Norwegens Lachszucht bringt Milliardengewinn und Massenflucht der eingepferchten Fische

Aldi, Lidl und Edeka im Fokus: Massenausbruch rückt Norwegens Lachszucht in die Kritik
05.03.2025
Von: Thomas Borchert
Die Lachszucht in Norwegen ist ein lukratives Geschäft für Milliardäre, doch sie hat eine dunkle Seite. Tierleid, Umweltprobleme und Sabotage sind an der Tagesordnung. Ein kürzlicher Massenausbruch von Lachsen wirft ein Schlaglicht auf die Branche.
„Insel der Milliardäre“ heißt die Netflix-Dramaserie über Norwegens Lachszüchter:innen mit ihrem gnadenlosen Konkurrenzkampf um Traumprofite, Sabotage an den Meereskäfigen und ohnmächtig protestierenden Umwelt- sowie Tierschützer:innen. Seit Herbst ist sie zu streamen und wird jetzt von der Wirklichkeit als Dramaturg schon fast in den Schatten gestellt.
Norwegens Lachszucht boomt: Foodwatch kritisiert Praxis
Mitte des Monats meldete der weltgrößte Lachszucht-Konzern Mowi Rekordgewinne und Rekorddividenden aus dem vierten Quartal, die zum „All Time High“ an der Osloer Börse führten. Die Schlachtmenge stieg dank des unersättlichen Appetits auf Zuchtlachs 2024 auf 520 000 Tonnen und soll 2026 rund 600 000 Tonnen erreichen.
Ganz und gar in die falsche Richtung geht das für die deutsche Verbraucherorganisation Foodwatch. Sie verlangt von den großen Supermarktketten Edeka, Rewe, Lidl und Aldi einen kompletten Verkaufsstopp für Zuchtlachs aus dem Land der Fjorde: „In Norwegen starben im vergangenen Jahr (2023) 100 Millionen Zuchtlachse – ein neuer trauriger Höchststand, der die dramatische Lage in der Aquakultur verdeutlicht.“ Gemeint ist das vorzeitige Verenden von Fischen, die in Käfigen zusammengepfercht immer nur im Kreis schwimmen können. Das hat massenhaft Infektionskrankheiten, Verletzungen und vor allem den Befall durch Lachsläuse mit großflächigen Wunden zur Folge. So verendet etwa jeder sechste Lachs elend während der Mästungsphase.
27 000 Lachse brechen aus norwegischer Zuchtanlage aus
Das Unternehmen Mowi ist eine Geldmaschine für den schon als Schiffsreeder und Öl-Magnat zum reichsten Norweger aufgestiegenen John Frederiksen. Weil ihm die Steuern in der Heimat mit seinem von Forbes auf elf Milliarden Dollar geschätzten Vermögen zu hoch waren, ist er schon lange Ex-Norweger und hat sich einen „goldenen Pass“ auf Zypern zugelegt. Allein für das vierte Quartal kann Frederiksen eine Dividende von umgerechnet 87 Millionen Euro bei einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro als Eingang verbuchen.
Ungelegen kam bei der Bekanntgabe dieser Gewinnausschüttung der zeitgleiche Massenausbruch von 27 000 Lachsen aus der Mowi-Zuchtanlage Dyrøy im Bezirk Troms. Nicht durch Sabotage von neidzerfressener Konkurrenz wie bei Netflix, sondern weil sich ein stählerner Lachskäfig aus der Verankerung gerissen hatte und auf einer Seite gekippt war. Mowi-Pressechef Ola Helge Højland kommentierte beim Sender NRK: „Das ist äußerst bedauerlich und durfte nicht passieren.“
Ausbruch von Zuchtlachsen ist höchst problematisch für den natürlichen Fischbestand
Das sollte sicher zerknirscht klingen, war aber auch Routine. Jahr für Jahr prangern Kritiker:innen das Entweichen von genetisch veränderten, oft durch Krankheit für Wildlachs und auch Meerforellen hochgefährlichen Zuchtlachsen an. Laut Foodwatch entkommen pro Jahr 200 000 Tiere aus den Käfigen und vermengen sich mit dem im Bestand gefährdeten Wildlachs aus dem Atlantik.
In diesem Fall setzte Mowi einen sagenhaften Preis von 500 Kronen, umgerechnet 43 Euro für jeden wieder eingefangenen Zuchtlachs aus der Dyrøy-Anlage aus. Eile war geboten, ehe die Fische aus den inneren Gewässern rund um die Insel in den offenen Atlantik entweichen konnten. Auf die FR-Anfrage nach dem Erfolg der Aktion über fast drei Wochen antwortete Pressesprecher Højland postwendend: „Seit gestern Abend sind 765 Fische wieder eingefangen.“ Macht 26 235 Zuchtlachse nach wie vor in freier Wildbahn, die sich mit den kümmerlichen Resten des Wildlachsbestandes paaren und ihn weiter kaputt machen können.
Norwegens Lachszucht ist zweitgrößte Exportbranche
Die Kritik an der Lachszucht führt früher oder später zwangsläufig zum Vergleich mit Zuständen in der Schweinezucht. Aber es spielt sich alles unter Wasser ab und damit „diskreter“. Das hat in gut 50 Jahren seit dem Start enorm geholfen, dieses Geschäft zur zweitgrößten Exportbranche Norwegens aufzublähen. Und zwar so schnell und unreguliert, dass Netflix reichlich Stoff für Wildwest aus dem hohen Norden gefunden hat.

Immer hart verfolgt oder überholt von der Wirklichkeit: Weil Mowi-Eigner Frederiksen ja kein Norweger mehr ist, steht jetzt der 32-jährige Gustav Magnar Witzøe an der Spitze der heimischen Milliardärs-Rangliste. Er wurde aus steuerlichen Gründen schon als Teenager zum Erben seines noch munteren Lachszüchter-Vaters mit gleichem Namen und nennt Aktien im Wert von etwa fünf Milliarden Euro sein Eigen. Nach den jungen Jahren als Model und mit 130 000 Follower:innen auf Instagram will auch Gustav Witzøe Junior irgendwann mal was in der Lachszucht machen: „Ich weiß aber noch nicht genau, was.“
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