Month: May 2024

Norwegen schützt Justiz in der Verfassung vor Putschisten

Posted on

„Bollwerk“ gegen Putschversuche: Norwegen sichert seine Justiz ab

23.05.2024

Von: Thomas Borchert

Was in Deutschland noch debattiert wird, wird anderswo Realität: Das Parlament in Oslo nimmt den Schutz der Gerichte in die Verfassung Norwegens auf – ohne Gegenstimmen.

Absicherung gegen Putschversuche: Das norwegische Parlament hat einstimmig Verfassungsänderungen zum Schutz der Justiz vor Antidemokraten beschlossen. Damit will man die Ausnutzung rechtsextremer Regierungsmacht entgegenwirken wie sie etwa in Polen und Ungarn zu beobachten waren.

In namentlicher Abstimmung riefen am Dienstag sämtliche Abgeordneten von ganz links über die sozialdemokratisch geführte Regierung bis zu den Rechtspopulisten ihr „Ja“ in den Osloer Parlamentssaal. Damit hat künftig Verfassungsrang, dass Richter:innen bis zum 70. Lebensjahr unabsetzbar sind, die Regierung die Zusammensetzung des Obersten Gerichts nicht durch zusätzliche Ernennungen verschieben kann und sich bei Ersatz-Ernennungen mit einem unabhängigen Fachgremium abstimmen muss.

Politiker wie Donald Trump „mit am gefährlichsten“

Als Initiator sagte der Abgeordnete Peter Frølich von den oppositionellen Konservativen der Zeitung „Dagbladet“: „Wenn die Gerichte zu politischen Werkzeugen gemacht werden, ist der Rechtsstaat in akuter Gefahr.“ Politiker wie Ex-US-Präsident Donald Trump, die Wahlergebnisse nicht anerkennen, nannte Frølich „mit am gefährlichsten für die Demokratie“. Er fuhr fort: „In letzter Konsequenz müssen die Gerichte als Bollwerk Putschversuchen standhalten können.“

Neben dem Regierungslager hinter Premier Jonas Gahr Støre und den hier „Høyre“ („Rechts“) genannten Konservativen stimmte auch die rechtspopulistische Fortschrittspartei für die Verfassungsänderungen. Sie gilt in diesem Spektrum als relativ gemäßigt. Ihr als „Steuerrebell“ gestarteter Gründer Carl I. Hagen (80) nannte die Verabschiedung der Verfassungsänderung denn auch „einen großen Tag für die Demokratie“. Die sozialdemokratische Sprecherin Nadia Tajik begründete die Zustimmung ihrer Partei als Sicherung für die Zukunft gegen „populistische und die Gesellschaft zerstörende Kräfte“: „Norwegen ist gegen solche Strömungen anderswo auf der Welt nicht immun.“

Antidemokratische Kräfte: Norwegen hat in Europa eine Sonderstellung

Zustimmend äußerte sich stellvertretend für das gesamte Rechtswesen Sven Marius Urke, Chef von Norwegens Gerichtsverwaltung,: „Das ist ein großer Tag für die Sicherung unabhängiger Gerichte in herausfordernden Zeiten, die auch auf unser Land zukommen können.“

Norwegens Verfassung aus dem Jahr 1814 kann nur geändert werden, wenn zwischen dem jeweiligen Vorschlag und der Verabschiedung mindestens eine Parlamentswahl stattgefunden hat. Frølich hatte seine Initiative 2021 kurz vor Neuwahlen mit einem Regierungswechsel eingebracht. Er übernahm dabei Empfehlungen einer „Gerichtskommission“, von der die Absicherung einer unabhängigen Justiz als viel zu schwach eingestuft wurde. In der jetzt verabschiedeten Fassung bekommen erstmals auch die zwei unteren Gerichtsinstanzen Verfassungsrang. Richter:innen dürfen nun weder abgesetzt noch gegen ihren Willen versetzt werden. Erstmals auch wird die Unabhängigkeit der Gerichtsverwaltung festgeschrieben.

