Month: June 2024
Dänische Landwirtschaft muss CO2-Steuer zahlen

Weltpremiere in Dänemark
25.06.2024
Von: Thomas Borchert
Die dänische Regierung führt eine CO2-Steuer für die Landwirtschaft ein / Höhe bleibt aber sehr gering.
Aus Kopenhagen kommt eine Neuigkeit, für die Klimaschutzgruppen von Neuseeland bis Deutschland bisher vergeblich gekämpft haben: Als erster Staat der Welt führt Dänemark eine CO2-Steuer für Klimabelastung durch die Landwirtschaft ein.
In dem kleinen und extrem intensiv bewirtschafteten Land produziert die hochmoderne Agrarindustrie ein Drittel aller CO2-Emissionen und steht damit ganz oben auf der nationalen Schadstoff-Rangliste. So werden dänische Milchprodukte als Exportschlager von der Umwelt auch damit bezahlt, dass 550 000 Kühe jedes Jahr 3,2 Millionen Tonnen für das Klima extrem schädlicher Methangase in die Luft entlassen.
Nach der von der Regierung verkündeten Einigung müssen die Bauernbetriebe ab 2030 zunächst netto 120 Kronen und ab 2035 300 Kronen (16/40 Euro) je Tonne C02 als Klimaabgabe zahlen. Diese Beträge liegen vor allem dank hoher steuerlicher Abzugsmöglichkeiten weit unter dem, was von der Klimabewegung mit einhelliger Experten-Unterstützung gefordert wurde. Sie hatte dabei als Ziel immer im Auge, dass die Bepreisung von C02-Emissionen die Umstellung von tierischer auf pflanzliche Produktion stimulieren oder letztlich auch erzwingen muss.
Maria Reumert Gjerding, Präsidentin von Dänemarks Naturschutzverband, feierte das Übereinkommen trotz der niedrigen Abgabe als „extrem ehrgeizig und bahnbrechend“, weil es zusätzlich zum Klimaschutz vor CO2 umfassende Maßnahmen für eine insgesamt nachhaltigere und für weniger Landwirtschaft vorsehe. So stellt der Staat 40 Milliarden Kronen (5,4 Milliarden Euro) für den staatlichen Kauf landwirtschaftlicher Nutzflächen bereit, die in weiten Teilen zu Wald- und anderen Naturflächen umgewandelt werden sollen. Gjerding nannte dies „eine vollkommen neue Richtung für Natur, Klima und Landwirtschaft“.
Bäuerinnen und Bauer gelassen
Während betroffene Landwirt:innen sich in ersten TV-Interviews beruhigt über die geringe Höhe ihrer kommenden CO2-Abgabe äußerten, sieht Außenminister und Ex-Regierungschef Lars Løkke Rasmussen dramatische Veränderungen kommen. Man werde „Dänemark in zehn Jahren nicht wiedererkennen“, weil die Natur jetzt wieder massiv zu ihrem Recht kommen könne.
Für die Gewässer rund um Dänemarks 7000 km lange Küsten erwartet auch der Meeresbiologe Stieg Markager durch die Reduzierung landwirtschaftlicher Nutzflächen bessere Zeiten. Er hatte in den 20 letzten Jahren die politische Tatenlosigkeit gegen das Gewässersterben durch Nährstoffe aus landwirtschaftlicher Gülle-Einleitung angeprangert. Zur neuen Einigung rund um die CO2-Abgabe sagte er im Sender DR: „Das ist ein richtig großer Tag für unsere Meeres-Umwelt“.
„Viel zu schwach“
Ob die überwiegende Begeisterung in ersten Kommentaren auch beim Studium des Kleingedruckten hält, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Kritisch vor allem über die niedrige Höhe der C02-Abgabe äußerten sich mehrere Oppositionsparteien: So werde man das dänische Klimaziel von 70 Prozent weniger CO2 bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 auf keinen Fall erreichen. Greenpeace findet die angepeilte Stilllegung landwirtschaftlicher Flächen „viel zu schwach“. Die Dreier-Koalition unter Führung der Sozialdemokratin Mette Frederiksen hat sich für ihr Maßnahme-Paket die Unterstützung sowohl des seit Jahren gegen die CO2-Abgabe mauernden Bauernverbands, anderer Wirtschaftsverbände wie auch des Naturschutzverbands gesichert.
Die Einigung, verkündet fast wie bei einem runden Tisch, könnte vor allem der traditionell ländlich ausgerichteten rechtsliberalen Partei mit dem irreführenden Namen „Venstre“ („Links“) helfen. Sie ist durch Abspaltungen und ihr Zusammengehen in einer generell unbeliebten Großen Koalition mit den Sozialdemokraten demoskopisch seit längerem im freien Fall und sah sich durch eine hohe CO2-Abgabe vor dem endgültigen Absturz

