Month: February 2025
Bundestagswahl: Ich armer Auslandsdeutscher musste zur Stimmabgabe von Kopenhagen nach Bremen fahren

Thomas Borchert: Heimurlaub als letzte Rettung
22.02.2025
Der nette dänische Tischlermeister fand es „superstærk“, als er hörte, dass ich mich nur zur Stimmabgabe für die Bundestagswahl in die Bahn von Kopenhagen nach Bremen setzen wollte. „Das läuft ja grad in die falsche Richtung bei euch.“ Aber ob das denn nicht online zu regeln sei? Ich gab ihm seufzend recht mit der falschen Richtung, lobte mich selbst auch noch mal für die Bahnfahrt als „klare Kante gegen die AfD“ und schüttelte traurig den Kopf auf die Online-Frage: „Nein, in Deutschland findet noch alles auf Papier statt.“
Weil das so vorsintflutlich läuft, werden wohl die meisten von uns mehr als 210 000 ins Wählerverzeichnis eingetragenen Auslandsdeutschen von der Stimmabgabe ausgeschlossen bleiben. Die verkürzten Fristen haben es in allen möglichen Ländern der Welt zu einem Ding der Unmöglichkeit gemacht, dass die Stimmzettel rechtzeitig bei uns Wahlwilligen und dann ausgefüllt beim Wahlamt landen.
Bei mir fing es gut an: Kaum hatte der Herr Bundespräsident Steinmeier seinen letzten Satz bei der Ausschreibung des Wahltermin 23. Februar beendet, beantragte ich an meinem letzten deutschen Wohnort Bremen den Eintrag ins Wählerverzeichnis. Muss man selbst aktiv betreiben. Weil schon seit Jahrzehnten weg, war zu erklären, ob und wie ich denn noch mit den politischen Verhältnissen in Deutschland vertraut sei. Ich verwies auf meine tägliche Lektüre der Frankfurter Rundschau als deren Korrespondent und bekam drei Tage später eine freundliche Mail aus Bremen: Alles klar, am 5. Februar werde man meine Wahlunterlagen per Post nach Kopenhagen schicken.
Diese frohe Botschaft wurde nach ein paar Tagen zunehmend von Nervosität überlagert beim täglich mehrmaligen Öffnen des Blech-Briefkastens im Hausflur. Die der Nachbarn sind längst eingerostet, denn im voll durchdigitalisierten Königreich Dänemark öffnen die Leute nur noch ihre „Eboks“ auf dem Rechner oder Smartphone. Behörden weigern sich grundsätzlich, Schreiben auf Papier anzunehmen oder zu schicken. Was zur Folge hat, dass der traditionelle Postdienst so gut wie abgeschafft ist. Vielleicht einmal die Woche, vielleicht alle vierzehn Tage kommt mal ein Bote oder Botin, so genau kann ich es nicht sagen. Wenn was da ist, kommt es garantiert aus Deutschland.
Aber meine Wahlunterlagen waren auch nach zwei Wochen noch nicht da. Sie hatten ja mit den Kreuzen hinter Erst- und Zweitstimme den umgekehrten Weg noch vor sich. Ein hoffnungsloser Fall. Dass die deutsche Botschaft in Kopenhagen einen speziellen Kurierdienst anbot, half auch nicht mehr. Auf die alte Lenin-Frage „Was tun?“ las ich in der Kopenhagener Dachkammer die wieder freundliche Mailauskunft aus der 500 km entfernten Hansestadt, ich sei willkommen im Wahlamt An der Weide 50a, direkt neben dem Hauptbahnhof. Mit einer eidesstattlichen Erklärung über fehlende Wahlunterlagen könne ich dann sofort wählen.
Gesagt, getan: Und jetzt mal keine Witze über Bahnverspätungen wegen zugefrorener Weichen. Lustig finden das Ganze sowieso nicht all die Leidensgenoss:innen unter uns Auslandsdeutschen, die mit Wohnorten wie Bogotá, San Diego, Peking oder Johannesburg noch ganz andere logistische Probleme zu bewältigen hätten. Wie allerlei Leidensberichten zu entnehmen ist, werden schon Sammelklagen gegen diesen Ausschluss Wahlberechtigter von der Bundestagswahl vorbereitet. Ich hätte mich angeschlossen, bin aber doch erstmal heilfroh über meine superstærke Lösung noch vor Sonntag 18 Uhr.“
Thomas Borchert ist unser Korrespondent in Skandinavien und lebt in Dänemark.
Das steinreiche Norwegen kann durch mehr Rüstung noch reicher werden

Norwegen sucht eine neue Ethik: Investitionen in Rüstung?
