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26. Januar 2016

Flüchtlinge: Schwedens neue Härte

 Von Thomas Borchert

Ein Selfie im nördlichsten Ski-Ressort Schwedens, Riksgransen: Manche Flüchtlinge müssen in Sportzentren untergebracht werden.  Foto: Ints Kalnins/rtr

Merkels treuester EU-Verbündeter zeigt sich hilflos im Umgang mit Flüchtlingen.

Wenn der Regierungschef zum Ort eines Verbrechens mit einem einzigen Opfer eilt, muss große Politik im Spiel sein. Nach der Ermordung einer 22-jährigen Betreuerin durch einen 15 Jahre alten Flüchtling hat Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven im kleinen Mölndal persönlich seine Botschaft „voll großer Trauer und auch voll Zorn“ überbracht. Dienstagmorgen brachten die Zeitungen von dieser Aussage so gut wie nichts und auch über den Mord selbst verblüffend wenig.

Die gerade vor Gericht gekommene Einkerkerung einer „Sex-Sklavin“ in einem Bunker durch einen offenbar wahnsinnigen schwedischen Arzt war spektakulärer. Den politischen Teil füllten dennoch die Kommentare über Löfvens neue, hoffnungslos schlechte Umfragezahlen. Ihre Ursache: Kaum noch jemand in Schweden traut seiner sozialdemokratischen Regierung die praktische Bewältigung der „Flüchtlingsprobleme“ zu.

Löfvens Berater dürften ihren Chef auf die Reise von Stockholm an der Ostsee nach Mölndal an der Westküste geschickt haben, weil ihnen vor Augen stand, wie Deutschland auf die Kölner Silvesternacht reagiert hat. Grund zu Trauer und auch Zorn gab es in der Kleinstadt bei Göteborg reichlich, auch wenn die Polizei erstmal keine Einzelheiten zu dem Verbrechen mitteilte: Der Täter, in der Amtssprache ein „unbegleiteter jugendlicher Flüchtling“, scheint aus heiterem Himmel auf seine kaum ältere Betreuerin eingestochen zu haben. Vorher habe es nie Probleme mit den zehn hier untergebrachten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 gegebene, sagte Amal Hassan, eine Kollegin der Ermordeten der Zeitung „Expressen“. Das Opfer war „ein Engel“, der helfen wollte, so ihre Eltern, selbst aus dem Libanon nach Schweden geflüchtet.

Amal Hassan sagte Reportern auch ausdrücklich: „Es sind gute Jungen, die hier wohnen.“ Aber ihr Gefühl von Sicherheit sei nun dahin. So ähnlich hat sich in den letzten Monaten mit rasant zunehmender Geschwindigkeit auch die Grundstimmung im größten und bisher Flüchtlingen gegenüber mit Abstand offensten Land Skandinaviens verändert. Von den 160 000 ins Land gekommenen Asylbewerbern des vergangenen Jahres waren 35 000 Minderjährige ohne Erwachsene. Doppelt so viele, wie der Nachbar Dänemark 2015 insgesamt als Flüchtlinge ins Land gelassen hat. Die Grenzstadt Malmö mit 300 000 Einwohnern ermittelte jetzt einen Bedarf an 26 zu bauenden Schulen für diese neue Bevölkerungsgruppe.

Zielländer

Der Vorwurf, Flüchtlinge gehen in erster Linien in wohlhabende EU-Staaten, greift zu kurz. Für viele Flüchtlinge ist neben den konkreten Kontakten zu Verwandten oder Bekannten auch entscheidend, die groß die Wahrscheinlichkeit auf einen Bleibestatus ist. Beispiele: Afghanen erhalten in Deutschland eher ein Bleiberecht als in Dänemark oder Schweden, schreibt die dänische Seite refugees.dk Eritreische Flüchtlinge würden in Schweden die besten Bleibechancen vorfinden. vf

Löfvens Minderheitsregierung hat im Gegensatz zu den immer an härtester Rhetorik orientierten Kollegen im benachbarten Kopenhagen das Anrecht minderjähriger Flüchtlinge auf eine humane Behandlung verteidigt. Mehr und mehr aber hat sich in der öffentlichen Debatte die Forderung nach mehr „Realismus“ durchgesetzt. Gemeint ist Härte. Schon lange behaupten Kritiker von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten bis hin zum Polizeiapparat, dass wahrscheinlich die Mehrheit der als Flüchtlinge allein kommenden Jugendlichen über 18 sei.

Es nützt Löfven, der 2015 Angela Merkels treuer Verbündeter mit der Forderung nach einer humanen und gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik war, nichts mehr, dass er seit Dezember tatsächlich den Hebel für mehr „Härte“ umgelegt hat. Vor allem durch die faktische Grenzschließung für Flüchtlinge ohne Papiere seit Ende des Jahres kommen so gut wie keine „unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge“ mehr aus Kopenhagen über die Öresund-Brücke.

Untersuchungen am Tatort.  Foto: AFP

Dafür kommen immer neue Katastrophenmeldungen über die mangelnde praktische Bewältigung des „Flüchtlingsproblems“ aus dem Land selbst. Kaum war die Nachricht über den Mord an der Betreuerin in Mölndal verbreitet, meldete sich die Polizeiführung mit Alarmbotschaften über gigantischen zusätzlichen Personalbedarf. Auch die massiven Probleme in vielen Unterkünften für jugendliche Flüchtlinge würden dazu erheblich beitragen. Erst vor wenigen Wochen musste sich die Polizeispitze vorwerfen lassen, sie habe Probleme wie in Köln in politischem Auftrag unter den Teppich gekehrt.

Dass die Rechtsaußen bei den Schwedendemokraten von all dem mit zuletzt 18 Prozent verblüffend wenig profitieren, deutet auf eine immer noch intakte Aufnahmebereitschaft unter den knapp zehn Millionen Schweden hin. Nur muss es eben auch funktionieren. Tut es das nicht, ist der politische Weg Schwedens hin zur Meinungsführerschaft der Rechtspopulisten klar vorgezeichnet. „Dass die größte Regierungspartei dermaßen verwirrt ist, verheißt nichts Gutes für unser Land,“ kommentierte „Sydsvenskan“ in Malmö. Dort ist man über Löfvens scharfe Grenzkontrollen vor allem verzweifelt, weil sie die wirtschaftliche Entwicklung in der bisher blühenden Grenzregion auf Dauer zerstören könnten.

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