Das politisch traditionell stabile und mit Reichtum gesegnete Norwegen gehört eindeutig nicht zu den von antidemokratischen Kräften akut bedrohten Staaten. Der allseits hochgeachtete Publizist Harald Stanghelle kommentiert in „Aftenposten“, es gebe solche Kräfte derzeit schlicht und ergreifend nicht. Er zitierte die Vorsitzende von Norwegens Richterverband, Kirsten Bleskestad, die erklärte, der Schutz der Justiz müsse „in ruhigen Zeiten gezimmert werden.

Undercover-Journalist infiltriert Trollfabrik der Schwedendemokraten

Posted on

Tiktok-Hetze in Schweden: Rechte „Trollfabrik“ mit Staatshilfe

16.05.2024

Von: Thomas Borchert

Rechtsradikale Schwedendemokraten betreiben gefälschte TikTok-Konten für ihre Hetze – und werden mit staatlichen Geldern unterstützt.

Stockholm – Fake-Konten zur Gehirnwäsche im Netz werden wohl nicht nur in Russland und Fernost mit Steuergeldern finanziert. Der Stockholmer Privatsender TV4 hat unter dem Titel „Undercover in der Trollfabrik“ enthüllt, wie die rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD) zehn junge Angestellte massenhaft TikTok-Konten unter gefälschter Flagge mit Hetze und rassistischem „Humor“ füttern lassen. Das dürfe als „extrem sensibel“ um keinen Preis ans Licht kommen, hört man in der Doku Pressechef Joakim Wallerström ins versteckte Mikrofon sprechen.

TikTok als rechte Waffe: SD-Trolle mit Festanstellung treiben ihr Unwesen in Schweden

Die SD sind zweitgrößte Partei im größten Land Skandinaviens, für die Regierung als Mehrheitsbeschaffer ein unverzichtbarer Partner und dank 20 Prozent Stimmenanteil mit Steuerzuschüssen reich gesegnet. So konnten sie auch Daniel Andersson anheuern, der dann neun Monate als SD-Troll mit Festanstellung unerkannt für TV4 „gewallrafft“ hat, wie man so etwas in Schweden nach den Einsätzen Günter Wallraffs bei Bild und McDonald’s nennt. Anderssons Material belegt in Wort und Bild, wie Wallerström die zehn als „Netzkrieger“ tituliert und antreibt, über TikTok-Konten mit Fantasienamen politische Kontrahenten und muslimische Zuwanderung niederzumachen.

Dabei müsse man die richtige Mischung finden, erklärt er, wie ein Drogendealer, der ja auch auf dem Schulhof nicht gleich Heroin anbieten, sondern bei den Kids mit Zigaretten anfangen würde. Offenbar findet Wallerströms Trupp den richtigen Pusher-Ton beim Publikum. Laut TV4 wurden für 23 dort mit Sicherheit betriebenen Social-Media-Konten unter falscher Flagge, über drei Monate 27 Millionen Klicks bei 260 000 Followern für 1000 Posts gezählt.

KI generierte Fake Botschaften zum Verspotten der Gegner auf TikTok

Darin sind etwa Ex-Ministerpräsidentin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten mit KI-generierter Fake-Botschaft zu sehen oder ein Eiswagen rattert mit Muezzin-Gesang durch ein ur-schwedisches Dorf a la Bullerbü.

Auch die Partner im Regierungslager werden gern mal verhöhnt, so der konservative Premier Ulf Kristersson, weil er in jüngeren Jahren für eine liberale Einwanderungspolitik und für Abrüstung eingetreten ist. Genüsslich zitierten Stockholmer Medien aus der „Tidö-Vereinbarung“ zur Regierungskooperation, in der die SD 2022 einen bizarren Passus verlangt und bekommen hatten: „Die Partner tragen zum guten Klima der Zusammenarbeit bei, indem sie würdig auftreten und respektvoll über die gegenseitigen Führungskräfte sprechen.“

Keine Entschuldigung von Seiten der SD – Europawahl Chancen für die Rechten stehen gut

Kristersson nahm dies auch nach der Troll-Enthüllung wörtlich und reagierte wie immer vage bei diversen SD-Skandalen seit dem Start der Kooperation Ende 2022: Vage, weich und ohne Konsequenzen. „Die SD haben ernste Probleme mit ihrer Kommunikationsabteilung“, ließ er sich vernehmen und empfahl eine „Entschuldigung“ an all die vielen von der Troll-Fabrik Verunglimpften.