Stand: 17.02.2025
Von: Thomas Borchert
Mit dem überquellenden „Pensionsfonds“ des Königreichs soll jetzt Aufrüstung bezahlt werden – um gegen Russland bestehen zu können. Ein Umdenken.
Das steinreiche Norwegen hat seinen Reichtum durch den Krieg in der Ukraine als Europas Gaslieferant mit maximalen Mengen und hohen Preisen kräftig gemehrt: nach offiziellen Angaben um 108 Milliarden Euro als „außergewöhnliche Einnahmen“. Das ist ein bisschen mehr als die Ukraine-Hilfe aus den USA und Deutschland zusammen.
Zum Start der Münchener Sicherheitskonferenz kam aus Oslo genauso offiziell die Anregung, eine weitere Einnahmequelle angesichts der weltweit gestiegenen Krisen- und Kriegsstimmung anzuzapfen. Norwegens Nationalbank-Chefin Ida Wolden Bache schrieb in ihrem Jahresbericht: „Wir müssen offen dafür sein, dass sich ändern könnte, was als ethisch akzeptabel gilt, wenn die Welt wieder von militärischer Aufrüstung und wachsenden Spannungen zwischen den Ländern geprägt wird.“
Norwegens Kriegsgewinne explodieren: 108 Milliarden Euro Zusatzprofite durch Gas-Exporte
Im Klartext: Die gigantischen Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft sollen künftig breiter in Rüstungsunternehmen investiert werden können. Sie fließen bisher komplett in den „Pensionsfonds“, mit einem nur schwer fassbaren Kapital von 1700 Milliarden Euro, die im Ausland angelegt werden.
Dem größten staatlichen Investor der Welt verbieten „ethische Richtlinien“ aber Geldanlagen bei Rüstungsproduzenten, die etwa an der Herstellung von Atomwaffen beteiligt sind, darunter Airbus, Boeing, BAE Systems und Lockheed. Nach einer von Friedensgruppen international gelobten Verschärfung dieser Richtlinien 2021 musste sich der Fonds von diversen Beteiligungen trennen.
Ethik im Wandel: Nationalbankchefin regt Rüstungsinvestitionen für den Staatsfonds an
Damit soll Schluss sein, findet die Nationalbankchefin: „In der heutigen Welt müssen die nationale Sicherheit und die Abwehrbereitschaft im Vordergrund stehen.“ Am selben Abend meldete sich ihr Landsmann, der Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, vom Start der Münchner Sicherheitskonferenz. Eigentlich sollte er sie als deren neuer Vorsitzender eröffnen. Daraus wurde nichts, nachdem der 65-Jährige völlig überraschend das Finanzministerium in Oslo übernommen hat: „Ich bin hier vor allem wegen der wirtschaftlichen Unsicherheit in der Welt,“ erklärte er im heimischen TV und warnte mehr vor Handelskriegen als vor den militärischen.
In seiner neuen Funktion dürfte Stoltenberg als bisher unermüdlicher Werber für massive Aufrüstung wohl die Anregung der Nationalbankchefin mit aller Kraft umsetzen. Internationale Kritik an Norwegens Rolle als „Kriegsgewinnler“ bei eher beherrschter Hilfe an die Ukraine weist er jetzt genauso überzeugt zurück, wie er als Nato-Generalsekretär für maximale Hilfe eingetreten ist.
Pensionsfonds-Chef Tangen: Tesla-Investor und Milliardär könnte neue Ethik durchsetzen
Die ethisch künftig wohl anders akzeptable Investment-Strategie der finanziellen Großmacht Norwegen soll Nicolai Tangen umsetzen. Der selbst steinreiche Chef des Pensionsfonds ist mit Elon Musk befreundet und dienstlich mit dem Fonds einer der zehn wichtigsten Anteilseigner bei Tesla. Von Musks Hitler-Gruß wollte er sich bisher nicht distanzieren und als Aktionär bei Tesla bleiben.
Elon Musk: Vom Milliardär aus Südafrika zum Schattenpräsidenten der USA
Die Hälfte der Fondsinvestitionen ist in den USA platziert. Tangen findet, dass Trumps Start „rein finanziell“ nur Gutes verheiße. Im TV lautete seine muntere Reaktion auf die Meldungen von den steigenden US-Aktienkursen: „Go, go, gorilla.”
Schulmassaker in Schweden: Wurden rassistische Motive vertuscht?

Massaker in Schweden birgt politischen Zündstoff
14.02.2025
Von: Thomas Borchert
Nach mutmaßlich rassistischen Morden in einem Schulzentrum in Schweden stehen Behörden in der Kritik.
