Dänemark erlaubt jetzt “fremde” Nationalflaggen

Die dänische Hygge endet am Fahnenmast
01.09.2023
Von: Thomas Borchert
Ein höchstrichterliches Urteil über ein veraltetes Verbot stürzt Dänemark in Nöte.
Ein Gespenst geht um in Dänemark: „Werden wir jetzt mit deutschen Flaggen zugemüllt?“ Ein Zeitungskommentar aus dem grenznahen und hinreißend altertümlich bewahrten Christiansfeld reagiert mit einer Schreckensvision auf die Aufhebung des Flaggenverbotes für „fremde Nationen“ im Königreich der Hygge. Auch Pia Kjærsgaard von der rechten Dänischen Volkspartei sieht „unsere Nordseeküste bald zugepflastert mit deutschen Fahnen“ und setzt noch einen drauf: „Oder riskieren wir gar, dass über unseren Schrebergärten alle möglichen Nahost-Flaggen flattern?“ Ganz klar: Als Konkurrenz für den heimischen „Dannebrog“ wäre das Schwarz-Weiß-Grün (mit ein bisschen rot) muslimischer Staaten noch schlimmer als Schwarz-Rot-Gold vom übergroßen Nachbarn südlich von Padborg.
Das Oberste Gericht des Königreichs hat die seit 1915 geltende Verordnung mit dem Verbot „fremder“ Beflaggung ohne ausdrückliche polizeiliche Sondergenehmigung für ungültig erklärt. Damit bekam ein Bürger zum Auftakt der Sommerferien recht mit seiner Klage gegen den Staat: Der Mann hatte einfach mal so in seinem Garten die US-Flagge gehisst, vor allem, um seiner Begeisterung für Autos aus dem Land von „Stars&Stripes“ Ausdruck zu verleihen. Die Polizei zwang den Gesetzesbrecher zum sofortigen Einholen der US-Fahne und brummte ihm für den Flaggen-Frevel ein Bußgeld auf.
Genauso haben immer wieder auch urlaubende Deutsche an Nord- oder Ostsee beim Hissen von Schwarz-Rot-Gold zu spüren bekommen, dass am Fahnenmast blitzschnell Schluss sein kann mit der Hygge. Obwohl doch gerade der schier grenzenlose Flaggen-Enthusiasmus im Reich von Königin Margrethe II. allseits als wunderbares i-Tüpfelchen auf der weltweit beneideten Hygge verstanden wird. Zu Weihnachten umkranzen Dannebrog-Wimpelketten die dänischen Weihnachtsbäume. Kein Kindergeburtstag ohne jede Menge Dannebrog-Fähnchen auf der Torte. Zu jedem royalen Geburtstag wird auch vor allen Gotteshäusern rot mit weißem Kreuz geflaggt. Seit ein paar Jahren aber doch nur, wenn ein Spross des Königshauses volljährig wird. Bei inzwischen acht Enkeln der Regentin wurde es doch zu unübersichtlich für die Untertanen, befand die Beflaggungs-Abteilung im Justizministerium. Klingt alles nach sympathisch harmloser Operettenidylle und wird so von „Visit Denmark“ bei der Werbung in Deutschland verkauft. Bis hin zu der Aufforderung: „Wenn Sie also in Dänemark sind, schnappen Sie sich eine Flagge und flaggen Sie, was das Zeug hält. Ihre dänischen Nachbarn werden sich freuen.“ Das bleibt auch nach der Aufhebung des Verbots „fremder Flaggen“ eine grob fahrlässige Ermutigung auf dünnem Eis. Ein im vorletzten Jahrhundert verwurzelter und dort immer noch steckengebliebener Rechtspopulismus hat Dänemark in den vergangenen 25 Jahren politisch dominiert und tiefe Spuren gezogen. Sie zeigen sich beim Thema Flaggen etwa daran, dass Spitzenpolitiker:innen sich bei Besuchen von EU-Kollegenschaft in Kopenhagen so gut wie nie vor der EU-Flagge fotografieren lassen. Sie ist auch sonst im dänischen Alltag praktisch unsichtbar.
Die Hygge
Kein Wunder also, dass vier Parteien auf der rechten Oppositionsseite des „Folketing“ jetzt mit der Initiative für ein neues Flaggengesetz das alte Verbot reinstallieren wollen. Die Zeitung „Politiken“ kommentierte: „Willkommen zum neuen Kulturkampf. Dem Kampf um Flaggen.“ Den Kammerton schlägt Søren Pape Poulsen, Ex-Justizminister und Chef der Konservativen an: „Wer in Dänemark flaggt, flaggt den Dannebrog. Daran müssen wir festhalten.“
Der sozialdemokratische Justizminister Peter Hummelgaard hält sich noch bedeckt, wie die große Koalition auf das Urteil von Ende Juni reagieren will, das lediglich eine vor 118 Jahren erlassene Verordnung für unwirksam erklärt hatte. Unter anderem, weil mit dem Verbot „fremder Flaggen“ Dänemarks Neutralität im Ersten Weltkrieg flaggentechnisch abgesichert werden sollte. Das ist angesichts der dänischen Nato-Mitgliedschaft nach höchstrichterlicher Auffassung nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit.
In der gerade zu Ende gegangenen Feriensaison hat sich die Befürchtung eindeutig nicht bestätigt, dass deutsche oder gar muslimisch angehauchte Flaggenbegeisterte das Dannebrog-Monopol ins Wanken bringen. Das ließe sich eher von der blaugelben Flagge der Ukraine behaupten, die viel zu sehen ist. Schon vor dem Richterspruch und ganz legal, denn zur dänischen Unterstützung seit der russischen Invasion gehörte schnell auch die generelle Genehmigung für das Hissen ukrainischer Flaggen.