Oslo streitet über scharfe Worte vom Außenminister gegenüber Israel

Norwegens Regierung wird jetzt auch zuhause Antisemitismus vorgeworfen
23.06.2024
Von: Thomas Borchert
Norwegens Regierung ist gegenüber der Politik Israels besonders kritisch. Nun gibt es auch im eigenen Land Kritik, Äußerungen könnten Antisemitismus anheizen.
Die gegenüber Israel ausgesprochen kritische Regierung von Norwegen muss sich erstmals gegen Vorwürfe heimischer Stimmen wegen Antisemitismus wehren. Der Leiter des Osloer Zentrums für Holocaust-Studien, Jan Heiret, wirft Außenminister Espen Barth Eide vor, seine Kommentierung der israelischen Kriegführung in Gaza könne „den Antisemitismus anheizen“. Er warnte: „Wenn er Begriffe wie Kindestötung verwendet, kann das mit klassischem Antisemitismus verknüpft werden.“
Der sozialdemokratische Minister hatte im Radiosender NRK seine Begegnungen mit EU-Spitzen vergangene Woche in Brüssel kommentiert. Die Treffen hätten ihm gezeigt „dass es eine schnelle Bewegung weg davon gibt, dass es hilft ‚Antisemit‘ zu sagen, wenn wir sagen, du musst aufhören, Kinder umzubringen“. Ervin Kohn, ehemaliger Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Oslo und Vizechef des Antirassistischen Zentrums, nannte die Äußerung „unheimlich“.
Eide konterte, seine Kritik habe nicht das Geringste mit „alten und verrückten Zwangsvorstellungen zu tun, dass Juden Kinder töten oder opfern“. Es sei ihm ausschließlich um israelische Angriffe im Gaza mit zivilen Opfern, darunter Kindern, gegangen. Und weiter: „Die allermeisten sehen ein, dass es kein Ausdruck von Antisemitismus ist, wenn man Abstand davon nimmt, dass Kinder in Rafah zu verkohlten Leichen verbrennen.“
Norwegen hat palästinensischen Staat anerkannt
Norwegen hat Ende Mai zusammen mit den EU-Ländern Spanien und Irland die staatliche Anerkennung Palästinas verkündet und wird seitdem von Israels Premier Benjamin Netanjahu als „feindlich“ eingestuft. Die sozialdemokratisch geführte Regierung in Oslo hat ihre Kritik an der israelischen Kriegführung in Gaza stets wesentlich schärfer formuliert als etwa die Nachbarn Dänemark und Schweden.
Anlässlich eines skandinavisches Ministertreffens in Stockholm vergangene Woche meinte Eide dazu in der Zeitung „Dagens Nyheter“: „Wenn wir meinen, dass die Bombardierung eines Wohnhauses in Kherson durch Russland verkehrt ist, dann muss das auch gelten, wenn Israel dasselbe in Gaza-Stadt macht.“ Er sehe kritisch, dass die Regierungen in Schweden und dem restlichen Europa dazu nicht bereit gewesen seien: „Wenn wir das nicht sagen, tragen wir zur Erzeugung eines Eindrucks im globalen Süden bei, dass die Normen eine Art Menü wie im Restaurant sind, wo man sich das Passende von Tag zu Tag aussuchen kann.“ Dabei gehe es nicht nur um Gaza: „Die gesamte Setzung von Normen steht auf dem Spiel.“
Wenn Israel sich nicht um Regeln schere, würden „Leute im Sudan und in Myanmar kommen und sagen: Es gibt keine Regeln.“ Dies sei moralisch sowie praktisch problematisch und werde „eines Tages uns im Westen treffen“. Deshalb sei Norwegens Regierung von Beginn an „aufgestanden“.
Der Publizist Harald Stanghelle, auch Ex-Chefredakteur von „Aftenposten“, findet Antisemitismus-Vorwürfe wegen die Kritik an Israels Kriegführung „vollkommen daneben“. Allerdings habe er sich über die „emotionale Ausdrucksweise“ des Außenministers gewundert, der damit im Übrigen wenig Verständnis für die Sorgen und Nöte der kleinen Jüdischen Gemeinde in Norwegen zeige.
Oslo stand für Prozess zu Zwei-Staaten-Lösung
Das „Zentrum für Holocaust-Studien“, aus dem jetzt die Vorwürfe gegen Eide Richtung Antisemitismus kommen, hat seinen Sitz in der Osloer „Villa Grande“, in der der Nazi-Kollaborateur Vidkun Quisling während der Besetzung durch NS-Deutschland 1940-1945 residierte. Er wurde nach Kriegsende zum Tode verurteilt und hingerichtet, auch wegen Beteiligung an der Deportation von knapp 800 jüdischen Norweger:innen, die fast ausnahmslos im Holocaust ermordet wurden.
Die betont israel-kritische Politik der Regierung geht laut Stanghelle auch auf die 1993 mit norwegischer Beteiligung ausgehandelte Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina zurück: „Da kam das Oslo-Abkommen mit ganz viel Begeisterung und Optimismus.“ Darauf sei man stolz gewesen in Norwegen und habe dessen Kollaps neben einer Terrorwelle vor allem dem Widerstand Netanjahus zugeschrieben: „Das ist einer der tieferen Gründe für die deutlich schärfere Israel-Kritik aus Norwegen.“
Schweden und Iran tauschen Gefangene aus

