Month: August 2024
Japan verlangt von Dänemark Auslieferung des militanten Walschützers Paul Watson

Dänemark und der Fall Paul Watson
12.08.2024
Von: Thomas Borchert
Japan dringt auf die Auslieferung des in Grönland festgenommenen Walschützers.
Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom befreundeten Dänemark höchstpersönlich und „dringend“ die Freilassung eines Inhaftierten verlangt, hat der Kopenhagener Regierung das Ende ihrer Sommerferien diese Woche sicher nicht versüßt. Sie muss entscheiden, ob es trotzdem grünes Licht zur Auslieferung des Walschützers Paul Watson an die Walfang-Nation Japan gibt. Weil der amerikanisch-kanadische Schiffskapitän von dort zur internationalen Fahndung ausgeschrieben war, ist er Ende Juli bei einem Tank-Stopp mit seinem Schiff „John Paul DeJoria“ im grönländischen Nuuk hinter Gitter gekommen.
Der 73-Jährige lässt über seine Organisation „Sea Shepherd“ ausrichten, die Verfolgung durch Japans Justiz sei politisch motiviert gegen ihn als Symbol für den Walschutz. Ganz handfest war Watson bei seiner Festnahme unterwegs zur Verfolgung eines neu gebauten japanischen Walfangschiffs in arktischen Gewässern. Hier wollte er mit der 25-köpfigen Besatzung das tun, was ihm seit einem halben Jahrhundert in Walfang-Ländern wie Japan, Island und Norwegen den Ruf eines Ökoterroristen und Haftbefehle, bei anderen Heldenstatus eingebracht hat.
„Aggressive Nichtgewalt“ nennt er die Störung von Fangaktivitäten durch mitunter lebensgefährliches Kreuzen des Kurses von Walfangschiffen, deren Entern durch eigene Leute, das Blockieren von Laderampen und das Abfeuern von Buttersäure-Flaschen, gemeinhin Stinkbomben genannt. Im Hafen von Reykjavik ließ Watson 1988 zwei Walfangkutter versenken, bekannte sich zu der Tat und wollte einen medienwirksamen Prozess gegen sich erzwingen. Islands Behörden schoben ihn einfach ab.
Greenpeace hatte der gebürtige Kanadier 1971 mitgegründet, wurde aber wegen seiner radikalen Methoden 1977 ausgeschlossen. Er startete im selben Jahr seine eigene Organisation „Sea Shepherd“. Nach der Festnahme in Nuuk stellte sich auch Greenpeace hinter Watson. „Wir haben großen Respekt vor seiner lebenslangen und hingebungsvollen Aktivistenkarriere“ sagt der dänische Greenpeace-Sprecher Sune Scheller in der Zeitung „Politiken“.
Dahinter steht wohl auch die Frustration bei der weniger rabiaten Walschutz-Gemeinde darüber, dass aus Japan sowie Island und Norwegen immer wieder neue Vorstöße und Verstöße gegen das seit 1982 geltende Verbot des kommerziellen Walfangs kommen. So hat Watson neben der in dieser Form überraschenden Unterstützung durch Macron auch Solidaritätsadressen von „Titanic“-Regisseur James Cameron, der Rockband Pearl Jam, Sänger Bryan Adams und Leinwandlegende Brigitte Bardot bekommen. Einen Protest-Brief gegen die Festnahme an Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen haben 73 Politiker:innen aus zehn europäischen Ländern unterschrieben, unter ihnen der französische Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon.
Wenn am Mittwoch im grönländischen Amtsgericht Sermersooq erstmals über den Auslieferungsantrag verhandelt wird, soll all dies keine und dafür der juristische Kern die Hauptrolle spielen. Watsons Anwalt Jonas Christoffersen nennt in heimischen Medien die Grundlage für den japanischen Antrag lächerlich, weil er sich ausschließlich auf eine 14 Jahre zurückliegende Aktion unter anderem mit Stinkbomben gegen Walfänger aus Japan beziehe. Für den Ex-Chef des Kopenhagener Instituts für Menschenrechte ist aber klar, dass es hier eben doch auch um Politik gehen wird. Das mache die Sache für ihn viel interessanter, meint er in „Berlingske“ kampfeslustig – und will im Fall von grünem Licht für die Auslieferung durch alle Instanzen gehen.
Zusätzlich kompliziert wird dieser Weg dadurch, dass die letzte Entscheidung im Kopenhagener Haus von Justizminister Peter Hummelgaard gefällt werden muss, aber nach den Regeln im teilautonomen Grönland. Ex-Justizminister Hans Engell, inzwischen TV-Kommentator, findet die Einmischung Macrons deplatziert, Dänemark sei ja wohl kein „rechtspolitischer Bananenstaat“. Für ihn ist klar: „Dänemark wird Watson ohne viel Federlesen ausliefern.“
Kopenhagen lockt Touristen mit pfiffigem Greenwashing

Wer zu Fuß geht, geht leer aus
Stand: 05.08.2024
Von: Thomas Borchert
Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen lockt umweltbewusste Reisende mit freiem Eintritt und gratis Essen – dafür müssen sie nur etwas Müll sammeln und ihren Kaffeebecher mitbringen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Unsere Kolumne „Was soll das?“
Ist das vielleicht eine pfiffig ausgedachte Rettungsplanke für schöne Städte vor der Sturmflut namens Massentourismus? Aus Kopenhagen berichtet der junge Brite Jamie Hughes auf Instagram in Bild und Ton, wie umweltschonend, spaßbetont und auch noch günstig hier seine Stadtexpeditionen ausfallen: Nach der Graffiti-Ausstellung mit Banksy gibt es im Maca-Museum den Barista-Kaffee gratis, weil er seinen wiederverwendbaren Becher mitgebracht hat. So um die sechs Euro Belohnung, weil er den Einheimischen wenigstens ein wenig Papp- und Plastikmüll erspart. Anschließend geht es zum Windsurfen vor dem herrlichen Amager Strandpark mit Gratis-Lunch beim Betreiber als Lohn für 30 Minuten Einsammeln von Abfall am Strand.
