer Reihe von Drohnenvorfällen im Land robuster denn je – ein Porträt.
Kopenhagen – Peinlich, kurz vor dem Kopenhagener EU-Gipfel hat Gastgeberin Mette Frederiksen Erinnerungen an einen Märchenklassiker ihres Landsmanns Hans Christian Andersen geweckt. Wie in „Des Kaisers neue Kleider“ steht Dänemarks Regierungschefin ziemlich blank da, seit weder ihr Militär, noch Polizei oder Geheimdienste auch nur das Geringste gegen ein paar eindeutig in feindlicher Absicht über Kopenhagens Flugplatz Kastrup kreuzende Drohnen ausrichten konnten.
Genau da, wo in dieser Woche die Sonderflüge mit Passagieren namens Merz, Macron, von der Leyen etc. landen und wieder starten sollen, brachte der sonst hochmodern durchdigitalisierte dänische Staatsapparat null Daten über Herkunft, Flugweg oder sonst Vorzeigbares zustande. Die Drohnen konnten genauso unbehelligt und unerkannt wieder verschwinden wie zwei Tage später die über dem Militärflugplatz Skydstrup, wo das Nato-Mitglied Dänemark seine kostbaren F-35-Kampfjets parkt.

Dänemark sich soll mit Raketen und „Paradigmenwechsel“ wappnen
Am Sonntag dankte Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen artig dem Nato-Verbündeten Deutschland für die versprochene Nachbarschaftshilfe bei der Drohnenabwehr während des EU-Gipfels: „Gemeinsam sind wir stärker.“ In anderer Tonlage, mit aggressiver Kriegsrhetorik hatte seine Chefin Frederiksen wenige Tage vorher sechs Millionen Landsleuten erklärt, warum sich das kleine Dänemark Präzisionsraketen mit großer Reichweite zulegen müsse. Was auch andere Nato-Staaten schon getan haben.
Frederiksen legte noch einen drauf und betonte den „offensiven“ Charakter der Waffen als „Paradigmenwechsel“ dänischer Politik gegenüber Russland. Dessen Botschafter Wladimir Barbin reagierte scharf. Niemand habe bisher eine Atommacht direkt bedroht: „Diese Aussagen werden nicht unbeachtet bleiben.“ Ein paar Tage später legten zwei oder drei Drohnen vier Stunden lang Kopenhagens Flughafen lahm.
Frederiksen inszenierte sich nach der Drohnen-Blamage als einzig kompetente Lenkerin
Ob sie nun dem Kreml zuzuordnen sind oder, wie im Fall der Nordstream-Sabotage, am Ende ganz anderen Akteuren, bleibt offen. Frederiksen inszenierte sich auch nach der Drohnen-Blamage unbeirrt als einzig kompetente Lenkerin gegen die russische Bedrohung. Ihre TV-Rede klang fast schon nach kurz bevorstehender Kriegserklärung, wie einst bei Churchill. Man stehe erst am Anfang einer womöglich finsteren Entwicklung. „Jetzt ist nicht die Zeit für schnelle Stellungnahmen, politische Besserwisserei oder Misstrauenserklärungen an Behörden und Polizei“, ermahnte Frederiksen die heimischen Parteien.
Sie scheint selbst fest an ihren maximal finsteren Blick in die Zukunft zu glauben. Klar, was nun auch für die eigenen Führungsqualitäten gelten muss: „Wie immer in schweren Krisen gibt es das Risiko, dass man Fehler macht.“
Frederiksens superpopulistische Aufforderung an Dänemark: „Kauft, kauft, kauft“
Nicht von ungefähr klingt dieses „man“ in immer mehr dänischen Ohren ein bisschen sehr nach Pluralis Majestatis sowie Belehrung einer Kinderschar. Hatte doch die Sozialdemokratin mit genau derselben Rhetorik ihr im Grundsatz erfolgreiches, aber auch extrem umstrittenes Corona-Management mit massiven Gesetzesbrüchen eingerahmt. Dänemarks Wählerschaft hat ihrer Regierungschefin auch nicht vergessen, dass sie 2023 einen Feiertag im schönsten Frühling streichen ließ, weil angeblich nur so die Staatskasse für Ukraine-Hilfe und Aufrüstung gegen Russland zu füllen sei. Seitdem erweist sie sich laut immer neuen Rekordmeldungen aus dem Finanzministerium als so prall gefüllt, dass Frederiksens Regierung mit Wahlen 2026 ein Wahlgeschenk nach dem anderen verteilt.