Nach dem Massenmord an zehn Menschen in einem Berufsschulzentrum im schwedischen Örebro gesellt sich zu Entsetzen und Trauer immer mehr Ratlosigkeit über das seltsame Agieren von Polizei und Politik. Angeblich sollen die Ermittlungen einer ganzen Woche bisher keine Klarheit über die Motive des Attentäters Rickard Andersson gebracht haben. In einer ersten Reaktion hatte die Polizei neben der Opferzahl sofort mitgeteilt, „alles“ spreche für eine Tat ohne ideologische Motive. Jetzt hat das die nationale Polizeichefin Petra Lundh „mit Bedauern“ zurückgenommen: „Es war viel zu eingrenzend.“
Der 35- jährige Täter war mit drei halbautomatischen Jagdgewehren, versteckt in einem Gitarrenkasten, mittags in die Riksbergska-Schule gekommen. Während seines Amoklaufs soll er gerufen haben: „Ihr müsst weg aus Europa“. Nach seinem Verbrechen erschoss er sich selbst. Dass die Opfer, sieben Frauen und drei Männer im Alter zwischen 28 und 68 Jahren, fast alle aus Syrien, Bosnien, Eritrea und Iran stammten, erfuhr Schweden nicht von den eigenen Behörden. Vielmehr bestätigten die Botschaften von Syrien und Bosnien den Tod von Bürger:innen ihrer Länder, während die schwedische Polizei dazu schwieg, weil die Identifizierung der Toten nicht abgeschlossen sei. Nach acht Tagen erst kam die Bestätigung: Acht von zehn Opfern stammten aus dem Ausland.
Dabei hatte Regierungschef Ulf Kristersson schon Tage vorher mit seiner ungewöhnlichen TV-Rede „an die Nation“ auch dem Letzten klargemacht, worum es hier beim schlimmsten Massenmord in der Geschichte des Landes offenbar doch geht: Er verstehe absolut die massive Unruhe im zugewanderten Teil der Bevölkerung.
„Es gibt nur ein Schweden. Nicht wir und die anderen“, sagte der Premier und lobte ausdrücklich die zur Ausbildung in der Krankenpflege an die Berufsschule gekommenen Opfer. Sie hätten das Land besser machen wollen. Auch in Schweden ist der akut unterbesetzte Pflegesektor stark von migrantischer Arbeitskraft abhängig. Kristersson rief eine nationale Schweigeminute aus. In Respekt für die ehrlich wirkende TV-Rede des Premiers mischt sich bei vielen Stirnrunzeln. Der Hintergrund: Kristersson hat seine Minderheitsregierung von den Stimmen der rechtsextremen Schwedendemokraten (SD) im Reichstag abhängig gemacht.
Schwedische Regierung hetzt gegen Migrantinnen und Migranten
Nach der letzten Wahl ist 2022 im größten Land Skandinaviens die „Brandmauer“ von Kristerssons Konservativen gegen jede Zusammenarbeit mit den aus Neonazigruppen entstandenen SD komplett gefallen. „Er muss begreifen, dass seine jetzigen Worte vielen Schweden schrill in den Ohren klingen. Denn normalerweise klingen er und seine Partner ganz anders“, kommentiert „Aftonbladet“. Das Blatt verwies auf die SD-Parolen gegen die „Islamisierung“ und die dort gern verwendete Verschwörungstheorie vom „Bevölkerungsaustausch“.

Sich klar gegen derlei zu wenden, wäre für Kristersson gleichbedeutend mit dem Verlust der Regierungsmacht. Und habe er nicht selbst, hieß es in „Aftonbladet“ weiter, kurz vor dem Anschlag in Örebro verkündet, die Kriminalität in Schweden „sei stark mit der Zuwanderung verknüpft“? Tatsächlich gehört zu den herausragenden Aufgaben für die Stockholmer Regierung, der trotz unablässiger Gesetzesverschärfungen und Aufrüstung der Polizei grassierenden Bandenkriminalität mit immer neuen Schießereien und Bombenanschlägen Herr zu werden. Der hohe Anteil Jugendlicher mit Migrationsgeschichte ist nicht zu leugnen, und wie stark dafür mangelnder Integrationswille, Unfähigkeit von Behörden oder anderes verantwortlich gemacht werden muss, erscheint der Mehrheit der zehn Millionen Menschen in Schweden immer zweitrangiger.
Der Anschlag von Örebro gehört mit Sicherheit nicht zu dieser Kategorie, hat aber das Bild von dem gegenüber Gewalt ohnmächtigen Staat auf besonders brutale Weise verstärkt. Ganz unroyal hat dem Königin Silvia Ausdruck verliehen, als sie beim Besuch der Berufsschule in Örebro sagte: „Was ist nur aus dem feinen Schweden geworden? Ich bitte eindringlich alle um Mithilfe, es wieder aufzubauen. Um den Namen wieder stark zu machen. Was es heißt, schwedisch zu sein“.