Das Mietkajak für zwei Stunden am nächsten Tag gibt es kostenfrei gegen das Versprechen, unterwegs Müll aus dem Wasser zu fischen. Nach einem ebenfalls kostenlosen Bio-Lunch auf der Stadtfarm „Øens Have“ für eine Stunde Gartenarbeit zieht es Jamie zu „Copenhill“. Kopenhagens hypermoderne Müllverbrennungsanlage im Design von Stararchitekt Bjarke Engels lockt mit einer auch im Sommer befahrbaren Skipiste auf dem 80 Meter hohen Schrägdach. Hier kann der sportliche Touri zusätzlich zum Stundenpreis von 27 Euro noch mal 20 Minuten gratis runterbrettern. wenn er per Rad gekommen ist oder ein ÖPNV-Ticket vorzeigt.
Hughes’ Fazit: „Ich hatte eine tolle Zeit und kann nur jeden ermutigen, Copenpay zu checken.“ So nennt sich die Sammlung von 26 touristischen Hotspots mit ihrem Lock-Angebot an Städtereisende, für umweltschonendes Verhalten Eintritt, Mietgebühr oder Verzehrkosten zu sparen. Hughes verschweigt nicht, dass sein flotter Insta-Post von „Visit Copenhagen“ gesponsort ist und erklärt auch, allerdings erst im „Kleingedruckten“, dass es sich (vorerst) nur um eine auf vier Wochen begrenzte Kampagne handelt. Mitte August ist Copenpay dann erstmal vorbei.
Aber: Wer schafft es schon bis ins Kleingedruckte? Von der „New York Times“ über die „Hindustan Times“ und „China Daily“ bis zur „taz“ in Berlin berichteten Medien durchweg freundlich über die originelle Initiative. Auch die „Frankfurter Rundschau“ ist, wie man sieht, dabei, aber nicht nur in Dur, vor allem weil der Korrespondent nach vier Jahrzehnten in seiner (geliebten!) Wahlheimat Kopenhagen auch eine ausgeprägt subjektive Sicht hat.
Weshalb jetzt in der ersten Person erklärt werden soll, warum Copenpay in meinen Augen zwar eine intelligente und auch sympathische PR-Aktion, aber im Kern glasklar Greenwashing ist. Zu allererst: Das Animieren zum touristischen Radeln durch pekuniäre Lockmittel empfinde ich routinierter einheimischer Radler als grob fahrlässig. Klar ist Kopenhagen im Vergleich zu deutschen Städten ein Fahrradparadies. Gerade in der so attraktiven City rund um den Hafen oft ein überfülltes.
Die Ortsansässigen („schon mit Fahrradklingel auf die Welt gekommen“) radeln schnell, entschlossen, im Berufsverkehr leider auch zu aggressiv. Mit pfeilschnellen E-Bikes und/oder Lastenrädern auf überfüllten Hauptstrecken sind sie für Ungeübte aus anderen Ländern fast so beängstigend wie für Däninnen und Dänen (mich eingeschlossen) auf deutschen Autobahnen die Autos, die mit Tempo 200 auf der linken Spur vorbeifliegen. Und dass Copenpay denen, die zu Fuß kommen, keine Belohnung verspricht, finde ich eine schreiende Ungerechtigkeit. Sie verdienen doch die Goldmedaille für Nachhaltigkeit im Reiseverkehr.
Visit Copenhagens Direktor Mikkel Aarø Hansen verkündete beim Start von Copenpay auf der eigenen Homepage: „Es geht uns nicht um mehr Touristen. Wir wollen den Tourismus nicht als Umweltbelastung, sondern als treibende Kraft für positive Veränderungen.“ Im Wirtschaftsteil der Zeitung „Berlingske“ hörte sich das nach der letzten Feriensaison unter der Überschrift „Die Hotels müssen voller werden“ aber doch etwas anders an. Auch Aarø Hansen warb hier für touristisches Wachstum als segensreich für die Hauptstadt.
Warum, das kann ich beim Weg von der Wohnung zur schönen „Mittelalterstadt“ mit bloßem Auge erkennen: Dauernd radelt man an imposanten neuen Hotelanlagen vorbei, die gefüllt sein wollen, damit es sich rechnet. Allein seit 2019 ist die Kapazität in Kopenhagen um ein Drittel erweitert worden. Da reichen die zwölf Millionen Übernachtungen von 2023 längst nicht aus, um eine profitable Belegungsquote zu erreichen. Die Stadt hat drei Kreuzfahrt-Terminals bauen lassen, und vom Flughafen Kastrup heißt es trotz 2,7 Millionen Fluggästen im Mai als neuem Höchststand seit der Corona-Delle: Nicht schlecht, aber wir müssen die Zahlen von vor Corona übertreffen.
Jedes Kind begreift schnell, dass das beim Klimaabdruck aus einer überfüllten Metropole negative Effekte in ganz anderen Dimensionen auslöst als umgekehrt das Mitbringen vom eigenen Kaffeebecher und Einsammeln von ein bisschen Plastikmüll. Aber, so tröstet uns Einheimische der Psychologe Mikkel Fugl Eskjær in „Kristeligt Dagblad“, Copenpay nehme den Reisenden das „psychologische Unbehagen am Handeln gegen die eigenen Werte“. Na denn. Und: Glückwunsch an Visit Copenhagen zum grandiosen Erfolg mit der Sympathiewerbung.