Die Umfragezahlen sinken trotzdem bedenklich, was die Regierungschefin nicht an ihrer Linie als knallharter Falke an der Seite der Ukraine und für maximale Aufrüstung zweifeln lässt. Im Gegenteil, wie die Kopenhagener Zeitung „Information“ kommentiert: „Der Regierungsentscheid für den Kauf weitreichender Angriffsraketen ist wohl eine rhetorische Wählermobilisierung vor der bevorstehenden Folketingswahl“. Frederiksens superpopulistische Aufforderung „Kauft, kauft, kauft“ an die auch in Dänemark kauflustige militärische Führung bekommen so wohl nur die wenigsten Regierungschefs und -chefinnen hin.
Trumps Griff nach Grönland bringt Kopenhagener Entschuldigung für kolonialistische Übergriffe

„Im Namen Dänemarks“: Ministerpräsidentin entschuldigt sich in Grönland für Zwangsverhütungen
25.9.25
Von: Thomas Borchert
Regierungschefin Frederiksen zeigt Reue im Fall Tausender Spiral-Eingriffe bei jungen Grönländerinnen. Und ausgerechnet US-Präsident Donald Trump beschleunigt die Aussöhnung.
Welch rasante Kehrtwenden doch Donald Trump mit noch so bizarr und brutal in den Ring geworfenen „Ideen“ auslösen kann: Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen hat einen 3500 Kilometer langen Bußgang bzw. -flug hinter sich gebracht, um am Mittwoch in der grönländischen Hauptstadt Nuuk feierlich Abbitte für kolonialistische Übergriffe auf der Polarinsel zu leisten: In den 60er und 70er Jahren hatte medizinisches Personal aus Dänemark mehr als 4000 Frauen dort meist ohne deren Einverständnis oder auch Wissen, zum Teil noch im frühen Teenageralter, Spiralen eingesetzt, um aus Behördensicht „unerwünschte Schwangerschaften“ zu verhindern.
Niemand in Nuuk und auch in Kopenhagen hat Zweifel daran, dass Frederiksens Entschuldigung jetzt, garniert mit Geld-Zusagen für einen „Versöhnungsfonds“, gekommen ist, weil sich der US-Präsident Grönland einverleiben will.
Eingriffe lange Tabu
Trump führt als Grund unter anderem an, dass Dänemark, über 300 Jahre Kolonialmacht und inzwischen mit dem teilautonomen Grönland in einer „Reichsgemeinschaft“ verbunden, die 57 000 Menschen dort sehr schlecht behandele. Dazu passte in der Tat die 2024 eingereichte Klage von 143 betroffenen Frauen gegen den dänischen Staat, nachdem die Spiral-Eingriffe erst ein paar Jahre vorher ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden war. Aus grönländischer Sicht geht es keineswegs nur um verletzte Gefühle und gesundheitliche Dauerschäden. „Völkermord“ nannte Grönlands damals amtierender Regierungschef Múte Egede die dänische Spiralkampagne vor laufender Kamera, weil die Geburtenrate auf der größten, aber äußerst dünn besiedelten Insel der Welt über ein Jahrzehnt drastisch gesenkt worden war.
