Anspannung vor Beginn des ESC in Malmö

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Stand: 06.05.2024, 16:02 Uhr

Von: Thomas Borchert

Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö.
Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö. © AFP

Vor dem ersten Halbfinale am Dienstag sind in der Stadt nicht nur ESC-Fans und bunte Fahnen zu sehen, sondern auch Polizei und vereinzelte Gegendemos. Und etliche Einheimische fahren übers lange Wochenende lieber weg.

Der Eurovision Song Contest hat eigentlich wie jedes Jahr losgelegt. Demonstrativ gut gelaunt, farbenfroh und wahlweise elegant, sexy oder albern kostümiert präsentieren sich vor dem Finale am Samstag die 37 Teilnehmer:innen beim immer neuen Interview-Schaulaufen in Malmö. Die ESC-Stimmung sei doch wieder mal unschlagbar, sprach die isländische Sängerin Hera Björk strahlend in ein Mikrofon. Deutschlands Vertreter Isaak (29), präsentiert sich in heimischen Medien als jederzeit zum Lachen aufgelegte Frohnatur, und das finnische Duo Windows95man schwärmt in der Lokalzeitung „Sydsvenskan“ über die ersten Probentage für die 68. Ausgabe des gigantischen Pop-Events: „Wir schmelzen hier alle zusammen wie bei einem Rollercoaster.“

Tali aus Luxemburg allerdings redete nach dem Kompliment des Interviewers für ihre Zöpfe auf die Frage nach dem bisher unangenehmsten ESC-Erlebnis nicht um den heißen Brei herum: „Als wir wegen der Koranverbrennnung den ganzen Tag im Hotel bleiben mussten.“ Dabei hatte die von Rechtsextremen letzte Woche angekündigte Aktion gar nicht stattgefunden.

Die Aufregung liefert einen Vorgeschmack auf das, was in Wirklichkeit alle in Malmö – von den Auftretenden in der „Malmö Arena“ im Vorort Hyllie über die Sicherheitskräfte bis zu den gut 300 000 Menschen in Schwedens drittgrößter Stadt – mehr bewegt als die Frage, ob ihr Land zum achten Mal den Wettbewerb gewinnt oder Isaak das in andere Richtung beeindruckende deutsche „Abo“ auf den letzten Platz erneuern wird: Die meisten hoffen einfach, dass alles glimpflich abläuft.

Warnung vor Terrorgefahr

Bis zum Finale sind mehrere Groß-Demos wegen der israelischen Teilnahme angemeldet. Sowohl am Donnerstag, auch in Schweden ein Feiertag, wenn die Israelin Eden Golan mit ihrem „Hurricane“ beim zweiten Semifinale antritt, und erst recht zum finalen ESC-Countdown am Samstag. Ausgerechnet das harmlose Spaß-Event hat in den vergangenen Wochen so viel explosive Hochspannung erzeugt, dass 55 Prozent der Bevölkerung in Malmö sich laut einer aktuellen Umfrage in ihrer Stadt „nicht sicher fühlen“. Sie wollen die Veranstaltungsorte meiden. Medien zitieren am laufenden Band Einheimische, die in dieser Woche gleich ganz aus Malmö verschwinden.

Dazu zählen vor allem auch Menschen aus der ohnehin schon geschrumpften jüdischen Community. Die Metropole Südschwedens hat einen ausgesprochen hohen Bevölkerungsanteil mit palästinensischen Wurzeln und gilt auf diesem Hintergrund als stark von Antisemitismus geprägt. Israels Nationaler Sicherheitsrat hat seine verschärfte Reisewarnung auch damit begründet, dass in Malmö auf Massaker der Hamas mit mehr als 1200 ermordeten Israelis mit Freudenfesten auf der Straße reagiert worden sei.

Umgekehrt ist auf den ESC eine massive Welle von Forderungen zum Ausschluss Israels wegen der Kriegführung in Gaza mit bisher mehr als 30 000 Toten eingeprasselt. Dem hat die veranstaltende Europäische Rundfunkunion (EBU) widerstanden, aber Textveränderungen beim israelischen Beitrag durchgesetzt, damit der (ursprünglicher Titel „October Rain“) unter keinen Umständen irgendwelche Assoziationen zum Hamas-Angriff am 7. Oktober wecken könne. Weil alles am ESC „unpolitisch“ zu sein habe.

Das Mantra klingt bizarr als Kontrast zu den allseitigen Erwartungen an die Zeit zwischen dem ersten Halbfinale am heutigen Dienstagabend und der Nacht zu Sonntag, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Schwedens Polizei hat sich mit Verstärkung aus Dänemark und Norwegen extrem hoch gerüstet und ist auch mit Panzerwagen demonstrativ präsent in dieser Woche.

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Schwedens Premier Ulf Kristersson schließt sich indirekt den Warnungen wegen erhöhter Terrorgefahr an: „Man muss sich darüber klar sein, dass es Kräfte gibt, die das Ganze ausgesprochen unruhig bis chaotisch haben möchten.“ Deshalb sei es so wichtig, dass die Polizei „gut gerüstet ist“.

Hinter vorgehaltener Hand besteht Einigkeit, dass die dritte Vergabe des ESC an Malmö unter Sicherheitsaspekten eine höchst unglückliche Entscheidung war, aber eben vor dem 7. Oktober als solche nicht absehbar. Jetzt demonstrierte Bürgermeisterin Katrin Stenfeldt Jammeh beim offiziellen Startschuss tapfer Optimismus: „Malmö ist eine globale und junge Stadt, die ihre Vielfältigkeit feiert.“

Nebenan öffnete die kunterbunte Gedächtnis-Ausstellung zu Schwedens größten Eurovisions-Idolen aller Zeiten ihre Pforten. Auch von hier musste die Reporterin von „Sydsvenskan“ Ernüchterndes vermelden: „Auch Abba hat mich nicht in bessere ESC-Stimmung versetzt.“

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