Rache für Koranverbrennungen: Mord an zwei Schweden, weil sie Schweden waren

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18.10.2023

Ins Mark getroffen

Für Schweden kommt der Brüsseler Anschlag in einer unsicheren Zeit

VON THOMAS BORCHERT

Das Motiv hinter der terroristischen Ermordung von zwei schwedischen Fußballfans am Montagabend in Brüssel war für deren Landsleute daheim schnell zu verstehen: Rache für die Koranverbrennungen in Stockholm und anderen Städten. Es reichte dem IS-Attentäter, dass seine Opfer, darunter auch ein Schwerverletzter, vor dem Spiel gegen Belgien in den gelb-blauen Landesfarben gekleidet waren. Im Stadion bekamen die anderen Fans aus Schweden nach dem Spielabbruch durch die Lautsprecher in ihrer eigenen Sprache dies zu hören: Sie seien im Stadion erst mal am sichersten, würden auf dem Rückweg durch die Stadt von Polizeieskorten geschützt, sollten sich aber doch vorsichtshalber ihrer Fankleidung in Gelb-Blau entledigen. Das waren Nachrichten, die ein Land auch in normalen Zeiten ins Mark treffen. Wie himmelweit die zehn Millionen Menschen in Schweden davon entfernt sind, zeigt ein Blick auf andere Nachrichten der Kategorie “Inland”, zusätzlich zum Horror aus Israel und Gaza, unmittelbar vor und nach dem Anschlag in Brüssel: In Stockholm kam ein 16-Jähriger wegen Verdachts auf drei Morde in Haft. Er soll als Teil des aus dem Ruder gelaufenen Bandenkriegs in der vergangenen Woche als “Auftragskiller” zwei Frauen erschossen haben, weil sie mit einem Mann aus einer rivalisierenden Drogen-Bande verwandt waren. Drittes Opfer war ein 40-Jähriger. Am Dienstag erhob die Staatsanwaltschaft in Malmö Anklage gegen fünf Männer und zwei Frauen wegen Beihilfe zum Mord. 48 Tote, etliche davon unbeteiligte Zufallsopfer, hat der Bandenkrieg allein in diesem Jahr durch Schießereien und Bombenanschläge gefordert. Die Polizei ist heillos überfordert. Als in der ersten Jahreshälfte immer neue Koranverbrennungen zu massiven Protesten und Gewaltandrohungen aus der islamischen Welt führten, hob der Geheimdienst Säpo die Gefährdungsstufe für Terror auf die zweithöchste Stufe vier. “Schweden ist jetzt für gewaltbejahende Islamisten ein legitimes und vorrangiges Anschlagsziel”, begrüßte Säpo-Chefin Charlotte von Essen ihre Landsleute bei der Rückkehr aus den Sommerferien. Der “kaltblütige Anschlag” in Brüssel habe die Befürchtungen nun bewahrheitet, sagte Premier Ulf Kristersson in seiner Stockholmer Kanzlei. Er sprach von “eine finsteren Zeit, in der wir leben”: “Wahrhaft starke Kräfte wollen uns Böses.” Nie zuvor seien schwedische Interessen so massiv bedroht gewesen wie derzeit. Ohne direkte Benennung meinte Kristersson damit natürlich auch den bisher kläglich gescheiterten Anlauf zur Nato-Mitgliedschaft – geboren aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und verhindert durch ständig neue Erpressungsmanöver aus der Türkei. Dass Kristersson so gut wie immer Präsident Erdogan eilfertig entgegengekommen ist, etwa bei der Verfolgung in Schweden lebender Kurd:innen, hat ihm nur neue Forderungen aus Ankara eingebracht. In tiefem Moll verwies Kristersson sehr direkt auf die “Gefahr einer zusätzlichen Eskalation” im eigenen Land durch pro-palästinensische Demonstrationen der letzten Tage in schwedischen Städten zum Krieg in Israel und Gaza. Ein Reporter von “Svenska Dagbladet” fragte Kristersson schneidend, wie denn die Polizei jetzt mit der akuten islamistischen Terrorgefahr fertigwerden wolle, wenn sie doch schon beim Bandenkrieg mit jugendlichen Auftragsmördern überfordert sei. Kristersson stellte ins Zentrum seiner Rezepte Verschärfungen beim Asylrecht: Nach belgischen Angaben habe der tunesische Attentäter von Brüssel als abgewiesener Asylbewerber weiter in Belgien gelebt sowie sich zeitweise auch in Schweden aufgehalten: “Wir müssen einfach die Kontrolle darüber haben, wer bei uns ist.” Auf innenpolitische Einigkeit in der hochexplosiven Lage kann Kristersson nicht hoffen. Und strebt sie wohl auch nicht an, weil er seine Minderheitsregierung von den rechtsextremen Schwedendemokraten abhängig gemacht hat, die auch diese Gelegenheit für Scharfmacherei nicht ungenutzt lassen. In einem Post auf X, vormals Twitter, nannte die prominente Abgeordnete Jessica Stegrud den Polizeischutz in Brüssel für Schwedens Fußballverbandschef Fredrik Reinfeldt “unverdient”. Sie “verachte” den Ex-Politiker, weil er als Regierungschef (2006-14) mit seiner liberalen Flüchtlingspolitik der Ermordung der Fußballfans “den Boden bereitet hat”. Das befand auch Kristersson für “verantwortungslos”, aber als interne SD-Angelegenheit als nebensächlich. Oppositionschefin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten schlug einen anderen Ton an: “Am wichtigsten ist jetzt, dass alle in Schweden mit Leitungsfunktionen, seien es politische oder religiöse, ihren Ton mäßigen, um die Spannungen in Schweden abzubauen und nicht noch mehr bei uns aufs Spiel zu setzen.”

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