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Frankfurter Rundschau - 31.05.2025, Wirtschaft
Norwegens Finanzminister wird zur Glücksfee
von Thomas Borchert
Regierung plant eine Steuerlotterie für junge Menschen, um sie zu mehr Lohnarbeit zu motivieren / Kritik von Gewerkschaften
Wer würde nicht gern ein Lotterie-Los mit „du zahlst weniger Steuern“ ziehen, und das bei null Einsatz und mit zehn Prozent Siegchance? Im superreichen Norwegen winkt die Regierung seit dieser Woche genau damit, und zwar für 100 000 junge Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. Finanzminister Jens Stoltenberg will die Glücklichen unter einer Million Norweger:innen auslosen lassen, die dann durch einen zusätzlichen Steuerfreibetrag pro Jahr bis zu 27 500 Kronen (2400 Euro) mehr auf ihren Konten behalten dürfen.

„Das muss wohl ein Aprilscherz sein“, kommentierte die rechtspopulistische Parteichefin Sylvia Listhaug den Plan des sozialdemokratischen Chefs im Osloer Finanzministerium. Vermutlich auch blass vor Neid, dass Stoltenberg ihr vier Monate vor dem Wahltermin so eine originelle populistische Idee vor der Nase weggeschnappt hat. Machen doch eine Million persönlich Interessierte am Lotteriegewinn schon fast ein Viertel der Stimmberechtigten im ganzen Königreich aus.

Solch niederen Motive sind dem obersten Hüter von Norwegens unfassbarem Staatsreichtum dank Öl und Gas nach eigenen Worten erwartungsgemäß fremd. Man wolle über drei bis fünf Jahre mit einer „so auf der Welt wohl einmaligen Versuchsreihe“ ermitteln, ob sich junge Menschen durch niedrigere Steuern zu mehr Lohnarbeit animiert lassen, erklärt Stoltenberg seine Initiative. Zu viele von ihnen landeten bei staatlichen Sozialleistungen. Jetzt soll ein „Test“ mit den Versuchspersonen über drei bis fünf Jahre klären, ob es da eventuell einen Zusammenhang mit der Steuerhöhe gibt.

Die Rolle der Glücksfee hat Stoltenberg seit Februar schon mal für die eigene Partei mit sagenhaftem Erfolg eingeübt. Nach dem Abschied als Nato-Generalsekretär bescherte die vollkommen überraschende Rückkehr in Norwegens Innenpolitik seiner Arbeiterpartei eine Verdoppelung der Umfrageprozente auf stabile 30 Prozent. „Jens“, wie alle im Lande den 66-Jährigen nennen, überstrahlt als weltweit und sogar vom furchterregend unberechenbaren Donald Trump geachteten Superstar alles und alle im eigenen Land.

So einer kann auch Ideen verkaufen, die anderen als primitiver Wahlkampf-Spin um die Ohren gehauen würden. Eigentlich hatte Regierungschef Jonas Gahr Støre stets tapfer, aber mit katastrophalen Konsequenzen für die Umfragen, gegen die Standardforderung von rechts nach Steuersenkungen angekämpft. Jetzt kann sein Busenfreund aus der Jugendzeit seelenruhig vor den Kameras erklären; „Wir wissen einfach zu wenig über die Rolle der Steuern für junge Leute.“ Auch bei der medizinischen Forschung würde man durch Zufallslose Testpersonen ermitteln.

Es trifft sich gut, dass die Aussicht auf das große Los der Zielgruppe am Wahltag, dem 8. September dieses Jahres, hell am Horizont winkt, während die Enttäuschung über eine Niete mit bitterem Futterneid auf andere aber in weiter Ferne liegt. Denn erst 2026, so Stoltenberg, soll die Versuchsordnung in den Haushalt kommen. Beifall für seine Idee kommt vom Arbeitgeberverband. Der Gewerkschaftsdachverband LO hält die Sache für kontraproduktiv und eine Gefährdung der Steuermoral.

Die Initiative ist natürlich ein Geschenk des Himmels für knackiges Pro und Contra in den sozialen Medien. Junge Leute fühlen sich verhöhnt, weil Stoltenbergs Gimmick aller Augenmerk auf ihre Arbeitsmoral lenkt, aber nicht das Geringste am eigentlichen Klassen-Skandal in Norwegen ändere: Dass der vollkommen aus den Fugen geratene Wohnungsmarkt mit astronomischen Spekulationsgewinnen die junge Generation kollektiv abhängt.

Die Zeitung „Bergens Tidende“ empfiehlt dem „Bingo- und Tombolaminister Stoltenberg“, sich doch lieber etwas gegen die skandalöse Belastung von jungen Familien mit zwei oder mehr Kindern gegen galoppierende Lebensmittelpreise auszudenken. Andere Kommentare schlagen sarkastisch vor: Stoltenberg möge per Losverfahren einen Teil der massenhaft aus Norwegen in die Schweiz abgezogenen Milliardäre von Steuern auf ihre gigantischen Aktienerträge befreien. Dann könne man wissenschaftlich ermitteln, ob das die Lust zur Rückkehr eventuell stimuliere.


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