Trübe Politik in Norwegen: Insiderhandel, erschlichene Gratis-Wohnung und gemeiner Diebstahl

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Deutschlandausgabe vom 21.09.2023,

Korruption auf höchster Ebene

Ehemann von Norwegens Ex-Premier wird des Insiderhandels verdächtigt. Und nicht nur er

VON THOMAS BORCHERT

Norwegens langjährige Regierungschefin und populärste Politikerin ErnaSolberg bricht vor Kameras und Mikrofonen in Tränen aus, als sie “den Sindre” systematischer Lüge bezichtigt: “Vielleicht war ich naiv, als ich meinem Mann geglaubt habe”. Sindre Finnes wirft sich ein paar Stunden später in den Staub: “Es tut mir schrecklich leid, dass ich die Erna in diese Situation gebracht habe. Ich war unehrlich zu ihr.” Bei diesem Familiendrama geht es nicht etwa um außereheliche Affären. Vielmehr musste Finnes vor einigen Tagen zugeben, zwischen 2013 und 2021 – also während Solberg Ministerpräsidentin war – 3600 Aktiengeschäfte getätigt zu haben, von deren Umfang seine Ehefrau nichts gewusst haben will. In ihrer Dienstwohnung hätten ihr als Premier, so Solberg bei ihrem “Geständnis”, auch Büros und Besprechungsräume zur Verfügung gestanden: “Da kann man nicht ausschließen, dass er Insiderinfos bekommen hat.” Selbst habe sie derlei nie an ihren Mann weitergegeben. Hätte sie damals gewusst, dass er zum Beispiel mit Aktien des teilstaatlichen Konzerns Hydro handelte, dann hätte sie sich natürlich mit Blick auf das Unternehmen als Ministerpräsidentin für befangen erklärt, betonte Solberg. Der Volkswirt selbst weist den Vorwurf des Insiderhandels zurück. Finnes hofft auf Verständnis für seine Probleme im Schatten der gefragten und beliebten Partnerin: “Größtenteils war ich allein im Homeoffice, hatte viel Zeit, und die ging irgendwie immer mehr mit Aktienhandel rum.” In seinen Memoiren “An Ernas Seite” klingt das anders: “Zwei volle Einkommen sind immer das Beste”. Den Nettoertrag aus den Aktiengeschäften beziffern Medien auf 10 Millionen Kronen (870 000 Euro), was einen Börsenprofi im TV-Sender NRK ironisch näseln ließ: “Ok, er hat am Laptop sein ‘Hobby’ betrieben.” Was Finnes nicht vor einer möglichen Anklage wegen Insiderhandels nach zumindest vorerst noch vage angekündigten Ermittlungen der Wirtschafts-Kripo retten wird. Medien verweisen auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Deals und Regierungsentscheidungen zur Corona-Strategie und Umweltgenehmigungen für den Bergbaukonzern Nordic Mining. Auf der Kippe steht damit auch Solbergs Karriere. Für die Wahlen 2025 galt sie als klare Favoritin gegenüber dem unpopulären Regierungschef Jonas Gahr Støre von den Sozialdemokraten. Ihren öffentlichen Canossa-Gang mit Ehemann konnte sie hinauszögern. Er erfolgte erst nach den Kommunalwahlen, die am 11. September stattfanden. Ihre konservative Partei jagte mit 25,9 Prozent Støres Arbeiterpartei (21,6 Prozent) erstmals seit 99 Jahren die Spitzenposition ab. Bitter für die Sozialdemokraten, dass dazu im Wahlkampf wochenlang Berichte über mögliche Insidergeschäfte des Ehemanns der Außenministerin Anniken Huitfelt beitrugen. Der hatte mit Aktien des Rüstungskonzerns Kongsberg gehandelt, während seine Frau über einen Großauftrag für diesen mitberiet. Huitfelt räumte ein, befangen gewesen zu sein, bestritt aber die Informationsweitergabe am heimischen Küchentisch und kam damit durch. Schlechter erging es ihrem Kabinettskollegen der Zentrumspartei, Bildungsminister, Ola Borten Moe, der zeitgleich Kongsberg-Aktien erstanden hatte. Er trat im Sommer von seinem Amt zurück. Für Norweger:innen dürfte sich der Eindruck verstärken, dass die politischen Spitzenkräfte ihres wohlhabenden Landes hemmungslos Insiderwissen ausbeuten, um sich persönlich zu bereichern. Kurz nach den letzten Wahlen 2021 mussten die amtierende Parlamentspräsidentin sowie eine Ministerin und Vizechefin der Arbeiterpartei als auch der Chef der Christlichen Volkspartei abtreten, weil sie sich durch Scheinadressen fernab der Hauptstadt kosten- und steuerfreie Abgeordnetenwohnungen in Oslo erschlichen hatten. Die parlamentarische Linke lieferte im Sommer ein weiteres Beispiel fragwürdiger Politiker-Moral: Bjørnar Moxnes, Vorsitzender der “Roten”, wurde auf dem Osloer Flugplatz Gardermoen beim Diebstahl einer Sonnenbrille erwischt. Er redete sich mit “versehentlich in meine Tasche gerutscht” heraus, bis die Überwachungsvideos ein anderes Bild ergaben. Moxnes zahlte ein Bußgeld. Und trat zurück.

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