Sanders mobilisiert gegen “Raubtier-Preise” für dänische Schlankheitsspritze

Posted on

Frankfurter Rundschau 15.05.2024 
Sanders gegen die Spritze
Abnehm- und Diabetesmittel von Novo Nordisk boomen. Aus den USA gibt es nun Kritik an den hohen Preisen / Von Thomas Borchert
US-Senator Bernie Sanders macht mobil gegen „Raubtierpreise“ aus Dänemark beim weltweit boomenden Geschäft mit der Abnehmspritze Wegovy und dem identischen Diabetes-Präparat Ozempic. Beim Chef des Herstellerkonzerns Novo Nordisk, Lars Fruergaard Jørgensen, ist im Kopenhagener Vorort Ballerup ein Brief mit Sanders‘ Appell eingegangen, doch bitte nicht durch extrem hohe Preise große US-Krankenversicherungen in den Ruin zu treiben und 85 Millionen nicht oder unzureichend versicherte Menschen von der Nutzung beider Präparate auszuschließen.

„Helfen Sie dem amerikanischen Volk im Kampf gegen die Fettsucht- und Diabetes-Epidemie in unserem Land,“ heißt es fast flehentlich in einem Beitrag des Vorsitzenden im Senatsausschuss für Gesundheit für die größte dänische Zeitung „Politiken“. Hier nennt Sanders die Preisgestaltung von Novo Nordisk „empörend“, „skandalös“, „unerhört“ und „geldgierig“. Er rechnet vor, dass der Konzern für einen Monat Ozempic gegen Diabetes-2 in den USA knapp 900 Euro und für das identische Präparat Wegovy zum Abnehmen 1250 Euro verlange, in anderen „ebenfalls reichen Ländern“ dagegen nur einen Bruchteil. Bei Herstellungskosten von knapp fünf Euro.

Als Beispiel nennt Sanders auch Deutschland, wo ein Monat Ozempic für 65 Euro und Wegovy für 245 Euro (alle Zahlen umgerechnet) zu bekommen sei. Novo Nordisk, mit den gigantischen Einnahmen aus dem neuen „Wundermittel“ im Raketentempo zu Europas wertvollsten Börsenunternehmen aufgestiegen, reagierte sofort: Sanders vergleiche unzulässig Preissetzungen in völlig unterschiedlichen Gesundheitssystemen. Überdies sei der US-Preis für Ozempic seit 2018 ja schon um 40 Prozent gefallen.

Gegenüber „Politiken“ gestand der Gesundheitsökonom Kjeld Møller Pedersen Novo Nordisk zu, dass sich die US-Preise tatsächlich „kompliziert und äußerst speziell“ gestalteten. Indirekt gab er Sanders aber recht: „Es ist das, was wir Raubtier-Preissetzung (predatory pricing) nennen“, wenn Novo Nordisk sein Monopol nutze, so lange es Bestand habe, um den maximalen Profit einzufahren.

Die nicht nur in den USA grassierende Fettsucht-Epidemie und der Schlankheitswahn bescheren dem dänischen Pharmakonzern Rekordzahlen. Im ersten Quartal legte Novo Nordisk beim Umsatz um 24 Prozent zu und erzielte traumhafte 85 Prozent bei der Bruttomarge. Bei Wegovy würden jede Woche allein in den USA 25 000 neue Patientinnen und Patienten dazukommen, verkündete Finanzchef Karsten Munk Knudsen. Man könne vielleicht nicht alle Wünsche befriedigen, denn weltweit habe sich der Umsatz von Wegovy im ersten Quartal verdoppelt.

Wegovy wird in der Regel wöchentlich gespritzt. Es soll den Appetit dämpfen. Für eine dauerhafte Wirkung muss das Präparat laut ersten Studien lebenslang eingenommen werden.

Der Erfolg von Novo Nordisk versetzt Dänemark zusehends in einen Zustand, den die Bevölkerung von Finnland aus der Glanzzeit von Nokia in durchaus gemischter Erinnerung haben dürfte: Das Land boomte und blühte allein dank des Erfolges der Handy-Pioniere im Helsinki-Vorort Espoo. Bis ein neues Gerät namens iPhone dem schnell und radikal ein Ende setzte.

