Über die Handball-Großmacht Dänemark

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Pfannkuchen für den Turniersieg

25.01.2024

Von: Thomas Borchert

Deutschland, Deutschland alles ist vorbei“ sangen hunderttausend Menschen nach dem größten Erfolg der dänischen Sportgeschichte vor Kopenhagens Rathaus selig und ein bisschen hämisch auf Deutsch. Was die Fußballer 1992 hier nach ihrem EM-Sensationssieg gegen den großen Nachbarn und den einzigen Turniersieg überhaupt vom Balkon aus erleben durften, ist für die Kollegen vom Handball schon fast Routine. Auf zwei EM-Titel und drei Weltmeisterschaften folgte jedes Mal das Festritual, zu dem auch das Verdrücken kleiner Rathaus-Pfannkuchen gehört. „Pfui Teufel, widerlich“, fand sie der legendäre Lars Christiansen bei der ersten dieser Feiern 2008.

Dänemarks Handballer sind von Titeln verwöhnt – und spielen gerne in der Bundesliga. am liebsten in Flensburg

Nie aber würde dem längst pensionierte Nationalspieler oder den Fans irgendwelche Häme Richtung Deutschland, Gegner am Freitag (20.30 Uhr/ZDF) im EM-Halbfinale, in den Sinn den kommen. Im Gegenteil. Dass das kleine Dänemark im Handball die sportlich wie auch sonst ungewohnte Rolle einer Großmacht übernommen hat, ist auch der Bundesliga zu verdanken. Fans und Spieler lieben sie. Elf von 19 Spielern im aktuellen dänischen EM-Kader spielen in Deutschland, allein fünf bei der SG Handewitt-Flensburg unweit der Grenze. Christiansen hat hier vor einem stets deutsch-dänisch gemischten Publikum 14 Jahre lang so grandios für Tore und Stimmung gesorgt, dass der Platz vor der Halle hochoffiziell nach ihm benannt ist. Man staunt beim googeln: Es gibt ihn wirklich, den „Lars-Christiansen-Platz“.

Die Glanzzeit des 51-Jährigen steht für den Wiederaufstieg des dänischen Männerhandballs, den die Handballerinnen in Gang gebracht haben. In den 1990er Jahren machten die Frauen im traditionellen Rotweiß mit ihren EM-, WM- und Olympia-Turniererfolgen in Serie Handball zu einem TV-Straßenfeger mit Popstarstatus. Handball war damit „in“, aber ohne die erfolglos, matt und unbeachtet vor sich herspielenden Männer. Zur Wiederbelebung wurde ihnen 2005 der erfolgreiche, aber auch knallharte und mitunter tobsüchtige Frauentrainer Ulrik Wilbek verordnet. Das funktionierte bestens, auch für Wilbek. Nach dem Abschied vom Handball eroberte er für die Rechtsliberalen das Bürgermeisteramt in Viborg und hat nebenbei einen Packen Bücher über erfolgreiche Menschenführung geschrieben.

Hansen oft nur Ersatz

Zwei Bücher gibt es über Mikkel Hansen zu lesen, der als zeitweise bester Handballer der Welt die dänische Erfolgsgeschichte seit fast zwei Jahrzehnten verkörpert wie kein anderer. Der Rolle als „everybody‘s darling“ hat der Hüne mit den langen Haaren und Stirnband sich allerdings verweigert. Man sieht ihn nie in geselligen TV-Sendungen. Eine Woche nach dem letzten WM-Titel meldete er sich stressbedingt krank ab: „Es ist einfach zu viel.“ Als Grund für seine zehn Jahre in Paris bei der PSG gab er stets an, dass er hier unerkannt durch die Stadt laufen konnte. Wobei auch, versteht sich, die Spitzengage von Belang war.

Hansen, der als einer der wenigen dänischen Profis nie in der Bundesliga gespielt hat, steht auch für den Einzug des viel größeren Geldes im eigenen Land. 2010 war er zusammen mit Keeper Niklas Landin dabei, als ein wohl doch leicht größenwahnsinniger Sponsor ein dänisches All-Star-Team unter dem Namen AG Kopenhagen zusammenkaufte. Nach zwei Jahren war die Pleite da, Hansen zog nach Paris. Seit 2023 spielt er im heimischen Aalborg. Dass er bei der EM in Deutschland nur noch auf wenige Einsatzminuten kommt, kommentiert er wie immer ohne Drang, allen zu gefallen: „Da müsst ihr den Trainer fragen. Ich will immer gern spielen.“

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