Month: October 2024

“Das Wasser kommt” – Dänemarks Küste ist bedroht

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Klimakrise in Dänemark: Das Land muss 7000 Kilometer Küste vor steigendem Meeresspiegel schützen

Stand: 20.10.2024

Von: Thomas Borchert

Wenn das Wasser weiter steigt, werden viele Orte nicht mehr bewohnbar sein. Dänemark kann dank moderner Deiche einen gewissen Anstieg des Wassers verkraften, aber diese müssen rasch gebaut werden.

Für Dänemarks Küste präsentiert Henrik Vejre eine simple und knallharte Klima-Rechnung, wie man sie eher von fernen Südseeinseln kennt: „Wenn neue Häuser 100 Jahre halten sollen, müssen wir 3,5 Meter Anstieg des Meeresspiegels einrechnen, plus 4 Meter hohe Wellen bei einer Sturmflut.“ Der Professor für Landschaftspflege fügt an, dass bei einem solchen Anstieg des Wassers die Hafenstädte in ihrem jetzigen Bestand gefährdet seien. Zum Beispiel der nördliche Teil von Aarhus, der zweitgrößten dänischen Stadt: „Der ist dann einfach weg.“ Für ihn steht fest: „Dass wir uns vor dem Wasser zurückziehen, wird ein Teil der Lösung sein.“

Zwei „Jahrhundert-Unwetter“ binnen weniger Wochen haben vor einem Jahr dänische Hafenstädte und Landstriche entlang der 7000 Kilometer langen Küste unter Wasser gesetzt. Seitdem steht die Bedrohung durch den Anstieg des Meeresspiegels zusammen mit den immer häufigeren Unwettern plötzlich weit oben auf der Tagesordnung. „Das Wasser kommt“ heißt die aktuelle Ausstellung im Kopenhagener Architektur-Center (DAC), zu der Vejre in einem Podcast als unerbittlicher Mahner beiträgt. In eher optimistischem Grundton präsentiert das DAC Beispiele, wie sich Skandinaviens südliches Land durchaus zupackend auf die Bedrohung einstellt.

Mitten in Kopenhagen und natürlich gleich am Wasser bekommt Dänemarks Nationalbank bei der Generalrenovierung tief unter ihrem Fundament einen Satz von 187 neuen gewaltigen Ankern verpasst. Die sollen verhindern, dass Hochwasser mit sintflutartigem Regen die nicht mal 50 Jahre alte Architektur-Ikone unterspülen und durch Auftrieb buchstäblich wegschwimmen lassen. Das klingt nach Science Fiction, aber Projektchefin Susanne Thomsen spricht im Bau-Magazin „Arkbyg“ beruhigend von „also wirklich nur Worst Case“. Der schlimmste Fall allerdings ist dem Stein gewordenen Symbol für dänischen Wohlstand und Stabilität offenbar schon so sehr akut geworden, dass das große Projekt-Plakat vor der Baustelle verkündet: „Wir sichern gegen den Auftrieb.“

Kommunen fühlen sich alleingelassen

Im Stadtteil Vesterbro ist der alte Enghave-Park so raffiniert und elegant zugleich umgebaut worden, dass er bei Sturmfluten als riesiges Auffang- und Ablaufbecken für das Wasser dienen kann. In Svendborg auf Fünen sind Pläne für riesige Schleusen zur Abschottung von Hochwasser abgelöst durch ein flexibleres und billigeres Paket an Projekten unter dem Motto: „Mit dem Hochwasser zurechtkommen, wenn es nun mal da ist“.

Insgesamt aber fühlen sich die Gemeinden von der Regierung alleingelassen. Es gibt noch keinen national koordinierten Plan für die Küstensicherung. Umweltminister Magnus Heunicke räumt ein, dass die nach dem Sturmflut-Schock schnell bewilligten 1,1 Milliarden Kronen (147 Millionen Euro) für kommunale Projekte „nur ein erster Schritt“ sein könnten. Aber er drückt sich wie die Kopenhagener Mainstream-Politik generell sorgsam darum, der Wählerschaft reinen Wein über das ganze Ausmaß dieser gesellschaftlichen Aufgabe einzuschenken.

Die unangenehme Erklärung, dass selbst bei der zigfachen Summe jedes Jahr der Kampf gegen „Das Wasser kommt“ nicht zu gewinnen ist, überlässt man lieber „Klimaanpassungsexperten“ wie Karsten Arnbjerg-Nielsen: „Wir brauchen eine Klärung darüber, wo die Natur gewinnen soll und wo wir Menschen. Was wollen wir schützen, und wo ziehen wir uns zurück?“

Für Arnbjerg-Nielsens Kollegen Vejre ist klar, dass kritische Infrastruktur wie der Kopenhagener Flugplatz Kastrup durch massiv höhere Deiche abgesichert werden muss. Aber: „Wir können bestimmt nicht alle Sommerhaus-Siedlungen beschützen.“ Er macht sowohl Privathaushalten wie auch Kommunen bei ihrer Planung den Vorwurf, wider besseres Wissen über den Anstieg des Meeresspiegels immer weiter direkt am Meer und auch ins Meer hinein neu zu bauen

Der Naturschutzverband fordert Veränderung

„Darüber werden unsere Nachkommen ein hartes Urteil sprechen,“ sagt Vejre, denn die müssen die gigantischen Folgekosten tragen. Auch Dänemarks Naturschutzverband hält es für falsch, immer nur neue und immer höhere Deiche zu setzen. Dessen Vorsitzende Maria Reumert Gjerding wirbt für die Aufgabe landwirtschaftlicher Nutzung in unmittelbarer Küstennähe: „Wir müssen uns so der Veränderung in der Natur anpassen.“

Vorerst werden diese Stimmen noch übertönt vom Streit, wie die explodierenden Folgekosten von Sturmfluten zwischen Privathaushalten, Betrieben, Versicherungen, Gemeinden und dem Staat aufgeteilt gehören. Bis über den Rückzug von Bauprojekten und Landwirtschaft direkt an der Küste ein gesellschaftlicher Konsens erreicht ist, werden noch etliche „Jahrhundert“-Unwetter über Dänemark hinwegziehen. Vejre ätzt leicht zynisch, das müsse man sich fast „alle drei Jahre“ wünschen, weil sonst einfach zu schnell vergessen werde.