Frankfurter Rundschau - Deutschlandausgabe vom 13.07.2024, Seite 7 / Politik
„Grünes Licht für Gewalt und Pushbacks“
Finnland will von Russland geschickte Flüchtlinge ohne Prüfung abweisen – die Kritik ist groß
VON THOMAS BORCHERT
Mit großer Mehrheit hat Finnlands Parlament das Asylrecht außer Kraft gesetzt, wenn Antragsstellende über die Grenze mit Russland kommen. Sie können bis auf Weiteres ohne Einzelfallprüfung sofort zurückgeschickt werden. Der konservative Premier Petteri Orpo und seine rechtspopulistischen Partner von den „Wahren Finnen“ begründen den Bruch mit der global geltenden Flüchtlingskonvention sowie EU-Recht damit, dass die Moskauer Führung Asylsuchende zur Destabilisierung Finnlands an die Grenze schleuse. Dies sei „hybride Kriegführung“ wegen des Nato-Beitritts, auf die man antworten müsse, hieß es immer wieder von offizieller Seite in Helsinki.
Seit vergangenem Herbst sind nach offiziellen Angaben etwa 1300 Asylsuchende aus afrikanischen und arabischen Ländern über die 1340 Kilometer lange russische Grenze nach Finnland eingereist. Als erste Reaktion hat Orpos Regierung die Grenze Abschnitt für Abschnitt komplett geschlossen.
In der Debatte über die Aussetzung des Asylrechts räumte die Regierungsseite ein, dass sie sich über die Verletzung bindend vereinbarter Menschenrechte im Klaren sei. Zur Kritik, auch auf dem Hintergrund der alles in allem recht niedrigen Zahlen von Osten eingereister Asylsuchender, meinte Staatspräsident Alexander Stubb im TV-Sender YLE: „Wir müssen mit der Zeit gehen. Wenn Russland Migranten instrumentalisiert und sie als Waffe einsetzt, brauchen wir ein Werkzeug, um sie zu stoppen“. Das Gesetz sei nötig, denn der Kreml könne „innerhalb weniger Tage Tausende Migranten mobilisieren“.
Ähnliche Regeln zum Aushebeln des Asylrechts sind bereits in den ebenfalls an Russland grenzenden baltischen Ländern und in Polen in Kraft. Wie schon dabei kritisierte das UN-Flüchtlingswerk UNHCR auch das finnische Abweisungsgesetz als rechtswidrig. „Für Finnland ist dies eine totale Abwendung von der bisherigen Rolle als Verteidigerin der Menschenrechte“, sagte die nordeuropäische UNHCR-Sprecherin Annika Sandlund der Zeitung „Hufvudstadsbladet“. Amnesty International verurteilt die Neuregelung als „grünes Licht für Gewalt und Pushbacks an der Grenze“.
Weil mit dem „Abweisungsgesetz“ (in der Debatte oft als „Pushback-Gesetz“ bezeichnet) eine Verfassungsbestimmung geändert wird, und das auch noch im Eilverfahren, benötigte die Mitte-Rechts-Regierung eine Fünf-Sechstel-Mehrheit im Reichstag. Sie schaffte sie mit 167 gegen 31 Stimmen für die Eilbehandlung etwas klarer als erwartet. Der Linksverband und die Grünen stimmten geschlossen dagegen. Hinzu kamen sechs Gegenstimmen aus der sozialdemokratischen Opposition und eine aus der mitregierenden liberalen SFP. Der sozialdemokratische Vize-Parteichef Matias Mäkynen begründete sein Nein damit, dass „die gesamte EU-Zusammenarbeit zusammenbrechen wird, wenn sich jedes einzelne Mitgliedsland die Regeln nach eigenem Gutdünken zurechtbiegt“.
Li Andersson vom Linksverband nannte die Abstimmung „entscheidend dafür, ob wir ein Rechtsstaat sind oder nicht“. Andersson hatte als Spitzenkandidatin bei den Europawahlen im Juni eine fast sensationelle Verdoppelung der Stimmenzahl für ihre Partei mit 17,3 Prozent erzielt. Die seit einem Jahr mit den Konservativen und zwei kleineren Bürgerparteien regierenden Rechtsaußen der „Wahren Finnen“ wurden dagegen auf 7,6 Prozent halbiert. Das allerdings änderte nichts daran, dass laut Umfragen eine klare Mehrheit der finnischen Bevölkerung die jetzt beschlossene Direkt-Abweisung von Asylsuchenden aus Russland befürwortet.
Auch bei der juristischen und politischen Kritik wurde fast einhellig eingeräumt, dass die Regierung zu Recht von einer Moskauer Destabilisierungsstrategie ausgehe. Es gebe aber andere Möglichkeiten, darauf zu reagieren, etwa indem man Betroffene während der Prüfung ihrer Anträge nahe der Grenze kontrolliert unterbringe.