Der „Völkermord“-Vorwurf kam nicht gut an. Sieht man sich doch hier nach wie vor als die gute Version des Kolonialismus, vom Beginn 1721 bis zur postkolonialen Phase heute. Knapp die Hälfte des grönländischen Staatshaushalts (insgesamt umgerechnet 600 Millionen Euro) kommt ja als Zuschuss aus Kopenhagen. Die sozialen Probleme – hohe Selbstmordrate, durch Alkohol und Gewalt gesprengte Familien sowie sexuelle Übergriffen auf junge Mädchen – seien doch eine zumindest verständliche Erklärung für die Spiralkampagne, giftet nach wie vor ein ehemaliger dänischer Grönland-Minister. Regierungschefin Mette Frederiksen reagierte zunächst hinhaltend: Sie wollte eine Kommission einsetzen, die in Ruhe mögliche Hintergründe für ein gestörtes Verhältnis aufarbeiten sollte. In Ruhe könne man auch über das Streben nach völliger Unabhängigkeit sprechen.
Aktueller Fall bewegt
Seit Trump Anfang des Jahres erklärte, er wolle Grönland „haben“, notfalls auch mit militärischer Gewalt, ist naturgemäß Schluss mit der Ruhe. Wie imperiale Eroberer ließ Trump erst seinen Sohn Donald Jr. und dann Vizepräsident JD Vance auf der Insel landen. Parallel zur klaren Abweisung des Abtretungsanspruchs aus Washington änderte Kopenhagen den Ton markant. Vorher wäre undenkbar gewesen, was die Ministerpräsidentin nach den Sommerferien verkündet hat: „Im Namen Dänemarks habe ich eine Entschuldigung an die berührten Frauen in der Spiral-Angelegenheit ausgesprochen. Sowie auch für das sonstige Versagen, für das Dänemark die Verantwortung trägt, indem Grönländer:innen anders und schlechter behandelt worden sind als andere Bürger:innen im Königreich.“ Nach einem so reuigen Kniefall für nationale Fehlleistungen muss man in dänischen Geschichtsbüchern relativ lange suchen.
Was damit gemeint sein könnte und offenbar nach wie vor gilt, zeigt ein aktueller Fall: Der in Dänemark lebenden Grönländerin Ivana Brønlund nahmen die Behörden wenige Stunden nach der Geburt Mitte August die Tochter weg und gaben sie gegen den Willen der Mutter an eine Pflegefamilie weiter. Die 18-Jährige hatte vorher einen „Elternkompetenztest“ nicht bestanden, der für dänische, nicht aber grönländische Testpersonen angelegt war. Nach öffentlicher Schelte auch von der Kopenhagener Fachministerin ist die „Inobhutnahme“ diese Woche revidiert worden. Ivana Brønlund hat nach zwei Monaten ihre Tochter wieder.
In Norwegen gewinnen Sozialdemokraten und Rechtspopulisten

Norwegen: Sieg der Sozialdemokratie
Stand: 10.09.2025
Von: Thomas Borchert
Nach der Parlamentswahl feiert Norwegens Arbeiterpartei – aber auch die Rechten legen zu.
In der leidgeprüften Berliner SPD-Zentrale wird die Botschaft aus Oslo sicher aufgesogen wie süßer Honig: „Seht her! Für die Sozialdemokratie sind Wahlsiege möglich, auch in einer Zeit, in der die Rechte nach vorn marschiert.“ Jonas Gahr Støre, Norwegens bisheriger und nach einem atemberaubenden Comeback auch künftiger Regierungschef, schleuderte vor der Siegerrede erst mal seinen gewaltigen Strauß roter Rosen Richtung tobende Anhängerschaft im „Folkets Hus“. Als sei er die Hauptperson bei der tollsten Traumhochzeit aller Zeiten. Der 65-Jährige erinnerte daran, dass er mit seiner Arbeiterpartei (AP) noch Anfang des Jahres bei 14 Prozent gelegen habe. Sie war als hoffnungsloser Fall abgeschrieben. Der Spitzenmann überlebte bei konstant trostlosen Popularitätswerten nur mit Mühe einen internen Putsch.