„Sind durch die Hölle auf Erden gegangen“: Schweden tauscht Gefangene mit dem Iran
17. Juni 2024
Von: Thomas Borchert
Der Iran und Schweden entlassen gegenseitig Häftlinge – in Stockholm gibt es prompt Kritik. Das Mullah-Regime in Teheran nimmt einen verurteilten Massenmörder als „Helden“ in Empfang.
Schweden und der Iran haben am Wochenende einen lange, zäh und streng geheim ausgehandelten Gefangenentausch vollzogen. Dabei konnte das Mullah-Regime den in Schweden wegen Beteiligung an Massenhinrichtungen 1988 im eigenen Land zu lebenslanger Haft verurteilten Hamid Noury als „Freiheitshelden“ mit Blumenkranz und ausgerolltem roten Teppich auf dem Teheraner Flugplatz begrüßen.
Im Gegenzug nahm der schwedische Premier Ulf Kristersson auf dem Stockholmer Flugplatz Arlanda seinen in Teheran von der Todesstrafe bedrohten Mitbürger Johan Floderus und den zu fünf Jahren Haft verurteilten Saeed Azizi in Empfang.
In Schweden hat seit der Festnahme des EU-Beamten Floderus wegen „Spionage für Israel“ im April 2022 und von Saeed Azizi wegen „Konspiration“ im vergangenen November niemand daran gezweifelt, dass sie als menschliche Tauschobjekte für Noury in Teheran einsitzen mussten.

Der regimetreue Iraner war im November 2019 von Landsleuten im Exil nach Stockholm gelockt worden, damit er hier als Büttel für das Khomeini-Regime 1988 für seine Beteiligung an Gefängnis-Massakern im Jahr 1988 mit 30 000 Toten zur Verantwortung gezogen werden konnte.
Schweden wendet das Prinzip „universeller Jurisdiktion“ an, wonach besonders schwere Verbrechen geahndet werden können, auch wenn sie anderswo auf der Welt von jemandem mit nicht-schwedischer Staatsangehörigkeit begangen worden sind.
Zuletzt hatte das Oberste Gericht in Stockholm im Dezember Nourys Verurteilung zu lebenslanger Haft bestätigt.
Kristersson sagte bei der Begrüßung seiner zwei Landsleute: „Sie sind durch die Hölle auf Erden gegangen und nun in der Lage, wieder mit ihren Liebsten zusammen zu sein.“ Und er betonte: „Der Iran hat sie zum Faustpfand in einem zynischen Verhandlungsspiel gemacht.“ Für ihn sei immer klar gewesen, dass dies „schwere Entscheidungen notwendig machen würde.“
Postwendend meldete sich die Ehefrau des bei dem Deal nicht freigelassenen und im Iran zum Tode verurteilten Schweden Ahmadreza Djalali zu Wort: „Die Politiker müssen für diese Form von Diskriminierung zur Verantwortung gezogen werden. Sie haben unsere Familie zerstört“, klagte sie an.
Ebenfalls in der Zeitung „Dagens Nyheter“ schloss sich Amnesty International der Kritik an, weil Djalali unberücksichtigt geblieben ist. Der Katastrophen-Mediziner vom Stockholmer Karolinska Institutet sitzt seit acht Jahren in seinem Geburtsland im Gefängnis, wurde 2017 zum Tode verurteilt und soll schwer krank sein.
In Teheran postete der staatliche Generalsekretär für Menschenrechte, Kazem Gharib Abadi auf X/Twitter, man könne „dem lieben iranischen Volk die erfreuliche Mitteilung machen, dass der in Schweden illegal internierte Hamid Noury freikommt und heimkehrt“.
Aus dem Außenpolitischen Institut in Stockholm kommentierte der Nahost-Experte Rouzbeh Parsi in „Svenska Dagbladet“: „Es war symbolisch wichtig, dass Noury verurteilt worden ist, und es ist eine Niederlage, dass er nun seine Strafe nicht absitzen muss.“ Schwedens Regierung habe kaum eine Alternative zum Gefangenentausch gehabt.
Scharfe Kritik an der Freilassung Nourys als überführtem Massenmörder äußerte dagegen die iranische Exil-Community in Schweden: Der Gefangenentausch werde das Mullah-Regime nur zum noch mehr Kidnapping ermuntern und sei ein Verrat an Nourys Opfern, hieß es in zahlreichen Posts auf X/Twitter. mit afp

