Dänemarks Regiering will assistierten Selbstmord legalisieen

Heftige Diskussion über Sterbehilfe in Dänemark
- März 2024
Von Thomas Borchert
In Dänemark, wo bislang auch der in Deutschland erlaubte „assistierte Suizid“ verboten ist, nimmt eine Debatte über Sterbehilfe Fahrt auf – ausgelöst vom Fall eines prominenten Paares.
In Dänemark ist verboten, was man dort aktive Sterbehilfe nennt und hierzulande auch assistierten Suizid, der unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Dass sie für die Legalisierung in ihrem Land eintritt, hatte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen beim sommerlichen „Volkstreffen“ auf der Insel Bornholm verkündet und damit einen mittleren Orkan ausgelöst. Die 46-Jährige nahm auf der Rednertribüne vor der glitzernden Ostsee-Kulisse ein bisschen Anlauf: Sie wisse schon, dass das eine „ganz schwere Debatte“ sei. Um sich dann ohne Wenn und Aber für die Freigabe von Sterbehilfe auszusprechen. Umfragen bringen stets klare Mehrheiten dafür.
„Viel deutet darauf hin, dass es vielen von euch genauso geht,“ ruft sie denn auch ins Publikum, das mit atemloser Stille reagiert. Ihr Outing macht die Sterbehilfe im Land der „Hygge“ mit dem glücklichsten Volk der Welt zum Topthema. „Sie hat die Büchse der Pandora geöffnet“, kommentiert TV2. Frederiksen kündigt eine staatliche „Kommission für einen würdigeren Tod“ an. Sie erzählt von ihrer früh gestorbenen Mutter nach mehreren Jahren mit Krebs: „Wenn ich so viel Rückfälle über so viele Jahre gehabt hätte, hätte ich mir bestimmt einen anderen und friedvolleren Abschied gewünscht.“ Ob die Mutter sich auch aktive Sterbehilfe gewünscht hat, bleibt ungenannt.
Dass er auch Prostatakrebs hat, wird nur am Rande erwähnt
Im Herbst meldet sich als Kronzeuge in Echtzeit der Filmproduzent Ebbe Preisler, 81, mit seiner Ehefrau Mariann Preisler, 80, zu Wort. „Wir wollen sehr gerne sterben“ ist ihr Essay in Dänemarks größter Zeitung „Politiken“ überschrieben. Nur der Ehemann kann ihn verfasst haben, weil die Kunsthandwerkerin Mariann nach 26 Jahren mit Parkinson auch dement ist und kaum noch sprechen kann. Die Schmerzen seien nunmehr unerträglich, was alles zusammen Marianns Wunsch nach dem möglichst schnellen Ende des Lebens unabweisbar macht, liest man in dem langen Text. Ebbe Preisler begründet seinen Drang zum gemeinsamen Tod anders: „Mein Problem ist, dass es mir an Lebenslust fehlt.“ Ihn plage „Unbehagen darüber, was der Mensch dem Menschen antut, und dem Planeten sowieso“, er habe das „ehrlich gesagt satt“.
Dass er auch Prostatakrebs hat, wird nur am Rande erwähnt. Einfach gemeinsam Suizid zu begehen, sei leider nicht möglich, weil „die Kinder und Enkel das nicht akzeptieren würden“. Und: „Die Gesellschaft huldigt einem Dogma, wonach alle so lange wie möglich leben müssen, ob sie nun Lust dazu haben oder nicht.“
Im Herbst auch veröffentlicht der Ethikrat, ein Moral-Wegweiser für das Parlament und staatliche Stellen mit hoher Autorität, seine fast einstimmige Stellungnahme gegen jede Form aktiver Sterbehilfe. Er begründet das unter anderem damit, dass „selbst Menschen nach lang anhaltendem Todeswunsch Stunden mit Ambivalenz und Zweifel erleben“. Und: „Das Einzige, was das Leben von und die Achtung vor denen schützt, die in der Gesellschaft am verletzlichsten sind, ist ein ausnahmsloses Verbot (aktiver Sterbehilfe).“
Der Ehemann hat der Schlafenden eine tödliche Dosis Morphin injiziert
Als Stimme für die „Verletzlichsten“ sprechen sich sämtliche Organisationen von Menschen mit Handicaps gegen die Zulassung aus. „Es ist zweifellos billiger, uns einen würdigeren Tod anzubieten als ein würdigeres Leben,“ schreibt die körperlich schwerbehinderte Ditte Guldbrand Christensen von der Gruppe „Noch nicht tot“.
