Wieder mal “Blut für Öl”? Schwedischer Konzern vor Gericht für Geschäfte im Sudan

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Die schmutzige Spur des Krieges im Sudan

05.09.2023

Von: Thomas Borchert

Manager eines schwedischen Öl-Konzerns müssen sich für Verbrechen im Sudan verantworten, die ihre Profite ermöglichten.

Der hässliche Slogan „Blut für Öl“ bekommt in einem Verhandlungssaal des Stockholmer Amtsgerichts spektakulär neue Aktualität. Seit Dienstag müssen sich der schwedische Konzern Lundin Oil sowie seine beiden Ex-Topmanager Ian Lundin und Alex Schneiter für Beihilfe zu Kriegsverbrechen verantworten. Sie haben nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft zwischen 1999 und 2003 das damalige Regime im Sudan zu Massenvertreibungen für die ungestörte Ausbeutung von Ölvorkommen im südlichen Landesteil aufgefordert und zugleich schwerste Menschenrechtsverletzungen um des Profits willen akzeptiert.

Staatsanwalt Henrik Attorps hatte schon vor Prozesseröffnung erklärt, worum es in der 80 000 Seiten umfassenden Anklageschrift konkret geht: „Nach unserer Überzeugung haben die Ermittlungen ergeben, dass das Militär Menschen von Hubschraubern aus beschossen, gekidnappt und ganze Städte in Brand gesetzt hat, so dass es keine Existenzgrundlage mehr gab. Die Folge waren Tod, Verletzungen und Vertreibung für viele Zivilisten.“

Ian Lundins Familie gehört mit einem geschätzten Vermögen von 150 Milliarden Kronen (umgerechnet 12 Mrd. Euro) zu den zehn reichsten in Schweden. Der als Ex-Aufsichtsratschef angeklagte Milliardär nennt das ganze Verfahren „absurd“. Beim Gang in den Gerichtssaal, zusammen mit Ex-Vorstandschef Schneiter, sagte er: „Wir haben nie etwas mit den Konflikten im Sudan zu tun gehabt. Im Gegenteil – wir gehörten zu den guten Kräften dort. Unser Unternehmen hat immer höchste ethische Standards eingehalten.“ Bei einer früheren Gelegenheit hatte Lundin gesagt, man habe doch auch die Kindersoldaten im Südsudan nicht einfach im Stich lassen können.

Baum als Zeuge der Anklage

Unter den 57 geladenen Zeug:innen der Staatsanwaltschaft ist auch der FDP-Politiker Gerhart Baum, der auf Grundlage seiner persönlichen Eindrücke aus dem extrem brutal geführten Bürgerkrieg im Sudan eine andere Version der Ereignisse darstellen wird. Der heute 90-Jährige hatte 2001 als UN-Sonderberichterstatter geurteilt, die Ölgewinnung durch ausländische Konzerne habe „zu einer Verschärfung des Konfliktes“ geführt, der dadurch „zu einem Krieg um das Öl wurde“.

Vorgeschichte, Umfang, Kosten und voraussichtliche Dauer des auf zweieinhalb Jahre angesetzten Verfahrens für die erste Instanz sprengen alle Maßstäbe, jedenfalls für Schwedens Justiz. Mehr als zehn Jahre dauerten die Ermittlungen, einschließlich der als sicher geltenden Revision wird mit achteinhalb Jahren bis zum endgültigen Urteil gerechnet. Die von Lundin Oil (inzwischen umstrukturiert und umbenannt in Orrön Energy) geforderte Schadensersatzsumme von 2,4 Milliarden Kronen ist genauso beispiellos wie die 110 Millionen Kronen, die 32 Nebenkläger:innen aus dem Sudan für die Folgen von Vertreibung, Tod von Angehörigen und persönlichen Schäden verlangen. Sie werden vertreten vom sozialdemokratischen Ex-Justizminister Thomas Bodström.

Ein weiterer prominenter Politiker wird auf der anderen Seite auftreten. Der konservative Ex-Premier und -Außenminister Carl Bildt gehörte bis 2006 dem Lundin-Aufsichtsrat an und will von Verwicklungen in den Bürgerkrieg nie gehört haben.

Auch außerhalb Schwedens dürfte der Lundin-Prozess je nach Interessenlage höchst aufmerksam verfolgt werden, weil hier das „Universalitätsprinzip“ für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch gegen einen an der Börse notierten Großkonzern und dessen Spitzenleute angewandt wird. Das bedeutet, dass in Stockholm Vergehen dieses Kalibers verfolgt werden können, auch wenn die sie sich an jedem anderen Ort der Welt ereignet haben. Für die Staatsanwaltschaft sei es nicht notwendig gewesen, vor Ort im Sudan zu ermitteln, so der Ankläger. Das wäre auch unmöglich gewesen.

Meilenstein für Justiz

Attorp argumentiert, es reiche neben der Dokumentation der Aufforderung zu „Säuberungen“, dass die Lundin-Spitze von extremen Menschenrechtsverletzungen durch das sudanesische Regime (etwa auch mit dem Einsatz von Kindersoldaten) gewusst und diese mit dem Verbleib im Südsudan gebilligt habe.

Ausgelöst hatte die Ermittlungen der Staatsanwalt 2010 die niederländische Organisation „Pax for Peace“ mit detaillierten Berichten über das Lundin-Engagement im Südsudan und die Folgen für die Zivilbevölkerung. Zum Prozessauftakt kommentierte Pax: „Dies ist ein Meilenstein. Zum einen für die Zehntausenden Überlebenden des grauenhaften Krieges“, aber auch „für den globalen Trend, auch Unternehmen effektiv zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie zu massiver Ungerechtigkeit und zu Gewalt beitragen.“

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