Skandinavische Linke und Grüne gewinnen EU-Wahl

Schweden und Dänemark: Bollwerk gegen die Rechtspopulisten
10.06.2024
Von: Tho
Eine dänische Sozialistin, schwedische Grüne und finnische Linke setzen sich gegen die Rechtspopulisten durch.
Wer bei der Europawahl den Jubel von Georgia Meloni, Marine Le Pen und Alice Weidel und anderen von weit rechtsaußen nur schwer ertragen hat, konnte zumindest im Norden Trost bei einer dänischen Volkssozialistin namens Pia Olsen Dyhr, der schwedischen Grünen Amanda Lind und Li Andersson vom Linksverband in Finnland suchen.
Deren Parteien haben, aus unterschiedlichen Gründen, gleichermaßen verblüffende Wahlsiege gegen den auch im Norden erwarteten Vormarsch des Rechtspopulismus gelandet.
Den verkörpert in Kopenhagen Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin Mette Frederiksen. Ihr Rezept, erfolgreichen Parteien am rechten Rand die Wählerschaft wieder abzujagen durch komplette Übernahme sowie gerne auch Steigerung brachialer Anti-Zuwanderungkonzepte, scheint nicht mehr zu funktionieren. Die Sozialdemokratie verlor mit kümmerlichen 15,6 Prozent ihre eigentlich bis jetzt unanfechtbare Rolle als dänische Nummer Eins an die Volkssozialisten, die zur stärksten Partei des Landes mit 17,4 aufstiegen.
Frederiksen, von der AfD als Leitbild für Europas Abschottung vor Migration genauso geschätzt wie in der österreichischen FPÖ und beim Rassemblement National in Paris, nannte das Wahlergebnis auf X/Twitter mit einem mundartlichen Ausdruck aus ihrer jütländischen Heimat „blöd“, eine freundliche Umschreibung des Scherbenhaufens, vor dem die 47- Jährige steht. Ihr seit längerem kolportierter Wunsch nach Abschied aus Dänemark mit einem EU-Top-Posten in Brüssel dürfte durch das Wahlfiasko nicht schwächer geworden sein.
Schockwellen anderer Art löste in Stockholm die erste Wahlprognose für Schweden aus: Bei der Grünen Umweltpartei konnten die Aktiven ihr sensationell hohes Ergebnis von 13,8 Prozent und die bei den rechten Schwedendemokraten (SD) ihr sensationell niedriges mit 13,2 kaum fassen. Die Umfragen lagen bei beiden genauso daneben wie bei der Linkspartei, die bei 11,0 Prozent landete und mit plus 4,2 Prozentpunkten den höchsten Zuwachs dieses Sonntags überhaupt einfuhr. Die SD mussten zum ersten Mal überhaupt nach ihrem Aufstieg zur stärksten Partei im Mitterechts-Regierungslager ein Minus gegenüber einer Vorwahl schlucken. Statt des sicher geglaubten zweiten Rangs hinter den in Schweden auch diesmal führenden Sozialdemokraten (24,8 Prozent) landeten die Rechten auf dem vierten Platz.
Einen noch tieferen Absturz brachte die Stimmenauszählung in Helsinki mit 7,6 Prozent für hier mitregierenden „Wahren Finnen“ vom rechten Rand. Sie holten bei den Reichstagswahlen vergangenes Jahr noch 20 Prozent und bei der Europawahl 2019 13,8. Umgekehrt konnte das Linksbündnis hinter der allseits als „phänomenaler Wahlkämpferin“ bestaunten Li Andersson mit 17,3 Prozent ihr Resultat von 2019 mehr als verdoppeln. Die Hauptperson bekundete, dass der Erfolg sie „geschockt“ habe. Sie nannte als Grund: „Wir haben gut gearbeitet und Vertrauen bekommen für unsere Themen Klima und Umwelt. Auch sind wir für Menschenrechte und den Rechtsstaat aufgestanden.“
In ersten Wahlanalysen hieß es aus allen drei Hauptstädten: Die Wählerschaft im Norden ist bis ganz links markant EU-freundlicher geworden. Und die von rechts mit der stärksten Abscheu vor der Union sind zuhause geblieben.
Island: Geschäftsfrau besiegt Linksgrüne

