Skandinavien streitet über Koranverbrennungen

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Koranverbrennungen: Feuer und Flamme für fragwürdige Meinungsfreiheit

Von: Thomas Borchert 11.08.2023

Koranverbrennungen in Skandinavien sind Anlass für große Empörung und eine Debatte über mögliche Verbote

Die Serie von Koranverbrennungen, gefolgt von Protesten in der muslimischen Welt, haben Schweden und Dänemark verschärfte Grenzkontrollen, finstere Terrorwarnungen sowie einen mitunter bizarren Meinungsstreit beschert: Sind sie als „symbolische und gewaltfreie Handlung“ gedeckt durch die Meinungsfreiheit und als solche gegen „die Forderungen von „Hohepriestern und rücksichtslosen Autokraten nach Respekt für religiöse Gefühle“ ohne Wenn und Aber zu verteidigen?

Das fordert etwa die konservative Zeitung „Berlingske“ aus Kopenhagen. Und im schwedischen Stockholm schrieb der Vorsitzende der Justizausschusses im Reichstag, Richard Jomshof von den rechtsradikalen Schwedendemokraten (SD), auf Twitter (neuerding „X“): „Sie sind nun mal erlaubt, und wenn sich jemand aufregt, dann verbrennt hunderte mehr.“

Dänemarks Regierungschefin, die Sozialdemokratin Mette Frederiksen, sieht es anders: „Für mich ist ein Buch vor allem die Meinungsäußerung derjenigen, die das Buch geschrieben haben.“ Vor allem das gelte es zu verteidigen, sagte die Sozialdemokratin und fuhr fort: „Ich sehe es nicht als Einschränkung der Meinungsfreiheit an, wenn das Verbrennen der Bücher anderer verboten wird.“ Ihr konservativer Stockholmer Kollege Ulf Kristersson ermahnt den Rechtsextremisten Jomshof, sich doch bitte im Ton zu zügeln.

Mainstream gegen Verbot

Eine zahme Reaktion auch angesichts Jomshofs ergänzender Tweets, der Prophet Mohammed sei ein „Massenmörder“ und der Islam „antidemokratisch, gewaltverherrlichend und frauenfeindlich“. Kristerssons Minderheitsregierung hängt vollständig von Jomshofs Partei (zuletzt 20 Prozent bei Wahlen) als Mehrheitsbeschafferin ab. Folglich muss er seine Strategie zur Beruhigung muslimisch dominierter Staaten, einschließlich der beim Justizministerium in Auftrag gegebene Regeln zur Verhinderung von Koranverbrennungen, möglichst dezent anlegen und verkaufen. Könnten die islamophoben und aus Nazi-Gruppen hervorgegangenen SD doch andernfalls allzu sehr verärgert werden.

Frederiksen hat es ein bisschen leichter. Ihre Mehrheitsregierung, eine für Dänemark ungewöhnlich große Koalition, wurde auch mit dem Ziel gebildet, die Kopenhagener Politik nach zwei Jahrzehnten selbstgewählter Abhängigkeit vom Rechtspopulismus Richtung Mitte zu bewegen. Was aber nichts daran ändert, dass sich der dänische Mainstream im Streit um ein Verbot von Koranverbrennungen heftig wehrt. Alle vier landesweiten Zeitungen, zwei bürgerliche und zwei eher links angesiedelte, sind dagegen. Genauso in Schweden die linksliberale „Dagens Nyheter“ mit der Begründung, eine solche Einschränkung könne „Start einer Rutschpartie“ mit immer neuen Verboten werden.

Kaum Nazi-Assoziationen

Dem begegnen die Verbots-Befürworter in den Regierungen beider Länder mit betont pragmatischen Argumenten: Kristersson verweist auf die sicherheitspolitische Lage („gefährlicher für uns als je zuvor seit 1945“) mit dem vom türkischen Präsidenten Erdogan lange blockierten Nato-Beitritt und der Bedrohung durch den Ostsee-Nachbarn Russland.

Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen begründet seine vorbehaltlose und scharfe Verurteilung heimischer Koranverbrennungen gegenüber der muslimischen Welt mit „pragmatischen Idealismus“: Es gehe jetzt vor allem darum, möglichst wenig internationale Spannungen in einer geopolitisch schweren Lage zu provozieren. Dass ihm auch dänische Exportinteressen Richtung Arabien am Herzen liegen, räumt er gerne ein.

Die Bücherverbrennungen der Nazis 1933 spielen in der skandinavischen Debatte eine verblüffend kleine Rolle. Göran Rosenberg, schwedischer Publizist und Sohn polnischer Holocaust-Überlebender, sagt dazu: „Man hat in Schweden nicht dieselben Assoziationen wie in Ländern mit konkreteren Kriegs- und Nazi-Erfahrungen. Ich für meinen Teil glaube, es steckt Geschichtslosigkeit dahinter.“

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