Schweden setzt massiv auf Atomkraft

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Ausstieg aus dem Atomausstieg: Schweden baut jetzt zehn neue Atomkraftwerke

Stand: 21.11.2023

Von: Thomas Borchert

In Schweden will die konservative Regierung bis 2045 zehn neue Groß-Reaktoren in Betrieb nehmen. Dabei hatte das Volk vor vier Jahrzehnten für ein Atomkraft-Aus votiert.

Stockholm – Schwedens Rechtsregierung macht Ernst mit dem Ausstieg aus dem Atomausstieg. 43 Jahre nach einer Volksabstimmung und dem Reichstagsbeschluss zur Abschaltung aller zwölf Reaktoren kündigt Wirtschafts- und Energieministerin Ebba Busch an: „Schweden schickt sich an, wieder eine führende Atomkraft-Nation zu werden und auch ein Machtfaktor für den grünen Wandel.“ Mit der Inbetriebnahme zehn neuer Groß-Reaktoren bis spätestens 2045 soll die für den Industriestandort Schweden „im Prinzip notwendige Verdoppelung der Stromerzeugung“ bewältigt werden. Dafür will die Regierung Genehmigungsverfahren beschleunigen und stellt 400 Milliarden Kronen (3,5 Milliarden Euro) als staatliche Risikogarantie für private Investoren bereit.

Atomkraft in Schweden für 31 Prozent der Stromversorgung verantwortlich

Das Referendum 1979 und der Parlamentsentscheid ein Jahr später folgten der teilweisen Kernschmelze im US-Atomkraftwerk Harrisburg. Von der geplanten Stilllegung aller vier heimischen Standorte wurde nur die des Atomkraftwerks Barsebäck voll realisiert, weil es in unmittelbarer Nähe der Großstädte Malmö und Kopenhagen platziert war. Heute sind sechs der ursprünglich zwölf schwedischen Reaktoren weiter in Betrieb und stehen für 31 Produzent der Stromerzeugung. Die Wasserkraft liefert 43 Prozent, die Windkraft 20 Prozent.

„Stabiler Zugang zu fossilfreier Elektrizität mit konkurrenzfähigen Preisen ist eine wichtige Voraussetzung für Schwedens Konkurrenzkraft“, teilte die Regierung mit. Der konservative Premier Ulf Kristersson setzt voll und ganz auf die Kernkraft-Karte. Sie soll Deindustrialisierung und Wohlstandsverlust verhindern. Die gut zehn Millionen Menschen im größten Land Skandinaviens kämpfen mit dem krassem Wertverlust ihre Währung Krone, hoher Inflation und steigender Arbeitslosigkeit.

Schweden: Konservative setzen auf Energie aus Atomkraftwerken

Vor diesem Hintergrund hatte das bürgerliche Lager im letzten Wahlkampf den Ausbau der Atomkraft versprochen. Damit hatte der Herausforderer Kristersson die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson ablösen können. Deren Partei tritt zwar auch für die Atomkraft ein, aber eher halbherzig, während das bürgerliche Lager mit großen Versprechungen um Wählerstimmen geworben hatte: Atomkraft garantiere sicheren und billigen Strom, man werde die hohen Spritpreise runterbringen, und es solle Schluss sein mit immer mehr „Wäldern aus Stahl“ – sprich Windkraftanlagen.

Hinter dem Feldzug gegen die Windenergie stehen vor allem die Schwedendemokraten (SD), von deren Stimmen Kristersson als Mehrheitsbeschafferin abhängig ist. Die rechtspopulistische SD wettert schon lange gegen die Energiequelle Wind als Symbol für „Klima-Spinnertum“. Mit Folgen: Im Regierungsprogramm einigte man sich darauf, die kommunalen Einspruchsmöglichkeiten gegen neue Windkraftanlagen kräftig zu erweitern. Und propagierte die Atomkraft als vorgeblich einzig zuverlässige Möglichkeit, sowohl ausreichend sowie billigen und auch CO₂-freien Strom zu erzeugen.

Schwenk bei der Klimapolitik in Schweden

Das Ziel der schwedischen Klimapolitik hat die Regierung deshalb kurzerhand umdefiniert von 100 Prozent „nachhaltig“ auf 100 Prozent „fossilfrei“. Im Zentrum der Debatte steht aber weder diese klimapolitische Weichenstellung noch das ungelöste Problem der Endlagerung radioaktiven Abfalls. Gestritten wird vor allem über die Kosten.

Atomkraft sei viel zu teuer, argumentierten die Sozialdemokraten, bis ihnen das Wahlergebnis und Meinungsumfragen ein Umschwenken schmackhaft gemacht haben. Im Reichstag halten nur noch die Links- und die Umweltpartei an der Anti-Atomkraft-Linie fest. Und selbst die grüne Jugend der „Miljöparti“ findet, dass ohne Kernkraftwerke keine klimapolitischen Ziele erreichen werden können. Als die Chefin des staatlichen Energiekonzerns Vattenfall, Anna Borg, nicht begeistert genug auf die Ausbaupläne der Regierung regierte, sagte SD-Chef Jimmie Åkesson im Interview: „Es ist Zeit, sie auszuwechseln.“

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