Island wählt eine Managerin an die Staatsspitze
Stand: 03.06.2024, 07:07 Uhr
Von: Thomas Borchert

Die Geschäftsfrau Halla Tómasdóttir wird Präsidentin. Die linksgrüne Ex-Premierministerin Jakobsdóttir stolpert über vergangene Zweckbündnisse mit Rechten.
Islands Bevölkerung hat sich am Wochenende für eine Geschäftsfrau als Staatsoberhaupt entschieden. Die 55-jährige Halla Tómasdóttir, angetreten mit zehn Jahren Erfahrung als Managerin für Pepsi und Mars in den USA, schlug die linksgrüne Ex-Ministerpräsidentin Katrín Jakobsdóttir (48) überraschend und klar mit 34,6 zu 25,0 Prozent, so das vorläufige Endergebnis.
Kurz nach dem fünften Vulkanausbruch in enger Folge und unmittelbar vor einem Juni-Schneesturm bescherten sich die gut 300.000 Stimmberechtigten der Atlantikinsel ein kleines politisches Erdbeben. Jakobsdóttir hatte kurz vorher in Umfragen vorn gelegen. Wohl vor allem dank souveräner TV-Auftritte am Ende schnitt Tómasdóttir deutlich besser ab als erwartet.
Tómasdóttir wird als „leidenschaftliche Anwältin für mutige Führungskraft“ präsentiert
Die Siegerin arbeitete zuletzt als Direktorin der Geschäftsleute-Organisation „The B Team“ und wird dort als „leidenschaftliche Anwältin für mutige Führungskraft“ präsentiert. Mit Fokus auf Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich. Sie hatte beim wirtschaftlichen Kollaps Islands 2008 durch größenwahnsinnige Banker ihre Investmentgesellschaft Audur Capital erfolgreich über die Runden gebracht. Im Wahlkampf gab sie das Ziel aus, „eine Bewegung von Führungskräften zu starten, damit Geschäfte besser als bisher betrieben werden, zum Wohl der Menschen und des Planeten“.
Die Wahl für das weitgehend repräsentative Präsidentenamt ist von Parteizugehörigkeiten abgekoppelt und wird als Entscheidung über „Persönlichkeiten“ verstanden. Dabei dürften Jakobsdóttir auch die Bündnisse den Sieg gekostet haben, die sie in den letzten Jahren eingegangen war.
Tómasdóttir wird Islands zweites weibliches Staatsoberhaupt
Sie hatte ihre Linksgrünen 2017 in eine Koalition mit den traditionell am schärfsten bekämpften Kontrahenten auf der Rechten geführt. Das brachte ihr persönlich stabil hohe Popularitätswerte auch in bürgerlichen Kreisen, ließ ihre Partei aber laut Umfragen in existenzbedrohende Niederungen sinken. Bei der Wahl am Wochenende verweigerte ihr nun ein Teil der traditionellen Gefolgschaft das Kreuz, weil Jakobsdóttir bei ihrem Paarlauf mit der Rechten „die Seele der Partei“ verkauft habe.
Tómasdóttir übernimmt ihr Amt vom Historiker Gudni Jóhannesson, der nicht zum dritten Mal antreten wollte. Sie wird Islands zweites weibliches Staatsoberhaupt nach der legendären Vigdís Finnbogadóttir, die 1996 nach 16 Jahren abtrat und weltweit als Pionierin für Frauen an der Spitze beachtet wurde.