Dänemark erwartet 2024 ein BIP-Plus von 2,4 Prozent, das zur Hälfte dem Novo-Erfolg zugeschrieben wird. Dabei bringt die rasante Ausbreitung von Ozempic und Wegovy auch das heimische Gesundheitssystem ins Knirschen. Von 2021 bis 2023 stieg bei den Krankenhausträgern der Anteil von Ozempic von 7,4 auf 17,7 Prozent des Medikamentenbudgets.

Im Gegensatz zum Schlankheitsmittel Wegovy ist es zuschussberechtigt. Statt 450 Millionen Kronen mussten die von immer neuen Sparrunden gebeutelten Krankenhäuser jetzt 1,4 Milliarden Kronen (190 statt 60 Millionen Euro) für Ozempic überweisen. Oberarzt Reimar W. Thomsen vom Universitätshospital Aarhus berichtete in „Politiken“: „Hausärzte bestätigen, dass es Druck von Patienten Richtung Ozempic gab, bei dem der Wunsch nach Gewichtsverlust äußerst wichtig war.“ Als die Behörden mit der kompletten Streichung der Bezuschussung drohten, senkte Novo Nordisk den heimischen Preis. In Washington hat Bernie Sanders eine Untersuchung der US-Preissetzung im Gesundheitsausschuss angesetzt.

Anspannung vor Beginn des ESC in Malmö

Posted on

Stand: 06.05.2024, 16:02 Uhr

Von: Thomas Borchert

Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö.
Bannerhissen im „Eurovision Village“ im Folkets Park in Malmö. © AFP

Vor dem ersten Halbfinale am Dienstag sind in der Stadt nicht nur ESC-Fans und bunte Fahnen zu sehen, sondern auch Polizei und vereinzelte Gegendemos. Und etliche Einheimische fahren übers lange Wochenende lieber weg.

Der Eurovision Song Contest hat eigentlich wie jedes Jahr losgelegt. Demonstrativ gut gelaunt, farbenfroh und wahlweise elegant, sexy oder albern kostümiert präsentieren sich vor dem Finale am Samstag die 37 Teilnehmer:innen beim immer neuen Interview-Schaulaufen in Malmö. Die ESC-Stimmung sei doch wieder mal unschlagbar, sprach die isländische Sängerin Hera Björk strahlend in ein Mikrofon. Deutschlands Vertreter Isaak (29), präsentiert sich in heimischen Medien als jederzeit zum Lachen aufgelegte Frohnatur, und das finnische Duo Windows95man schwärmt in der Lokalzeitung „Sydsvenskan“ über die ersten Probentage für die 68. Ausgabe des gigantischen Pop-Events: „Wir schmelzen hier alle zusammen wie bei einem Rollercoaster.“

Tali aus Luxemburg allerdings redete nach dem Kompliment des Interviewers für ihre Zöpfe auf die Frage nach dem bisher unangenehmsten ESC-Erlebnis nicht um den heißen Brei herum: „Als wir wegen der Koranverbrennnung den ganzen Tag im Hotel bleiben mussten.“ Dabei hatte die von Rechtsextremen letzte Woche angekündigte Aktion gar nicht stattgefunden.

Die Aufregung liefert einen Vorgeschmack auf das, was in Wirklichkeit alle in Malmö – von den Auftretenden in der „Malmö Arena“ im Vorort Hyllie über die Sicherheitskräfte bis zu den gut 300 000 Menschen in Schwedens drittgrößter Stadt – mehr bewegt als die Frage, ob ihr Land zum achten Mal den Wettbewerb gewinnt oder Isaak das in andere Richtung beeindruckende deutsche „Abo“ auf den letzten Platz erneuern wird: Die meisten hoffen einfach, dass alles glimpflich abläuft.

Warnung vor Terrorgefahr

Bis zum Finale sind mehrere Groß-Demos wegen der israelischen Teilnahme angemeldet. Sowohl am Donnerstag, auch in Schweden ein Feiertag, wenn die Israelin Eden Golan mit ihrem „Hurricane“ beim zweiten Semifinale antritt, und erst recht zum finalen ESC-Countdown am Samstag. Ausgerechnet das harmlose Spaß-Event hat in den vergangenen Wochen so viel explosive Hochspannung erzeugt, dass 55 Prozent der Bevölkerung in Malmö sich laut einer aktuellen Umfrage in ihrer Stadt „nicht sicher fühlen“. Sie wollen die Veranstaltungsorte meiden. Medien zitieren am laufenden Band Einheimische, die in dieser Woche gleich ganz aus Malmö verschwinden.