Zu Weihnachten tot ist Mariann Preisler. Der Ehemann hat der Schlafenden am zweiten Feiertag um 22 Uhr in ihrem Kopenhagener „Pflegeheim Königin Anne-Marie“ eine tödliche Dosis Morphin injiziert. In der Nacht schluckt er in seiner Wohnung das gleiche Präparat und schickt 51 Mails an die Kinder, andere Angehörige und den Freundeskreis: Er habe seine Frau erlöst und beende nun sein Leben auf dieselbe Art.
Für das Gelingen von Letzterem hätte er besser keine Abschiedsbotschaften verschickt. Tochter Louise liest die Mail nachts um 2.30 Uhr und eilt sofort zur Mutter, die schon tot ist. Sie radelt weiter in die Wohnung des Vaters, wohin auch der Rettungsdienst kommt und dem Bewusstlosen ein Gegengift verabreicht.
Die Staatsanwaltschaft beantragt Untersuchungshaft gegen Ebbe Preisler wegen Verdachts auf Totschlag: „Man kann Mitgefühl haben mit dem Vorgehen des Verdächtigen, aber es ist nach dänischem Recht nun mal verboten.“ Es sei auch nicht von dem milderen Verdacht einer „Mitleidstötung“ auszugehen, weil Mariann Preisler gar nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen solchen Wunsch zum Ausdruck zu bringen.
Gegen Preisler, noch im Koma in einem Krankenhausbett, werden in Abwesenheit zwei Wochen Untersuchungshaft verhängt. Beide Kinder und der Bruder stellen sich ohne Zögern und voller Wärme öffentlich hinter seine Handlungsweise. Sohn Jonas sagt einer Reporterin: „Vor allem soll klarwerden, dass das hier kein Totschlag war. Das war eine Liebeserklärung.“
Zu Silvester ist Ebbe Preisler wieder so weit hergestellt, dass er beim zweiten Hafttermin den Hergang erklären kann: „Ich hab Mariann gefragt, ob es heute passieren soll, dass wir beide sterben. Sie nickte und sagte ja.“ Auch hier: Er habe sie „von ihren Leiden erlöst“. Aber Preisler muss für weitere elf Tage ins Vestre-Gefängnis, jeweils 23 der 24 Stunden in Isolationshaft.
Freigelassen wird er anderthalb Stunden vor der Beisetzung seiner Ehefrau. Die Berufungsinstanz sieht den Verdacht auf Totschlag nach wie vor als gegeben an, aber wegen der klaren Sachlage keinen Grund zu Haft. Zwei Kripo-Beamte fahren Preisler zur Trauerfeier in der Lindevang-Kirche, wo er und Mariann sich drei Jahre zuvor an ihrem 50. Hochzeitstag noch einmal das Ja-Wort gegeben hatten. Sie wollten ihre gegenseitige Liebe bekräftigen. Bei der Ankunft zur Beisetzung wird der überlebende Teil des Paares mit herzlichem Applaus empfangen.
„Es ist vollkommen fantastisch, wieder neu geboren zu sein“, sagt er jetzt
Nach dem Verlassen der Kirche steht er den Medien Rede und Antwort. Sein Wunsch zu sterben sei nunmehr Vergangenheit: „Es ist vollkommen fantastisch, wieder neu geboren zu sein.“ Fortan will er sich für die Freigabe der aktiven Sterbehilfe genauso aktiv einsetzen wie für bessere Haftbedingungen im Vestre-Gefängnis. Die seien unzumutbar gewesen. Zwei Wochen später ist seine flammende Anklageschrift genau da zu lesen, wo Preisler ein paar Monate vorher den gemeinsamen Todeswunsch mit Mariann erklärt hatte.
