Dänische Regierung zieht Landesverrats-Anklagen sang- und klanglos zurück

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Landesverrat-Prozess nach NSA-Affäre: Salto rückwärts in Dänemark

Stand: 02.11.2023, 17:08 Uhr

Von: Thomas Borchert

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Die Regierung in Kopenhagen lässt ein Verfahren wegen Landesverrats platzen. Die Anklage gegen Ex-Geheimdienstchef und Ex-Verteidigungsminister stand ohnehin auf tönernen Füßen.

Kopenhagen – Zehn Jahre nach der Enthüllung illegaler Internet-Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA von Dänemark aus versucht sich die Kopenhagener Regierung an einem spektakulären Salto rückwärts. Sie hat über ihren Reichsanwalt die Landesverratsanklagen gegen Ex-Geheimdienstchef Lars Findsen sowie Ex-Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen sang- und klanglos zurückgezogen. Auslöser ist eine Entscheidung des Obersten Gerichts, das sich gegen den von der Anklage gewünschten kompletten Ausschluss der Öffentlichkeit von den bevorstehenden Gerichtsverfahren aussprach.

Höchstrichterliche Begründung: Die dänische Geheimdienst-Kooperation mit der NSA sei schon 2013 durch den Whistleblower Edward Snowden allgemein bekannt geworden. Weil deren öffentliche Bestätigung durch Findsen und Frederiksen den ausschließlichen Inhalt der Landesverratsanklage bildete, könne kein generelles Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht werden.

Dänemark: Ex-Geheimdienstchef nach Landesverrat-Vorwurf überwacht und verhaftet

Diese Entscheidung hat die vor zwei Jahren mit gewaltigem staatlichen Einsatz gestartete Inszenierung eines „Abgrunds von Landesverrat“ wie eine Seifenblase platzen lassen. Ungläubig hatte die dänische Öffentlichkeit kurz vor Weihnachten 2021 verfolgt, dass Findsen als Chef des Militär-Geheimdienstes FE wie ein Gewaltverbrecher von einer Antiterroreinheit des zivilen Geheimdienstes PET festgenommen wurde. PET, dessen Chef Findsen auch schon fünf Jahre gewesen war, hatte ihn vorher ein Jahr lang total überwacht und bis ins Schlafzimmer jedes Wort sowie auch andere Geräusche mitgeschnitten.

Findsen blieb mit dem öffentlich bekannt gemachten Verdacht von „Landesverrat im Verhältnis zu fremden Staaten“ zwei Monate total isoliert in Haft. Das „Wie“ dahinter blieb ein Staatsgeheimnis. Alles in allem hatte Findsen als PET- und FE-Geheimdienstchef sowie zwischendurch auch als Staatssekretär im Verteidigungsministerium zwanzig Jahre dem Sicherheitsausschuss der Regierung angehört. Was hätte dieser Mann nicht alles an Moskau, Peking oder vielleicht sogar Pjöngjang verraten können!

Landesverratvorwurf in NSA-Affäre in Dänemark lässt sich nicht halten

Eine noch bombastischere Dimension verschafften der Affäre die etwas später erhobenen Vorwürfe gegen Ex-Verteidigungsminister Frederiksen, ebenfalls wegen Landesverrats „an fremde Mächte“. Der bullige Rechtsliberale, seit Jahrzehnten einer der machtvollsten politischen Strippenzieher in Kopenhagen, ging relativ schnell mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, ihm würde einzig die Bestätigung der NSA-Kooperation in ein paar Interviews zur Last gelegt, die doch längst bekannt gewesen sei.

Auch pfiffen die Spatzen von den dänischen Dächern, dass Frederiksen erst in die Mühlen der Justiz geriet, als der Anklagebehörde dämmerte, dass das aus Gründen der Gleichbehandlung wohl unumgänglich war. Bei Findsen schälte sich nach und nach ebenfalls heraus, dass dessen „Landesverrat“ auch für die Staatsanwaltschaft allein aus ein paar Medienkontakten in Hintergrundgesprächen zum Thema NSA-Kooperation bestand. Findsen selbst wies alle Vorwürfe als „vollkommenen Wahnsinn“ zurück.

Dänische Regierung lässt Skandal um Überwachung und Landesverrat von Kommission überprüfen

Der inzwischen pensionierte Politiker Frederiksen weist nach der für den Staat demütigenden Verfahrenseinstellung auf die Rolle seiner sozialdemokratischen Namensvetterin Mette Frederiksen bei dieser Havarie hin: „Die Hauptverantwortung liegt in ihrer Staatskanzlei.“ Die heimischen Medien halten seine Vermutung für zutreffend, dass die im Hintergrund machtvolle Staatskanzleichefin Barbara Bertelsen ihre Finger im Spiel gehabt habe, möglicherweise als Vendetta gegen den mit ihr als Spitzenbeamter ewig über Kreuz liegenden Findsen.

So wurde in Kopenhagen aufmerksam notiert, dass eine Kommission jetzt für das Justizministerium untersucht, ob eventuell „sachfremde Erwägungen“ eine Rolle gespielt haben könnten, als Findsen und – in seinem Kielwasser – Frederiksen als die vielleicht schlimmsten Verräter von Staatsgeheimnissen im Königreich Dänemark an den Pranger kamen. Vielleicht ein nicht ganz zufälliger Glücksfall für die Regierungschefin, dass die rechtsliberale Partei des Ex-Verteidigungsministers inzwischen von der Oppositionsrolle mit Forderung nach gnadenloser Aufklärung zu ihr auf die Regierungsbank gewechselt ist. (Thomas Borchert)

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