Vulkanausbruch in Island trifft eine ganze Stadt

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Die Ohnmacht angesichts der Lava in Island

15.01.2024

Von: Thomas Borchert

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Der Vulkanausbruch auf der Halbinsel Reykjanes zeigt, dass sich die Menschen auf Island gegen die Naturgewalten zu wappnen wissen – ihnen aber trotzdem ausgeliefert sind.

Als der Lavastrom die ersten Häuser seiner Stadt förmlich aufgefressen hatte, sagte Grindavíks Bürgermeister Fannar Jónasson: „Wenn die isländische Natur ihre Macht demonstriert, können wir wenig ausrichten.“ Nach dem Vulkanausbruch am Wochenende müssen die gut 4000 Menschen hier an Islands Südwestspitze befürchten, dass ihre Heimstätten auf Dauer unbewohnbar bleiben. Niemand vermag vorherzusagen, ob, wie, wann und wo der Druck in der Magmakammer unter der Halbinsel Reykjanes wieder so unaufhaltsam wächst, dass sich neue Risse mit unzähmbaren Feuerströmen auftun.

Das zeigte sich auch nach dem Ausbruch nördlich von Grindavík erst im November und dann wieder Mitte Dezember mit zweimaliger Evakuierung der Bevölkerung. Zum Schutz der Stadt wurde ein massiver Erdwall errichtet, und zwar genau dort, wo Islands in aller Welt als besonders sachkundig anerkannte Vulkan-Expertise die Lavaströme vorausberechnet hatte. Die kamen hier auch an, die Wälle hielten, aber „die Natur“ entließ einfach aus einem neuen, so nicht erwarteten 900 Meter langen Riss von Süden her und eben direkt am Stadtrand die brennend fließende Lava.

Hrannar Jón Emilsson, wie alle aus Grindavík evakuiert, fand es am Sonntag „surrealistisch, live im TV mitzuerleben, wie das eigene Haus einfach verschwindet.“ Andere, deren Heimstätten eigentlich verschont blieben, äußerten sich genauso düster über ihre Zukunftsaussichten: Die Infrastruktur sei vermutlich viel zu stark beschädigt, niemand wisse, wie tief die Risse im Untergrund des Stadtgebietes und in den Gebäuden sitzen. Und vor allem wisse niemand, wann und wo der nächste dieser Vulkanausbrüche kommen wird.

Die Behörden sprachen vom „denkbar schlechtesten und so nicht erwarteten Verlauf“, Regierungschefin Katrin Jakobsdóttir gar von einem „schwarzen Tag für Island“. Präsident Gudni Jóhannesson beklagte den „beängstigenden Beginn einer Periode von Unsicherheit“ durch die „lange schlummernden und neu erwachten unterirdischen Vulkankräfte auf Reykjanes“.

Deren Macht zeigt auch der bisher einzige Todesfall. Beim Versuch, einen Erdriss aufzufüllen, fiel vorige Woche ein Arbeiter in eben diesen mehr als zehn Meter mit Wasser gefüllten Riss in zehn Meter Tiefe. Alle Versuche, ihn oder zumindest seinen Leichnam zu bergen, mussten nach mehreren Tagen wegen Instabilität des Erdreiches abgebrochen werden.

Immerhin brachte der Montag die positive Nachricht, dass der akut gefährliche Ausbruch am Südrand von Grindavík seine Aktivität schon wieder eingestellt hat. Vorerst jedenfalls. Die Regierung im knapp 50 Kilometer entfernten Reykjavik beriet gleichzeitig, wie den in alle Winde verstreuten Einwohner:innen geholfen werden könne. Für das kleine Land, in dem insgesamt nur knapp 400 000 Menschen leben, ist die Unterbringung von 4000 plötzlich Obdachlosen alles andere als eine Kleinigkeit.

Bei der Klärung des Wie hilft den Isländer:innen ihre reiche Erfahrung im Umgang mit Naturkastrophen. Seit der Besiedlung der Insel mit dem unwirtlich harten Nordatlantik-Klima vor gut einem Jahrtausend gehören Vulkanausbrüche mit unterschiedlich schlimmen Folgen einfach zum Leben dazu. Zuletzt wurde 1973 auf den Westmännerinseln die Stadt Heimaey durch einen Vulkanausbruch fast vollkommen verschüttet. Die 4500 Einwohner:innen konnten auf Fischerbooten fliehen, ihre Stadt haben sie nach und nach neu aufgebaut.

Dass seitdem keiner der mehr als 30 aktiven Vulkane mehr Menschen bedroht hat, gilt in Island als gute Zeit, für die man wohl dankbar sein müsse. Die Autorin Steinunn Stefánsdóttir meint zu dem in ihrem Land so ausgeprägten Grundgefühl, gegenüber überwältigend starken Naturkräften zwar machtlos zu sein, aber in der Not zusammenzustehen und unverdrossen weiterzumachen: „Es ist in den letzten Jahren noch stärker geworden durch das Erlebnis der Corona-Epidemie, da fühlten wir uns auch vollkommen ohnmächtig.“

Genauso sei es 2008 gewesen, als größenwahnsinnige Bankenchefs das kleine Land in den kollektiven Bankrott geführt hatten. Und ein paar Jahre danach habe alle Welt gestaunt, wie schnell Island auch diese Katastrophe bewältigt hatte.

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