Schlankheitsmittel bringt dänischer Staatskasse satte Überschüsse

Geldregen in Dänemark: Ein Schlankheitsmittel macht das Land reich
03.09.2023
Von: Thomas Borchert
Das Schlankheitsmittel Wegovy macht Dänemark noch reicher. Die Regierung spart trotz der hohen Steuereinnahmen.
Finanzminister Nicolai Wammen strahlt bei der Vorstellung des neuen Staatshaushalts: „Diesmal macht es echt mehr Spaß als in den letzten Jahren.“ Sein Kollege Jakob Ellemann-Jensen aus dem Wirtschaftsministerium schickt einen frommen Wunsch hinterher: „Gott verhüte, dass Novo Nordisk jemals ausflaggt oder dichtmacht!“
Bei ihrem Kopenhagener Auftritt zum Wochenende wirkten beide Politiker immer noch überrascht vom bizarren Hintergrund für Dänemarks aktuelle Wirtschaftsentwicklung mit Wachstum, schnell sinkender Inflation, Vollbeschäftigung und gewaltig einlaufenden Steuereinnahmen: Das Schlankheitsmittel Wegovy hat Novo Nordisk vor allem durch die Nachfrage Übergewichtiger in den USA so gigantische Profite beschert, dass die Regierung ihre Wachstumsprognosen kräftig nach oben korrigieren musste.
Anders ausgedrückt: Vor allem dank Wegovy wird das dänische BIP dieses Jahr laut Finanzministerium um 1.7 Prozent steigen. Rechnet man das Präparat weg wäre die dänische Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft.
Die Zeitung „Politiken“ erklärte ihrer mehrheitlich mit Wohneigentum gut situierten Leserschaft: „Der riesige Erfolg von Wegovy macht nicht nur Menschen schlanker, sondern sorgt auch für niedrigere Bankzinsen.“ Die Erklärung fällt ein bisschen kryptisch aus, aber das Fazit des Chefanalytikers Jens Nervig Pedersen von der Danske Bank glasklar: „Die Aktienmärkte sehen Novos Zukunft positiv. Wenn die Investoren noch mehr verdienen, kann die Nationalbank unsere Zinsen noch weiter senken.“
Auch der Geschäftserfolg anderer Vorzeige-Konzerne wie Lego und der Maersk-Reederei haben die dänischen Zahlen positiv beeinflusst. Aber die volkswirtschaftliche Bedeutung des Novo-Schlankheitsmittels ist so explosiv gestiegen, dass Wirtschaftsminister Ellemann- Jensen sich an das Beispiel Nokia erinnert fühlt und mahnt: Das jahrelang von diesem Handy-Erfolg zehrende Finnland sei in eine schwere Krise gestürzt, als das iPhone erfunden war. „Aber die meisten Novo-Fabriken liegen im Ausland, also würden Schließungen uns nicht so hart treffen,“ beruhigte der Minister das Wählervolk.
Vorerst hat Novo mit seinem eigentlich als Diabetes-Medizin entwickelten und verschreibungspflichtigen Schlankheitsmittel noch einen Vorsprung vor der Konkurrenz und kann den Preis deshalb weit oben halten. Der Konzern hat mit Produktionsengpässen wegen der überall explodierenden Nachfrage zu kämpfen. Für Deutschland gibt das Unternehmen die monatlichen Kosten pro Nutzer:in mit durchschnittlich 300 Euro an, die von Kassen bislang nicht getragen werden.
Das Mittel, das den Appetit kräftig zügelt, wirkt nur, wenn es eingenommen wird, so dass man sich, je nach Veranlagung, auf eine lebenslange Abhängigkeit einzustellen hat. Zu den davon wenig Begeisterten gehören auch Diabetes-Kranke, die das eigentlich für sie bestimmte Präparat durch die Konkurrenz der Übergewichtigen nicht mehr bekommen können.
Dänemarks großer Koalition hat der Novo-Boom ein Imageproblem beschert, um das sie die Berliner Ampel-Regierung heftig beneiden dürfte. Die drei Parteien (Sozialdemokratie, Rechtsliberale und Moderate aus der bürgerlichen Mitte) hatten ihr Zusammengehen nicht zuletzt mit der Notwendigkeit von dauerhafter Krisenbewältigung begründet. Regierungschefin Mette Frederiksen zählte immer wieder mit ernster Miene auf, dass infolge aller möglichen simultan ablaufender Krisen alle knapp sechs Millionen „danskere“ sich auf kärgere Zeiten einzurichten hätten. Jetzt aber sind die Staatskassen prall gefüllt, das Krisennarrativ passt nicht mehr.
Obwohl der Finanzminister glänzende Zahlen vorlegen konnte, ist der Haushalt für 2024 wenig offensiv ausgefallen. Überschuldete Kommunen müssen Schulen schließen und ihre Altenpflege scharf durchrationalisieren. Wer erwartet hatte, dass der Geldregen auf die Staatskasse für einen höheren Gang im Kampf um die Klimarettung genutzt wird, wurde enttäuscht. Unter ferner liefen tauchten in Wammens Liste mit Mehrausgaben für die „grüne Erneuerung“ kümmerliche eine Milliarde Kronen (130 Millionen Euro) zusätzlich auf. Novo Nordisk hat im letzten Jahr bei einem Umsatz von 177 Milliarden Kronen einen Gewinn von 55 Milliarden Kronen ausgewiesen.