Dazu zählen vor allem auch Menschen aus der ohnehin schon geschrumpften jüdischen Community. Die Metropole Südschwedens hat einen ausgesprochen hohen Bevölkerungsanteil mit palästinensischen Wurzeln und gilt auf diesem Hintergrund als stark von Antisemitismus geprägt. Israels Nationaler Sicherheitsrat hat seine verschärfte Reisewarnung auch damit begründet, dass in Malmö auf Massaker der Hamas mit mehr als 1200 ermordeten Israelis mit Freudenfesten auf der Straße reagiert worden sei.

Umgekehrt ist auf den ESC eine massive Welle von Forderungen zum Ausschluss Israels wegen der Kriegführung in Gaza mit bisher mehr als 30 000 Toten eingeprasselt. Dem hat die veranstaltende Europäische Rundfunkunion (EBU) widerstanden, aber Textveränderungen beim israelischen Beitrag durchgesetzt, damit der (ursprünglicher Titel „October Rain“) unter keinen Umständen irgendwelche Assoziationen zum Hamas-Angriff am 7. Oktober wecken könne. Weil alles am ESC „unpolitisch“ zu sein habe.

Das Mantra klingt bizarr als Kontrast zu den allseitigen Erwartungen an die Zeit zwischen dem ersten Halbfinale am heutigen Dienstagabend und der Nacht zu Sonntag, wenn die Stimmen ausgezählt sind. Schwedens Polizei hat sich mit Verstärkung aus Dänemark und Norwegen extrem hoch gerüstet und ist auch mit Panzerwagen demonstrativ präsent in dieser Woche.

zeitungs logo

Schwedens Premier Ulf Kristersson schließt sich indirekt den Warnungen wegen erhöhter Terrorgefahr an: „Man muss sich darüber klar sein, dass es Kräfte gibt, die das Ganze ausgesprochen unruhig bis chaotisch haben möchten.“ Deshalb sei es so wichtig, dass die Polizei „gut gerüstet ist“.

Hinter vorgehaltener Hand besteht Einigkeit, dass die dritte Vergabe des ESC an Malmö unter Sicherheitsaspekten eine höchst unglückliche Entscheidung war, aber eben vor dem 7. Oktober als solche nicht absehbar. Jetzt demonstrierte Bürgermeisterin Katrin Stenfeldt Jammeh beim offiziellen Startschuss tapfer Optimismus: „Malmö ist eine globale und junge Stadt, die ihre Vielfältigkeit feiert.“

Nebenan öffnete die kunterbunte Gedächtnis-Ausstellung zu Schwedens größten Eurovisions-Idolen aller Zeiten ihre Pforten. Auch von hier musste die Reporterin von „Sydsvenskan“ Ernüchterndes vermelden: „Auch Abba hat mich nicht in bessere ESC-Stimmung versetzt.“

Mehr arbeiten fürs Militär kommt schlecht an in Dänemark

Posted on

Dänemark: Regierung schafft Feiertag ab und erlebt ihr Waterloo

02.05.2024

Von: Thomas Borchert

Die Abschaffung des „Großen Bettags“ verursacht in Dänemark viel Wirbel. Die Regierung schmiert in den Umfragen ab.

Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zieht es mit aller Macht nach Brüssel. Auf dem Weg zum angestrebten, aber keineswegs sicheren EU-Topjob nach der Europawahl hat es die Sozialdemokratin auf jeden Fall schon bis Waterloo geschafft, ohne Kopenhagen zu verlassen.