Wie man sich irren kann. Nach 28,2 Prozent bei der Parlamentswahl ist die AP größte Partei. Støre verfügt jetzt im neuen „Storting“ (Parlament) mit vier Fraktionen aus dem Mitte-links-Lager über eine sichere, aber nicht prangende Mehrheit von 87 Mandaten. Die Rechte hat 82. Støre will aber an der Spitze einer Minderheitsregierung ohne Koalitionspartner weitermachen und Mehrheiten von Fall zu Fall zusammenbauen. Für die 4,1 Millionen Stimmberechtigten im Land gigantischen Reichtums dank Gas und Öl ist das nichts Besonderes.
Die Mehrheit von ihnen (78,9 Prozent Wahlbeteiligung) hat neben der AP in bemerkenswerter Weise auch kleinere linke Parteien gestärkt und so die Mitte-links-Mehrheit gesichert. So kamen neben den etablierten Linkssozialisten (SV) auch erstmals die Grünen (MDG) und die Roten (Rødt) über die Vier-Prozent-Hürde. Zusammen macht das 15,5 Prozent. Alle drei haben im Wahlkampf offensiv die Forderung an Støre nach härteren norwegischen Sanktionen wegen Israels Vorgehen in Gaza gestellt, das sie als Völkermord bezeichnen. Der alte und wohl auch neue Regierungschef zählt zu den wichtigsten Leistungen seiner Regierung, dass Norwegen als eins der ersten Länder in Europa Palästina staatlich anerkannt hat.

Die Rechten jubeln
Trotz aller – zu Gaza mitunter bizarr wirkenden – Jubelgesänge in der Wahlnacht über die Mehrheit im neuen Parlament: Auch an Norwegen ist der globale Vormarsch der Rechten natürlich nicht vorbeigegangen. Die rechtspopulistische Fortschrittspartei (FrP) konnte ihre Stimmenzahl von 11,6 Prozent (2021) auf 23,9 Prozent mehr als verdoppeln. Sie ist die heimliche Siegerin dieser Wahl, nur dass sie das Ergebnis nicht in Regierungsmacht ummünzen kann. Die neue Königin des Bürgerblocks, Spitzenkandidatin Sylvi Listhaug, hat die konservative Ex-Ministerpräsidentin Erna Solberg entthront. Deren Partei Høyre fiel von 20,3 auf 14,6 Prozent – eine krachende Niederlage für das konsensorienterte Mitte-rechts gegen Listhaugs Rechtsaußen. „Man wird merken, dass wir jetzt die Opposition führen. Und 2029 werden wir es sein, die die Arbeiterpartei ablöst“, verkündet die 47-jährige Listhaug selbstbewusst.
Als Ministerin unter Solberg war Listhaug schon mal zum Rücktritt gezwungen. Sie hatte gegen die Sozialdemokratie gehetzt wegen deren angeblicher Sympathien für Terroristen. Inzwischen praktiziert sie eine eher milde Form von Rechtspopulismus. Auch vom sozialdemokratischen Lager wird sie als Teil des respektablen politischen Mainstreams gesehen. Begeistert verfolgten die Sozialdemokraten, wie sich Listhaug mit der Konservativen Solberg, beide traten vereint im Rechts-Bündnis an, wenige Tage vor der Wahl öffentlich einen Krieg lieferte. Beide formulierten ihren Anspruch auf das Spitzenamt in der Regierung.
Erfahrener Fährmann
Das gelang ihm jetzt auch wieder – als Finanzminister in unruhigen Zeiten. Die Preise stiegen sprunghaft, vor allem beim Strom, mit dem in dem kalten nordischen Land die meisten Menschen heizen. Das gepaart mit globalen Phänomenen wie Donald Trump und Kriegen wie in der Ukraine brachten den Sieg. Die Menschen vertrauen dem erfahrenen Fährmann Stoltenberg an der Seite seines politischen Dauergefährten Jonas Gahr Støre mehr als einer vielleicht doch nicht so zuverlässig milden Listhaug an der Regierungsspitze.
Bei Støres Siegesrede stand Stoltenberg, der Finanzminister bleiben will, unauffällig im Publikum und strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Auch beim letzten Satz des Gefährten: „Es ist eine Sache, gewählt zu werden. Aber eine ganz andere, wiedergewählt zu werden“.