Seine Grundhaltung ist jetzt radikal anders: „Ich will weiterleben und mit allen Kräften einen Sinn in diesem Dasein finden. Ich habe ja auch große Freude am Schreiben.“ Die ganzseitige Reportage von der Trauerfeier in „Politiken“ schließt mit dem Satz: „Danach hakte sich die Schwiegertochter bei Ebbe Preisler ein und führte ihn Richtung Leichenschmaus und Wärme.“ Das Dänische bietet für das wärmende Beisammensein nach einer Beisetzung mit „gravøl“ („Grabesbier“) einen milderen Ausdruck als die deutsche Entsprechung.
Auf Preisler kann ein Urteil wegen Totschlags mit bis zu fünf Jahren Haft zukommen
Beim nun bevorstehenden Gerichtsverfahren kommt auf Preisler entweder ein Urteil wegen Totschlags mit bis zu fünf Jahren Haft oder nach dem Paragraf über „Mitleidstötungen“ eine milde Strafe zu. Für die Initiative von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe hat der Fall enorm zusätzliche Zustimmung gebracht. In sozialen und traditionellen Medien hagelt es Fallschilderungen von qualvoll durchlittenen letzten Lebensphasen von Menschen mit Todeswunsch, den die Ärzteschaft nicht erfüllen darf. Die Mehrheit im Parlament ist der Ministerpräsidentin sicher.
Frederiksen kommentiert im Interview: „Ich kann überhaupt kein ethisches Problem darin sehen, dass ein Mensch unter bestimmten Umständen sagt, ich hab jetzt einfach keine Lust mehr, hier zu sein.“ Dänemarks Ärzteverband sieht schon ein Problem: „Aktive Sterbehilfe ist eine Rutschbahn. Was erst gerichtet ist auf mündig sterbende Patienten mit physischen Schmerzen, weitet sich dann aus auf Personen mit ernsten Behinderungen, auf Kinder und Menschen mit psychischen Schmerzen.“
Auch Ebbe Preisler sieht das inzwischen nicht mehr ganz so eindeutig. In seinem vorerst aktuellsten Zeitungsbeitrag schreibt er: „Bei Teilen der sogenannten aktiven Sterbehilfe habe ich genauso starke Bedenken wie andere auch. Aber ich versuche, mir dazu Gedanken zu machen, und die will ich im Lauf der Zeit mit der Öffentlichkeit teilen.“
Was erlaubt ist
In Deutschland sind passive und indirekte Sterbehilfe sowie assistierter Suizid erlaubt. Den Weg frei gemacht hat das Bundesverfassungsgericht 2020 mit seinem Urteil, wonach jeder Mensch selbstbestimmt über den eigenen Tod entscheiden kann. Als legal stuft das Gericht auch die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid ein. Verboten ist weiter die „Tötung auf Verlangen“ durch eine andere Person. Es gibt auch keinen Rechtsanspruch auf Medizin zur Selbsttötung.
Im Klartext bedeutet dies, dass Ärzte und Ärztinnen Menschen mit Sterbewunsch unter bestimmten Voraussetzungen ein tödlich wirkendes Präparat in die Hand geben oder eine Infusion legen können. Die Medikamente einnehmen oder die Infusion öffnen dürfen nur die Betroffenen selbst.
Seit dem Karlsruher Urteil können sich Volljährige mit ihrem Sterbewunsch an drei private Organisationen wenden, die Sterbebegleitung gegen Bezahlung anbieten. Sie lassen zunächst klären, ob der Todeswunsch in mündiger Weise, aus freiem Willen getroffen und klar begründet sowie nachhaltig ist. Am Ende stellen sie einen persönlich anwesenden Arzt oder eine Ärztin mit der für die Selbsttötung benötigten Medizin.
In Dänemark ist dieser assistierte Suizid, dort als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet, verboten. Erlaubt ist lediglich, was auch in Deutschland als passive oder indirekte Sterbehilfe eingestuft wird und in Krankenhäusern und Hospizen als Palliativmedizin zum Alltag gehört: Die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen und/oder Erhöhung einer Medikamentendosis, die den Sterbeprozess beschleunigen kann.
In den Niederlanden , Belgien und Luxemburg können auch Kinder – mit Zustimmung der Eltern – sowie psychisch Kranke Sterbehilfe in Anspruch nehmen. tob