Selten ist hier jemand als unantastbare Nummer Eins so steil abgestürzt wie die 46- Jährige mit dem Projekt, ihr Volk zu mehr Arbeitsfleiß zu erziehen. „Ich bin mir nicht sicher, dass alle um 16 Uhr vom Fließband nach Hause gehen sollten,“ belehrte sie die sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger im Königreich. Sie prophezeite düster, dass man auf Dauer nur bestehen könne, „wenn wir genauso einen hohen Gang einlegen wie die Russen“. Denn: „Die Russen gehen nicht nach Hause. Die machen weiter.“

Russen im hohen Gang sind eine seltsame Vergleichsgröße und um 16 Uhr vom Fließband heimgehende Arbeitskräfte im Hightech-Paradies Dänemark ein eher altertümlicher Maßstab. Schon 2023 beim Entscheid für die ersatzlose Streichung eines Feiertags, hagelte es Proteste. Die „Hygge“-Weltmeister in Dänemark lassen sich nicht gern von einer Berufspolitikerin ohne eigene Job-Erfahrung vorhalten, ihre Arbeitsmoral lasse zu wünschen übrig. Schon gar nicht, wenn die Begründung daherkommt, als seien die Adressaten Kinder in der Grundschule.

Das ganze Ausmaß des Desasters für Frederiksen und ihre zwei bürgerlich rechten Koalitionspartner ist aber erst jetzt klargeworden, als die Bevölkerung zum ersten Mal auf den „Großen Bettag“, stets ein Freitag zwischen Ostern und Pfingsten, verzichten musste. Aktuelle Umfragen sind für die Regierungschefin so katastrophal ausgefallen, dass die Medien in den Nekrolog-Ton wechselten. Frederiksens Sozialdemokratie hat mit 17 Prozent einen nie zuvor gemessenen Tiefststand erreicht, der den dringenden Umzugswunsch der Chefin Richtung Brüssel als „nach mir die Sintflut“ für alle einleuchtend erklärt.

Die Regierungschefin hatte die Feiertagsstreichung zunächst mit zu mageren Staatsfinanzen begründet: Die Alterspyramide, zu wenig Arbeitskräfte bei immer höherem Bedarf im Pflege- und Gesundheitssektor, das ist in Dänemark nicht anders als in Deutschland. „Jeder von uns“ müsse jetzt ein bisschen mehr leisten und das Steueraufkommen vermehren, damit der hohe dänische Wohlfahrtsstandard zu halten sei, so die Politikerin.

Als die Steuereinnahmen dank eines Wirtschaftsbooms, anders als beim großen Nachbarn im Süden, ganz von selbst auf Rekordhöhen kletterten, wechselte die Begründung für die Feiertagsstreichung auf „die Russen“ mit ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Man müsse sich gegen Moskaus Expansionsdrang durch mehr Arbeiten für den Militärhaushalt wappnen. Drei Milliarden Kronen (400 Millionen Euro) sollen durch den gestrichenen Feiertag zusätzlich in die Staatskasse fließen. Als die Regierung aber auch frohgemut vorrechnete, sie sehe eigentlich keine Probleme bei der Finanzierung von zusätzlich 195 Milliarden Kronen für die Rüstung (bis 2032), fühlte sich die Wählerschaft noch mal für dumm verkauft.

Die handfesten Folgen haben am ersten arbeitspflichtigen „Bettag“ seit 350 Jahren vor allem all die getroffen, die etwa am Steuer von Bussen, in Supermärkten, Krankenstuben oder beim Putzen von Regierungs- sowie Medienbüros persönlich anwesend sein müssen. Wer Homeoffice machen kann, hat im gerade prächtig aufblühenden Sommerhaus-Garten den Feiertag womöglich privat über die Runden retten können.

Nachdem sich die bisher instinktsichere Populistin Frederiksen hier vor allem gegenüber der Stammwählerschaft total verrechnet hat, sieht die politische Konkurrenz ihre Stunde gekommen. Es läuft so bizarr mit knackigen Statements wie in der weltberühmten TV-Serie „Borgen“ über Kopenhagener Politik-Ränke: Eine Partei nach der anderen verkündet jetzt vor den Kameras, man werde nach dem Sieg in der nächsten Wahl „selbstverständlich den Dänen ihren Großen Bettag zurückgeben“. Ein dankbareres Wahlkampfthema gegen die Regierenden findet sich selten, und so prophezeit die Zeitung „Information“: „Der tote Bettag wird Mette Frederiksen weiter verfolgen wie ein Zombie.“