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Frankfurter Rundschau 12.10.2023

Auffällige Zurückhaltung

Finnland und Estland äußern sich offiziell kaum zum Pipeline-Leck / Kreml: “alarmierend”

VON THOMAS BORCHERT

Bloß jetzt keinen zusätzlichen geopolitischen Zündstoff! So schien das sorgsam eingehaltene Mantra der offiziellen Reaktionen in Finnland und Estland auf das Leck an der Ostsee-Gasleitung Balticconnector zu lauten. Es war am Dienstag bekanntgeworden, als die Welt geschockt die Horrornachrichten von der Hamas-Attacke gegen Israel und dessen Gegenangriffen zu verarbeiten hatte. Schnell waren sich Fachleute zwar einig, dass nur Sabotage Ursache für das Loch in der vor vier Jahren eröffneten Leitung gewesen sein kann. Aber den naheliegenden Verdacht, dass dahinter russische Aktivitäten nach Finnlands Beitritt zur Nato stehen könnten, wollte in Helsinki kein Verantwortlicher aussprechen. Premier Petteri Orpo machte dies bei der Regierungskonferenz auf schon fast komische Weise deutlich. Als er ausdrücklich nach seiner Sicht einer möglichen russischen Beteiligung gefragt wurde, warnte er zunächst vor “voreiligen Schlussfolgerungen”. Und forderte den neben ihm stehenden Polizeisprecher Timo Kilpeläinen auf, die weitere Antwort zu übernehmen. Der Kriminaloberinspektor erklärte auch nicht sonderlich auskunftswillig, man müsse zwar von “grober Sabotage” ausgehen, stehe aber ansonsten “erst am Beginn der Ermittlungen”. Im TV-Sender YLE kommentierte das Charly Salonius-Pasternak von Finnlands Außenpolitischem Institut mit der Bemerkung: “Die Behörden wissen schon viel mehr, als sie uns mitteilen.” Für seine Vermutung spricht, dass der in Fragen der Landesverteidigung eigentlich immer bestens organisierte Staatsapparat schon seit langem auf russische “Vergeltung” für den Nato-Beitritt eingestellt ist. Staatspräsident Sauli Niinistö hatte schon bei der Überreichung des Beitrittsgesuchs in Brüssel darauf hingewiesen: Finnland müsse nach der Aufnahme seitens Russland mit “erhöhter militärischer Aktivität in Grenznähe und in der Ostsee”, auch “in Verbindung mit verschiedenen Cyber- und Hybrid-Bedrohungen” zu rechnen habe.

Nadelstich auch für Nato In den Medienberichten wurde als ziemlich wahrscheinlich davon ausgegangen, dass die Attacke auf die Gasleitung (und zugleich auf ein finnisch-estnisches Datenkabel am Ostseegrund), erste Vergeltungsakte Moskaus für die ungeliebte Nato-Erweiterung zum direkten Nachbarn Finnland gewesen sind. Vielleicht als eine Art “Nadelstich” mit der für die Energie-Versorgung nicht so zentralen Leitung, um die Reaktion der Allianz auszutesten. Denn Finnlands und Estlands Mitgliedschaft macht die Leitungs-Sabotage auch zu einem direkten Problem für die Nato, weil sie Angriffe auf “kritische Infrastruktur” eines Mitgliedsstaates per Definition als militärische Angriffe einstuft. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sicherte auf X (vormals Twitter) beiden Ländern die Unterstützung der Allianz zu. Auch er aber verkniff sich jeden Hinweis auf eine mögliche russische Verantwortung, genau wie die Regierungsvertreter:innen Estlands. Stoltenberg betonte dagegen, man werde erstmal bei der Aufklärung nach Kräften helfen. Russland bezeichnete die Berichte über Balticconnector als “alarmierend”. “Das ist natürlich eine ziemlich alarmierende Neuigkeit, denn wir wissen, dass es bei der Ausführung von Terroranschlägen gegen kritische Infrastruktur bereits Präzedenzfälle im Baltikum gegeben hat”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch mit Blick auf das Leck der Pipeline Nord Stream I vor gut einem Jahr.

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