Das Gegenteil von Deutschland: Schweden straft und ächtet Bordell-Kundschaft

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  1. Schwedens rigide Regeln: Wie das Sexkauf-Verbot wirkt

Stand: 13.11.2023,

Von: Thomas Borchert

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Freier und Sexarbeiter:innen müssen mit dramatischen Folgen rechnen, Prostitution ist in Schweden geächtet. Unklar ist, ob sie sich verringert hat.

Stockholm/Frankfurt – Rund 24 Jahre nach Einführung des Sexkauf-Verbots ist man sich in Schweden über eine Konsequenz einig. „Dank dieses Gesetzes findet es bei uns fast niemand mehr okay, Sex zu kaufen,“ lobt Rebecka Andersson von Unizon, der Dachorganisation für Frauenhäuser. Im Reichstag stehen sämtliche Parteien von links bis ganz rechts hinter der 1999 als Weltneuheit beschlossenen Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienste. Damals fanden das nach Umfragen zwei Drittel der Bevölkerung falsch oder überflüssig. Heute äußern sich 80 Prozent positiv. In Deutschland denkt aktuell die Union über ein Verbot nach, die Grünen sind dagegen.

Schweden ächtet Sexkauf: Auch Prominente stolperten über Vorwürfe

Die Autorin Helena Björk gibt schon mit dem Titel „Socialt uacceptabelt“ ihrer aktuellen Studie über die heimische Prostitutionspolitik zu erkennen, dass auch sie dies für die wichtigste Konsequenz hält. Der spektakuläre Rücktritt eines Spitzenpolitikers veranschaulicht das für sie: Ein einziger Boulevard-Artikel im Jahr 2010 mit der Behauptung einer Frau, der damalige Arbeitsminister Sven Otto Littorin habe sie für Sex im Hotel bezahlt, führte zum Rücktritt binnen Stunden. Sein Regierungschef Reinfeldt distanzierte sich vom Parteifreund. Dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ohne Anklageerhebung einstellte, blieb unbeachtet. Björk dazu: „Die Reaktionen zeigen, wie sehr sich die sozialen Normen verändert haben.“

ImJahr 2020 verwandelte eine „Sexköp“-Razzia der Stockholmer Polizei den TV-Koch, Yogaguru und Schauspieler Paolo Roberto ebenfalls im Handumdrehen vom allseits beliebten Super-Promi zum geächteten Paria. Trotz reuiger Selbsterniedrigung im Interview („Mein Handeln ist das Schmutzigste, Widerlichste, was man einem anderen Menschen antun kann,“) setzten Buchverlag, TV-Sender, Supermarkt- und Fitnessketten ihr Zugpferd sofort unwiderruflich vor die Tür.

Mit so einem will sich niemand mehr gemein machen. Zumal in diesem Fall die junge Frau aus Rumänien mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch noch aus einem armen Land ins reiche Skandinavien geschleust wurde – so wie die große Mehrzahl der auch in Schweden immer noch aktiven Sex-Arbeiterinnen.

Nachfrage nach Sexkauf sank in Schweden – doch an konkreten Zahlen mangelt es

Denn es gibt sie nach wie vor, trotz der ihren Käufern neben Schmach und Ächtung drohenden Bußgeld-Strafe. In schweren Fällen droht sogar Gefängnis bis zu einem Jahr. Schwedens Regierung ist sich dennoch sicher: „Mit der aus dem Gesetz resultierenden Normverschiebung ist die Nachfrage nach sexuellen Diensten gesunken.“ Das liest man zumindest in der Ankündigung für die Ausstellung „Sexkauf ist Gewalt!“, die in Schwedens Berliner Botschaft Ende des Monats über die Prostitutionspolitik informiert.

Stichhaltige Zahlen allerdings finden sich nur schwer als Beleg für einen Nachfragerückgang. Die Stockholmer Gleichstellungsbehörde gibt an, nach der jüngsten Erhebung im Jahr 2017 hätten 1,5 Prozent der Frauen ab 16 schon mal Geld für Sex genommen. Das ergibt bei der Hälfte der Gesamtbevölkerung von gut 10 Millionen Menschen in Schweden eine absolute Zahl von 7.500 – also meilenweit entfernt von den deutschen Dimensionen. Die Frage ist allerdings, wie aussagekräftig eine derartige Umfrage ist. Zum 20. Geburtstag des Sexkauf-Verbots wurde eine andre Vergleichszahl geliefert: Seitdem habe es in Schweden nicht einen einzigen Mord an Prostituierten gegeben, in Deutschland dagegen 70.

Björk gibt in ihrem Buch zu bedenken, dass im Jahr vor der Einführung des Sexkaufverbots nach amtlicher Schätzung 2.500 Frauen sexuelle Dienste verkauft hätten, ein Viertel von ihnen auf der Straße. Das war auch damals schon eine im internationalen Vergleich sehr niedrige Zahl, die noch unter der von heute liegt. Die Gleichstellungsbehörde ist ebenfalls vorsichtig. Sie hat die Koordinierung des staatlichen Einsatzes gegen Sexkäufe übertragen bekommen, weil Prostitution in Schweden mit seinen starken feministischen Fundamenten offiziell als „Gewalt von Männern gegen Frauen“ definiert ist.

Schweden: Prostitutions-„Angebote“ haben sich aufgefächert

Das Amt räumt in seinem letzten Bericht 2021 ein, dass die Schätzung des tatsächlichen Umfangs von Prostitution „mit einer Reihe von Schwierigkeiten“ verbunden sei. Im Klartext: Das Angebot sexueller Dienste hat sich gegenüber dem Bild der klassischen und für alle sichtbaren „Straßenprostituierte“ auf schwer überschaubare Weise unendlich aufgefächert. Davon zeugen Apps zur Anbahnung pädophiler Sexkäufe über Escort-Anzeigen im Netz, Internetseiten für Sugardating und unendlich viele andere Internet-Foren für käuflichen Sex. Schwere Aufgaben für die Polizei. Aber Ermittler und Justiz strengen sich an: Im Jahr 2022 wurden 715 Sex-Käufer erwischt und verurteilt, mehr als doppelt so viele wie im Durchschnitt der voraufgegangenen fünf Jahre.

Einhellig werfen die bei der praktischen Hilfe für Prostituierte aktiven Gruppen Schwedens Regierung vor, sich mit schönen Worten und Selbstlob nach außen zu begnügen. Außer in den drei Großstädten Stockholm, Göteborg und Malmö gibt es laut Björk keine nennenswerten Anlaufstellen für akut hilfsbedürftige und möglicherweise ausstiegswillige Prostituierte. In den Metropolen selbst seien Hilfsprojekte über die Jahre kaputtgespart worden.

Schwedens rechte Regierung denkt an Ausweisungen

Madeleine Snell, Menschenrechts-Juristin bei der Heilsarmee, warnt in Björks Buch vor einem „Kurswechsel beim Blick auf die Menschenrechte von Frauen“ hinter einer sauber feministisch klingenden Fassade.

Alarmierend ist der Strategiewechsel der Regierung, in der Konservative gemeinsam mit den rechtsextremen Schwedendemokraten sitzen. In der Regierungsgrundlage 2022 von Premier Ulf Kristersson wird Prostitution als „fehlerhafter Lebenswandel“ definiert, „als Missachtung der schwedischen Gastfreundschaft“ auf einer Stufe mit gewaltbejahendem Extremismus. Prostitution soll künftig ein Grund zur Ausweisung sein. Für die Frauen ist das eine härtere Strafe als das Bußgeld für ihre Sex-Käufer.

Thomas Borchert

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