Parlament veranlasst Prüfung für einen Einstieg / Unabhängigkeit von russischem Gas als Grund
Die Atomkraft-Befürworter können einen prestigeträchtigen Etappensieg feiern. Sogar Dänemark, wo seit 1985 ein kategorisches Verbot für diese Energieerzeugung gilt und stattdessen die Windkraft zu einem weltweit bewunderten Markenzeichen aufgeblüht ist, peilt jetzt den Einstieg an. Zwar hat das Kopenhagener Parlament die von der Rechts-Opposition geforderte sofortige Aufhebung des Atomkraftverbots noch mal abgelehnt. Aber die Regierungsmehrheit stimmt der „Prüfung von Potentialen, Möglichkeiten und Risiken“ zu. Die sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen erklärt den Schwenk ihrer Partei so: „Wir sollten das mit offenen Augen angehen. Es ist besser, Atomkraft in Europa zu haben als von russischem Gas abhängig zu sein.“
Klima- und Energieminister Lars Aagaard kann nicht ganz so hemmungslos populistisch argumentieren. Er verweist auf die „technologische Entwicklung mit kleinen SMR-Reaktoren“ (Small Modular Reaktors) und beteuert, die Regierung wolle natürlich daran festhalten, dass „Wind und Sonne der billigste und schnellste Weg zur grünen Umstellung“ seien. Vizepremier Troels Lund Poulsen, wie Aagaard aus dem bürgerlichen Lager, freut sich schon hoffnungsvoll auf „die neuen Reaktortypen, die uns billige, CO₂-neutrale Energie liefern können.“
Dabei ist Dänemark auch ohne die Risiken der Atomkraft und frei von den nach wie vor ungelösten Endlagerungsproblemen für radioaktiven Müll mit CO₂-freien Alternativen so weit gekommen wie kein anderes Land. Für 57 Prozent des Stroms sorgen Windkraftanlagen mit fast unbegrenzten Ausbaumöglichkeiten vor mehr als 7000 km Nord- und Ostseeküste. Zusammen mit der hier im Norden nicht ganz so unbegrenzt sprudelnden Solarenergie werden knapp zwei Drittel der Elektrizität klimaneutral erzeugt. Das passt zum derzeitigen Siegeszug der E-Autos, die inzwischen 80 Prozent bei den Neuverkäufen ausmachen.
Das passt auch zur sympathischen Vorbildrolle, die der skandinavische Nachbar seit einem halben Jahrhundert für die Anti-Atomkraft-Bewegung in der Bundesrepublik hatte. In Aarhus entwarf die Dänin Anne Lund das legendäre gelbe Emblem „Atomkraft Nein Danke“ mit der lachenden roten Sonne. In einer „Tvind“-Heimvolkshochschule im Westen Jütlands entstand 1978 die erste Windkraftanlage als Fanal gegen die auch hier aktive Atomlobby.
Verbot seit 19851985, ein Jahr vor der Kernschmelze in Tschernobyl, kam dann mit dem Parlamentsbeschluss gegen jede Form von Atomkraft der weltweit beachtete K.O-Sieg der Anti-AKW-Bewegung. Einig war sich ganz Dänemark sowieso im 2005 erfolgreichen Widerstand gegen das schwedische Atomkraftwerk Barsebäck, irrsinnigerweise nur 20 Kilometer von der Millionenstadt Kopenhagen sowie auch Schwedens drittgrößter Stadt Malmö platziert.
Aber die Volksstimmung hat sich jetzt auch in diesem Sehnsuchtsland der Atomkraft gedreht. Bei neuen Umfragen sprechen sich 40 Prozent für den Bau von Atomkraftwerken und nur noch 25 Prozent dagegen aus. Dahinter steht neben schwankenden Strompreisen, der zunehmenden geopolitischen Unsicherheit im Gefolge des Ukraine-Krieges und Donald Trump im Weißen Haus auch Hausgemachtes. Land und Küste gelten vielen als zu voll gepflastert mit Windkraftanlagen. Dänemarks erfolgreichste Rechtspopulistin Inger Støjberg ätzt gegen hässliche Solar-„Eisenfelder“ auf Ackerflächen. Das schon immer für Atomkraft werbende Bürger-Lager „Folketing“ in Dänemarks Parlament, hat es in dieser Gemengelage geschafft, nach den beiden Koalitionspartnern der Sozialdemokraten auch die größte Regierungspartei selbst umzupolen. Alle lesen eben Umfragen.
Als etwas überraschend lautstärkste Kritikerin dieser Wende äußert sich in Medien-Anzeigen Dänemarks größter Stromversorger Andel mit mehr als drei Millionen Haushaltskunden: Die Atomkraft sei mit noch unerprobten neuen Mini-Atomkraftwerken reine Zukunftsmusik. Sie werde in jedem Fall mindestens doppelt so teuer wie ein zielstrebiger und dem Klima zuliebe, schneller Ausbau von Wind- und Sonnenkraft.
Bjarke Møller, Chef des vom Staat berufenen Expertenrates „für die grüne Umstellung“ ergänzt, die Politik habe die rückläufigen Prognosen für den Ausbau der Windkraft und deren sinkende Popularität selbst zu verantworten. Etwa durch prestigeträchtige Gigant-Projekte wie zwei künstlichen „Energieinseln“, die dann bei den Mühen der Ebene gestrandet sind. Und dabei sei es doch lange so gut gelaufen: „Dänemark hat alle Voraussetzungen, sich ab 2030 mit sauberem und billigem grünen Strom zu versorgen.“ Nur dürfe es dafür keinen „Zickzack-Kurs“ geben.